Neustart im Kopf: Wie sich unser Gehirn selbst repariert – Methoden und Möglichkeiten

Einführung in die Neuroplastizität

Unser Gehirn ist keine fest verdrahtete Maschine, sondern ein dynamisches Organ, das sich ständig anpasst und verändert. Diese Fähigkeit, sich selbst zu reparieren und neu zu organisieren, wird als Neuroplastizität bezeichnet. Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass das Gehirn nach der Kindheit weitgehend unveränderlich ist. Doch die moderne Neurowissenschaft hat gezeigt, dass unser Gehirn über die Fähigkeit verfügt, sich ein Leben lang zu verändern und anzupassen.

Norman Doidge, ein Psychiater und Psychoanalytiker an der Columbia University und der University of Toronto, hat sich intensiv mit dem Thema der Neuroplastizität auseinandergesetzt. In seinem Buch "Neustart im Kopf" beschreibt er eindrucksvoll, wie sich das Gehirn nach Verletzungen, Erkrankungen oder durch gezieltes Training umstrukturieren kann.

Die Grundlagen der Neuroplastizität

Die Neuroplastizität beruht auf der Fähigkeit der Nervenzellen (Neuronen), neue Verbindungen untereinander zu knüpfen und bestehende Verbindungen zu stärken oder zu schwächen. Diese Verbindungen, die Synapsen, sind die Schaltstellen, über die Informationen zwischen den Neuronen ausgetauscht werden. Je häufiger eine bestimmte Verbindung genutzt wird, desto stärker wird sie. Werden Verbindungen hingegen nicht mehr benötigt, werden sie abgebaut.

Dieser Prozess ermöglicht es dem Gehirn, sich an neue Erfahrungen und Anforderungen anzupassen. So können beispielsweise Menschen nach einem Schlaganfall durch gezieltes Training lernen, verlorengegangene Funktionen wiederzuerlangen, indem sie neue neuronale Verbindungen aufbauen.

Epigenetik: Der Einfluss der Umwelt auf unsere Gene

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der die Funktionsweise unseres Gehirns beeinflusst, ist die Epigenetik. Die Epigenetik beschäftigt sich mit den Mechanismen, die bestimmen, welche Gene in einer Zelle aktiv sind und welche nicht. Im Gegensatz zur Genetik, die sich mit der Struktur der DNA befasst, untersucht die Epigenetik, wie Umweltfaktoren die Aktivität unserer Gene beeinflussen können, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern.

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Ellen J., Daniel J. und Dr. haben in ihren Werken Einblicke in die Erkenntnisse der Epigenetik gegeben. Sie zeigen anhand von Forschungsergebnissen die Wechselwirkungen zwischen unseren Genen und der Umwelt auf. Dabei werden Aspekte wie Imprinting, Biopsychologie, Stammzellenforschung, DNA-Methylierung und Epigenomprogramm erläutert. Die Autoren zitieren Forschungsergebnisse, die die Basis für provokative Thesen und Prognosen darstellen, wie durch den Lebensstil das eigene Erbgut gesteuert werden kann.

Die Themen umfassen:

  • Das Gedächtnis der Zellen
  • Von der Genetik zur Epigenetik: Warum Gene Schalter brauchen
  • Der Einfluss der Umwelt: Warum wir Macht über unser Erbgut haben
  • Die Entstehung der Persönlichkeit: Was den Charakter stark macht
  • Epigenetik der Gesundheit: Vorsorge beginnt im Mutterleib
  • Langlebigkeit als biologisches Programm: Rezepte für ein hohes Alter
  • Die besondere Verantwortung: Wir vererben nicht nur unsere Gene
  • Das Epigenomprojekt: Biomedizin auf dem Weg ins 21. Jahrhundert

Spiegelneurone: Die Grundlage für Empathie und soziales Lernen

Stephen W., ein Mediziner, Neurobiologe und Psychotherapeut, beschreibt in seinen Arbeiten neue Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften, welche die Grundlagen für Wahrnehmung, Intuition und Empathie darstellen. Er erläutert die neurobiologischen Hintergründe für Resonanzphänomene wie der intuitiven Übertragung von Gefühlen und Gesten, z.B. warum Eltern beim Füttern ihres Babys intuitiv den Mund öffnen.

