Rückenmark Durchtrennt: Heilungschancen und Aktuelle Forschung

Eine Querschnittslähmung stellt einen gravierenden Einschnitt im Leben von Betroffenen dar, vor allem, wenn sie dauerhaft besteht. Heilbar ist sie (noch) nicht. Doch zum Glück gibt es Möglichkeiten, die Lebensqualität deutlich zu heben und trotz aller Einschränkungen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ungefähr 140.000 Menschen in Deutschland leben mit einer Querschnittslähmung. Heilbar sind diese Schädigungen des Rückenmarks nicht - oder zumindest noch nicht. Dieser Artikel beleuchtet die aktuellen Heilungschancen und Behandlungsansätze bei Querschnittslähmungen, einschließlich vielversprechender neuer Forschungsergebnisse.

Was ist eine Querschnittlähmung?

Von einer Querschnittlähmung spricht man, wenn die Nerven im Rückenmark teilweise oder vollständig durchtrennt sind (engl. Spinal Cord Injury). Das Rückenmark kann man sich als eine Nervenleitung vorstellen, die im Wirbelkanal den Rücken entlangläuft und Signale zwischen Körper und Gehirn austauscht. Sind die Nerven im Rückenmark durchtrennt, ist diese Leitung unterbrochen. Dann kann der Informationsaustausch zwischen Körper und Gehirn nicht mehr oder nur noch eingeschränkt stattfinden. Es kommt zu Lähmungen, Empfindungsstörungen und anderen Symptomen.

Das Rückenmark zählt gemeinsam mit dem Gehirn zum „zentralen Nervensystem“. Alle anderen Nervenbahnen des Körpers gehören zum „peripheren Nervensystem“. Das Rückenmark ist die Fortsetzung des Gehirns und liegt, umgeben von einer Flüssigkeit (Liquor), gut geschützt im Wirbelkanal, der von den einzelnen Wirbeln der Wirbelsäule gebildet wird. Es reicht von den Halswirbeln bis hinunter zum ersten (oder zweiten) Lendenwirbel.

Arten von Querschnittlähmungen

Querschnittlähmungen lassen sich nach der Höhe der Verletzung und dem Schweregrad der Nervenschädigung unterscheiden.

Einteilung nach Höhe der Verletzung:

  • Tetraplegie/Tetraparese: Höhe der Verletzung oberhalb des obersten Brustwirbels im Bereich der Halswirbelsäule. Beide Arme und Beine sowie der Rumpf sind gelähmt. Je nach Höhe der Verletzungen haben Betroffene außerdem schwere Probleme beim Atmen. Mediziner sprechen auch von einem „hohen Querschnitt“. „Tetra“ steht für die griechische Vorsilbe der Zahl vier, die Begriffe Tetraplegie beziehungsweise Tetraparese beschreiben daher die Lähmung beider Arme und Beine (sowie des Rumpfes). Da auch das Zwerchfell nicht mehr von den Nerven versorgt wird, haben Betroffene schwerwiegende Probleme beim Atmen.
  • Paraplegie/Paraparese: Höhe der Verletzung im Bereich von Brust- oder Lendenwirbelsäule. Die Beine und ein Teil des Rumpfs sind gelähmt. Die Arme sind nicht betroffen.

Einteilung nach Schweregrad der Verletzung:

