Cannabis bei Parkinson: Wirkung, Studienlage und therapeutische Möglichkeiten

In Deutschland haben Patienten mit schweren Erkrankungen die Möglichkeit, Cannabisblüten, -extrakte oder synthetische Cannabinoide auf Kosten der Krankenkasse verschrieben zu bekommen. Dies gilt, wenn keine geeigneten Standardtherapien zur Verfügung stehen oder diese aufgrund von Kontraindikationen oder starken Nebenwirkungen nicht angewendet werden können. Laut Gesetzgeber reicht bereits eine „nicht ganz entfernte Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf schwerwiegende Symptome“ aus. Die Einschätzung der Wirksamkeit der medizinischen Cannabinoide bei den vielfältigen Indikationen und Grunderkrankungen obliegt dem behandelnden Arzt. Dieser Artikel gibt einen Überblick über mögliche Behandlungsindikationen im Bereich der Neurologie, insbesondere im Hinblick auf die Anwendung von medizinischem Cannabis bei Bewegungsstörungen wie Parkinson, atypischen Parkinson-Syndromen, Dystonie, Huntington-Krankheit, Tic-Störungen, Multipler Sklerose, epileptischen Syndromen und Motoneuronerkrankungen. Ziel ist es, eine Bewertung der aktuellen Datenlage für die jeweiligen Behandlungsindikationen vorzunehmen und den behandelnden Arzt in seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Einleitung

Die Parkinson-Krankheit ist mit etwa 400.000 Betroffenen in Deutschland die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Sie entsteht durch das Absterben von Dopamin-produzierenden Nervenzellen, was zu Bewegungshemmung, Muskelsteifheit und Zittern führt. Angesichts der steigenden Zahl von Parkinson-Patienten und der begrenzten Wirksamkeit konventioneller Therapien suchen viele Betroffene nach alternativen Behandlungsmethoden. In den letzten Jahren hat medizinisches Cannabis zunehmend an Bedeutung gewonnen, wobei viele Patienten von einer potenziellen Linderung ihrer Symptome berichten.

Rechtliche Grundlagen und Indikationsstellung

Seit einigen Jahren können in Deutschland Cannabisblüten und -extrakte bzw. synthetische Cannabinoide für Patienten mit einer schwerwiegenden Erkrankung zulasten der Krankenkassen verordnet werden. Der Gesetzgeber hat keine spezifischen Indikationen festgelegt, sodass jedem schwerkranken Patienten Cannabis auf Rezept zugänglich gemacht werden kann, wenn keine geeignete Therapie zur Verfügung steht oder diese „unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann“. Die maßgebliche Einschränkung für die Verordnung liegt laut Gesetzgeber darin, dass „eine nicht ganz entfernte Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf schwerwiegende Symptome“ bestehen soll.

Cannabinoide und das Endocannabinoid-System

Cannabis enthält über 60 verschiedene Cannabinoide, wobei Cannabidiol (CBD) und Tetrahydrocannabinol (THC) die bekanntesten sind. Cannabinoide binden an Cannabinoid-Rezeptoren im Körper, insbesondere im Gehirn, und aktivieren das sogenannte Endocannabinoid-System. Dieses System beeinflusst Gehirnchemikalien wie Dopamin, das bei der Parkinson-Krankheit eine wichtige Rolle spielt. Ein Bereich des Gehirns, der reich an diesen Rezeptoren ist, sind die Basalganglien, die an der Regulation der motorischen Aktivität beteiligt sind.

Studienlage zu Cannabis bei Parkinson

Umfragen und retrospektive Studien

Cannabis scheint in der Selbstbehandlung von Parkinson-Symptomen bereits länger in Gebrauch zu sein. Eine Umfrage aus dem Jahr 2004 in Prag ergab, dass 25 % der Parkinson-Patienten bereits Cannabis konsumiert hatten, wobei fast die Hälfte von einer positiven Wirkung auf ihre Symptome berichtete (Verbesserung des Ruhetremors, der Bradykinese und der Muskelrigidität). Neuere Umfragen bestätigen den hohen Anteil von Cannabis-konsumierenden Parkinson-Patienten, die oft bereits über ein Jahr Cannabis einnehmen und eine Reduktion ihrer verschriebenen Medikamente berichten. Eine retrospektive Auswertung zeigte eine deutliche Verbesserung von motorischen und nichtmotorischen Symptomen wie Reduktion von Stürzen, Tremor und Muskelrigidität sowie eine Verbesserung des Schlafs, der Stimmung und von Schmerzen.

