Parkinson-Forschung in Tübingen: Aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven

Die Parkinson-Krankheit ist eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen weltweit. In Tübingen wird intensiv an den Ursachen, der Früherkennung und neuen Therapieansätzen geforscht. Dieser Artikel beleuchtet aktuelle Forschungsschwerpunkte und vielversprechende Entwicklungen in der Parkinson-Forschung am Standort Tübingen.

Die Parkinson-Krankheit: Eine Übersicht

Die Parkinson-Krankheit ist nach der Alzheimer-Demenz die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Alter deutlich an, von etwa 1,4 % bei den 65-Jährigen auf 3,5 % bei den 85-Jährigen. Allerdings kann die Erkrankung auch in jüngeren Jahren auftreten.

Klinische Symptome

Klinisch manifestiert sich die Parkinson-Krankheit hauptsächlich durch motorische Symptome, die sogenannten Kardinalsymptome:

  • Rigor: Steifigkeit der Muskeln
  • Akinese: Bewegungsarmut oder -verlangsamung
  • Ruhetremor: Zittern, das vor allem in Ruhe auftritt
  • Posturale Instabilität: Fallneigung im späteren Krankheitsverlauf

Zusätzlich zu diesen motorischen Symptomen leiden viele Patienten unter einer Reihe von nicht-motorischen Begleiterscheinungen, wie:

  • Verstopfung
  • Riechverlust (Hyposmie)
  • Depressionen
  • Schlafstörungen (REM-Schlaf-Verhaltensstörung)
  • Kognitive Störungen (bis zu 80% der Patienten)

Es ist wichtig zu betonen, dass die Ausprägung und der Verlauf der einzelnen Symptome von Patient zu Patient stark variieren können.

Lesen Sie auch: Parkinson-Medikamente: Was Sie beachten müssen

Pathologie

Neuropathologisch ist die Parkinson-Krankheit durch ein präsynaptisches dopaminerges Defizit gekennzeichnet. Dieses entsteht durch den Verlust von Dopamin-produzierenden Neuronen in der Substantia nigra pars compacta, einem Bereich im Mittelhirn. Ein weiteres Kennzeichen sind Lewy-Körperchen, charakteristische eosinophile intrazytoplasmatische Proteinablagerungen, deren Hauptbestandteil das Protein Alpha-Synuklein ist. Nach dem Modell des Neuroanatomen Braak breiten sich diese Lewy-Körperchen im Verlauf der Erkrankung vom Hirnstamm aufsteigend in den Neocortex aus. Ein alternatives Modell postuliert, dass die Pathologie in olfaktorischen Strukturen beginnt und von dort entweder den limbischen Kortex oder den unteren Hirnstamm betrifft, was unterschiedliche klinische Verläufe erklären könnte.

Prodromale Phase

Bereits bevor die typischen motorischen Symptome auftreten, findet ein erheblicher neurodegenerativer Prozess statt. Schätzungen zufolge sind bereits 50-60 % der Dopamin-produzierenden Neurone zerstört, wenn die Erkrankung klinisch manifest wird. Diese Vorlaufphase, die sogenannte prodromale Phase, kann durch unspezifische Symptome wie Riechverlust, Schlafstörungen, autonome Dysfunktionen (z.B. Blasenstörungen, Verstopfung) oder Depressionen gekennzeichnet sein.

Spätphase und Meilensteine im Krankheitsverlauf

Im weiteren Verlauf der Erkrankung entwickeln bis zu 80 % der Patienten kognitive Einschränkungen, insbesondere im Bereich der Handlungsplanung und Problemlösung (exekutive Dysfunktionen). Der zeitliche Verlauf bis zum Auftreten dieser kognitiven Defizite ist jedoch sehr variabel. Die Erforschung von Faktoren, die die Entwicklung einer Demenz beeinflussen, sowie der zugrundeliegenden Mechanismen und des Vorhersagewerts ist daher von großer Bedeutung.

Risikovarianten in bestimmten Genen (APOE, MAPT) sowie eine Alzheimer-typische Konstellation im Nervenwasser sind mit der Parkinson-Demenz assoziiert. Zukünftig könnten Patienten mit einer entsprechenden genetischen und Liquor-biochemischen Konstellation von Therapiestrategien profitieren, die auf die Proteine Amyloid-beta und Tau sowie deren Stoffwechselwege abzielen.

Parkinson und Genetik

Lange Zeit galt die Parkinson-Krankheit als ein Paradebeispiel für eine sporadische, nicht-genetische Erkrankung. Allerdings wurde bei einigen Patienten eine familiäre Häufung beobachtet, was auf die Beteiligung vererbbarer Faktoren bei der Krankheitsentstehung hindeutet. Angehörige von Parkinson-Patienten haben ein etwa dreifach erhöhtes Risiko, selbst an Parkinson zu erkranken.

