Fortschritte in der Therapie chronischer Erkrankungen ermöglichen es Paaren mit Kinderwunsch, diesen Wunsch zu verwirklichen. Dies gilt auch für Frauen mit Myasthenia gravis (MG), einer Autoimmunerkrankung, die die neuromuskuläre Übertragung beeinträchtigt. Eine Schwangerschaft bei MG-Patientinnen ist grundsätzlich möglich, erfordert jedoch eine sorgfältige Planung und Betreuung durch ein interdisziplinäres Team.
Zunehmende Schwangerschaften bei chronischen Erkrankungen
In den letzten Jahrzehnten ist eine stetige Zunahme von Schwangerschaften bei Frauen mit chronischen Erkrankungen zu beobachten. Eine dänische Registerstudie verzeichnete zwischen 1989 und 2013 einen Anstieg in der Prävalenz von 3,7 % auf 15,8 %. Schwangerschaften bei Vorerkrankung sind potenziell Risikoschwangerschaften und mit einer erhöhten Rate mütterlicher sowie geburtshilflicher Komplikationen verbunden.
Autoimmunerkrankungen in der Schwangerschaft
Autoimmunologische Erkrankungen sind durch eine Prädilektion von Frauen sowie einer Erstmanifestation während der reproduktiven Phase gekennzeichnet. Sie gehören daher zu den häufigsten Vorerkrankungen in der Schwangerschaft. Die zu erwartenden Verläufe sind sehr divers und reichen von einer Verbesserung der Symptomatik bis zu einer Verschlechterung mit maternalen und fetalen Komplikationen. Ursachen für diese Unterschiede sind unklar, jedoch werden die komplexen immunologischen Umstellungen während der Schwangerschaft hiermit in Verbindung gebracht.
Betreuung von Schwangeren mit Autoimmunerkrankungen
Gemäß ihrer Vorerkrankung werden Betroffene von Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Versorgungsebenen betreut. Im Fall einer Schwangerschaft erweitert sich dieses Team durch die Einbeziehung von Expertinnen und Experten der Fachrichtungen maternale und pränatale Medizin sowie Risiko-Geburtshilfe. Ziel ist ein Betreuungsbogen, der die präkonzeptionelle Beratung sowie die Behandlung während Schwangerschaft und Geburt bis ins Wochenbett umfasst. Ein Team mit benannten Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern sollte für die Betreuung gewährleistet sein, insbesondere bei komplexen Fällen mit einem hohen Risiko für Komplikationen im Schwangerschaftsverlauf. Eine zentralisierte Betreuung in Institutionen mit entsprechender Expertise ist ein weiteres Element, das in einem besseren Ergebnis für Mutter sowie Neugeborenes resultiert und für Schwangere mit schwerwiegenden Krankheitsverläufen empfohlen wird.
Präkonzeptionelle Beratung und Planung
Eine wesentliche Voraussetzung eines erfolgreichen Schwangerschaftsverlaufs besteht in der präkonzeptionellen Stabilisierung einer Erkrankung. Frauen mit chronischen Erkrankungen sollten daher ihre Schwangerschaft planen. Darüber hinaus sollte eine präkonzeptionelle Beratung stattfinden, in der unter anderem die zu erwartenden Wechselwirkungen zwischen Vorerkrankung und Schwangerschaft besprochen werden und die Medikation überprüft wird.
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Medikamentöse Therapie während Schwangerschaft und Stillzeit
Die medikamentöse Therapie während Schwangerschaft und Stillzeit ist von drei Problemen gekennzeichnet:
- Einnahme eines potenziell teratogenen Medikaments im Rahmen einer ungeplanten und gegebenenfalls unbemerkten Schwangerschaft
- Eigenständiges Absetzen eines indizierten Medikaments nach Feststellung einer Schwangerschaft aus Furcht vor einer schädigenden Wirkung auf das Ungeborene
- Limitierter Kenntnisstand zu Teratogenität beziehungsweise Fetotoxizität von Medikamenten.
Letztlich bedarf die Verordnung von Medikamenten in der Schwangerschaft besonderer Sorgfalt und sollte auf der Grundlage aktueller Daten sowie der individuellen Anamnese und des Krankheitsverlaufs im Rahmen eines Beratungsgesprächs erfolgen.
