Lange haben Betroffene darauf gewartet, nun ist es endlich so weit: Das „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ wurde in Deutschland vom zuständigen Ärztlichen Sachverständigenbeirat als neue Berufskrankheit anerkannt. Dieser Schritt erfolgt mehr als zehn Jahre nachdem Frankreich Parkinson-Erkrankungen bei Landwirten als durch Pestizide verursachte Berufskrankheit anerkannt hat. Damit können nun auch in Deutschland Betroffene Anspruch auf Anerkennung und Hilfe geltend machen.
Hintergrund und Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ist das Ergebnis jahrelanger Forschung und Prüfung. Der Beirat hat den Zusammenhang zwischen verschiedenen chemischen Substanzen, insbesondere Pestiziden, und der Parkinson-Krankheit eingehend untersucht und zahlreiche tierexperimentelle und epidemiologische Belege in seinem Gutachten zusammengefasst. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass Parkinson durch hohe Pestizidexpositionen verursacht werden kann.
Die Anerkennung als Berufskrankheit ist aus mehreren Gründen von großer Bedeutung:
- Anspruch auf Unterstützung und Entschädigung: Betroffene haben Anspruch auf Unterstützung und gegebenenfalls auf Entschädigung. Zuständig sind die jeweiligen Unfallversicherungsträger (UVT), also Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen (öffentlichen Hand).
- Umfassendere medizinische Versorgung: Die Anerkennung als Berufskrankheit ist mit einer umfassenderen medizinischen Versorgung verbunden.
- Möglichkeiten lebenslanger Rentenzahlung: Betroffene erhalten Möglichkeiten lebenslanger Rentenzahlung.
- Übernahme der Kosten durch die gesetzliche Unfallversicherung: Das Besondere an der Berufskrankheit ist, dass die gesetzliche Unfallversicherung für die hierfür notwendigen Leistungen aufkommt.
- Schärfung des Bewusstseins und Schub für die Prävention: Eine neue Berufskrankheit schärft oft das Bewusstsein und bringt einen Schub für die Prävention.
Was ist Parkinson?
Die Parkinson-Krankheit ist nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste sogenannte neurodegenerative Erkrankung. Mindestens 200.000 Menschen sind in Deutschland betroffen, mit steigender Tendenz. In der Mehrzahl sind Menschen über 60 Jahre betroffen, die Krankheit kann aber auch bereits bei jungen Menschen auftreten.
Bei der Erkrankung sterben im Mittelhirn Nervenzellen (Neurone) ab, die den Botenstoff (Neurotransmitter) Dopamin produzieren. Aus Untersuchungen am Menschen und aus Tierexperimenten ist bekannt, dass die Krankheit im Darm oder im Riechnerven entsteht und sich von dort langsam Richtung Mittelhirn ausbreitet.
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Typische Symptome für »Morbus Parkinson« sind Bewegungsstörungen, Zittern, verlangsamte Bewegungen, Muskelsteifheit und Störungen des Gleichgewichts. Die Krankheit ist nicht heilbar, sie lässt sich aber mit geeigneten Therapien oft über Jahre gut kontrollieren.
Der Zusammenhang zwischen Pestiziden und Parkinson
Pestizide umfassen Mittel, die zum Schutz von Pflanzen vor anderen Pflanzen (Herbizide), Pilzen (Fungizide) und vor Insekten (Insektizide) eingesetzt werden. Der Zusammenhang zwischen verschiedenen chemischen Substanzen, v.a. Pestiziden und der Parkinson-Krankheit wird seit rund 30 Jahren untersucht.
Pestizide wie das Insektizid Rotenon können eine Fehlfaltung des für die Entstehung der Erkrankung wichtigen Proteins Alpha-Synuklein auslösen. Dieses fehlgefaltete (verklumpte) Protein induziert Fehlfaltungen in weiteren Alpha-Synuklein Molekülen und der Prozess wandert nach dem Modell der Prion-Erkrankungen über den Vagus-Nerv vom Darm langsam Richtung Mittelhirn. Dort kommt es in der sogenannten Schwarzen Substanz (substantia nigra) zu Neuronenuntergängen, was die Symptome Muskelsteifigkeit, Bewegungsverlangsamung, Ruhezittern und Störung der Stabilität der aufrechten Körperhaltung mit Sturzneigung auslöst.
