Neurowissenschaft, Philosophie, Gehirn, Geist und Sprache: Eine umfassende Betrachtung ihrer Zusammenhänge

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gehirn, Geist und Sprache beschäftigt Philosophen und Wissenschaftler seit Jahrhunderten. Die Neurowissenschaften haben in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht und ermöglichen es, immer tiefer in die komplexen Mechanismen des Gehirns einzudringen. Dies wirft neue Fragen und Perspektiven auf die traditionellen philosophischen Fragestellungen auf.

Die Neurophilosophie: Eine neue Perspektive auf alte Fragen

Einige Wissenschaftler, die sich selbst als "Neurophilosophen" bezeichnen, verfolgen das Ziel, psychologische Phänomene auf neurowissenschaftliche Grundlagen zu reduzieren. Sie wollen verstehen, wie Gedächtnis, visuelle Wahrnehmung oder Bewusstsein durch neurobiologische Mechanismen im Gehirn entstehen. Das Endziel ist die Reduktion der Psychologie auf Neurowissenschaft, also eine Erklärung des Bewusstseins in der Sprache der Neurowissenschaft zu finden, denn alle Aktivitäten des Geistes basieren auf solchen Mechanismen.

Diese reduktionistische Sichtweise ist jedoch nicht unumstritten. Kritiker argumentieren, dass subjektive Erfahrungen und qualitative Aspekte des Bewusstseins (Qualia) nicht vollständig auf neuronale Prozesse reduziert werden können. Ein Beispiel dafür ist das berühmte Gedankenexperiment von Thomas Nagel, der fragt: "Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?" Selbst wenn wir alle physiologischen Details über das Gehirn einer Fledermaus kennen würden, könnten wir uns nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein.

Emergenz: Eine mögliche Brücke zwischen Gehirn und Geist?

Eine Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen Hirnaktivitäten und dem Geist zu verstehen, rekurriert auf das Konzept der Emergenz. Die Emergenztheorie besagt, dass komplexe Systeme Eigenschaften aufweisen können, die nicht einfach aus den Eigenschaften ihrer Einzelteile ableitbar sind. Bezogen auf das Gehirn könnte dies bedeuten, dass Bewusstsein und andere geistige Phänomene emergente Eigenschaften des Gehirns sind, die auf der komplexen Interaktion von Neuronen und neuronalen Netzwerken beruhen.

Die Idee, dass auf verschiedenen Ebenen verschiedene Eigenschaften auftreten, für die Wissenschaft sicherlich nützlich ist. Ein Beispiel ist die Erklärung von Netzwerk-Eigenschaften aufgrund der Eigenschaften der Teile des Netzwerkes und der Art von deren Interaktion. In diesem Fall bedeutet Emergenz, dass solche Eigenschaften sehr kompliziert und schwer voraussagbar sind. In der Biologie sind die Makroeigenschaften von Systemen ein Ergebnis der dynamischen Eigenschaften der Systemteile. Warum sollte dies anders sein, wenn wir auf das Gehirn schauen?

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Allerdings gibt es auch Kritik an der Emergenztheorie. Einige Kritiker bemängeln, dass der Begriff der Emergenz oft vage und unpräzise verwendet wird und keine wirkliche Erklärung für das Entstehen von Bewusstsein liefert. Wenn man Bewusstsein derart als emergente Eigenschaft des Gehirns auffasst, dass man Bewusstsein deshalb niemals verstehen kann, ist dieser Ansatz sicher falsch. Auch hier macht man erneut eine Voraussage über künftige Kenntnisse basierend auf dem heutigen Stand des Wissens.

Dualismus vs. Monismus: Die philosophische Debatte um das Körper-Geist-Problem

Die Philosophie bietet grundsätzlich zwei unterschiedliche Lösungsansätze für das Körper-Geist-Problem an: Dem Dualismus zufolge sind materielle und geistige Dinge zwei vollkommen unterschiedliche Phänomene. Der Monismus hingegen geht davon aus, dass es nur physische Dinge und Prozesse gibt.

Der bekannteste Vertreter des Dualismus ist René Descartes, der im 17. Jahrhundert das Leib-Seele-Problem aufwarf. Descartes ging davon aus, dass es zwei voneinander verschiedene Substanzen gibt: die res extensa (körperliche, ausgedehnte Dinge) und die res cogitans (immaterielle, denkende Substanz). Trotz dieser Verschiedenheit nahm Descartes an, dass die beiden Substanzen interagieren.