Lesen Sie auch: Parkinson-Medikamente: Was Sie beachten müssen

Klinische Studien

In zwei Fallserien wurde der Effekt von Cannabinoiden auf motorische Symptome untersucht. Eine Studie fand keine Reduktion des Tremors nach dem Rauchen von Marihuana, während eine andere Studie eine signifikante Verbesserung des motorischen Scores im MDS-UPDRS (Movement Disorder Society Unified Parkinson’s Disease Rating Scale) sowie eine Reduktion von Schmerzen und eine verbesserte Schlafqualität zeigte. Nichtmotorische Parkinson-Symptome wurden in weiteren unkontrollierten Studien untersucht, wobei CBD positive Auswirkungen auf psychiatrische Symptome und REM-Schlafverhaltensstörungen zeigte.

Es existieren auch Placebo-kontrollierte Studien, die die Wirkung von Cannabinoiden auf motorische und nichtmotorische Symptome untersuchen. Eine Studie mit Nabilon zeigte eine Reduktion der Schwere von Levodopa-induzierten Dyskinesien (LID), während eine andere Studie mit einer THC/CBD-Mischung keine Verbesserung von LID oder anderen Outcome-Kriterien fand. Eine weitere Studie zeigte eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität in der 300-mg-CBD-Gruppe, jedoch keinen Unterschied im MDS-UPDRS-Score.

Eine randomisierte Studie mit einer Mischung aus relativ hochdosiertem CBD und niedrigem THC-Anteil oder einem Placebo zeigte, dass sich in verschiedenen Tests ein starker Placeboeffekt zeigte. Darüber hinaus fanden sich jedoch Behandlungseffekte bei Schlaf, Denkleistung und Alltagsaktivität, mit besseren Ergebnissen in der Placebogruppe.

CB1-Antagonisten

Interessanterweise wurde auch der Effekt eines selektiven CB1-Antagonisten, Rimonabant, auf motorische Parkinson-Symptome inklusive LID untersucht. Hier zeigte sich keine zusätzliche Wirkung des Rimonabants auf den motorischen Teil der MDS-UPDRS oder auf LID.

Bewertung der Datenlage

Insgesamt ist die Datenlage für Cannabinoide im Hinblick auf motorische und nichtmotorische Symptome beim M. Parkinson sehr dünn. Die untersuchten Cannabis-Präparate sind sehr heterogen, sodass letztlich keine evidenzbasierte Empfehlungen ausgesprochen werden können. Aufgrund dessen sollten Cannabinoide erst nach Ausschöpfung der leitliniengerechten Therapie und am ehesten bei schwer behandelbaren Symptomen wie Levodopa-induzierten Dyskinesien, Schmerzen oder Schlafstörungen eingesetzt werden. Es empfiehlt sich, den Therapieerfolg mittels objektiver Skalen zu verifizieren.

Lesen Sie auch: Die Stadien der Parkinson-Krankheit erklärt

Cannabinoide bei atypischen Parkinson-Syndromen

Die Behandlung von motorischen und nichtmotorischen Symptomen bei atypischen Parkinson-Syndromen ist angesichts der zumeist schlechten Wirksamkeit der dopaminergen Medikation eine große Herausforderung. Es gibt kaum Studien zur Behandlung motorischer Symptome mit Cannabinoiden. Ein Großteil der Patienten mit atypischen Parkinson-Syndromen leidet unter Schmerzen, wobei nichtsteroidale Antiphlogistika und Cannabis als am analgetisch wirksamsten beschrieben wurden. Phytocannabinoide stehen aufgrund ihrer antioxidativen und antiinflammatorischen Wirkung immer wieder als mögliche neuroprotektive Substanzen im Fokus, jedoch konnte der klinische Nutzen bislang noch nicht belegt werden. Aufgrund der generell meist unzureichenden medikamentösen Behandlungsmöglichkeit der motorischen und nichtmotorischen Symptome bei atypischen Parkinson-Syndromen sollte den Patienten nach Einsatz der „konventionellen“ Medikation ein Therapieversuch mit Cannabinoiden unserer Meinung nach nicht verwehrt werden. Auch hier empfiehlt sich die Festlegung von Zielsymptomen, die während der Therapie mit validierten Scores dokumentiert werden sollten, um einen Therapieerfolg verifizieren zu können.

