Typ-3-Diabetes: Ein möglicher Zusammenhang mit Alzheimer

Jedes Jahr entwickeln in Deutschland etwa 400.000 Menschen eine Demenz. Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) prognostiziert einen kontinuierlichen Anstieg der Betroffenen von derzeit 1,8 Millionen auf bis zu 2,7 Millionen im Jahr 2050. Viele Menschen wissen nicht, dass ein Zusammenhang zwischen Diabetes und Demenz besteht: Menschen mit Diabetes haben ein erhöhtes Risiko, an Demenz zu erkranken.

Diabetes als Risikofaktor für Demenz

Bislang sind 14 Risikofaktoren für Demenz bekannt, die grundsätzlich beeinflussbar sind und durch medizinische Vorsorge und gesunde Lebensgewohnheiten teilweise persönlich beeinflusst werden können. Zu diesen Faktoren gehören unter anderem Bluthochdruck, Übergewicht, Sehstörungen, Schwerhörigkeit, Fettstoffwechselstörungen, soziale Isolation - und auch Diabetes mellitus.

Würden alle 14 Risikofaktoren beseitigt, wären etwa 45 % aller Demenzerkrankungen vermeidbar oder könnten zumindest deutlich hinausgezögert werden. Es wird geschätzt, dass Diabetes allein zu etwa 2 % des Demenzrisikos beiträgt.

Diabetes-Prävention als Investition in die Hirngesundheit

„Die Prävention von Diabetes mellitus ist somit ein Investment in die eigene Hirngesundheit“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. „Wer mit Ernährungsumstellung und viel Bewegung seinen Lebensstil gesundheitsbewusst gestaltet, um Diabetes zu vermeiden, beugt gleichzeitig anderen Erkrankungen und Faktoren vor, die eine Demenz begünstigen, wie z. B. Übergewicht, hohe Blutfettwerte oder Bluthochdruck."

Wie Diabetes das Gehirn schädigen kann

Diabetes kann das Gehirn auf verschiedene Weise schädigen:

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  1. Veränderungen an den Gehirngefäßen: Diabetes führt zu Gefäßverkalkungen.
  2. Beeinträchtigung des Zucker- und Insulinstoffwechsels im Gehirn.
  3. Hypoglykämien: Unterzuckerungen durch Diabetestherapie, z. B. mit Insulin.

Manche Stoffwechseleigenschaften des Diabetes schädigen das Gehirn direkt - ohne Vermittlung durch den Blutzucker: Bei Diabetes-Typ-2 wurde die Abnahme der Expression von Glukosetransportern (GLUT-1 und GLUT-3) in verschiedenen Hirnregionen beobachtet, auch die Zunahme von Sauerstoffradikalen sowie mitochondriale Veränderungen, die im Zusammenhang mit den pathophysiologischen Veränderungen bei Demenz stehen könnten.

Moderne Antidiabetika und Demenzrisiko

Moderne Antidiabetika, sogenannte SGLT2-Inhibitoren, wurden bereits daraufhin getestet, ob sie auch das Demenzrisiko von Menschen mit Diabetes senken können. Eine aktuelle koreanische Studie gibt Hoffnung, denn die medikamentöse Intervention reduzierte dort das Risiko um 21 %.

Ein weiterer demenzfördernder Effekt läuft über den Insulinstoffwechsel im Gehirn, wo es zu einer Art Insulinresistenz der Hirnzellen kommen kann. Dies hat negative Auswirkungen auf die Abbauvorgänge der Eiweißstoffe.

Alzheimer als "Typ-3-Diabetes"?