Wer ist betroffen?
Als besondere Personengruppe im Sinne des zuständigen Sozialgesetzbuchs VII gelten dabei Personen, die mindestens 100 Anwendungstagen einer Pestizidgruppe wie Herbizide, Fungizide oder Insektizide ausgesetzt waren. Bei extrem hohen Belastungen, z.B. im Rahmen von Störfällen, könne eine Parkinson-Krankheit auch durch weniger als 100 Anwendungstage einer Funktionsgruppe verursacht werden.
Die Risikogruppen umfassen Landwirte, Winzer und andere Anwender von Pestiziden.
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Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit
Voraussetzung für die Anerkennung ist, dass sich Parkinson nicht als Folge einer anderen Grunderkrankung entwickelt hat und die Betroffenen mindestens 100 Tage lang mit einem Pestizid gearbeitet haben.
Wird bei einem Betroffenen die Berufskrankheit anerkannt, wird geprüft, inwiefern eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt. Die Zahlung orientiert sich am letzten Jahresbruttoverdienst des Beschäftigten.
Kritik und Verbesserungspotenzial
Das Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. hat darauf hingewiesen, dass das Verfahren der Anerkennung von Berufskrankheiten erhebliche Defizite aufweist. Der Sachverständigenbeirat hatte es langjährig versäumt, eine Bewertung des Wissenstands um die Verursachung von Krankheiten durch Pestizide bei Landwirt*innen vorzunehmen. Es ist unverständlich, warum die Anerkennung des Parkinson-Syndroms durch Pestizide als Berufskrankheit um Jahre verschleppt wurde. Es muss befürchtet werden, dass durch den langsamen Prozess und die späte Entscheidung des Beirates manche Rente und Behandlung nicht mehr in Anspruch genommen werden kann.
Prävention und Schutzmaßnahmen
Die zuständige Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt rät allen, die mit Pestiziden umgehen, Schutzkleidung zu tragen: Handschuhe, Ganzkörper-Schutzanzüge, hinreichend schützende Kabinenfahrzeuge, Atemmasken, entsprechende Schuhe und anderes mehr.
Armin Grau ergänzt: „Es ist richtig, sich bei Pestizidanwendung möglichst gut zu schützen, auch wenn man sich an Landwirte in Ganzkörperschutzanzügen auf dem Traktor erst gewöhnen müsste. Ich stimme der Gewerkschaft auch bei ihrer Empfehlung zu, am besten gar keine Pestizide zu benutzen.
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Prof. Thomas Kraus mahnt: „Wenn man PSM einsetzt, ist es wichtig, dass man sich persönlich schützt, um das Erkrankungsrisiko so gering wie möglich zu halten. Und da geht es vor allem um den Kontakt über die Haut und Atemwege. Wir können sagen: Je weniger ein Landwirt spritzt, desto niedriger ist das Risiko.“
Zum Schutzarsenal der Arbeitsmedizin zählen das Tragen von Schutzkleidung inklusive Ganzkörperschutzanzügen, Schutzhandschuhen und festem Schuhwerk sowie die Verwendung von schützenden Kabinenfahrzeugen und Atemmasken. Hierdurch lasse sich ein Kontakt zu den Giftstoffen mit hoher Sicherheit vermeiden und entsprechend das Risiko für spätere Erkrankungen deutlich reduzieren.
Die Rolle der Politik und der Landwirtschaft
Bei der Diskussion um die Pestizidreduktionsstrategie der EU muss neben dem Artensterben durch Pestizide auch der Gesundheitsschutz stärker betrachtet werden. Und dabei geht es in erster Linie um die Gesundheit der Landwirte selbst.
Es ist wichtig, dass die Landwirtschaft aus der Causa Lehren zieht und Funktionäre wählt, die sich nicht gegen sie wenden.
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