Paraneoplastische neurologische Syndrome: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Paraneoplastische neurologische Syndrome (PNS) sind seltene, aber schwerwiegende Komplikationen von Krebserkrankungen. Sie entstehen durch eine Immunreaktion des Körpers auf den Tumor. Diese Reaktion richtet sich fälschlicherweise gegen das Nervensystem. Die resultierenden neurologischen Symptome können vielfältig sein und jedes neurologische System betreffen. Oftmals treten die neurologischen Symptome sogar vor der eigentlichen Tumordiagnose auf.

Ursachen paraneoplastischer neurologischer Syndrome

Die Ursache für PNS liegt in einer Immunantwort auf eine Neoplasie. Es werden Substanzen produziert, die keine direkte Wirkung des Tumors durch Metastasen, Massenwirkung oder Invasion sind. Die Produktion von onkoneuralen oder paraneoplastischen Antikörpern gegen ein Antigen spielt eine zentrale Rolle.

Die Tumoren produzieren Eiweiße, die normalerweise nur im Nervensystem vorkommen. Durch die normale Immunreaktion gegen Tumorgewebe kommt es zur Bildung von zytotoxischen Immunzellen sowie Autoantikörpern. Diese greifen nicht nur den Tumor an, sondern reagieren auch gegen das natürlich im Nervensystem vorkommende Eiweiß und können dadurch Nervenzellen zerstören.

Risikofaktoren für PNS sind die gleichen wie für Krebserkrankungen im Allgemeinen. Dazu zählt vor allem Nikotinkonsum, nachrangig auch bestimmte Virusinfektionen.

Häufige assoziierte Tumoren

PNS treten vorwiegend beim kleinzelligen Bronchialkarzinom auf. Weitere assoziierte Tumoren sind:

Lesen Sie auch: Finden Sie den richtigen Neurologen in Ulm

  • Mammakarzinom
  • Lymphome
  • Keimzelltumoren
  • Adenokarzinome

Pathophysiologie

Die Immunmechanismen der antikörperassoziierten Autoimmunenzephalitis wurden anhand zweier großer Krankheitsgruppen untersucht, der klassischen PNNS und der Autoimmunenzephalitis assoziiert mit Oberflächenrezeptorantikörpern. Beim klassischen PNNS richtet sich die Immunreaktion gegen intrazelluläre neuronale Antigene, sodass eine primär T‑Zell-mediierte Pathogenese vermutet wird. Bei den gleichzeitig nachweisbaren onkoneuronalen Antikörpern handelt es sich wahrscheinlich überwiegend um ein Epiphänomen. Durch die T‑Zell-Attacke kommt es zu irreversiblen Schäden und zum Untergang der Nervenzellen, wodurch das oftmals schlechte Ansprechen auf eine Immuntherapie erklärt werden kann.

Im Gegensatz dazu konnte gezeigt werden, dass die Oberflächenrezeptorantikörper direkt pathogen sind und durch die Interaktion mit ihrem Zielantigen eine neuronale Dysfunktion auslösen.

Symptome paraneoplastischer neurologischer Syndrome

Die neurologischen Symptome sind vielfältig. Jedes neurologische System kann betroffen sein. Die Symptomatik kann initial fluktuieren, ist jedoch im weiteren Verlauf häufig sehr stark ausgeprägt. Die Beschwerden hängen von der Art des zugrunde liegenden paraneoplastischen Syndroms ab. Zu den häufigsten Symptomen gehören:

  • Limbische Enzephalitis: Störungen des Gedächtnisses, Konzentration und Wesensänderungen, psychiatrische Auffälligkeiten und epileptische Anfälle.
  • Paraneoplastische Kleinhirndegeneration: Ataxie, Gangstörungen und Veränderungen der Augenbeweglichkeit.
  • Subakute sensorische Neuronopathie: Ausfall des Lagesinns mit schwerer Beeinträchtigung von Gehfähigkeit und Motorik, Parästhesien, Schmerzen und sensorische Ataxie.
  • Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom (OMS): Opsoklonus und arrhythmischer Aktionsmyoklonus, Ataxie und Dysarthrie.
  • Stiff-Person-Syndrom (SPS): Fluktuierende Muskelsteifigkeit und schmerzhafte Spasmen.
  • Paraneoplastische Enzephalomyelitis (PEM): Akut bis subakut auftretende neurologische Dysfunktion, die unterschiedliche Areale des zentralen Nervensystems, die Spinalganglien und das autonome Nervensystem erfassen kann.
  • Periphere Neuropathie: Verringerte Reflexe und Empfindungen sowie Schwäche.
  • Weitere Symptome: Fieber, Nachtschweiß, Juckreiz, Gesichtsröte.

Diagnostik

Die Diagnose von PNS beruht auf der klinischen Präsentation, dem Nachweis eines Tumors und der Antikörpertestung, bei gleichzeitigem Ausschluss etwaiger anderer tumor- oder therapiebedingter Ursachen.

Antikörper

Bei Verdacht auf ein paraneoplastisches Syndrom muss nach bestimmten Antikörpern in Blut und Nervenwasser gesucht werden. Beim kleinsten Hinweis auf ein paraneoplastisches neurologisches Syndrom sollte die Suche nach Antikörpern gegen Hu, Yo, Ri, Ma2, CV2, Amphiphysin und ggf. weitere erfolgen. Die Kombination aus Antikörpern und klinischen Beschwerden zeigt oft bereits den Tumor an. So ist die Kombination aus Yo-Antikörpern und einer Kleinhirndegeneration bei Frauen nahezu immer mit einem Ovarial-Karzinom vergesellschaftet, während bei Rauchern mit Hu-Antikörpern und einer limbischen Enzephalitis nahezu immer ein kleinzelliges Bronchialkarzinom vorliegen dürfte.