  • Komplette Querschnittlähmung (Plegie, Paralyse): In diesem Fall sind die Nerven an der betroffenen Stelle komplett durchtrennt. Arme und/oder Beine und der jeweilige Teil des Rumpfes sind vollständig gelähmt. Zusätzlich sind Körperfunktionen wie die Entleerung von Harnblase und Darm gestört. Bei einer kompletten Querschnittlähmung sind die Nerven an einer bestimmten Stelle vollständig durchtrennt. Abhängig vom Ort der Schädigung sind Arme, Beine und der Rumpf vollständig gelähmt, Muskelkraft und Empfindungsvermögen fehlen gänzlich. Körperfunktionen wie die Entleerung von Darm und Harnblase sowie die Sexualfunktion sind stark beeinträchtigt.
  • Inkomplette Querschnittlähmung (Parese): Besteht eine Schädigung des Rückenmarks, sind die Nerven aber nicht komplett durchtrennt, bleiben Empfindungsvermögen und Muskelkraft teils erhalten. Bei der inkompletten Querschnittslähmung sind die Nerven stark geschädigt, aber nicht vollständig durchtrennt. Muskelkraft und Empfindungsvermögen sind teilweise erhalten. Wird die Wirbelsäule beispielsweise bei einem Sturz erschüttert, kann das ebenfalls eine inkomplette Querschnittlähmung verursachen. Oft gehen diese Ausfallerscheinungen mit der Zeit wieder zurück - man spricht hierbei von sogenannten beleidigten Nerven. Dort werden mit den Betroffenen verschiedene Körperbewegungen durchgeführt, die diese bei einem Therapieerfolg am Ende dann auch selbst ausführen können. Eine generelle Prognose der Rehabilitationschancen bei einer inkompletten Querschnittlähmung lässt sich jedoch nur schwer stellen, da es bei den Folgen einer Rückenmarksverletzung buchstäblich um jeden Millimeter geht. Eine Physiotherapie kann oft hilfreich sein.
  • Noch genauer lässt sich das Lähmungsausmaß mithilfe der „American Spinal Injury Association (ASIA) Impairment Scale“ klassifizieren. Diese reicht von ASIA A, was einer kompletten Querschnittlähmung von Armen und Beinen entspricht, bis zu ASIA E, dem gesunden Normalzustand.

Ursachen von Querschnittlähmungen

Die Ursachen für eine Querschnittlähmung sind vielfältig:

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  • Unfälle/Traumata: Die meisten Querschnittlähmungen entstehen durch einen Unfall. Schwere Stürze, Sportverletzungen oder Verkehrsunfälle beispielsweise führen dazu, dass starke Kräfte auf das Rückenmark einwirken und dieses geschädigt wird.
  • Erkrankungen: Abgesehen von Verletzungen können verschiedene Erkrankungen eine Querschnittlähmung zur Folge haben. Dazu gehören zum Beispiel folgende:
    • Bandscheibenvorfälle
    • Tumore
    • Multiple Sklerose
    • Rückenmarksentzündungen, zum Beispiel durch Bakterien oder Viren
    • Rückenmarksinfarkte
    • Angeborene Fehlbildungen wie eine Spina Bifida, die zu einer schlaffen Lähmung führt
    • Schlaganfälle

Symptome einer Querschnittslähmung

Das zentrale Symptom einer Querschnittlähmung ist der Ausfall der Muskulatur und der Sensibilität (das heißt, dass beispielsweise Berührungen, Kälte und Wärme nicht mehr wahrgenommen werden). Das Ausmaß, in dem beides auftritt, hängt von der Art der Querschnittlähmung ab beziehungsweise davon, wie das Rückenmark geschädigt ist. Hinzu kommen oft Nervenschmerzen.

Außerdem kann eine Querschnittlähmung durch fehlende Bewegung zu Komplikationen wie Druckgeschwüren und Osteoporose führen. Fast alle Menschen mit einer Querschnittlähmung leiden unter Störungen der Darm- und Blasenentleerung sowie der Sexualfunktion.

Manchmal entstehen Symptome einer Querschnittlähmung, wenn das Rückenmark nicht durchtrennt, sondern gequetscht oder in seiner Durchblutung beeinträchtigt wird. Dafür kann zum Beispiel ein Tumor verantwortlich sein. In solchen Fällen ist es möglich, dass sich die Beschwerden zumindest in Teilen zurückbilden.

Auswirkungen auf das Leben

Eine Querschnittslähmung führt bei Betroffenen zu erheblichen Ausfällen verschiedener Körperfunktionen. Je nachdem sind folgende Nervensysteme alleine oder kombiniert beeinträchtigt:

  • Motorische Nerven: Notwendig für die bewusste Bewegung von Armen und Beinen
  • Vegetative Nerven: Entleerung von Darm und Blase, Schweißbildung, Herz-Kreislauf-Kontrolle, Atemfunktion, Sexualität
  • Sensible Nerven: Berührungs- und Schmerzempfinden

Welche Ausfälle sich entwickeln, hängt von der Schwere und dem Ort der Rückenmarksverletzung ab.

