Alkohol, ein Zell- und Nervengift, kann im Körper erheblichen Schaden anrichten. Während die Auswirkungen von riskantem Alkoholkonsum auf die Leber und die Begünstigung von Krebs allgemein bekannt sind, ist die alkoholbedingte optische Neuropathie (AON) weniger bekannt. Diese Erkrankung betrifft den Sehnerv und kann zu erheblichen visuellen Beeinträchtigungen führen.
Das Nervensystem und Polyneuropathie
Der menschliche Körper ist von einem verzweigten Netz an Nervenzellen durchzogen, das in ein zentrales und ein peripheres System unterteilt ist. Das zentrale Nervensystem umfasst Gehirn und Rückenmark, während das periphere Nervensystem alle Neuronen außerhalb davon umfasst. Eine Polyneuropathie betrifft mehrere dieser Nerven, was zu Funktionsstörungen motorischer, sensibler oder vegetativer Nerven führt. Rund 5 bis 8 % der erwachsenen Bevölkerung leiden an Polyneuropathien.
Die alkoholische Polyneuropathie, auch alkoholbedingte Neuropathie genannt, ist eine Erkrankung des Nervensystems, die zu den peripheren Neuropathien gehört und sich nach chronischem Alkoholmissbrauch entwickelt.
Ursachen der alkoholbedingten Optikusneuropathie
Die alkoholbedingte Optikusneuropathie entsteht durch eine Kombination von Faktoren, die mit chronischem Alkoholmissbrauch zusammenhängen. Alkohol selbst ist eine neurotoxische Substanz, d. h. ein Nervengift. Es schädigt die Nervenzellen direkt.
Neben dem direkten toxischen Effekt des Alkohols spielt auch die Mangelernährung eine wichtige Rolle. Alkoholsucht führt oft zur Vernachlässigung der Ernährung, was zu Unter- und Mangelernährung führen kann. Ein Mangel an lebensnotwendigen Vitaminen und Nährstoffen, insbesondere B-Vitamine (B1, B6, B9, B12), kann die Entstehung einer peripheren Neuropathie begünstigen.
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Weitere mögliche Ursachen für Neuropathien sind Vergiftungen durch Schwermetalle, Infektionskrankheiten, Nebenwirkungen chemotherapeutischer Behandlungen sowie autoimmunbiologische Faktoren.
Symptome der alkoholbedingten Optikusneuropathie
Die Symptome der AON können vielfältig sein und variieren von Person zu Person. In manchen Fällen treten gar keine Symptome auf. Häufige Symptome sind:
- Visuelle Beeinträchtigungen: Verschwommenes Sehen, verminderte Sehschärfe, eingeschränkte Gesichtsfelder (z. B. Tunnelblick oder Skotom), beeinträchtigtes Farbensehen, beeinträchtigtes Sehen bei Nacht oder bei Licht.
- Augenschmerzen: Schmerzen bei Augenbewegungen sind möglich, aber nicht immer vorhanden.
- Neurologische Symptome: Allgemeine Schwächezustände, diffuse Schmerzen, Missempfindungen wie Kribbeln oder Brennen in Händen und Füßen, Muskelschwäche, Muskelzuckungen, Muskelkrämpfe, Koordinationsstörungen, Gleichgewichtsprobleme, Störungen der Pupillenfunktion oder Lähmung der Augenmuskeln.
- Vegetative Symptome: In schweren Fällen können vegetative Nerven betroffen sein, was zu lebensbedrohlichen Folgen wie Atemstillstand oder Herzrhythmusstörungen führen kann.
Das Voranschreiten der alkoholischen Neuropathie geht meist langsam vor sich. Zumeist beginnt die Erkrankung mit in den Beinen auftretenden Störungen der Nerven. Sind beide Beine betroffen, sprechen Mediziner von einer sogenannten symmetrischen Polyneuropathie. Die Störungen zeigen sich in Form von Missempfindungen, brennenden Schmerzen, Veränderungen der Sensibilität, als Paresen bezeichneten Erschlaffungen der Muskulatur und Muskelschwund. Oft ist ein richtiges Stehen für die unter alkoholischer Neuropathie leidenden Personen nicht mehr möglich. Bei schweren Fällen sind auch die Augen und die umliegenden Bereiche von der Erkrankung betroffen. Die alkoholische Neuropathie zeigt sich dann in Form von Störungen der Pupillenfunktion oder durch eine Lähmung der Augenmuskeln.