Aufgrund der beschriebenen Zusammenhänge sprechen einige Forschergruppen bei der Alzheimer-Demenz vom „Diabetes Typ 3“. Die Ärztin Suzanne de la Monte prägte 2008 den Begriff ‚Diabetes Typ-3‘ für diese zerebrale (das Großhirn betreffende) Form der Insulinresistenz: demnach stellt die Alzheimer-Demenz eine Form von Diabetes dar, die sich mit Typ-2-Diabetes mellitus überschneiden, aber auch isoliert im Gehirn vorliegen kann. D.h. es gibt auch Alzheimer-Patienten mit einem zerebralem Energiedefizit, die nicht an Diabetes Typ-2 leiden. Dies sollte nicht mit dem Diabetes Typ-3c, dem sogenannten pankreatogener Diabetes, verwechselt werden. Diese Form des Diabetes entsteht durch Erkrankungen oder Verletzungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), die unter anderem die Insulinausschüttung beeinträchtigen.

Insulinresistenz im Gehirn als Ursache von Alzheimer?

Unser Gehirn ist einer der größten Glukoseverbraucher unseres Körpers. Nicht alle Areale des Gehirns benötigen das Hormon Insulin, um Glukose aufzunehmen und arbeiten somit Insulin-unabhängig. Allerdings ist dies in den Zellen des Hippocampus, also der Gehirnregion, die für unsere Gedächtniskonsolidierung verantwortlich ist und mit als erstes von Alzheimer und Demenz betroffen ist, anders: hier wird - wie Forscher kürzlich herausgefunden haben - Insulin benötigt, um die Neuronen in Zeiten mit erhöhtem Energiebedarf ausreichend mit Glukose zu versorgen. So ist es nicht erstaunlich, dass bei einer Insulinresistenz, wie beispielsweise während oder im Vorfeld einem Diabetes Typ-2, auch das Gehirn unter einer Glukosemangel leiden kann. Diese gestörte Glukose-Verwertung und die damit verbundene Energiekrise im Gehirn wurde auch in bildgebenden Verfahren, im sogenannten PET-Scan, bei Alzheimerpatienten sichtbar gemacht. Heute gilt es als gesichert, dass die Alzheimer-Erkrankung eine Folge dieser Unterversorgung des Gehirns sein kann, und dass sie eng mit dem Diabetes Typ-2 zusammenhängt. So haben Diabetiker ein ca. doppelt so hohes Risiko, an Alzheimer zu erkranken, wie Nicht-Diabetiker.

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Die Herabsetzung der Energiegewinnung im Hippocampus gilt als sehr frühes Ereignis im Zuge der Alzheimer-Erkrankung und geht der Symptomatik Jahre bis Jahrzehnte voraus. Weiterhin zeigt sich auch in Studien eine enge Korrelation zwischen dem (im PET-Scan gemessenen) zerebralen Glukosemangel und den reduzierten kognitiven Fähigkeiten von Alzheimer-Patienten. Wir wissen heute, dass der Hungerzustand des Gehirns auf Dauer zum Erliegen seiner spezifischen Funktionen und zum Absterben von Gehirnzellen führt, was sich besonders auffällig an der Einschränkung des Gedächtnisses zeigt.

Die Rolle von Insulin im Gehirn

Anders als das Muskel- und Fett-Gewebe galt das Gehirn lange Zeit als insulinunabhängiges Organ. Aber da nahezu alle Gehirnzellen sind mit Insulinrezeptoren ausgestattet sind und das Gehirn auch selbst in der Lage ist, eigenes Insulin zu produzieren, wird schnell klar, dass das Gehirn auf Insulin angewiesen ist, um zu funktionieren: Insulin hat neben der Glukoseaufnahme zahlreiche weitere wichtige Funktionen hat, darunter auch die Förderung der Synapsenbildung und der neuronalen Entwicklung, und spielt so eine Schlüsselrolle für unsere kognitive Funktion.

