Parasiten im Gehirn: Wenn fremde Mächte die Kontrolle übernehmen

Viren, Bakterien, Pilze, Einzeller und Würmer - die Vorstellung, dass diese Organismen in unser Gehirn eindringen und dort Schaden anrichten können, ist beunruhigend. Doch die Realität ist, dass zahlreiche Mikroorganismen und Parasiten das Nervensystem beeinflussen können, um ihre Wirte zu Verhaltensweisen zu bringen, die den Eindringlingen nützen.

Die reale Besessenheit: Parasiten und ihr Einfluss auf das Verhalten

Die Idee, dass fremde Mächte in unser Gehirn eindringen können, ist nicht nur ein Thema für Gruselgeschichten. Die Biologie liefert handfeste Beweise für eine „Besessenheit“, die realer kaum sein könnte. Im Tierreich gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie Parasiten das Verhalten ihrer Wirte manipulieren.

  • Saitenwürmer und Gottesanbeterinnen: Saitenwürmer treiben an sich wasserscheue Gottesanbeterinnen dazu, ins Wasser zu springen, damit die Parasiten dort ihren Lebenszyklus vervollständigen können. Der Wurm scheidet Eiweißstoffe aus, die visuelle Schaltkreise im Wirtsgehirn verändern. Die Gottesanbeterin fühlt sich magisch von der Lichtqualität angezogen, die von Wasseroberflächen reflektiert wird, und stürzt sich in den Tod.
  • Pilze und Ameisen: Bestimmte Pilze bringen Ameisen mithilfe chemischer Signale dazu, Grashalmspitzen zu erklettern und sich dort festzubeißen, damit der Wind die Sporen der Pilze verbreiten kann.
  • Leberegel und Ameisen: Leberegel wenden einen ähnlichen Trick an, um befallene Ameisen näher an grasende Schafe zu führen, in deren Gallengängen sie die nächste Phase ihres Lebenszyklus verbringen.
  • Wespenlarven und Raupen: Wespenlarven, die in Raupen heranwachsen, lassen ihren Wirt am Ende seines Lebens eine Art Teufelstanz aufführen, um ihre sich verpuppenden Geschwister während der Metamorphose vor Fressfeinden zu beschützen.
  • Wurzelkrebse und Krabben: Wurzelkrebse, die Krabben kuckucksähnlich ihre Eier unterjubeln, vermögen sogar Krabbenmännchen so umzupolen, dass diese sich wie Weibchen verhalten und sich der Brutpflege ihrer Parasiten widmen.

Parasiten im menschlichen Gehirn: Eine reale Bedrohung

Auch Menschen sind nicht vor Eindringlingen gefeit. Würmer, Einzeller, Bakterien und Viren können in unseren Körper eindringen und uns schaden, indem sie Krankheiten auslösen, Nährstoffe stehlen oder Gewebe zerstören. In einigen Fällen bahnen sich diese fremden Wesen sogar den Weg direkt in unser Gehirn.

  • Naegleria fowleri: Der amöbenartige Einzeller Naegleria fowleri lebt in verunreinigtem Süßwasser und befällt die menschliche Nasenschleimhaut. Von dort aus wandert er entlang des Riechnervs ins Gehirn, wo er sich teilt und das Gehirn buchstäblich zerfrisst. Trotz intensiver Behandlung mit Antibiotika und anderen Medikamenten enden die meisten Fälle tödlich.
  • Tollwutviren: Tollwutviren reisen über Wunden durch das Blut ins Gehirn und infizieren dort Nervenzellen im Hippocampus, Hypothalamus und der Amygdala, Regionen, die für das emotionale Erleben wichtig sind. Das Virus verändert die Funktion der infizierten Zellen, was zu Angst, Wutanfällen und aggressivem Verhalten führt. Da das Virus vor allem über Bisse in seinen nächsten Wirt gelangt, erhöht es so seine Übertragungschancen.
  • Trypanosomen: Trypanosomen, die Erreger der Schlafkrankheit, können ebenfalls ins Gehirn eindringen und Verhaltensänderungen verursachen.
  • Schweinebandwurmlarven: In seltenen Fällen schaffen es die Larven von Schweinebandwürmern ins menschliche Gehirn, verkapseln sich dort und schädigen das umliegende Gewebe.
  • Weitere Mikroorganismen: Eine Reihe weiterer Mikroorganismen, Viren wie „Corona“ (Long Covid) und sogar abnormal gefaltete Eiweißpartikel können Hirnentzündungen auslösen, die mit neurologischen Symptomen und Verhaltensänderungen einhergehen.

Toxoplasma gondii: Der Meistermanipulator

Unter den Eindringlingen, die sich in unserem Gehirn einnisten können, sticht ein Einzeller durch seinen großen Erfolg hervor: Toxoplasma gondii. Dieser Parasit verändert das Verhalten seines Zwischenwirts und kann beim Menschen schizophrenieähnliche Symptome oder „Rage Disorder“ hervorrufen.