Myasthenia gravis und Schwangerschaft
Die Fertilität von Frauen und Männern mit Myasthenia gravis (MG) ist per se nicht eingeschränkt. Es besteht ein erhöhtes, familiäres Risiko für Geschwister von ca. Die Assoziation mit verschiedenen HLA-Genotypen unterscheidet sich abhängig von dem Alter bei Erkrankungsbeginn, dem Geschlecht und der ethnischen Zugehörigkeit. Ein Kinderwunsch ist für viele Menschen ein bedeutsames Lebensziel. Grundsätzlich ist es möglich, trotz myasthener Syndrome schwanger zu werden, vorausgesetzt, die Erkrankung ist gut eingestellt. Es ist wichtig zu betonen, dass die Myasthenie keinen Einfluss auf die Entwicklung des Embryos hat. Allerdings kann die Entwicklung des Embryos durchaus Auswirkungen auf den Verlauf der myasthenen Symptomatik haben. Ein offener Austausch mit Ihrem Frauenarzt, Ihrem Neurologen und Ihrem Hausarzt ist entscheidend. Diese sollten über Ihre Erkrankung informiert sein und regelmäßig in die Planung und Betreuung einbezogen werden. Insbesondere bei der Einnahme spezieller Medikamente zur Behandlung Ihres myasthenen Syndroms ist eine sorgfältige Aufklärung erforderlich. Jede Schwangerschaft verläuft individuell und kann daher nicht pauschal vorhergesagt werden. Eine spontane Geburt ist grundsätzlich möglich, erfordert jedoch ebenfalls Rücksprache mit Ihren behandelnden Ärzten. Die Geburt des Kindes sollte in einer Klinik stattfinden, die neben einer Abteilung für Geburtsmedizin auch über eine Neurologische Intensivsation und eine spezielle Intensivstation für Neugeborene (Neonatologie) verfügt. Die Geburt kann auf natürlichem Wege stattfinden. Ein myasthenes Syndrom ist kein Grund für einen Kaiserschnitt. Falls ein Kaiserschnitt durchgeführt werden muss, muss darauf geachtet werden, dass eine Narkose gewählt wird, die mit dem myasthenen Syndrom verträglich ist.
Verlauf der Myasthenia gravis während der Schwangerschaft
Der Verlauf der Myasthenia gravis in der Schwangerschaft ist von großer individueller Bandbreite geprägt. Bei vielen Schwangeren verläuft die Erkrankung stabil, kann sich aber auch verschlechtern, ein kleiner Teil verbessert sich sogar. Verschlechterungen treten im ersten oder zweiten Drittel der Schwangerschaft und/oder nach der Geburt auf. 25 % aller MG-Patientinnen erleiden eine Verschlechterung ihrer myasthenen Symptome, 6,4 % eine myasthene Krise in der Schwangerschaft. Etwa 11 % bis 30 % aller MG-Patientinnen erleiden eine Verschlechterung der myasthenen Symptome nach der Schwangerschaft, insbesondere im ersten postpartalen Monat. Wie sich die Myasthenia gravis während der Schwangerschaft verhält, ist schwer vorherzusagen. Bei manchen Frauen bleiben die Beschwerden unverändert, bei manchen verbessern sich die Symptome und bei einem Teil der Schwangeren verschlechtern sie sich.
Behandlung von Myasthenen Krisen in der Schwangerschaft
Myasthene Krisen in der Schwangerschaft sollten den generellen Behandlungsleitlinien folgen, zum Beispiel intravenöse Immunglobuline oder Plasmapherese, und sind als Notfall in einem interdisziplinären Team zu behandeln. In der generellen Behandlung der Myasthenia gravis sollte die niedrigste effektive Steroiddosis gewählt werden. Die Gabe von Magnesium bei Präeklampsie bei betroffenen Schwangeren kann zu einer krisenhaften Verschlechterung führen. IVIG oder PLEX / IA sind bei einer Exazerbation myasthener Symptome während der Schwangerschaft und Stillzeit empfohlen. Magnesiumsulfat ist in der Therapie der Eklampsie bei MG-Patientinnen zu meiden. Eine alternative Therapie mit Neostigmin i. v.
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Geburtsmodus und Anästhesie
Eine vaginale Geburt wird auch für Frauen mit Myasthenia gravis empfohlen; allerdings sollte der Geburtsmodus vom Gesamtbild, also der respiratorischen/motorischen Erschöpfung, abhängig gemacht werden. Die glatte Muskulatur und damit die Wehentätigkeit sind nicht beeinträchtigt. Jedoch kann es im Geburtsverlauf zu einer muskulären oder auch respiratorischen Erschöpfung kommen, sodass gegebenenfalls eine vaginal-operative Geburt oder Sectio notwendig werden kann. Die Entbindung und peripartale Betreuung sollte bei MG-Patientinnen in einem Krankenhaus der Maximalversorgung mit einem Peripartalzentrum erfolgen.
Wenn möglich sollten regionale Narkoseverfahren bevorzugt werden. Auch eine Periduralanästhesie ist möglich. Bestimmte Medikamente wie mehrere Antibiotikaklassen sowie Benzodiazepine können die Myasthenia gravis verschlechtern und sollten nicht eingesetzt werden. Falls ein Kaiserschnitt durchgeführt werden muss, muss darauf geachtet werden, dass eine Narkose gewählt wird, die mit dem myasthenen Syndrom verträglich ist.