Wenn eine Insulinresistenz im Körper vorliegt, gelangt nur noch wenig Insulin aus dem Körperkreislauf durch die Bluthirnschranke ins Gehirn. Auch kann die hirneigene Insulinsynthese als Antwort auf die Insulinresistenz im Körper vermindert sein. Auf diese Weise entsteht ein Insulinmangel im Gehirn, der sich im Zuge der Alzheimererkrankung zu einer zerebralen Insulinresistenz entwickelt. Ein Mangel an Insulin kann aufgrund der Multifunktionalität dieses Hormons verheerende Folgen haben. Er führt - neben der Energieunterversorgung - auch zu einem Verlust der synaptischen Plastizität, zu Amyloid-ß- und neurofibrillären Ablagerungen, zu Acetylcholin-Mangel, zu oxidativem Stress, zur mitochondrialen Dysfunktion und zur Entzündung des Gehirns, der Neuroinflammation, allesamt wesentliche Bausteine in der Alzheimer-Pathologie.

Alzheimer und Diabetes: Ein Teufelskreis

Einerseits führt Diabetes zu einem häufigeren Auftreten von Demenz, andererseits führt das Vorliegen von Demenz häufiger zu Therapieproblemen wie Unterzuckerungen. Dieser Zusammenhang ist geradezu ein „Teufelskreis“, bei dem sich die Probleme gegenseitig verstärken. Die Zielwerte der Diabetesbehandlung müssen bei Menschen mit Demenz sehr individualisiert gesetzt werden. Vermutlich sind diese Zielwerte für den Blutglukosespiegel im Hinblick auf den Gesamtnutzen deutlich höher anzusiedeln.

Prävention bleibt die wichtigste Säule

Dennoch: Die Prävention bleibt die wichtigste Säule im Kampf gegen Demenz-Erkrankungen. „Diabetes-Prävention ist weitgehend auch Demenz-Prävention. Die Deutsche Diabetes Stiftung hat elf Präventionsmaßnahmen zusammengetragen, die die Deutsche Hirnstiftung mitträgt. Die aufgeführten Maßnahmen entsprechen zu großen Teilen unseren Empfehlungen für den Erhalt der Gehirngesundheit bis ins hohe Alter. Was wir allerdings noch zusätzlich zur Demenz-Prävention empfehlen, sind soziale Interaktionen und Aktivitäten, die das Gehirn fördern und fordern, z. B. das Erlernen einer Fremdsprache, eines Musikinstruments oder komplexer Schrittfolgen beim Tanzen“, erklärt Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung.

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Maßnahmen zur Demenzprävention bei Diabetes

Bedingt durch die letztlich noch unklare, sicher multifaktorielle Genese der Demenzen sollten Menschen mit Diabetes über ihr erhöhtes Risiko, aber auch über sinnvolle Maßnahmen zur Demenzprävention informiert werden. Während sich ein geringes Ausbildungsniveau als Risikofaktor nicht beeinflussen lässt, gibt es eine Reihe von anderen Bedingungen, die man ändern beziehungsweise behandeln kann.

Dazu zählen:

  • Diabetes mellitus
  • Übergewicht
  • Hypertonie
  • Depression
  • Bewegungsmangel
  • Rauchen

Und letztlich sind soziale Aktivitäten mit Freunden oder in Gruppen gut für die Seele - und das Gehirn.

Einfache Lebensstilmaßnahmen zur Vorbeugung von Insulinresistenz

Da diese Störungen lange vor den Alzheimer-typischen Symptomen auftreten, ist insbesondere das frühzeitige Erkennen und Behandeln einer Insulinresistenz entscheidend in der Prävention und Therapie der Alzheimer-Erkrankung. Und vergessen Sie bitte nicht, dass es ganz einfache Lebensstilmaßnahmen gibt, die helfen einer Insulinresistenz vorzubeugen. Die Top 3 sind:

  • Regelmäßige sportliche Betätigung
  • Verzicht auf raffinierte Zucker insbesondere sogenannten HFCS (high fructose corn sirup) - eine Mischung aus 50% Fructose und 50% Glukose, die als billiges Süßungsmittel in Industrieprodukten wie Life-Style-Getränken zum Einsatz kommt
  • Generell eine Ernährung, die der MIND-Diät oder zumindest einer mediterranen Ernährung entspricht.

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