Häufig verursachen bei der alkoholischen Neuropathie unschädliche Reize den Betroffenen Schmerzen. Zudem werden Schmerzreize in verstärkter Form wahrgenommen. Die Beschwerden beginnen bei den äußeren Gliedmaßen und zeigen sich mit dem Fortschreiten der Krankheit auch in den rumpfnahen Bereichen. Die in späteren Stadien auftretenden Schwächezustände äußern sich häufig in Form von Gehstörungen und Stürzen.
Diagnose der alkoholbedingten Optikusneuropathie
Die Diagnose der AON basiert auf einer umfassenden Untersuchung, die folgende Elemente umfasst:
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- Anamnese: Erhebung der Krankengeschichte, insbesondere des Alkoholkonsums und der Ernährungsgewohnheiten.
- Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Nervenfunktion, der Reflexe, der Muskelkraft und der Koordination.
- Ophthalmologische Untersuchung: Untersuchung der Sehschärfe, des Gesichtsfelds, der Pupillenreaktion und des Augenhintergrunds (Funduskopie).
- Elektrophysiologische Tests: Visuell evozierte Potentiale (VEP) können abnormale Nervenleitgeschwindigkeit aufzeigen.
- Optische Kohärenztomographie (OCT): Bildgebung des Sehnervs und der Netzhaut zur Beurteilung von Schäden an der Nervenfaserschicht.
- Laboruntersuchungen: Bluttests zur Überprüfung des Vitaminspiegels (insbesondere B-Vitamine), zur Suche nach anderen Ursachen für Neuropathien (z. B. Diabetes, Schwermetallvergiftung) und zum Ausschluss anderer Erkrankungen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Bildgebung des Gehirns und der Augenhöhlen, um andere Ursachen für die Sehnervenschädigung auszuschließen (z. B. Tumore, Entzündungen).
- Genetische Untersuchung: Um die Leber-Optikusneuropathie gegenüber der Differenzialdiagnose Tabak-Alkohol-Neuropathie zu bestätigen.
Der Arzt stellt eine alkoholische Neuropathie auf der Basis der Diagnose des Alkoholismus fest.
Differentialdiagnosen
Es ist wichtig, andere Ursachen für Optikusneuropathien auszuschließen, um die richtige Diagnose zu stellen und die geeignete Behandlung einzuleiten. Zu den Differentialdiagnosen gehören:
- Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON): Eine genetisch bedingte Erkrankung, die zu einem raschen Sehverlust führt.
- Autosomal-dominante Optikusatrophie (ADOA): Eine weitere genetisch bedingte Erkrankung, die zu einem langsamen Sehverlust führt.
- Optikusneuritis: Eine Entzündung des Sehnervs, die durch verschiedene Faktoren verursacht werden kann (z. B. Multiple Sklerose, Infektionen).
- Ischämische Optikusneuropathie: Eine Schädigung des Sehnervs aufgrund von Durchblutungsstörungen.
- Kompressive Optikusneuropathie: Eine Schädigung des Sehnervs durch Druck (z. B. durch einen Tumor).
- Toxische Optikusneuropathie: Eine Schädigung des Sehnervs durch andere toxische Substanzen (z. B. Medikamente, Chemikalien).
Behandlung der alkoholbedingten Optikusneuropathie
Die Behandlung der AON zielt darauf ab, die zugrunde liegende Ursache zu behandeln, die Symptome zu lindern und die Sehfunktion zu verbessern. Die wichtigsten Behandlungsstrategien sind:
- Alkoholentzug: Der wichtigste Schritt ist der vollständige Verzicht auf Alkohol. Bei Vorliegen einer Suchterkrankung ist ein qualifizierter stationärer Alkoholentzug mit umfassender psychotherapeutischer Begleitung empfehlenswert. Ziel ist die Aufarbeitung der Alkoholsucht sowie der alkoholinduzierten Polyneuropathie. Auch Begleit- und Folgeerkrankungen wie Depressionen oder Schlafstörungen werden effektiv mitbehandelt.
- Ernährungsumstellung: Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichender Zufuhr von Vitaminen und Nährstoffen ist entscheidend. Insbesondere die B-Vitamine sollten ausreichend zugeführt werden. In manchen Fällen kann eine Vitamin-B-Supplementierung erforderlich sein.
- Schmerztherapie: Schmerzen können durch verschiedene Medikamente gelindert werden. Opioide Schmerzmittel sollten aufgrund ihres Suchtpotenzials vermieden werden. Alternative Schmerztherapien wie die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) können ebenfalls hilfreich sein.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft und die Koordination zu verbessern.
