Musiktherapie in der Parkinson-Behandlung: Ein umfassender Überblick

Das idiopathische Parkinsonsyndrom (iPS), auch Parkinsonkrankheit genannt, ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Neben den motorischen Symptomen ist die Sprechstörung (Dysarthrie) ein weit verbreitetes Symptom. Die Stimme wird heiserer, leiser und verliert an Ausdruck und Sprechmelodie. Damit verbunden sind Einschränkungen in der Kommunikationsfähigkeit und der Lebensqualität. Trotz Einsatz moderner Medikamente kommt es aber bei vielen Betroffenen im Verlauf der Parkinson-Erkrankung früher oder später zu Störungen von für die Lebensqualität wesentlichen Funktionen wie Gleichgewicht, Gehen, Sprechen und Schlucken. Den aktivierenden Therapien wie Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie und psychologischen Interventionen kommt deshalb eine wichtige Rolle zu.

Die Parkinson-Fachklinik in Beelitz-Heilstätten setzt seit 20 Jahren Musiktherapie in der täglichen Patientenarbeit ein. Dort wurde ein Gymnastikprogramm mit passgenauer Therapiemusik entwickelt - die Beelitzer Musikgymnastik (hier geht es zum YouTube-Kanal). Neben der Bewegung nach Musik spielt das Therapeutische Singen eine wichtige Rolle in der Parkinsontherapie.

Die Bedeutung aktivierender Therapien bei Parkinson

Schon unmittelbar nachdem die Diagnose Parkinson gestellt wurde, geht es für den Betroffenen darum, der zunehmenden Bewegungsverarmung entgegenzuwirken. Auch in den Fällen, in denen die vom Arzt verordneten Medikamente gut wirksam sind, sind oft trotzdem schleichende Veränderungen der Beweglichkeit erkennbar. Beispiele hierfür sind ein vermindertes Mitpendeln der Arme beim Gehen, eine Verkleinerung der Schrift oder ein leiseres Sprechen.

Entscheidend für den Krankheitsverlauf ist die Einsicht des Betroffenen, dass er „seinem Parkinson“ aktiv und wirksam entgegentreten kann. Für das Verständnis von Aktivierenden Therapien bei Parkinson ist es wichtig zu wissen, dass nicht nur die Bewegung verändert ist sondern auch die Wahrnehmung der Bewegung, der „Bewegungssinn“. Viele Betroffenen merken nicht, wenn sie zu kleine Schritte machen, zu leise sprechen oder „vergessen“ den Arm beim Gehen mitzuschwingen.

Besonders geeignet zur Stärkung des Bewegungssinns sind Trainingsverfahren, bei denen großamplitudige Bewegungen, Bewegungsrhythmus, und Schnelligkeit geübt werden. Spezifisch für Parkinson-Patienten entwickelt und die derzeit am besten untersuchte aktivierende Therapie bei Parkinson ist das Lee Silverman Voice Training (LSVT-LOUD) bei dem in intensiver Einzeltherapie eine Verbesserung der Sprechlautstärke geübt wird. Eine starke und lang anhaltende Wirkung der LSVT-LOUD Therapie wurde in mehreren wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen. Eine amerikanische Forschungsgruppe hat jetzt ausgehend vom LSVT-LOUD das neue Behandlungskonzept LSVT-BIG entwickelt, das speziell auf die Verbesserung der Bewegungen bei Parkinson ausgerichtet ist.

Lesen Sie auch: Parkinson-Medikamente: Was Sie beachten müssen

Musiktherapie: Ein vielversprechender Ansatz

Musik bietet nicht nur Unterhaltung und ästhetischen Genuss, sondern wirkt auch unmittelbar auf die durch das iPS gestörte Motorik und spielt generell in der aktivierenden Therapie dieser Erkrankung eine große Rolle. Musik stimuliert Muskeln, Geist und Gefühle in einem.

Die wissenschaftliche Basis

Allein seit 1996 sind laut PubMed fast 9000 wissenschaftliche Artikel erschienen, darunter 1500 randomisierte, kontrollierte Studien, die den erfolgreichen Einsatz von Musiktherapie bei psychischen, neurologischen und onkologischen Erkrankungen belegen. Etwa bei Depressionen, Angststörungen, Parkinson, Demenz oder nach Schlaganfällen.

Neurowissenschaftler haben eine Erklärung für dieses Phänomen gefunden: die Audio-motorische Synchronisation. Sie beschreibt die enge und mittelbare Verzahnung von akustischem Rhythmus und dem motorischen Nervensystem. Es verhält sich fast so wie bei einem Magnet, der in die Nähe eines metallischen Gegenstandes kommt. Musik sorgt im Kopf sogar für eine Extradosis Dopamin. Das ist der Hirnbotenstoff, der bei der Parkinsonkrankheit nur noch vermindert zur Verfügung steht. Kanadische Forscher konnten zeigen, dass Dopamin ausgeschüttet wird, wenn wir Musik hören.

