Das idiopathische Parkinson-Syndrom (IPS), jetzt als Parkinson-Krankheit bezeichnet, ist eine fortschreitende neurologische Erkrankung, die vor allem motorische Fähigkeiten beeinträchtigt. Die Therapie des IPS sollte rechtzeitig, altersgerecht und effizient beginnen, wobei je nach Alter, Erkrankungsdauer und sozialer Situation unterschiedliche Therapieziele relevant sind.
Einleitung
Die Diagnose und Behandlung von Parkinson-Syndromen kann komplex sein, und um eine optimale Patientenversorgung zu gewährleisten, wurden umfassende Leitlinien entwickelt. Im April 2016 wurden diese Leitlinien auf S3-Niveau angehoben und unter der Schirmherrschaft der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in einem Konsensverfahren erarbeitet, an dem 29 Fachgesellschaften, Berufsverbände und Organisationen beteiligt waren. Diese Leitlinien hatten bis zum 31. Dezember 2020 Gültigkeit. Seit November 2023 liegt eine neue, vollständig überarbeitete S2k-Leitlinie vor.
Optionen im frühen Stadium des IPS
Im frühen Stadium des IPS sollten Monoaminooxidase-(MAO-) B-Hemmer, Dopaminagonisten oder Levodopa in der symptomatischen Therapie verwendet werden. Bei der Auswahl der verschiedenen Substanzklassen ist es wesentlich, die unterschiedlichen Effektstärken im Hinblick auf die Wirkung, die Nebenwirkungen, das Alter des Patienten, Komorbiditäten und das psychosoziale Anforderungsprofil zu berücksichtigen. Jüngere Patienten sollten eher Dopaminagonisten erhalten, während ältere Patienten eher Levodopa bekommen sollten.
Levodopa-Therapie
Unter Levodopa-Therapie entwickeln sich häufiger im späteren Verlauf Wirkungsfluktuationen und Dyskinesien, was insbesondere auf die kurze Halbwertszeit und Spiegelschwankungen von Levodopa zurückzuführen ist. Motorische Fluktuationen sind dabei nach 10 Jahren Levodopa-Therapie bei fast allen Patienten zu erwarten.
Es ist aber wichtig, auch im Frühstadium Levodopa - zwar so niedrig wie möglich, aber in jedem Fall in ausreichend wirksamer Dosis - zu verordnen. Retardierte Darreichungsformen von Levodopa mit einem Decarboxylasehemmer sind im Frühstadium höchstens zur Behandlung von nächtlichen motorischen Symptomen empfohlen, weil sie tagsüber aufgrund der Nahrungsaufnahme nicht ausreichend resorbiert werden.
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Dopaminagonisten-Therapie
Die Nebenwirkungsrate von Dopaminagonisten (insbesondere Übelkeit, Müdigkeit, Blutdruckabfall, Mundtrockenheit, Benommenheit, Halluzinationen sowie Hautreizungen bei transdermalen Dopaminagonisten) kann der Grund sein, gerade bei älteren multimorbiden Patienten mit Polypharmazie Levodopa-Präparaten den Vorzug zu geben.
Es werden klare Empfehlungen für den Einsatz non-ergoliner Substanzen ausgesprochen (Piribedil, Pramipexol Standard, Pramipexol retard, Ropinirol Standard, Ropinirol retard, Rotigotin transdermal), weil ergoline Dopaminagonisten zu Fibrosen von Herzklappen und Lunge führen können. Ein non-ergoliner Dopaminagonist soll bis zu seiner klinisch effektiven Dosis titriert werden. Falls Nebenwirkungen dies verhindern, sollte ein anderer non-ergoliner Agonist oder eine andere Substanzklasse eingesetzt werden.
Ergoline Dopaminagonisten (Bromocriptin, Cabergolin, Pergolid) dürfen nur eingesetzt werden, wenn eine Therapie mit einem non-ergolinen Dopaminagonisten nicht oder nicht ausreichend wirksam ist oder nicht vertragen wird. Grund ist, dass ergoline Dopaminagonisten zu fibrotischen Veränderungen z. B. an Herz, Retroperitoneum und Lunge führen können, sodass bei Einleitung einer Therapie und in 12-monatigen Intervallen die Herzklappenfunktion mittels Echokardiographie untersucht werden muss. Auch die Empfehlungen, vor Therapiebeginn einen Nierenfunktionstest, eine Blutkörperchen-Senkungsgeschwindigkeit und eine Röntgen-Thorax-Aufnahme durchzuführen, werden gegeben.