Lebenszyklus und Verbreitung

Toxoplasma gondii ist ein halbmondförmiger Winzling, der sich nur in Katzen als Endwirt geschlechtlich fortpflanzen kann. Seine Eier gelangen über Katzenkot in die Umwelt und infizieren eine Vielzahl von Zwischenwirten. In deren Zellen vermehren sich die Einzeller zunächst rasant asexuell und bilden später vor allem in den Muskeln und im Gehirn Zysten, in denen sie jahrelang überdauern können.

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Toxoplasma ist in Deutschland weit verbreitet. Etwa jeder zweite Mensch trägt die Parasiten in sich, bei den über 70-Jährigen sind es sogar knapp 80 Prozent. Die hohe Durchseuchung hierzulande liegt vermutlich an der Katzenliebe der Deutschen und ihrem Verzehr von rohem Hackfleisch, das lebende Toxo-Zysten enthält.

Auswirkungen auf das Verhalten

Was aber treibt Toxoplasma in unserem Gehirn? Beunruhigende Daten aus der Tierwelt zeigen, dass der Parasit das Verhalten seiner Zwischenwirte manipuliert, um seine Übertragungschancen zu erhöhen.

  • Nager: Infizierte Nager verlieren ihre Furcht vor dem Duft von Katzenurin und halten sich nicht mehr so konsequent von ihren Räubern fern. Sie fühlen sich sogar sexuell angezogen von dem Geruch oder werden insgesamt furchtloser, impulsiver und risikobereiter.
  • Hyänenbabys: Infizierte Hyänenbabys verhalten sich so vorwitzig, dass sie im Vergleich zu nicht-infizierten Artgenossen häufiger von Löwen gefressen werden.
  • Schimpansen: Schimpansen entwickeln nach einer Toxo-Infektion eine Vorliebe für den Duft des Urins von Leoparden, ihren einzigen Fressfeinden.

Auswirkungen auf den Menschen

Obwohl umstritten ist, ob man als mettessende, katzenbegeisterte Person wirklich Angst vor Toxoplasma haben muss, gibt es Hinweise darauf, dass der Parasit auch das Verhalten von Menschen beeinflussen kann.

  • Risikobereitschaft: Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit Toxoplasma-Infektionen eher dazu neigen, Unternehmer zu werden, eine größere Zahl von Wirtschaftsprojekten zu starten, allein zu agieren und höhere finanzielle Risiken einzugehen.
  • Neuropsychiatrische Störungen: Es gibt Verbindungen zwischen Toxoplasma-Infektionen und neuropsychiatrischen Störungen wie Schizophrenie. Die Wahrscheinlichkeit, eine Schizophrenie zu entwickeln, erhöht sich durch eine Toxoplasma-Infektion beispielsweise um das Zweieinhalbfache. Da die Erkrankung aber sehr selten ist, bleibt auch das absolute Risiko sehr gering.

Schutzmaßnahmen

Wer die Toxoplasmen trotzdem unheimlich findet, sollte auf den Verzehr von rohem Fleisch verzichten. Katzen müssen nicht abgeschafft werden, da diese infektiöse Eier nur während der akuten Infektionsphase ausscheiden, die meist im jungen Alter stattfindet, und das nur bei Freigängern, die draußen jagen. Schwangere sollten sich vor einer Neuansteckung hüten und die Reinigung des Katzenklos lieber anderen Menschen im Haushalt überlassen.

Der Fall des lebendigen Wurms im Gehirn

Ein spektakulärer Fall aus Australien verdeutlicht, wie Parasiten in unser Gehirn gelangen können. Ärzte in Canberra entdeckten im Gehirn einer Frau einen lebendigen, acht Zentimeter langen Rundwurm der Spezies Ophidascaris robertsi, dessen Endwirt normalerweise Pythons sind.

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Die Frau hatte sich vermutlich mit den Eiern des Wurms infiziert, als sie Neuseeländischen Spinat verzehrte, ein dort wild wachsendes Gemüse. Die Eier waren möglicherweise durch den Kot einer Python auf die Pflanze gelangt.

Nachdem der Wurm entfernt und die Patientin mit Medikamenten gegen eventuell vorhandene weitere Larven behandelt worden war, verschwanden ihre Symptome.

Toxoplasmose: Eine weit verbreitete Infektionskrankheit

Toxoplasmose ist eine der häufigsten Infektionskrankheiten, die von dem einzelligen Parasiten Toxoplasma gondii ausgelöst wird. Etwa 30 bis 50 Prozent aller Menschen haben sich im Laufe ihres Lebens bereits mit Toxoplasmen infiziert.

Die Infektion verläuft meist unbemerkt, kann aber für Schwangere oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem gefährlich werden. Es gibt noch keine Therapie, um den Parasiten wieder loszuwerden, wenn er das Gehirn befällt.

Verhaltensänderungen bei infizierten Tieren

Magdeburger Wissenschaftler hatten in Versuchen mit Mäusen herausgefunden, dass es bei Toxoplasma gondii infizierten Tieren zu erstaunlichen Verhaltensänderungen kommt. Die Mäuse verloren ihre natürliche Furcht vor Katzen und schienen sogar eine Präferenz für Katzen entwickelt zu haben.

