Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine schwere, fortschreitende Erkrankung des motorischen Nervensystems, die durch den Verlust von Motoneuronen im Gehirn und Rückenmark gekennzeichnet ist. Bei der ALS verlieren die motorischen Nervenzellen, die für die willkürliche Steuerung der Muskulatur verantwortlich sind, fortschreitend ihre Funktion. Die Erkrankung führt zu Muskelschwäche, Muskelschwund und Spastizität, was die Mobilität und Lebensqualität der Betroffenen stark einschränkt. Das Verständnis der Rolle der oberen und unteren Motoneurone ist entscheidend für das Verständnis der Pathophysiologie und der klinischen Manifestationen der ALS.
Grundlagen des motorischen Nervensystems
Das motorische Nervensystem steuert willkürliche Bewegungen über zwei Haupttypen von Motoneuronen: das obere Motoneuron (OMN) und das untere Motoneuron (UMN).
- Oberes Motoneuron (OMN): Das erste Motoneuron beginnt im Gehirn und reicht mit einem langen Nervenfortsatz (Axon) bis zum Rückenmark (Myelon). Es entspringt in der Großhirnrinde im Gehirn und löst bewusste Bewegungen (Willkürmotorik) aus und steuert die Körperhaltung. Der Muskel wird nur indirekt mit den hierfür nötigen Reizen versorgt. Dies geschieht durch einen Fortsatz, der zum zweiten Motoneuron führt.
- Unteres Motoneuron (UMN): Das zweite Motoneuron entspringt in der grauen Substanz des Rückenmarks. Das zweite Motoneuron ist durch einen weiteren Nervenfortsatz direkt mit der Muskulatur verbunden und leitet alle Reize vom ersten Motoneuron an den Muskel weiter.
Definition des oberen motorischen Neurons
Das obere Motoneuron (OMN), auch als erstes Motoneuron bezeichnet, ist eine Nervenzelle, deren Zellkörper im motorischen Kortex des Gehirns liegt. Seine Axone ziehen durch das Rückenmark und bilden Synapsen mit den unteren Motoneuronen (UMN) im Vorderhorn des Rückenmarks oder in den Hirnnervenkernen des Hirnstamms.
Funktion des oberen motorischen Neurons
Das obere Motoneuron spielt eine entscheidende Rolle bei der Initiierung und Steuerung willkürlicher Bewegungen. Es ist an der Planung und Ausführung komplexer Bewegungsabläufe beteiligt und beeinflusst die Aktivität der unteren Motoneurone, die direkt die Muskeln innervieren. Das OMN steuert die Muskeln nur indirekt.
Schädigung des oberen motorischen Neurons
Eine Schädigung des oberen Motoneurons kann zu einer Vielzahl von motorischen Defiziten führen, die als Upper Motor Neuron Lesion (UMNL) bezeichnet werden. Zu den typischen Symptomen gehören:
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- Spastik: Erhöhte Muskelspannung und Steifigkeit, die zu unkontrollierten Muskelzuckungen und Verkrampfungen führen können. Eine Betroffenheit des ersten Motoneurons führt zu einer unkontrolliert gesteigerten Muskelspannung, die sich in Steifigkeit (Spastik) sowie einer verminderten Geschicklichkeit und Feinmotorik äußert.
- Muskelschwäche: Verlust der Muskelkraft und Schwierigkeiten bei der Ausführung willkürlicher Bewegungen. Das erste Motoneuron (= oberes Motoneuron, entspringt in der Großhirnrinde im Gehirn) löst bewusste Bewegung (Willkürmotorik) aus und steuert die Körperhaltung.
- Hyperreflexie: Übersteigerte Muskeleigenreflexe, die durch eine erhöhte Erregbarkeit der spinalen Reflexbögen verursacht werden.
- Klonus: Rhythmische, unwillkürliche Muskelzuckungen, die durch eine plötzliche Dehnung des Muskels ausgelöst werden können.
- Babinski-Zeichen: Eine pathologische Reaktion bei der Testung des Fußsohlenreflexes, bei der sich die Zehen nach oben spreizen anstatt sich nach unten zu krümmen.