Lesen Sie auch: Tagesklinik für Neurologie

Neuronale Autoantikörper gelten als diagnostische Marker von paraneoplastischen Erkrankungen. Sie sind fast ausschließlich vom IgG-Typ. Ziel der Autoantikörperdiagnostik bei paraneoplastischen Erkrankungen ist eine schnelle und sichere Diagnose. Deshalb werden neuronale Autoantikörper entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Neurologie mit zwei voneinander unabhängigen Methoden bestimmt. In der Regel wird das zu bestimmende Serum zunächst in der indirekten Immunfluoreszenz (IFT) an Kleinhirnschnitten und nachfolgend im Immunoblot untersucht. Nur wenn beide Methoden ein positives Ergebnis zeigen, liegt definitiv ein paraneoplastischer Antikörper vor. Ist nur eine Methode positiv, spricht man von einem „atypischen“ Antikörper und der Befund ist als grenzwertig oder negativ einzustufen. In solchen Fällen ist eine Kontrolluntersuchung nach 4 Wochen angeraten.

Weitere diagnostische Maßnahmen

  • Neurologische Untersuchung: Umfasst die Erfassung der neurologischen Symptome und die Beurteilung der neurologischen Funktionen.
  • Bildgebung: MRT des Gehirns und Rückenmarks zur Darstellung von Entzündungen oder strukturellen Veränderungen.
  • Liquoruntersuchung: Analyse des Nervenwassers auf Entzündungszeichen, Antikörper und Tumorzellen.
  • Tumorsuche: Umfasst bildgebende Verfahren wie CT, MRT oder PET-CT, um den zugrunde liegenden Tumor zu identifizieren.

Differentialdiagnose

Es ist wichtig, andere Ursachen für die neurologischen Symptome auszuschließen, wie z.B.:

  • Metastasen im Nervensystem
  • Infektionen
  • Vaskuläre Ereignisse (Schlaganfall)
  • Nebenwirkungen der Krebstherapie

Therapie

Am wichtigsten sind die frühe Erkennung des zugrunde liegenden Tumors und dessen komplette Entfernung. Oft reicht das aber für die neurologischen Beschwerden nicht aus, da sich ein immunologischer Angriff auf das Nervensystem verselbstständigen kann. Hier kommen dann Immunsuppressiva zum Einsatz, beispielsweise Cortison, therapeutische Apherese oder humane Immunglobuline. Entscheidend ist der frühe Beginn dieser Behandlung, da bereits irreversibel zerstörtes Nervengewebe nicht zurückgewonnen werden kann.

Tumortherapie

Die Behandlung des zugrunde liegenden Tumors ist entscheidend für die Prognose des PNS. Die Therapie kann eine Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie oder eine Kombination davon umfassen.

Immuntherapie

Ziel der Immuntherapie ist es, die Autoimmunreaktion gegen das Nervensystem zu unterdrücken. Zu den eingesetzten Immuntherapien gehören:

Lesen Sie auch: Erfahren Sie mehr über Neuroteam Elmenhorst

  • Kortikosteroide: Entzündungshemmende Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken.
  • Intravenöse Immunglobuline (IVIG): Antikörper, die das Immunsystem modulieren.
  • Plasmaaustausch (Apherese): Entfernung von Antikörpern aus dem Blut.
  • Immunsuppressiva: Medikamente wie Cyclophosphamid oder Rituximab, die das Immunsystem unterdrücken.

Supportive Therapie

Zusätzlich zur Tumor- und Immuntherapie können supportive Maßnahmen eingesetzt werden, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Dazu gehören:

  • Physiotherapie: Zur Verbesserung der Beweglichkeit und Koordination.
  • Ergotherapie: Zur Verbesserung derAlltagsfähigkeiten.
  • Logopädie: Zur Behandlung von Sprach- und Schluckstörungen.
  • Schmerztherapie: Zur Linderung von Schmerzen.
  • Psychologische Betreuung: Zur Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung.

Prognose

Die Prognose von PNS hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter:

  • Art des zugrunde liegenden Tumors
  • Art des PNS
  • Schweregrad der neurologischen Symptome
  • Ansprechen auf die Therapie
  • Frühe Beginn der Behandlung und die Tumorentfernung.

Lässt sich dadurch der paraneoplastische Autoimmunprozess stoppen, besteht eine gute Prognose. Allerdings behalten nahezu alle Patienten unterschiedlich starke Beschwerden zurück, da oft schon in einem frühen Stadium der Erkrankung ein irreversibler Schaden im Nervensystem eingetreten ist. Der überwiegende Teil des im Nervensystem entstandenen Schadens durch Untergang von Nervenzellen ist irreversibel, dadurch sind etliche Patienten auf Unterstützung wie einen Rollstuhl angewiesen. Die im Rahmen der Erkrankung auftretenden Wesensänderungen und Immobilität sind für Patienten und Angehörige oft sehr belastend. In jedem Fall muss alles versucht werden, die Immuntherapie früh zu beginnen.

tags: #paraneoplastische #neurologische #syndrome #ursachen