Lesen Sie auch: Die Stadien der Parkinson-Krankheit erklärt

In den letzten 20 Jahren wurden verschiedene Gene identifiziert, die bei Vorliegen einer Mutation ursächlich für familiäre Formen der Parkinson-Krankheit sind (autosomal dominant sowie autosomal rezessiv). Obwohl diese Mutationen selten sind, stellen sie ein wertvolles Modell dar, um die Erkrankung und ihre Vorstadien detailliert zu untersuchen. Dies trägt zu einem besseren Verständnis der zugrundeliegenden Pathophysiologie sowie zur Entwicklung einer validen Frühdiagnostik und zukünftigen neuroprotektiven Therapieansätze bei.

Darüber hinaus konnten in den letzten 10 Jahren Risikogene identifiziert werden, die als genetische Risikofaktoren sowie für die unterschiedliche Ausprägung des klinischen Bildes (Phänotyps) eine wesentliche Rolle spielen. Einige der identifizierten Gene sind sowohl als Ursache der familiär monogenetischen Formen als auch als Risikofaktor/Modifikator für die sporadische Parkinson-Krankheit und ihre phänotypische Variabilität beschrieben. Andere wiederum agieren hinsichtlich der zugrundeliegenden Pathogenese in denselben Stoffwechselwegen (z.B. mitochondrial, lysosomal, inflammatorisch).

Aktuelle Therapieansätze

Bisher besteht die Therapie der Parkinson-Krankheit neben nicht-medikamentösen Ansätzen (z.B. Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie) in der rein symptomatischen Gabe von Dopaminergika.

Neben der Identifizierung genetischer Einflüsse konnten in den vergangenen Jahren durch Erforschung von Proteinfunktionen und Stoffwechselkaskaden wegweisende Erkenntnisse der Pathophysiologie gesammelt und neue Therapiekonzepte eröffnet werden. Daran anknüpfend beginnen nun erste Studien hinsichtlich einer individualisierten Ursachen-spezifischen Therapie (Alpha-Synuklein-fokussierte Impfung, mitochondriale und lysosomale Enhancer) in einzelnen homogenen Subgruppen.

Die Lebensqualität als Therapieziel gewinnt zunehmend an Bedeutung. Eine Untersuchung von Lebensgewohnheiten und Bewältigungs-Strategien konnte zeigen, dass Betroffene, denen es gelingt, über die eigene Situation hinauszuschauen und die sich ihrer menschlichen Entscheidungsfreiheit trotz Erkrankung bewusst sind, besser mit der Erkrankung leben und ihren Alltag gestalten können. Aktivitäten des täglichen Lebens und Lebensqualität gewinnen somit nicht nur für klinische Studien an Bedeutung, sondern stellen ein unabhängiges, wesentliches Therapieziel in der Betreuung der Betroffenen dar.

Lesen Sie auch: Überblick zur Dopamin-Erhöhung bei Parkinson

Forschungsschwerpunkte in Tübingen

Die Parkinson-Krankheit ist eine komplexe Erkrankung mit multifaktoriellen Ursachen (höheres Alter per se, Umwelteinflüsse, genetische Prädispositionen lysosomaler und mitochondrialer Dysfunktionen, inflammatorische Prozesse). Es gibt eine große Heterogenität in der klinischen Ausprägung (Phänotypen) und eine große Variabilität des Verlaufs, sowohl der motorischen als auch nicht-motorischer Merkmale der Erkrankung.

Ein Forschungsschwerpunkt in Tübingen liegt auf der Klassifikation von verschiedenen Patientengruppen anhand klinischer, bildgebender sowie genetischer und molekularer Marker aus dem Blut und Nervenwasser. Dies ist die Basis für die Untersuchung unterschiedlicher Erkrankungsverläufe sowie der Identifizierung möglicher modifizierender Faktoren, deren zugrundeliegender Mechanismen und Vorhersagewert. In diesem Rahmen ist zukünftig vielleicht auch das Definieren von Progressionsmarkern und Endpunkten für mögliche Verlaufs-modifizierende Therapien möglich.

Besonderes Augenmerk gilt dabei zum einen den genetisch-assoziierten Formen der Erkrankung wie z.B. Patienten mit Mutationen im GBA und LRRK2 Gen. Zum anderen fokussiert man sich auf einen der wichtigsten Meilensteine im Verlauf der Erkrankung: die Parkinson-assoziierte Demenz. Neben biologisch-mechanistischen Aspekten interessieren die Forscher auch Frühzeichen der Demenz sowie das Zusammenspiel von dementieller Entwicklung, Alltagsaktivität und familiärem Umfeld der Patienten.

Die Parkinson-Ambulanz in Tübingen

Das Zentrum für Neurologie der Universitätsklinik Tübingen ist eines der führenden Zentren im Kompetenznetz Parkinson (KNP). Die Klinik bietet eine Spezial-Ambulanz für Patienten mit Parkinson-Syndromen und verfügt über eine lange Tradition im Bereich der Parkinson-Forschung. Ferner wurden bildgebende Verfahren zur Differentialdiagnose der Parkinson-Syndrome und zur Frühdiagnose entwickelt. Auch Methoden für Langzeittremor-Ableitung werden eingesetzt.