Ursachen für Schädigungen des oberen motorischen Neurons
Schädigungen des oberen Motoneurons können durch verschiedene Ursachen verursacht werden, darunter:
- Schlaganfall: Eine Unterbrechung der Blutversorgung des Gehirns kann zu einer Schädigung des motorischen Kortex und der Pyramidenbahn führen. Auch bekannt als zerebrovaskuläres Ereignis. Ein Schlaganfall kann ischämisch (zerebraler Blutgefäßverschluss durch Thrombose oder Embolie) oder seltener hämorrhagisch (intrakranielle Blutung) verursacht sein. Das klinische Erscheinungsbild umfasst neurologische Symptome mit unterschiedlich starken motorischen und sensorischen Verlusten, die dem betroffenen Bereich des Gehirns und dem Ausmaß der Gewebeschädigung entsprechen.
- Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen des Gehirns können zu einer direkten Schädigung des motorischen Kortex und der Pyramidenbahn führen.
- Multiple Sklerose (MS): Eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, die zu einer Demyelinisierung der Nervenfasern und einer Schädigung der oberen Motoneurone führen kann. Multiple Sklerose (MS): chronische entzündliche Autoimmunerkrankung, die zu einer Demyelinisierung des ZNS führt. Das klinische Erscheinungsbild der MS variiert stark in Abhängigkeit von der Lokalisation der Läsionen, beinhaltet jedoch typischerweise neurologische Symptome, die das Sehvermögen, die motorische Funktion und die autonome Funktion beeinträchtigen.
- Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Eine neurodegenerative Erkrankung, die sowohl die oberen als auch die unteren Motoneurone betrifft.
- Zervikale Myelopathie: Eine Schädigung des Rückenmarks im Halsbereich, die durch Kompression oder Entzündung verursacht werden kann.
- Hirntumore: Tumore im Gehirn können Druck auf den motorischen Kortex oder die Pyramidenbahn ausüben und zu einer Schädigung der oberen Motoneurone führen.
- Infektiöse und entzündliche Erkrankungen: Bestimmte Infektionen und Entzündungen des Gehirns oder Rückenmarks können zu einer Schädigung der oberen Motoneurone führen.
Diagnostik bei Verdacht auf eine Schädigung des oberen motorischen Neurons
Die Diagnose einer Schädigung des oberen Motoneurons basiert in der Regel auf einer umfassenden neurologischen Untersuchung, bei der die Muskelkraft, die Reflexe, die Koordination und die Sensibilität geprüft werden. Zusätzliche diagnostische Verfahren können eingesetzt werden, um die Ursache der Schädigung zu identifizieren und andere Erkrankungen auszuschließen. Zu diesen Verfahren gehören:
- Magnetresonanztomographie (MRT): Eine bildgebende Untersuchung, die detaillierte Aufnahmen des Gehirns und des Rückenmarks liefert und zur Identifizierung von strukturellen Läsionen wie Tumoren, Entzündungen oder Schlaganfällen eingesetzt werden kann.
- Elektromyographie (EMG): Eine Untersuchung, bei der die elektrische Aktivität der Muskeln gemessen wird, um den Funktionszustand der unteren Motoneurone zu beurteilen.
- Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): Eine Untersuchung, bei der die Geschwindigkeit gemessen wird, mit der elektrische Signale entlang der Nervenfasern übertragen werden, um Schädigungen der peripheren Nerven auszuschließen.
- Liquoruntersuchung: Eine Analyse der Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit, um Entzündungen, Infektionen oder andere Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem festzustellen.
- Blutuntersuchungen: Verschiedene Bluttests können durchgeführt werden, um Stoffwechselstörungen, Autoimmunerkrankungen oder andere systemische Erkrankungen auszuschließen, die zu einer Schädigung der oberen Motoneurone führen könnten.
Behandlung von Schädigungen des oberen motorischen Neurons
Die Behandlung von Schädigungen des oberen Motoneurons zielt in erster Linie darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Die spezifische Behandlung hängt von der Ursache und dem Schweregrad der Schädigung ab. Zu den häufigsten Behandlungsansätzen gehören:
- Physiotherapie: Gezielte Übungen zur Verbesserung der Muskelkraft, der Koordination und der Beweglichkeit.
- Ergotherapie: Anpassung der Umgebung und Einsatz von Hilfsmitteln, um die Selbstständigkeit im Alltag zu fördern.
- Logopädie: Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
- Medikamentöse Therapie: Einsatz von Medikamenten zur Linderung von Spastik, Schmerzen und anderen Symptomen.
- Botulinumtoxin-Injektionen: Injektionen von Botulinumtoxin in die betroffenen Muskeln, um die Spastik zu reduzieren.