- Sehhilfen: Sehhilfen wie Brillen, Lupen oder spezielle Filter können die Sehfunktion verbessern.
- Stammzelltherapie: In einigen Fällen kann die Stammzelltherapie eine vielversprechende Behandlungsoption sein. Stammzellen können helfen, geschädigte Nervenzellen zu reparieren und die Sehfunktion zu verbessern. Allerdings ist die Stammzelltherapie noch ein experimentelles Verfahren und nicht für alle Patienten geeignet.
Prognose der alkoholbedingten Optikusneuropathie
Die Prognose der AON hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Schwere der Erkrankung, die Dauer des Alkoholkonsums und die Bereitschaft des Patienten, auf Alkohol zu verzichten. Bei frühzeitiger Diagnose und Behandlung kann die Sehfunktion in vielen Fällen verbessert werden. In schweren Fällen kann es jedoch zu bleibenden Schäden kommen.
Wer trotzdem weiter Alkohol trinkt, riskiert eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes und muss in Kauf nehmen, dass die Störungen schlimmer und Schmerzen chronisch werden.
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Prävention
Die beste Prävention der AON ist der Verzicht auf übermäßigen Alkoholkonsum. Eine ausgewogene Ernährung und die Vermeidung von Risikofaktoren für Neuropathien (z. B. Schwermetallvergiftung) können ebenfalls dazu beitragen, das Risiko einer AON zu verringern.
Weitere Ursachen für Optikusneuropathie
Neben Alkohol gibt es auch andere Ursachen für Optikusneuropathie, die hier kurz erwähnt werden sollen:
Optikusneuritis
Die Optikusneuritis ist eine entzündliche Erkrankung des Sehnervs, die vor allem junge Erwachsene betrifft. Typische Anzeichen sind ein akut auftretender Visusverlust und Augenschmerzen. Die Ursachen sind vielfältig und unterscheiden sich nach der Form der Sehnervenentzündung.
Typische Optikusneuritis
In den westlichen Ländern ist Multiple Sklerose die häufigste Ursache für eine Optikusneuritis (typische Form). Bis zu 70% der MS-PatientInnen erleiden im Krankheitsverlauf mindestens eine Sehnervenentzündung; in etwa einem Drittel der Fälle tritt diese als Erstmanifestation auf. Die zweite typische Sehnervenentzündung ist die idiopathische Optikusneuritis, bei der trotz gründlicher Evaluation keine Ursache gefunden werden kann.
Atypische Optikusneuritis
Atypische Optikusneurititiden treten auf:
- als Manifestation einer Autoimmunerkrankung, zum Beispiel bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Störungen (NMOSD), Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein-Antikörper-assoziierter Erkrankung (MOGAD), Chronisch rezidivierender Immunoptikusneuropathie (Chronic relapsing inflammatory optic neuropathy [CRION]), Sarkoidose oder Systemischem Lupus erythematodes (SLE)
- infektiös/parainfektiös, unter anderem bei Lyme-Borreliose, Syphilis, Neuroretinitis, Akuter disseminierter Enzephalomyelitis (ADEM), Meningitis, Tuberkulose oder Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV)
- lokaler Ausbreitung einer Sinusitis, Retinitis und Uveitis
- postinfektiös bzw. postvakzinal
Daneben gibt es noch seltene Ursachen wie Diabetes, perniziöse Anämie, Arteriitis temporalis, Insektenstiche, Traumata, Tumormetastasen im Sehnerv, Strahlentherapie im Schädelbasisbereich, Noxen wie Blei, Thallium, Methanol, Nikotin und Arsen oder Arzneimittel, insbesondere Ethambutol und Tamoxifen.
Hereditäre Optikusneuropathien
Hereditäre Optikusneuropathien sind selten, ihre Prävalenz wird auf 1:10.000 geschätzt. Es gibt im Wesentlichen 2 Verlaufsformen:
- Lebersche hereditäre Optikusneuropathie (LHON): Beide Augen erleiden simultan oder sukzessiv mit einem in der Regel kurzen Intervall eine massive Sehverschlechterung.
- Autosomal-dominante Optikusatrophien (ADOA): Betreffen beide Augen simultan und weisen einen langsamen Verlauf über Jahre und Jahrzehnte auf.
Hereditäre Optikusneuropathien sind auf eine Fehlfunktion der Mitochondrien zurückzuführen, die zu einer Schädigung der retinalen Ganglienzellen insbesondere im Makulabereich führt.
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