Anticholinergika und Betablocker
Anticholinergika sollten bei geriatrischen Patienten aufgrund ihres ungünstigen Nutzen-Schaden-Profils nicht eingesetzt werden (zum Beispiel negative Auswirkung auf Kognition). Betablocker wie Propranolol können für die symptomatische Therapie des posturalen Tremors von ausgewählten Patienten mit frühem IPS erwogen werden, sollten aber nicht Mittel erster Wahl sein.
Therapie im fortgeschrittenen Stadium
Bei motorischen Fluktuationen kann zur Verkürzung der Off-Zeiten Rasagilin in Kombination mit Levodopa eingesetzt werden. Nach Expertenkonsens sollte Rasagilin aber nicht zur Behandlung von Dyskinesien eingesetzt werden. Eine Kombination von Rasagilin und COMT-Hemmern (zum Beispiel Entacapone) kann aber durchaus überlegt werden. Dopaminagonisten können auch bei Patienten mit motorischen Wirkfluktuationen gut eingesetzt werden. Auch Amantadin kann zur Reduktion von Dyskinesien erfolgreich eingesetzt werden. Grundsätzlich besteht der Konsens, bei Patienten, deren motorische Fluktuationen unter einer Monotherapie mit Levodopa nicht ausreichend behandelbar sind, zusätzlich COMT-Hemmer oder einen Dopaminagonisten zusätzlich zu verordnen.
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Invasive Therapieformen
Zusätzlich zur oralen Therapie kann Apomorphin als intermittierende subkutane Injektion (Pen) verordnet werden, um die tägliche Off-Dauer bei Patienten mit schweren motorischen Fluktuationen zu verkürzen. Lange Off-Zeiten und schwere motorische Fluktuationen sprechen für den Einsatz einer Apomorphin-Pumpe. Auch die sogenannte Duodopa-Pumpe (kontinuierliche Levodopa-Carbidopa-Applikation in Form eines intestinalen Gels) ist für diese Patientengruppe grundsätzlich geeignet. Diese Therapieformen sollten nur von in der Parkinson-Therapie erfahrenen Ärzten initiiert und an entsprechenden Zentren monitoriert werden.
IPS-Patienten, die medikamentös schlecht behandelbare motorische Fluktuationen und/oder Dyskinesien respektive einen medikamentös nicht ausreichend kontrollierbaren Tremor haben, kommen grundsätzlich auch für eine tiefe Hirnstimulation infrage, meist bilateral (im Nucleus subthalamicus). Dieses Verfahren bevorzugen die meisten Parkinson-Experten gegenüber dem Einsatz der oben genannten Pumpen. Wesentliche Voraussetzungen für einen Erfolg der tiefen Hirnstimulation ist, dass die Symptome immer noch auf Levodopa ansprechen, keine Demenz vorliegt, keine relevanten psychischen oder somatischen Komorbiditäten und keine neurochirurgischen Kontraindikationen bestehen.
Nicht-medikamentöse Therapien
Neben medikamentösen und invasiven Therapieformen spielen nicht-medikamentöse Behandlungen eine wichtige Rolle bei der Behandlung des IPS.
Physiotherapie
Physiotherapie sollte in der Frühphase des IPS darauf ausgerichtet sein, der zunehmenden Bewegungsverarmung entgegenzuwirken. Besonders geeignet sind Trainingsverfahren, bei denen großamplitudige Bewegungen, Bewegungsrhythmus und Schnelligkeit geübt werden. Nordic Walking und andere sportliche Aktivitäten können hierfür eingesetzt werden. Zunehmend gewinnen auch Tanzen, Tai Chi oder Qigong an Bedeutung. In fortgeschrittenen Stadien des IPS ist Physiotherapie auf manifeste Störungen ausgerichtet, die nicht oder nur unzureichend durch die medikamentöse Einstellung beeinflusst werden. Empfehlenswerte Techniken sind dann zum Beispiel das Training posturaler Reflexe (Schubstraining) oder das Erlernen von Techniken zur Überwindung von Gangblockaden. Zudem ist dann die Anleitung von Betreuungspersonen sinnvoll, insbesondere zur Verwendung von Hilfsmitteln und der Hilfestellung bei Transfers/Mobilität. Auch in schwersten Krankheitsstadien ist physiotherapeutische Behandlung, zum Beispiel zur Verbesserung von Transfers und Vermeidung von Kontrakturen empfehlenswert. Atemgymnastik (u. a. zur Pneumonie-Prophylaxe) oder Thrombose-Prophylaxe können weitere sinnvolle Therapieziele sein.