Wie Musiktherapie bei Parkinson wirkt

  • Verbesserung der Motorik: Musik erleichtert Menschen mit Parkinson, das durch die Krankheit gestörte Rhythmusgefühl zu verbessern. Allein das Hören von lauter und rhythmischer Musik führt zu einer messbaren Verbesserung der Beweglichkeit. Das musikgestützte Gangtraining dient der Verbesserung des Gehens, der Schrittlänge und des Armschwungs. Musik dient hierbei zur rhythmisch-akustischen Stimulation. Studien haben gezeigt, dass stimulierende Musik die motorische Koordination bei Parkinson-Patienten verbessern kann.
  • Förderung der Feinmotorik: Musikinstrumente spielen, insbesondere Klavier, kann die Feinmotorik verbessern. Im Parkinsonzentrum können Patient:innen ein Klaviertraining belegen, um die Hand- und Fingerbeweglichkeit zu verbessern.
  • Unterstützung der Sprache: Singen ist schon länger als therapeutische Maßnahme bei Dysarthrie bekannt. Der Rhythmus und der Takt sorgt dabei für eine bessere Stimmgebung und eine klarere Artikulation. Zudem hilft die Struktur mit Melodie und harmonischer Begleitung dabei, die Atmung zu vertiefen und koordinierter in Stimme umzusetzen. Das Therapeutische Singen wird den Patient:innen angeboten, um die Stimme und das Atmen zu trainieren.
  • Emotionale Unterstützung: Musik kann die Stimmung heben und die Lebensqualität verbessern. Schwerst spastisch eingeschränkte Menschen heben plötzlich ihren Arm, beginnen zu klatschen, wippen mit. Wer nicht sprechen kann, summt und brummt laut mit. Es ist eine Freude. Ganz besonders, wenn ich sehe, wie die Gesichter aufhellen. Es ist als wären Sie unter Strom gesetzt.
  • Steigerung der Motivation: Die Musik verbessert die Motivation, die Bewegung macht mehr Spaß. Zusätzlich wird das motorische Nervensystem durch den Rhythmus und die Lautstärke stimuliert.

Spezifische Therapieansätze

  • Beelitzer Musikgymnastik: Im Parkinsonzentrum Beelitz-Heilstätten wurde ein spezielles Gymnastikprogramm mit Musik entwickelt. Dieses Programm wurde nun von der Musiktherapeutin Selma Gros in der Parkinsonklinik in Bad Segeberg über 3 Wochen getestet. Die Musik bewirkt eine zeitliche Strukturierung des Übungsablaufes, eine spontane Verbesserung der Beweglichkeit und zusätzlich eine Steigerung von Motivation und Stimmung.
  • Therapeutisches Singen: Auch hierbei geht es um die stimulierende Wirkung von Rhythmen und Melodien auf die Bewegungsverlangsamung im Stimm- und Atemtrakt. Das Singen sorgt für eine lautere und kräftigere Stimme und hebt auch die Stimmung.

Musik zu Hause nutzen

Viele Parkinsonbetroffene nutzen die positive Wirkung von Musik in Ihrem Alltag. In Zeiten von Corona geht das sogar online. Die Gruppe “IntoDance Berlin” bietet auf ihrem YouTube-Kanal Videos zum Mittanzen für zuhause. Anleitungen sind speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Bewegungseinschränkungen ausgerichtet. Für das tägliche Training ist Musik besonders gut geeignet, weil sie in Form des Smartphones immer und überall verfügbar ist. Für das Gangtraining wird die Beatzahl, also das Tempo der Musik an die Schrittfrequenz angepasst. Und los geht’s - im Wohngebiet, im Stadtpark oder im Wald! Aber Vorsicht! Mitunter ist die Schrittfrequenz entscheidend für eine gute Gangsicherheit. Die Musik sollte rhythmisch und motivierend sein und eher laut abgespielt werden (Beispiele finden Sie unter www.mit-musik-geht-reha-besser.de/musik. Und wenn mal keine Musik verfügbar ist, hilft es auch, sich ein Lied zum Gehen vorzustellen. Hierzu wurde eine Studie an japanischen Patienten durchgeführt.