Allerdings bringt genau dieses Einwirken „von außen“, des immateriellen Geistes auf die materielle Welt, die interaktionistischen Dualisten in die Bredouille. Denn es würde die Gesamtenergie der in sich geschlossenen physischen Welt verändern. Um dem Dilemma zu entkommen, behaupten einige Philosophen, kausales Wirken verlaufe nur in eine Richtung. Dem so genannten Epiphänomenalismus zufolge ist Bewusstsein lediglich eine Begleiterscheinung, ein Epiphänomen von Hirnprozessen.

Eine radikale Position des Monismus ist der Eliminative Materialismus. Er spricht dem Bewusstsein nicht nur jegliche kausale Kraft ab, sondern eliminiert den Bereich des Mentalen gleich ganz. Für den kanadischen Philosophen Paul Churchland von der University of California in San Diego sind Bewusstseinszustände letztlich nichts als Artefakte einer vorwissenschaftlichen Theorie, die uns in die Irre führt.

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Eine gemäßigtere Position ist die Identitätstheorie. Ihr zufolge existiert Mentales wie Gefühle und Empfindungen durchaus, aber es sei identisch mit physischen Ereignissen im Gehirn, auch wenn es sich uns auf zwei verschiedene Weisen darbiete, als subjektives Erleben und als objektiv messbarer Gehirnvorgang.

Die Rolle der Sprache in der Verbindung von Gehirn und Geist

Die Sprache spielt eine zentrale Rolle in unserem Denken und unserer Wahrnehmung der Welt. Sie ermöglicht es uns, komplexe Konzepte zu formulieren, Erfahrungen zu kommunizieren und unser Wissen zu strukturieren. Das Verständnis des Gehirns kann demnach zu einer Verbindung der Sprache der Psychologen und der Sprache der Neurobiologen führen. Heute können wir noch nicht sagen, wie diese Sprache dereinst aussehen wird, doch der Fortschritt der Wissenschaften kann sicherlich solche neuen Sprachen generieren.

Die neurowissenschaftliche Sprachforschung hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und zeigt, dass Sprachverarbeitung ein komplexer Netzwerkprozess ist, in dem sensorische, motorische, semantische und kognitive Komponenten hochintegriert zusammenwirken. Eine zentrale Rolle spielen dabei das Broca-Areal und das Wernicke-Areal im Gehirn.

Laut einer Studie des Leipziger Max-Planck-Instituts unter der Leitung von Angela D. Friederici (2011) ist die frühkindliche Entwicklung der Sprachverarbeitung eng mit der Reifung spezifischer Faserverbindungen im Gehirn verknüpft - insbesondere mit dem sogenannten Fasciculus arcuatus, einem Nervenstrang, der Broca- und Wernicke-Areal funktional verbindet.

Besonders eindrucksvoll zeigen dies neuere bildgebende Studien zur Einflussnahme der Muttersprache auf neuronale Verschaltungsarchitekturen: So konnte das Team um Goucha und Friederici (2021) am Max-Planck-Institut demonstrieren, dass sich die Struktur und Aktivierungsmuster der Sprachareale signifikant abhängig vom Sprachtypus der Muttersprache unterscheiden.

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Ethische und soziale Implikationen der Hirnforschung

Die Fortschritte in der Hirnforschung werfen auch ethische und soziale Fragen auf. Wenn wir immer besser verstehen, wie das Gehirn funktioniert, stellt sich die Frage, wie wir dieses Wissen verantwortungsvoll nutzen können.

Darin besteht in der Tat eine Gefahr. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird komplizierter werden, wenn wir mehr über die Zusammenhänge zwischen Hirnschäden und asozialem Verhalten wissen. Das Problem der Verantwortung wird man in solchen Fällen diskutieren müssen. Doch man muss auch sehen, dass solche Erkenntnisse uns vielleicht ermöglichen, eine Heilung zu finden. Vor Hunderten vor Jahren hat man Personen mit Chorea Huntington verbrannt, da man überzeugt war, sie seien von Dämonen besessen. Heute tun wir das nicht mehr, denn wir wissen, dass sie krank sind. Wir überdenken unsere Moral ständig, und das Wissen der Hirnforschung wird zu dieser Diskussion beitragen.

Bereits heute brauchen Werber psychologische Daten um das Verhalten der Menschen zu manipulieren. Werbung und Fernsehen sind im Geschäft der Hirn-Kontrolle. Andererseits glaube ich nicht, dass es dereinst jemals möglich ist, das Verhalten eines Gehirns vollständig vorhersagen zu können. Wir werden vielleicht die Natur des Entscheidungsprozesses verstehen, nicht aber, welche konkrete Entscheidung jemand treffen wird.