Logopädie
Die logopädische Therapie hat die Verbesserung vor allem der Stimmlautstärke und des Tonumfangs zum Ziel. Hierzu sollten Therapieprogramme wie LSVT®-LOUD (Lee Silverman Voice Treatment) eingesetzt werden. Ergänzend trägt eine logopädische Mitbehandlung zur frühen Erkennung von möglichen Schluckstörungen bei und ermöglicht ein angepasstes Schlucktraining, einschließlich Empfehlungen zur entsprechenden Ernährung (vom Andicken von Flüssigkeiten bis hin zur Empfehlung der Anlage einer PEG-Sonde).
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Ergotherapie
Auch zu ergotherapeutischen Behandlungen sollten IPS-Patienten Zugang bekommen. Schwerpunkte der Behandlungen sind entsprechend der aktuellen S3-Leitlinien:
- Erhalt der beruflichen und familiären Rollen, des Arbeitsplatzes, der häuslichen Versorgung und Freizeitaktivitäten
- Verbesserung und Erhalt von Transfer und Mobilität, Basisaktivitäten des täglichen Lebens (Essen, Trinken, Körperpflege) sowie bei Küchen-, Haushalts- und Einkaufsaktivitäten
- Umgebungsaspekte zur Verbesserung von Sicherheit und motorischer Aktivität, zum Beispiel Beratung zur Sturzprophylaxe im Haushalt des Patienten sowie
- Kognitive Ansätze zur Verbesserung spezifischer Alltagsfunktionen.
Psychosoziale Begleitung
Ergänzend zu diesen therapeutischen Angeboten sollen Parkinson-Patienten und deren Angehörige in allen Phasen der Erkrankung Zugang zu psychosozialer und sozialrechtlicher Beratung bekommen. In diesem Zusammenhang sei besonders auf die Empfehlungen zur Fahreignung in den aktuellen DGN-S3-Leitlinien hingewiesen: „Mit der Diagnose eines IPS ist für Inhaber der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 (Lkw, Bus, Taxi) die Fahreignung in der Regel nicht gegeben. Bei Inhabern der Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 (Pkw, Krafträder, landwirtschaftliche Zugmaschinen) kann nach individueller Beurteilung bei erfolgreicher Therapie oder in leichten Fällen die Fahreignung gegeben sein.“ Für die Beurteilung der Fahreignung sind dabei nicht nur motorische, sondern auch neuropsychologische Parameter von hoher Relevanz (visuell-räumliche Aufmerksamkeitsleistungen, geteilte Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen, visuelle Wahrnehmungsleistungen).
Nicht-motorische Symptome
Da bei Parkinson-Patienten die Lebensqualität ganz erheblich durch nichtmotorische Störungen eingeschränkt ist, ist deren Therapie von hoher Relevanz. Dringend notwendig ist in der klinischen Versorgung eine noch höhere Aufmerksamkeit für Depression, Psychose, Demenz, Schlafstörungen und/oder Kreislaufregulationsstörungen.
Aktualisierung der Leitlinie und neue Empfehlungen
Die ehemalige S3-Leitlinie „idiopathisches Parkinson-Syndrom“ wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN) aktualisiert und ist seit dem 8. November 2023 mit geändertem Stufenniveau (S2k) unter dem neuen Titel „Parkinson-Krankheit“ veröffentlicht.
Die neue S2k-Leitlinie enthält zahlreiche neue Empfehlungen, die auch für die Hausarztpraxis relevant sind. Zunächst wird die Bezeichnung „Parkinson-Krankheit“ anstelle des bisherigen Namens „Idiopathisches Parkinson-Syndrom“ festgelegt.
Folgende Empfehlungen zur Diagnostik sind neu:
- Diagnosekriterien für eine Parkinson-Krankheit umfassen, neben Bradykinese, Rigor, Tremor sowie posturale Instabilität, unter anderem auch das Ansprechen auf eine Levodopa-Therapie.
- Eine kraniale MRT soll frühzeitig im Krankheitsverlauf erfolgen und dient vor allem der Differenzialdiagnostik.
- Bei familiärer Belastung oder Krankheitsmanifestation vor dem 50. Lebensjahr soll bei Patientenwunsch eine genetische Diagnostik angeboten werden.