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In einer Kooperation mit dem Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig konnten sie nachweisen, dass sich bei insgesamt 300 synaptischen Proteinen die Mengen im Gehirn nach einer Toxoplasmose-Infektion verändert hatten. Besonders stark reduziert waren vor allem Proteine an Glutamat-freisetzenden erregenden Synapsen.

Die Wissenschaftler vermuten, dass Toxoplasma gondii ein Risikofaktor für neuropsychische Erkrankungen ist, da Fehlfunktionen glutamaterger Synapsen mit den Ursachen von Depressionen, Schizophrenie und Autismus in Verbindung gebracht werden.

Schweinebandwürmer im Gehirn: Eine seltene, aber gefährliche Infektion

Neurocysticercosis ist der medizinische Fachbegriff für eine seltene Infektion mit den Eiern des parasitären Schweinebandwurms (Taenia solium). Unbehandelt kann eine solche Infektion tödlich sein.

Die Infektion wird in den meisten Fällen durch den Konsum von unzureichend gekochtem Schweinefleisch verursacht, das mit Eiern des Bandwurms durchsetzt ist. Nach Verzehr können die Eier des Parasiten in menschliche Ausscheidungen enthalten sein und durch unzureichende Hygiene schließlich auch andere Menschen befallen.

Gelangen die Eier erst in den Körper, schlüpfen aus ihnen Larven, die sich ihren Weg in das Gehirn bahnen. Hier verursachen sie die Infektion Neurocysticercosis.

Die meisten Fälle stammen aus Ländern mit geringen sanitären Standards und frei laufenden Schweinen. In Deutschland ist am häufigsten der Fuchsbandwurm verbreitet.

Toxoplasma gondii: Veränderung der Gehirnchemie

Der Parasit Toxoplasma gondii kann ins Gehirn vordringen und dort den Dopaminhaushalt verändern. Dies kann Auswirkungen auf Bewegungen, Bewusstsein, Verhalten und die Kontrolle des Belohnungszentrums im Gehirn haben.

Menschen mit einem hohen Dopaminspiegel sind eher risikofreudig, ein Mangel dagegen kann sich mit Parkinson auswirken.

Im Mäuseversuch zeigte sich, dass die Parasiten das Verhalten ihrer Wirte offenbar zu ihrem eigenen Nutzen verändern. Infizierte Mäuse verloren ihre Angst vor Katzen und liefen damit eher Gefahr, gefangen und gefressen zu werden.

Möglicherweise lässt sich die Häufung von Schizophrenie-Erkrankungen und Toxoplasmose-Infektionen so erklären.

Ein seltener Bandwurm im Gehirn eines Mannes

In England entdeckten Ärzte im Gehirn eines Mannes die Larve eines seltenen Bandwurms namens Spirometra erinaceieurpaei. Der Mann litt unter Kopfschmerzen, Krampfanfällen und Gedächtnisstörungen.

Spirometra kommt vor allem in asiatischen Ländern vor und lebt in Schlangen und Fröschen. Der Mensch steckt sich über einen Umweg an - verseuchtes Wasser, rohes Fleisch oder Salben zur Wundheilung, die aus Froschfleisch hergestellt werden.

Normalerweise lebt der Bandwurm im Verdauungstrakt seiner Wirte, seine Larven können aber auch wandern - in die Augen, das Rückenmark oder eben das Gehirn.

Toxoplasma: Flucht ins Gehirn vor dem Immunsystem

Der Parasit Toxoplasma vermehrt sich zunächst munter im Körper. Doch wenn das Immunsystem zur Abwehr bereit ist, flüchtet der Schmarotzer ins Gehirn, wo er vor den Immunzellen sicher ist, und bildet eine Art Ruhestadium aus.

In dieser Phase wandeln sich die Tachyzoiten in die sogenannten Bradyzoiten um, eine Art Ruheform, die sich kaum noch vermehrt, von einer dickwandigen Hülle umgeben ist und nun als Zyste bezeichnet wird. Diese Zysten sind für das Immunsystem faktisch unsichtbar und können lebenslang im Gehirn überdauern.

Bislang gibt es keine Möglichkeit, sie durch eine Behandlung mit Medikamenten zu eliminieren.

Toxoplasmose-Erreger als Wirkstoff-Transporter ins Gehirn?

Forscher arbeiten daran, den Toxoplasmose-Erreger in der Medizin zu nutzen. Mit dem Parasiten lassen sich im Gehirn möglicherweise therapeutische Proteine in Nervenzellen einschleusen.

Der Toxoplasmose-Erreger ist dafür bekannt, ins Gehirn von Säugetieren und Vögeln einzudringen. Diese Eigenschaft, die Blut-Hirn-Schranke überwinden zu können, könnte man sich zunutze machen, um Proteine gezielt ins Gehirn zu bringen. Dies böte viele Möglichkeiten für Therapien und zur Erforschung grundlegender Prozesse.

Allerdings müsse man die Wirksamkeit und Sicherheit dieses Ansatzes noch zeigen und verbessern, da natürliche Infektionen bei immunkompetenten Menschen tendenziell symptomfrei sind, Toxoplasma aber in einer Vielzahl von Situationen nachteilige Folgen haben kann.

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