Die Zukunft der Hirnforschung: Ein interdisziplinärer Ansatz

Die Neurowissenschaft ist immer noch eine junge, unreife Wissenschaft in dem Sinn, dass ein einheitliches Erklärungsraster fehlt. Ich glaube, diese neuen Gebiete werden ein Teil dieses Rasters sein. Doch auch heute entdecken wir noch auf sehr grundlegenden Ebenen Überraschendes: Nehmen wir beispielsweise die Diskussion um die Frage, wie Neuronen Information kodieren. Wir glaubten, die Kodierung geschehe durch die Frequenz der Feuerung. Doch jetzt scheint es so zu sein, dass das exakte Timing der Spikes für die Informationsübertragung wichtig ist. Also wissen wir immer noch nicht, wie eigentlich das Neuron die Information kodiert. Zudem wissen wir noch nicht mit befriedigender Exaktheit, was wir mit "Information" meinen.

Um das herauszufinden, mache ich den "Coiffeur-Test". Jedesmal, wenn ich zum Friseur gehe, reden wir auch über Neurowissenschaft. Dabei stelle ich ein sehr großes Interesse fest, die Leute wollen das Gehirn verstehen. Viele haben auch Bekannte oder Verwandte mit Erkrankungen des Gehirns wie beispielsweise Parkinson, Alzheimer oder MS.

Die Hirnforschung hat in vielen Bereichen die Deutungsmacht übernommen - dagegen gibt es auch Kritik. In den letzten 25 Jahren weckte sie große Erwartungen und wirkte dabei weit über ihr eigentliches Feld hinaus. 1990 rief der amerikanische Präsident George Bush die "Dekade des Gehirns" aus. Bush förderte Forschungsprogramme, er machte Alzheimer- und Parkinson-Patienten Hoffnung auf neue Heilmethoden.

Zehn Jahre nach dem Manifest von 2004 zogen die Wissenschaftler eine ernüchternde Bilanz. Die erhofften Durchbrüche sind ausgeblieben. Um den Stand der Forschung realistisch abzubilden, sollten in Zukunft auch solche Studien zugänglich gemacht werden, deren Ausgangs-Hypothese nicht bestätigt werden konnte.

Es geht hier um Grundlagenforschung, und wir haben es mit dem kompliziertesten Organ des bekannten Universums zu tun. Insofern: Wenn man den großen Anspruch zurückfährt, dass sofort bahnbrechende, die Gesellschaft verändernde Ergebnisse kommen sollen, ist das noch keine Krise, sondern ein Stück weit Realismus, die Lautsprecher wurden ein bisschen zurückgeschraubt und die vollmundigen Proklamationen.

Die Hirnforschung ist in der Gesellschaft komplex verortet. Das "Human Brain Project" startete im Oktober 2013 mit dem Ziel, ein Computermodell des menschlichen Gehirns zu entwickeln. Das Vorhaben mutet an wie eine Weltraum-Mission. Es sind vor allem Physiker, Informatiker und Ingenieure, die sich für diesen Flug ins innere Universum rüsten. Viele Neurowissenschaftler kritisieren, dass das Ziel nach heutigem Wissensstand unerreichbar sei.

Die Begriffe, mit denen Wissenschaftler das Gehirn beschreiben, sind nicht neutral. In England war das ganz deutlich, dass immer wieder versucht wird, die Bevölkerung sozusagen 'biopolitisch' zu managen, dass man fragt: Wie kann man es schaffen, dass aus den Unterschichten mehr Leute Bildungsabschlüsse bekommen? Wie kann man es schaffen, dass dort weniger psychiatrische Erkrankungen diagnostiziert werden?

Hirnforscher haben oft Anstoß erregt mit ihrem Anspruch, Phänomene zu erklären, die traditionell im Feld der Geisteswissenschaften liegen: Bewusstsein, Persönlichkeit, Gefühl und Wille.

Die Hirnforschung in diesem Bereich, über den wir reden der Bereich also: psychische Prozesse, psychische Erkrankungen oder Geist und Bewusstsein, da ist völlig klar, dass das ein multidisziplinärer Prozess ist, und da muss sich die Hirnforschung noch viel mehr auf die Psychiatrie, Psychotherapie einlassen.

Biologie und Kultur sind nicht trennscharf auseinander zu halten.

Die Auseinandersetzung mit den Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Gehirn, Geist und Sprache erfordert einen interdisziplinären Ansatz, der die Erkenntnisse der Neurowissenschaften, der Philosophie, der Psychologie, der Linguistik und anderer Disziplinen integriert. Nur so können wir ein umfassendes Verständnis der komplexen Beziehung zwischen unserem Gehirn, unserem Bewusstsein und unserer Fähigkeit zur Sprache entwickeln.

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