Cannabinoide bei Dystonie, Huntington-Krankheit und Tic-Störungen

Die Erfahrungen mit Cannabinoiden bei der idiopathischen Dystonie sind begrenzt. Anekdotische Fallberichte beschreiben einen positiven Effekt bei Patienten mit zervikaler Dystonie, generalisierter Dystonie oder Meige-Syndrom bei CBD-Einnahme von bis zu 600 mg pro Tag. Randomisierte, doppelblinde Cross-over-Studien konnten jedoch keinen positiven Effekt von Nabilon oder Dronabinol im Vergleich zu Placebo nachweisen.

Eine doppelblinde, randomisierte Cross-over-Studie mit Huntington-Patienten zeigte keinen Effekt von CBD auf die Schwere der Chorea. Eine andere Studie zeigte eine Verbesserung der motorischen und Chorea-Subskala der UHDRS (Unified Huntington’s Disease Rating Scale) von Nabilon im Vergleich zu Placebo, jedoch fand sich kein Unterschied zwischen einer Dosis von 1 oder 2 mg Nabilon/Tag. Die Behandlung mit Nabiximols (Sativex®) führte im Vergleich zu Placebo zu keiner Verbesserung von motorischen, kognitiven oder funktionellen Parametern.

Bei primären Tic-Störungen wie beim Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (GTS) zeigten erste Erfahrungsberichte eine Wirksamkeit von Cannabis auf motorische und vokale Tics. Doppelblinde, Placebo-kontrollierte Studien mit THC zeigten eine deutliche Verbesserung der Tics und komorbiden Symptome einer Zwangsstörung. Auch die Kombination von THC und CBD in Nabiximols kann in der Therapie des GTS Verwendung finden.

Da es an einer größeren Anzahl qualitativ hochwertiger Studien mangelt, gibt es bislang keine evidenzbasierte Empfehlung für den Gebrauch von Cannabinoiden in der Therapie des Tourette-Syndroms. Trotzdem wird von manchen deutschen Experten die Meinung vertreten, dass Cannabis-Präparate in der Second-Line-Behandlung von ansonsten medikamentös- und verhaltenstherapeutisch therapierefraktären Patienten Anwendung finden können.

Lesen Sie auch: Überblick zur Dopamin-Erhöhung bei Parkinson

Cannabinoide bei Multipler Sklerose

Nabiximols (Sativex®) ist zugelassen für die Behandlung einer mittelschweren bis schweren Spastik bei Patienten mit Multipler Sklerose (MS). Systematische Reviews und Metaanalysen zeigen jedoch nur eine begrenzte Wirkung der Cannabinoide auf Schmerz und eine neurogene Blasenstörung bei MS. Die Verträglichkeit der Cannabinoide, insbesondere von Nabiximols, scheint bei der MS gut zu sein.

Risiken und Nebenwirkungen

Trotz der potenziellen Vorteile von Cannabis bei der Behandlung von Parkinson-Symptomen gibt es auch Risiken und Nebenwirkungen zu beachten. Halluzinationen, Kreislaufschwäche, niedriger Blutdruck und ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte sind mögliche Nebenwirkungen von THC. Es ist wichtig, dass Patienten und Ärzte diese Risiken sorgfältig abwägen, bevor sie eine Cannabis-Therapie in Betracht ziehen.

Praktische Hinweise zur Anwendung

Bei der Verordnung von medizinischem Cannabis ist eine sorgfältige Abwägung der individuellen Situation des Patienten erforderlich. Es empfiehlt sich, zunächst konventionelle Therapien auszuschöpfen und Cannabis erst dann in Betracht zu ziehen, wenn andere Behandlungen nicht ausreichend wirksam sind oder unzumutbare Nebenwirkungen verursachen. Die Festlegung von klaren Therapiezielen und die Dokumentation des Therapieerfolgs mithilfe validierter Scores sind empfehlenswert.

tags: #parkinson #cannabis #wirkung