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Aktuelle Therapiemöglichkeiten

Aktuell gibt es keine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass durchtrenntes Nervengewebe wieder zusammenwächst. Damit ist eine Heilung einer Querschnittlähmung nicht möglich. Allerdings gibt es eine ganze Reihe von Behandlungsoptionen sowie Hilfsmitteln, die die Lebensqualität von Betroffenen spürbar verbessern und Einschränkungen im täglichen Leben reduzieren können.

  • Operation: Durch eine Operation lässt sich zwar die Querschnittlähmung selbst nicht beseitigen, trotzdem ist sie oft in der Akutphase nach einer Verletzung notwendig, um beispielsweise Knochensplitter aus dem Rückenmark zu entfernen. Es gilt, die Wirbelsäule zu stabilisieren, weitere Verletzungen zu vermeiden und den Nerven die Möglichkeit zu geben, sich zu regenerieren.
  • Medikamentöse Behandlung: Medikamente dienen zum Beispiel dazu, chronische Schmerzen zu senken oder Tumore beziehungsweise Gerinnungsstörungen zu behandeln.
  • Rehabilitation: Solange es nicht möglich ist, eine Querschnittlähmung zu heilen, spielt die Rehabilitation eine Schlüsselrolle in der Behandlung. Ziel ist es, dass Betroffene möglichst gut mit ihren Einschränkungen umgehen und ihren Alltag selbstständig meistern können. Die Rehabilitation kann Monate bis Jahre dauern und umfasst intensive Physiotherapie, Ergotherapie und andere rehabilitative Maßnahmen.

Was machen wir bei Lumedis nach einer Rückenmarksverletzung, um die Folgen zu verbessern?

Muskuläre Dysbalancen treten auf, wenn bestimmte Muskelgruppen stärker oder schwächer sind als ihre Gegenspieler, was zu einer unausgewogenen Belastung des Skeletts und der Gelenke führen kann. Ein weiteres wichtiges Diagnosewerkzeug bei Lumedis ist die Elektromyographie (EMG). Das EMG misst die elektrische Aktivität der Muskeln und hilft uns zu verstehen, wie gut die Nerven und Muskeln nach einer Rückenmarksverletzung funktionieren. Die gesammelten Daten geben Aufschluss über den Zustand der Nerven und Muskeln. Nach der Diagnose entwickeln wir bei Lumedis ein individuell angepasstes Übungsprogramm, das auf die spezifischen Bedürfnisse und Einschränkungen des Patienten abgestimmt ist.

Komplikationen bei Querschnittlähmung

Die Muskellähmungen beziehungsweise Sensibilitätsstörungen haben langfristige Folgen, die das Leben vieler Querschnittgelähmter beeinflussen.

  • Harnwege: Dranginkontinenz, wiederkehrende Blasenentzündungen, Nierenfunktionsstörungen
  • Magen-Darm-Trakt: Verstopfung, Durchfall, Stuhlinkontinenz, Darmverschluss
  • Gefäße: Risiko für Gefäßverschlüsse (vor allem tiefe Beinvenenthrombosen) ist erhöht
  • Bewegungsapparat: Rückbildung der Muskeln (Muskelatrophie), Muskelkrämpfe (Spastik), Sehnenverkürzungen (Kontrakturen)
  • Chronische Schmerzen (neuropathische Schmerzen) zeigen sich durch ständiges Brennen, Kribbeln oder elektrisierende Empfindungen.
  • Beeinträchtigung der Sexualfunktion: verminderte Gleitfähigkeit der Scheide, eingeschränkte Erektionsfähigkeit beim Mann
  • Geschwüre an druckbelasteten Stellen (Dekubitus) wie am Sitzbein, Kreuz- und Steißbein, am Oberschenkelknochen (Trochanter major) oder an den Fersen
  • Knochenschwund (Osteoporose) im gelähmten Körperabschnitt
  • Anfallsartige Erhöhung des Blutdrucks mit Herzrhythmusstörungen und verlangsamtem Herzschlag (autonome Dysreflexie, AD) bei Verletzung oberhalb des sechsten Brustwirbels
  • Störung der Atmung mit Sekretstau, Lungenentzündung oder Kollaps der Lungenflügel bei Verletzung oberhalb des vierten Brustwirbels (Zwerchfelllähmung)