Grundsätzlich sollten Diagnostik, Therapieeinstellung und Verlaufskontrolle unter Anleitung einer neurologischen Praxis oder Klinik erfolgen. Eine Indikation zur Klinikeinweisung besteht bei akuter oder subakuter Verschlechterung, z. B. bei akinetischer Krise, psychotischen Symptomen, multimorbiden Patient*innen und Therapieversagen. Dabei ist eine stationäre multidisziplinäre Therapie (z. B. multimodale Komplexbehandlung) mit u. a. Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie gegenüber einer stationären Standardtherapie zu bevorzugen.
Die medikamentöse Therapie sollte rechtzeitig erfolgen. Die Indikation hängt von funktionellen Einschränkungen im Alltag ab. Bei der Wahl der eingesetzten Medikamente werden zu erwartende Wirkungen und Nebenwirkungen, Alter, Komorbiditäten und psychosoziale Anforderungen berücksichtigt. Bei biologisch jüngeren Betroffenen sollen Dopaminagonisten oder MAO-Hemmer gegenüber Levodopa bevorzugt werden. Die Dosis wird individuell durch die behandelnden Neurolog*innen eingestellt. Anticholinergika sollen nicht als Anti-Parkinson-Mittel eingesetzt werden. Initial sollte eine Monotherapie verabreicht werden. Bei unzureichender Wirkung der Monotherapie sollte dann eine Kombinationstherapie angeboten werden.
Zur Therapie weiterer Symptome enthält die Leitlinie ebenfalls konkrete Empfehlungen. Basis einer Schmerztherapie ist die Optimierung der Anti-Parkinson-Medikation. Nozizeptive Schmerzen sollten gemäß dem WHO-Stufenschema behandelt werden. Blasenfunktionsstörungen sollten nichtmedikamentös mit Blasentraining therapiert werden. Bei Dranginkontinenz können Antimuskarinika erwogen werden. Zur Behandlung einer Obstipation sollten zunächst nichtmedikamentöse Maßnahmen, wie ausreichend Trinken, Gabe von löslichen Ballaststoffen sowie körperliche Aktivität versucht werden. Macrogol ist hier das Arzneimittel der ersten Wahl. Melatonin und/oder Clonazepam werden bei REM-Schlaf-Verhaltensstörungen empfohlen.
Bei milden kognitiven Einschränkungen empfiehlt die Leitlinie, kognitives Training anzubieten. Bei Demenz sollten eine kognitive Stimulation sowie eine medikamentöse Therapie mit Rivastigmin zum Einsatz kommen. Auf eine optimale dopaminerge Therapie sollte bei Depression und Angststörung geachtet werden. Außerdem ist in diesen Fällen eine kognitive Verhaltenstherapie empfehlenswert. Eine Depression kann mit unterschiedlichen Antidepressiva medikamentös eingestellt werden. Bei psychotischen Symptomen soll die Parkinson-Medikation vereinfacht und reduziert und ggf. Clozapin eingesetzt werden.
Auch invasive Therapieverfahren werden beschrieben. Zur Behandlung motorischer Fluktuationen empfiehlt die Leitlinie unterschiedliche Pumpentherapien, z. B. die subkutane Applikation von Apomorphin oder die über eine PEG-J ins Jejunum verabreichte Levodopa-Carbidopa-Intestinal-Gel-Pumpentherapie. Außerdem werden die tiefe Hirnstimulation und die ablative Therapie mittels fokussierten Ultraschalls erklärt.
Auch die Fahreignung muss bedacht werden. Hier sagt die Leitlinie ganz klar, dass bei der Diagnose Parkinson-Krankheit für Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 (LKW, Bus, Taxi) keine Fahreignung besteht. Für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 (PKW, Kraftrad und landwirtschaftliche Zugmaschine) kann jedoch nach individueller Beurteilung eine Fahreignung bestehen, z. B. bei erfolgreicher Therapie oder in leichten Fällen.
Genetik und neue Therapieansätze
Eine wichtige Erkenntnis der aktuellen Parkinson-Forschung ist, dass die Parkinson-Krankheit in vielen Fällen durch genetische Varianten bzw. Mutationen entsteht. Aus den Erkenntnissen zu den genetischen Ursachen der Parkinson-Krankheit ergeben sich neue Ansatzpunkte für die Behandlung, die auf molekulare Ursachen abzielen und so in die Entstehung der Parkinson-Krankheit eingreifen, statt nur die Symptome zu behandeln. Es wird erwartet, dass in absehbarer Zeit eine Therapie entwickelt wird, die das Fortschreiten der Parkinson-Krankheit bremst, ihren Ausbruch verzögert oder ihn sogar verhindert.
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