Ein wichtiger Bestandteil dieser Forschung sind die Spiegelneurone. Spiegelneurone sind Nervenzellen, die sowohl dann aktiv sind, wenn wir eine Handlung ausführen, als auch dann, wenn wir beobachten, wie jemand anderes diese Handlung ausführt. Diese Neurone ermöglichen es uns, die Handlungen anderer zu verstehen und nachzuahmen. Sie spielen eine wichtige Rolle beim Erlernen der Sprache, der Wahrnehmung der eigenen Identität, der Liebe, sozialen Kontakten, Jugendlichen und Schule, Medizin und Psychotherapie, Beziehungsalltag und Lebensgestaltung, den freien Willen und die Evolution.

Methoden zur Förderung der Neuroplastizität

Es gibt verschiedene Methoden, die genutzt werden können, um die Neuroplastizität zu fördern und das Gehirn bei der Selbstheilung zu unterstützen. Einige davon sind:

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  • Gezieltes Training: Durch spezifische Übungen und Aufgaben können bestimmte Bereiche des Gehirns stimuliert und neue neuronale Verbindungen aufgebaut werden. Dies kann beispielsweise nach einem Schlaganfall oder bei Lernschwierigkeiten hilfreich sein.
  • Sensorische Stimulation: Die Stimulation der Sinne kann ebenfalls die Neuroplastizität anregen. Beispielsweise können Menschen mit Gleichgewichtsstörungen durch Übungen mit speziellen Geräten, die sensorische Informationen liefern, ihre Standfestigkeit verbessern.
  • Mentales Training: Auch das reine Vorstellen von Bewegungen oder Handlungen kann die Neuroplastizität fördern. Dies wird beispielsweise in der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten eingesetzt.
  • Meditation und Achtsamkeit: Studien haben gezeigt, dass Meditation und Achtsamkeitspraktiken die Struktur und Funktion des Gehirns verändern können. Sie können beispielsweise die Konzentration verbessern, Stress reduzieren und das emotionale Wohlbefinden steigern.
  • Ernährung: Eine gesunde Ernährung mit vielen Antioxidantien und Omega-3-Fettsäuren kann die Gesundheit des Gehirns unterstützen und die Neuroplastizität fördern.
  • Soziale Interaktion: Der Austausch mit anderen Menschen und die Teilnahme an sozialen Aktivitäten können das Gehirn stimulieren und die Neuroplastizität fördern.

Beispiele für Neuroplastizität in der Praxis

Norman Doidge beschreibt in seinem Buch "Neustart im Kopf" zahlreiche Fallbeispiele, die die erstaunlichen Fähigkeiten des Gehirns zur Selbstheilung verdeutlichen.

Ein Beispiel ist Cheryl, die durch einen Defekt in ihrem Gleichgewichtssinn ständig wähnte, ins Bodenlose zu fallen. Durch Übungen mit einem Helm, der die räumliche Orientierung registrierte und als elektrisches Signalmuster auf Cheryls Zunge übertrug, erlangte die 39-jährige Frau ein verblüffendes Maß an Standfestigkeit.

Ein weiteres Beispiel ist ein 50-jähriger Arzt, der nach einem Schlaganfall einen Arm nicht mehr bewegen konnte. Ihm gelang es, die Leistung der abgestorbenen Hirnareale an einen anderen Ort in seinem Kopf zu verpflanzen. Der Trick bestand vor allem darin, den gesunden Arm abzubinden, sodass das Gehirn dazu gezwungen war, die Beweglichkeit auf der behinderten Seite neu zu lernen.

Diese Beispiele zeigen, dass das Gehirn auch nach schweren Verletzungen oder Erkrankungen in der Lage ist, sich neu zu organisieren und verlorengegangene Funktionen wiederzuerlangen.

Kritik und Grenzen der Neuroplastizität

Obwohl die Neuroplastizität ein faszinierendes und vielversprechendes Konzept ist, ist es wichtig, auch die Grenzen zu berücksichtigen. Norman Doidge wird manchmal als zu enthusiastisch kritisiert, wenn er behauptet, dass der Formbarkeit durch Neuroplastizität keine Grenzen gesetzt sind.

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Es ist wichtig zu beachten, dass die Neuroplastizität nicht in jedem Fall zu einer vollständigen Genesung führt. Die Ergebnisse hängen von verschiedenen Faktoren ab, wie beispielsweise dem Ausmaß der Schädigung, dem Alter des Patienten und der Art und Intensität der Therapie.

Darüber hinaus ist die Neuroplastizität nicht immer positiv. Sie kann auch zu unerwünschten Veränderungen im Gehirn führen, beispielsweise bei chronischen Schmerzen oder Suchterkrankungen.

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