Aktuelle Forschung und Heilungschancen

Auch wenn es noch lange dauern kann, gehen die meisten Forscher davon aus, dass Querschnittlähmungen irgendwann heilbar sein werden. Aktuelle Forschungsprojekte verfolgen verschiedene Ansätze. Einige konzentrieren sich darauf, Wege zu finden, wie sich die Regeneration von Zellen im Rückenmark stimulieren lässt. Große Hoffnungen ruhen auf Stammzelltherapien. Schließlich feiern Therapien erste Erfolge, die auf die Kombination aus Physiotherapie und Elektrostimulation, eine Art Rückenmarkschrittmacher, setzen.

Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle

Mit einer Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle ist es Forschenden gelungen, einem bislang gelähmten Patienten zumindest etwas Mobilität zu ermöglichen. Eine Forschungsgruppe aus Lausanne hat das jetzt bei einem 40-jährigen Querschnittsgelähmten weitergesponnen: Ein Implantat im Gehirn entschlüsselt die Nervenimpulse - liest praktisch seine Gedanken, ob er einen Schritt gehen will - und leitet diese Information dann an ein Implantat im Rückenmark weiter, wo der Schritt ausgelöst wird. Ein Brain-Spine-Interface, Gehirn-Rückenmarks-Schnittstelle, nennen die Forschenden das und konnten so dem Patienten zumindest ein bisschen Mobilität ermöglichen.

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Gert-Jan Oskam aus den Niederlanden ist seit fast zwölf Jahren querschnittsgelähmt. Bei einem Verkehrsunfall erlitt er eine sogenannte zervikale Fraktur - er brach sich den Hals. Oskam bekam die zwei Implantate - eines unterhalb der Verletzung in der Wirbelsäule am Rückenmark und ein zweites unter der Schädeldecke auf dem Gehirn. Es ist ein Vorteil dieser Methode, dass das Implantat nicht ins Gehirn eingesetzt werden muss. Nach nur wenigen Minuten Training konnte das Implantat mithilfe von künstlicher Intelligenz Nervenimpulse aus Oskams Gehirns interpretieren und über eine drahtlose Verbindung zum zweiten Implantat Bewegungen in seinem Bein auslösen.

Bis jetzt ist das System allerdings erst an einer Person getestet worden. Damit ist zwar bewiesen, dass das Konzept grundsätzlich funktionieren kann, doch bisher nur unter den bestimmten Voraussetzungen, die der Proband Gert-Jan Oskam mitbringt. Zum Beispiel ist seine Verletzung des Rückenmarks nicht komplett, einige Nervenfasern können noch Impulse weiterleiten. Außerdem hat Oskam bereits andere experimentelle Systeme ausprobiert, die zeigten, dass eine externe Stimulation der Nerven bei ihm funktioniert. Ob das bei allen Querschnittsgelähmten geht, ist noch nicht ganz klar. Und Oskam ist außer der Querschnittslähmung sehr gesund. Doch die Forschenden sind sich sicher, auch anderen Querschnittsgelähmten - auch solchen, bei denen das Rückenmark komplett durchtrennt ist - kann mit der Schnittstelle zwischen Gehirn und Rückenmark geholfen werden. Gert-Jan Oskam hat das System mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Unfall implantiert bekommen und konnte innerhalb weniger Minuten wieder bewusst Bewegungen in seiner Hüfte und seinen Beinen auslösen. Und auch, wenn sich herausstellen sollte, dass das System nur unter bestimmten Voraussetzungen funktioniert, ist es ein großer Schritt hin zur Heilung einer bisher unheilbaren Krankheit.