- Baclofen-Pumpe: Implantation einer Pumpe zur kontinuierlichen Abgabe von Baclofen, einem Muskelrelaxans, in den Spinalkanal, um die Spastik zu kontrollieren.
- Chirurgische Eingriffe: In seltenen Fällen können chirurgische Eingriffe erforderlich sein, um die Ursache der Schädigung zu beheben oder die Symptome zu lindern.
Amyotrophe Lateralsklerose (ALS)
Die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die sowohl die oberen als auch die unteren Motoneurone betrifft. Bei der ALS kommt es zu einer Degeneration der Motoneurone, die für die Steuerung der Willkürmuskulatur verantwortlich sind. Die Schädigung des ersten Motoneurons (im motorischen Kortex) verursacht eine Spastizität (Bewegungsstörung), während die Degeneration des zweiten Motoneurons (im Myelon) mit Muskelschwäche (Parese), Muskelatrophie (Myatrophie) oder Muskelzuckungen (Faszikulationen) verbunden ist. Die ALS führt zu Muskelschwäche, Muskelschwund und Spastizität, was die Mobilität, die Sprache, das Schlucken und die Atmung beeinträchtigt.
Ursachen der ALS
Die genauen Ursachen der ALS sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass eine Kombination aus genetischen und Umweltfaktoren eine Rolle spielt. Bei etwa 5-10 % der ALS-Fälle liegt eine familiäre Form vor, die durch Mutationen in bestimmten Genen verursacht wird. Die häufigsten Mutationen finden sich in den Genen „C9orf72“, „SOD1“, „FUS“, „TARDBP“ und „TBK1“.
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Symptome der ALS
Die Symptome der ALS können je nach betroffenem Motoneuron und betroffener Muskelgruppe variieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Muskelschwäche: Die Muskeln können nur noch eingeschränkt aktiviert werden, es kommt zu Muskelschwäche und Muskelschwund.
- Muskelschwund (Atrophie): Abbau von Muskelgewebe.
- Spastik: Unkontrolliert gesteigerte Muskelspannung, die sich in Steifigkeit (Spastik) sowie einer verminderten Geschicklichkeit und Feinmotorik äußert.
- Faszikulationen: Unwillkürliche Muskelzuckungen.
- Dysarthrie: Sprechstörung. Das Sprechen und die Artikulation fallen immer schwerer bis hin zur Unfähigkeit, verbal zu kommunizieren.
- Dysphagie: Schluckstörung. Die Schluckstörung beginnt meist mit einer leichten Schwäche oder Steifigkeit der Zungen- und Schlundmuskulatur.
- Atemfunktionsstörung: Einschränkung der Atemfunktion durch eine Schwäche der Atemmuskulatur am Brustkorb und des Zwerchfells.
Diagnose der ALS
Die Diagnose der ALS basiert auf einer Kombination aus klinischer Untersuchung, elektrophysiologischen Untersuchungen (EMG, NLG) und bildgebenden Verfahren (MRT). Es ist wichtig, andere Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen auszuschließen.
Behandlung der ALS
Es gibt derzeit keine Heilung für die ALS. Die Behandlung zielt darauf ab, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Zu den Behandlungsoptionen gehören:
- Riluzol: Ein Medikament, das die Überlebenszeit von ALS-Patienten verlängern kann.
- Edaravon: Ein Medikament, das den Abbau der motorischen Funktion bei ALS-Patienten verlangsamen kann.
- Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie: Diese Therapien können helfen, die Muskelkraft, die Koordination, die Sprache und das Schlucken zu verbessern.
- Atemunterstützung: Bei Atemfunktionsstörungen können verschiedene Atemhilfen eingesetzt werden.
- Ernährungstherapie: Bei Schluckstörungen kann eine spezielle Nahrungszusammenstellung oder Ernährungshilfen erforderlich sein.
- Palliativmedizin: Eine umfassende Betreuung, die darauf abzielt, die Lebensqualität der Patienten und ihrer Familien zu verbessern.
Forschung zur ALS
Weltweit wird sehr intensiv an der Erforschung der Ursachen der ALS und an neuen Behandlungsmöglichkeiten gearbeitet. Die Identifizierung von Genen, die mit der ALS in Verbindung stehen, hat zu einem besseren Verständnis der Pathogenese der Erkrankung geführt. Die Entwicklung von Biomarkern, die frühzeitig im Krankheitsverlauf nachweisbar sind, könnte die Diagnose der ALS erleichtern und die Entwicklung neuer Therapien beschleunigen.
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