Tiefenhirnstimulation

Die Klinik bietet auch die Versorgung von Patienten mit Bewegungsstörungen mittels tiefer Hirnstimulation an.

Weitere Forschungsprojekte in Tübingen

Neben den genannten Schwerpunkten werden in Tübingen eine Vielzahl weiterer Forschungsprojekte zur Parkinson-Krankheit durchgeführt:

  • PPMI-Studie: Am Universitätsklinikum Tübingen (UKT) und am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH) läuft die PPMI-Studie (Parkinson’s Progression Markers Initiative) der Michael J. Fox Foundation, die nach Biomarkern für die Parkinson-Erkrankung forscht. Für diese Studie werden noch Studienteilnehmer gesucht.
  • Biobank: Gemeinsam mit dem DZNE betreibt das Zentrum für Neurologie in Tübingen weltweit eine der größten BioBanken für Parkinson. Unter höchsten Qualitätsstandards wurden zum Beispiel von Patienten mit unterschiedlichen Parkinson-Syndromen mehr als 4000 DNA-Proben, 2000 CSF- und Blutproben erfasst, die Forschern zur Verfügung stehen. Viele davon enthalten Langzeitdaten zur Entwicklung der Krankheit, was diese Proben besonders wertvoll macht.
  • Genomforschung: Das DZNE Tübingen, das HIH und die klinische Abteilung für Neurologie haben eine hochmoderne Plattform zur Genomforschung geschaffen, bei der Transkriptomik, Epigenetik, Proteomik und Hochdurchsatz-Cellomics zur Analyse von Zellen einer großen Anzahl gut charakterisierter Patienten verwendet werden.
  • Defeat Parkinson’s Platform: Die Defeat Parkinson‘s Platform wird durch institutionelle Fonds von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Universität Tübingen, dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und durch Projektfinanzierungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), der Europäischen Kommission [EK], der Michael J. Fox Foundation und anderen unterstützt.
  • Identifizierung neuer Parkinson-Gene: Eine Arbeitsgruppe widmet sich der Identifikation neuer Parkinson-Gene, der zellbiologischen und proteinbiochemischen Charakterisierung dieser Genprodukte sowie ihrer Interaktionspartner.
  • Tiermodelle: Für präklinische Therapiestudien des Morbus Parkinson (MP) sind Tiermodelle unumgänglich. In Tübingen werden verschiedene Tiermodelle generiert und charakterisiert, um die Pathogenese der Erkrankung besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu testen.
  • Fernbetreuung durch Hirnschrittmacher: Eine Studie des Universitätsklinikums Tübingen zeigt, dass Hirnschrittmacher zuverlässig aus der Ferne eingestellt werden können. Dies erspart Parkinson-Patienten lange Anfahrten und verbessert die Lebensqualität.

Andere Parkinson-Syndrome

Neben dem idiopathischen Parkinson-Syndrom gibt es auch atypische Parkinson-Syndrome, die sich in ihren Symptomen und ihrem Verlauf vom klassischen Morbus Parkinson unterscheiden. Dazu gehören:

  • Lewy-Körperchen-Demenz (DLB): Die DLB ist neben parkinson-typischen Symptomen wie Rigor und Akinese durch eine progrediente Demenz, fluktuierende Verwirrtheitsepisoden und visuelle Halluzinationen gekennzeichnet. Auf Therapie mit L-Dopa und Dopaminagonisten reagieren die Patienten häufig bei schon geringen Dosen mit Halluzinationen.
  • Multisystematrophie (MSA): Bei der Multisystematrophie handelt es sich um eine Erkrankung mit Beteiligung mehrerer verschiedener Hirnregionen, die je nach Ausmaß des Befalls als MSA-P (MSA vom Parkinsontyp) und MSA-C (MSA vom cerebellären d.h. Kleinhirntyp) bezeichnet wird. Klinisch zeigen sich neben Parkinson, cerebellären und pyramidalen Symptomen vor allem autonome Dysfunktionen (z.B. Harnverhalt, Inkontinenz, orthostatische Dysregulationen).
  • Progressive Supranukleäre Blickparese (PSP): Diese Erkrankung ist neben den Parkinson Symptomen vor allem durch eine vermehrte Fallneigung mit Stürzen nach hinten und Störung der Augenbewegungen in der Vertikalen gekennzeichnet.
  • Corticobasale Syndrom (CBS): Das Corticobasale Syndrom umfasst in seiner klinischen Präsentation verschiedene zentralnervöse Systeme und zeigt eine Kombination von asymmetrisch auftretenden Symptomen wie Bradykinese, Alien-Limb-Phänomen (Fremdheitsgefühl eines Körperteils), Apraxie (Störung in der Abfolge von Bewegungen), Dystonie, Pyramidenbahnzeichen, Tremor, Myoklonus (unwillkürliche, unregelmäßige Muskelkontraktionen).

tags: #parkinson #forschung #tübingen #aktuell