Regeneration des Rückenmarks bei Mäusen

Für Menschen, die aufgrund einer schweren Rückenmarksverletzung gelähmt sind, gibt es bislang kaum Behandlungsmöglichkeiten. Lange galt es als unmöglich, die durchtrennten Nervenbahnen dazu zu bringen, sich zu regenerieren. Nun ist Forschern ebendies gelungen: Eine spezielle Mischung von Molekülen, die die natürliche Umgebung der Zellen des Rückenmarks nachahmt und durch bioaktive Signale mit ihnen interagiert, sorgte bei Mäusen dafür, dass sich verletztes Rückenmark regenerierte.

Ein Team um Zaida Álvarez von der Northwestern University in Chicago haben nun eine Möglichkeit gefunden, verletztes Rückenmark dennoch nachwachsen zu lassen - zumindest bei Mäusen. Dazu ahmten sie mit einer speziellen Mischung von Materialien die Proteine nach, die den Zellen den benötigten Impuls geben, sich zu regenerieren. Die Forscher setzten stattdessen auf synthetische Moleküle, sogenannte Peptid-Amphiphile, die sich nach der Injektion ins Rückenmark von selbst zu Fasern zusammenlagern, flexible Bindungen eingehen und mit den Rezeptoren der Zellen interagieren. An die Peptid-Amphiphile hängten die Forscher zwei verschiedene biologische Signalmoleküle an: Bei dem einen handelte es sich um einen Wachstumsfaktor, der die beschädigten Nervenzellfortsätze, die sogenannten Axone, dazu anregt, sich zu regenerieren. Das andere sorgte für die Neubildung von Blutgefäßen, die die Nervenzellen versorgen, und half so den beschädigten Neuronen zu überleben.

Vergleich von Ratten und Zebrafischen

Bereits in vorangegangenen Arbeiten konnte ein internationales Team um Daniel Wehner vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts und des Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin in Erlangen zeigen, dass Zebrafische nach Rückenmarksverletzung ebenfalls ein narben-ähnliches Wundgewebe bilden. Dennoch sind Zebrafische fähig, selbst nach schweren Rückenmarksverletzungen Nerven zu regenerieren und motorische Funktionen wiederherzustellen.

In der aktuellen Studie haben Wehner und seine Kolleginnen und Kollegen das Wundgewebe von Ratten mit dem von Zebrafischen verglichen um dadurch neue Bestandteilen zu finden, die die Nervenregeneration bei Säugetieren stören könnten. In einer interdisziplinären Zusammen­arbeit der MPL-Forschungsgruppen von Wehner, Kanwarpal Singh und der Abteilung von Direktor Jochen Guck konnten das Forschungsteam Proteine, die zur Familie der kleinen leu­cinreichen Proteoglykane (SLRPs) gehören, identifizieren, die in großen Mengen im Narbengewebe von Ratten, Mäusen und Menschen vorkommen. Daraufhin fügte das Team SLRP-Proteine mithilfe von modernster Genetik dem Wundgewebe von Zebrafischen hinzu. Das Ergebnis war eindeutig: Die Regenerationsfähigkeit der manipulierten Fische nahm signifikant ab und die mechanischen Eigenschaften des Wundgewebes änderten sich hin zu einem Zustand, der dem Narbengewebe von Säugetieren ähnelt. Viele Faktoren, die im Säugetier, so auch im Menschen, Nervenregeneration hemmen, sind beim Zebrabärbling nicht vorhanden. Solche Bestandteile, wie die von der MPL-Gruppe untersuchten SLRPs, können isoliert werden und einzeln im Fisch auf ihre Wirkungsweise hin getestet werden.

Regeneration von Nerven im Zentralnervensystem (ZNS)

Im Säugetier, so auch beim Menschen, bildet sich nach Verletzungen des Rückenmarks im Rahmen des Heilungsprozesses Narbengewebe. Bei Säugetieren hat dies jedoch einen gravierenden Nachteil: Das Narbengewebe kann nicht von nachwachsenden Nerven durchzogen werde. In Folge dessen können durchtrennte Nerven nicht regenerieren.