Weitere aktivierende Therapien

Neben der Musiktherapie gibt es weitere aktivierende Therapien, die bei Parkinson eingesetzt werden:

Lesen Sie auch: Die Stadien der Parkinson-Krankheit erklärt

  • Lee Silverman Voice Treatment (LSVT): Hier üben die Betroffenen mit speziell ausgebildeten Therapeuten lautes Sprechen (LSVT-LOUD) oder das Ausführen von Bewegungen mit großer Amplitude (LSVT-BIG).
  • Taiji: Taiji oder TaiChi ist eine Kampf- und Bewegungskunst, die Ihren Ursprung in China des 17. Jahrhundert hat. Taiji zielt auf Entschleunigung, Konzentration und Entspannung bei körperlicher Aktivität ab. Mit dieser Technik können Menschen mit Parkinson Körperwahrnehmung und Bewegungskontrolle trainieren.
  • Gleichgewichtstraining: Gleichgewichtsstörungen zählen neben Rigor (Muskelsteifigkeit), Tremor (Zittern) und Bradykinese (Bewegungsverlangsamung) zu den Kardinalsymptomen der Parkinson-Krankheit. Besonders einfach und wirkungsvoll ist das so genannten „Schubs-Training“ das auch in der häuslichen Umgebung durchgeführt werden kann: Bei dieser Therapie werden die Betroffenen wiederholt durch einen Therapeuten mit plötzlichem nach hinten gerichtetem Zug an den Schultern aus dem Gleichgewicht gebracht. Weitere Übungstechniken basieren auf dem Training des Gleichgewichtes auf wechselnden Unterstützungsmodalitäten und -flächen.

Herausforderungen und Zukunftsperspektiven

Dennoch ist Musiktherapie derzeit für Parkinsonpatienten noch nicht auf Rezept zu haben. Aber sie wird in den meisten Parkinson-Fachkliniken eingesetzt, zumeist als Baustein einer sogenannten Komplexbehandlung in Kombinationen mit anderen aktivierenden Therapien wie Physio- und Ergotherapie. Eine ambulante Musiktherapeutin findet man über Nationale Register Musiktherapie. Darüber hinaus können die Betroffenen Musik individuell zuhause einsetzen, um die Symptome der Erkrankung ein Stück weit zu mildern.

Ein zentrales Thema des 13. Europäischen Musiktherapie-Kongresses in Hamburg im Juli war die ambulante Versorgung mit Musiktherapie. Trotz nachgewiesener Wirksamkeit wird diese bislang nicht von den Krankenkassen übernommen.

Es bleibt zu hoffen, dass die positiven Ergebnisse der Forschung und die Erfahrungen in der klinischen Praxis dazu führen, dass Musiktherapie in Zukunft eine größere Rolle in der Parkinson-Behandlung spielen wird und für mehr Betroffene zugänglich gemacht wird.

Das Parkinsonzentrum Beelitz-Heilstätten

Das Parkinsonzentrum in Beelitz-Heilstätten, der Wirkungsstätte von Prof. Mainka, zählt zu den größten und renommiertesten Fachkliniken seiner Art in der Bundesrepublik. Die Klinik ist offiziell ausgewiesenes Parkinsonzentrum des Bundeslandes Brandenburg. Sie verfügt über 102 Betten auf 4 Stationen und behandelt im Jahr rund 1.400 Patient:innen stationär und über eine ambulante Sprechstunde.

In der Parkinson-Fachklinik in Beelitz-Heilstätten werden mit Unterstützung der Deutschen Parkinson Vereinigung e.V., der Deutschen Parkinson Hilfe e.V. und der AOK-Nordost LSVT, künstlerische Therapien und TaiJi angeboten, gelehrt und in wissenschaftlichen Studien untersucht. Für Betroffene und Therapeuten wurden zahlreiche Lehrmaterialien entwickelt.

Lesen Sie auch: Überblick zur Dopamin-Erhöhung bei Parkinson

Gastprofessur von Prof. Mainka an der Universität der Künste Berlin

Der Musiktherapeut Prof. Dr. phil. Stefan Mainka ist seit kurzem Gastprofessor an der Universität der Künste Berlin. In der Professur von Prof. Mainka vereinen sich die praktische Erfahrung aus der Forschung und Arbeit mit Patient:innen und den Möglichkeiten der Lehre sowie des Wissenszugangs und -transfers durch die Universität.

„Ich freue mich auf die neue Herausforderung als Gastprofessor an der Universität der Künste, um im Rahmen des Masterstudiengangs Musiktherapie die Bedeutung und Wirkung von Musik und deren Möglichkeiten an die Studierenden weiterzugeben, beziehungsweise ihnen die von Musik unterstützte Arbeit für und mit Patient:innen wissenschaftlich näherzubringen. Für mich persönlich ist die Gastprofessur ein echter Glücksfall, zumal ich auch weiterhin im Parkinsonzentrum mit Patient:innen arbeiten kann. In der Parkinsonklinik war für mich der Wissenstransfer aus der Wissenschaft in die Praxis sehr wichtig, jetzt kann ich diesen Wissenstransfer in beide Richtungen praktizieren“, freut sich Prof.

tags: #Parkinson #Beelitz #Musiktherapie #Studien