Fetale Überwachung und neonatale Myasthenie
Die Myasthenia gravis hat in den meisten Fällen keine großen Auswirkungen auf das Kind. Es besteht kein erhöhtes Risiko für ein zu niedriges Geburtsgewicht, eine Fehlgeburt oder eine Frühgeburt. Allerdings können Antikörper der Mutter gegen Strukturen der neuromuskulären Endplatte über die Nabelschnur in den Blutkreislauf des Kindes gelangen. Etwa 10 - 20 % der Neugeborenen von Müttern mit Myasthenia gravis haben daher in den ersten drei Tagen nach der Geburt Anzeichen einer transienten neonatalen Myasthenie. Dies manifestiert sich häufig innerhalb der ersten 24 Stunden postpartal und ist in der Regel nach spätestens 2 - 4 Wochen rückläufig. Bei Patientinnen mit Antikörpern gegen den Acetylcholin-Rezeptor tritt das Phänomen häufiger auf als in Patientinnen mit MuSK-AK positiver MG oder seronegativer MG. Es können myasthene Symptome wie eine Ptosis, Trink-, Schrei- oder Schluckschwäche, eine muskuläre Hypotonie (floppy infant) und sehr selten eine globale respiratorische Insuffizienz auftreten. Eine Arthrogryposis multiplex congenita (AMC) oder ein fetales AchR-Inaktivierungs-Syndrom (FARIS) treten sehr selten auf und gehen mit einer intrauterinen muskulären Hypotonie, Gelenkkontrakturen und einer Zwerchfellparese einher. Wenn bereits ein Kind betroffen war, tritt eine AMC / FARIS mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit in der nächsten Schwangerschaft erneut auf.
Zur Erkennung, Diagnostik und Differenzialdiagnostik mütterlicher krankheitsspezifischer Symptome sowie Komplikationen sollte bei aktiven Verläufen eine enge Verzahnung von Vertreterinnen und Vertretern der Fachrichtungen Neurologie, pränataler und maternaler Medizin sowie Neonatologie gewährleistet sein.
Stillen bei Myasthenia gravis
Mütter mit Myasthenia gravis können ihre Kinder stillen - sie müssen jedoch beachten, dass ihre Medikamente in die Muttermilch übergehen können. Stillen ist in der MG aufgrund eines nur sehr geringen Übertritts mütterlicher Antikörper in die Muttermilch prinzipiell empfohlen.
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Medikamente und Schwangerschaft/Stillzeit
Generell wird eine Unterbrechung der Schwangerschaft wegen Medikamentenexposition bei Konzeption nicht empfohlen, allerdings sind insbesondere Mycophenolat und MTX bekannte humane Teratogene.
- Pyridostigminbromid: Da Pyridostigminbromid in die Muttermilch übergeht, darf während einer Behandlung mit Pyridostigmin nicht gestillt werden. Während der Schwangerschaft darf eine Behandlung nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen.
- Glukokortikoide: Bei einer Langzeitbehandlung mit Glukokortikoiden während der Schwangerschaft sind Wachstumsstörungen des Fetus nicht auszuschließen. Glukokortikoide gehen in geringen Mengen in die Muttermilch über (bis zu 0,23 % der Einzeldosis). Trotzdem sollte die Indikation in der Stillzeit streng gestellt werden.
- Azathioprin: Eine Therapie mit Azathioprin während der Stillzeit ist kontraindiziert. Azathioprin darf in der Schwangerschaft nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung angewendet werden. Sowohl männliche als auch weibliche Patienten im reproduktiven Alter sollten während der Anwendung von Azathioprin empfängnisverhütende Maßnahmen treffen.
- Mycophenolatmofetil (MMF): Mycophenolatmofetil (MMF) wirkt beim Menschen stark teratogen und ist in der Schwangerschaft kontraindiziert, außer wenn keine geeignete alternative Behandlung zur Verfügung steht, um eine Transplantatabstoßung zu verhindern.
- Rituximab: Es ist nicht bekannt, ob Rituximab in die Muttermilch übertritt.
- Eculizumab: Es sind keine Auswirkungen auf gestillte Neugeborene / Kinder zu erwarten, da aus den verfügbaren begrenzten Daten hervorgeht, dass Eculizumab nicht in die Muttermilch übergeht.
- Efgartigimod alfa: Es liegen keine Informationen über das Vorhandensein von Efgartigimod alfa in der Muttermilch vor.
Frauen mit MG sollten in der Schwangerschaft alle empfohlenen Impfungen erhalten (u. a.
Empfehlungen der Deutschen Myasthenie Gesellschaft
Die Deutsche Myasthenie Gesellschaft e. V. hat Empfehlungen für die Betreuung von Schwangeren mit Myasthenia gravis herausgegeben.
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