Nach bisherigem Kenntnisstand liegt dies unter anderem an der Myelinhülle, die blätterteigartig in dünnen Schichten um die Nervenfasern des reifen ZNS gewickelt ist und sie elektrisch isoliert. Sie enthält offenbar Proteine, welche das Nervenwachstum hemmen. Nun hatte eine Arbeitsgruppe am Hirnforschungsinstitut der Universität Zürich unter Leitung von Martin E. Schwab schon vor einigen Jahren einen Antikörper gegen ein solches Hemmprotein entwickelt.

Erst kürzlich fanden die Zürcher Forscher einen raffinierten Ausweg ("Nature", Band 367, Seite 170). Sie verpflanzten ins Hirn von ausgewachsenen Ratten einen Tumor, der unablässig den gewünschten Antikörper ausscheidet; solche Hybridome erhält man durch Verschmelzen von Krebszellen mit geeigneten Lymphocyten. Wenn im Rückenmark der Ratten anschließend Nervenfasern durchtrennt wurden, wuchs ein kleiner Teil davon bis zu einen Zentimeter über die Schnittstelle hinaus. In Kontrolltieren ohne Tumor oder mit einem Tumor, der Antikörper gegen ein falsches Protein abgab, erreichten die Fasern dagegen nur Längen von höchstens einem Millimeter.

Um ihre Wirkung bei ZNS-Läsionen zu prüfen, injizierten die Zürcher Wissenschaftler eine einmalige Dosis NT-3, von dem man mit molekularbiologischen Methoden große Mengen in reiner Form herstellen kann, in das Gehirn von Ratten mit durchtrennten Nervensträngen im Rückenmark. Bei einem Teil der Tiere hatten sie zusätzlich ein Hybridom eingepflanzt. Wie sich zeigte, bewirkte das Neurotrophin allein, daß sich mehr Sprossen und Verzweigungen bildeten, doch kamen die Suchfortsätze nicht über eine Länge von etwa einem Millimeter hinaus. Mit Hybridom plus Neurotrophin dagegen entwickelten 5 bis 10 Prozent der Nervenfasern Fortsätze, die teilweise deutlich länger als einen Zentimeter waren. Allerdings durchquerten diese nicht den Verletzungsbereich, sondern wuchsen um ihn herum. Bei vollständig durchtrenntem Rückenmark wären mithin auch NT-3 und Antikörper zusammen nutzlos.

Einen anderen Weg zur Regeneration schlug eine japanische Arbeitsgruppe aus Kioto ein ("Nature", Band 367, Seite 167). Entsprechend schnitten die japanischen Wissenschaftler bei zwei Tage alten Rattensäuglingen ein 1 bis 2 Millimeter langes Stück Rückenmark heraus und ersetzten es durch eines von Föten - ein Eingriff, der enorme Fingerfertigkeit verlangt. Wurde dieses Stück in der richtigen (also der ursprünglichen) Richtung eingefügt, überlebten 22 der 32 operierten Ratten, wobei in 14 Fällen das Transplantat einwuchs: Die Suchfortsätze der durchschnittenen Nerven durchquerten es und verbanden sich mit den richtigen Neuronen im unteren Teil des Rückenmarks.

Was sollten Angehörige von Betroffenen beachten?

Eine Querschnittlähmung stellt auch für Menschen im engeren Umfeld von Betroffenen eine Herausforderung dar. Auf der einen Seite wollen diese der betroffenen Person so gut wie möglich helfen. Auf der anderen Seite ist es wichtig, eine Überforderung und Folgen wie einen Burn-out zu vermeiden. Dazu kommt, dass der anfängliche Schock, den die Diagnose Querschnittlähmung bedeutet, verarbeitet werden muss.

Deshalb sollten Angehörige möglichst früh Unterstützung in Anspruch nehmen. Neben Ärzten bieten sich dafür Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen an. Die Möglichkeit, sich an andere wenden zu können, kann entscheidend dazu beitragen, gemeinsam die Herausforderungen durch die Diagnose Querschnittlähmung zu meistern.

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