Diabetes mellitus Typ 2 ist ein bedeutender Risikofaktor für die Entwicklung von Demenzerkrankungen, insbesondere Alzheimer und vaskuläre Demenz. Daher rückt die Frage in den Fokus, ob Diabetes-Medikamente möglicherweise auch eine schützende Wirkung gegen Alzheimer entfalten könnten. Mehrere Forschungsansätze deuten darauf hin, dass bestimmte Antidiabetika das Risiko für Demenz verringern könnten.
Der Zusammenhang zwischen Diabetes und Alzheimer
Bei Alzheimer verlieren die Gehirnzellen ihre Empfindlichkeit für Insulin, was zu einer verminderten Aufnahme von Glukose und einem Energiemangel führt. Dies ähnelt der Insulinresistenz bei Typ-2-Diabetes, bei der Muskel- und Leberzellen unempfindlich gegenüber Insulin werden. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten vermuten Forscher, dass Diabetes-Medikamente, die bereits bei der Bekämpfung der Insulinresistenz bei Diabetes helfen, auch bei Alzheimer von Nutzen sein könnten.
Metformin: Ein Hoffnungsträger in der Alzheimer-Forschung
Metformin ist ein bewährter Wirkstoff, der seit den 1960er-Jahren zur Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt wird. Es senkt den Blutzuckerspiegel, indem es die Zuckerproduktion in der Leber reduziert, die Aufnahme von Glukose im Darm verringert und die Aufnahme in Muskelzellen verbessert. Metformin ist der weltweit am häufigsten eingesetzte Wirkstoff zur Behandlung von Typ-2-Diabetes.
Beobachtungsstudien deuten auf ein geringeres Demenzrisiko hin
Mehrere Beobachtungsstudien mit Menschen, die an Typ-2-Diabetes erkrankt sind, zeigen, dass eine langjährige Einnahme von Metformin mit einem geringeren Demenzrisiko verbunden ist. Die Gründe hierfür sind noch nicht vollständig geklärt. Da Diabetes selbst das Risiko für Alzheimer und andere Demenzen jedoch deutlich erhöht, vermuten Forschende, dass Metformin hier gleich mehrfach wirkt: Es verbessert nicht nur den Blutzuckerstoffwechsel, sondern hat auch entzündungshemmende und antioxidative Eigenschaften, die Nervenzellen schützen können.
Neue Daten bestätigen den schützenden Effekt
Neue Daten zeigen zudem, dass das Demenzrisiko messbar ansteigt, wenn Metformin ohne medizinisch zwingenden Grund abgesetzt wird - und zwar unabhängig davon, ob sich der Blutzuckerspiegel danach verschlechtert oder nicht. Dies deutet darauf hin, dass der schützende Effekt über die reine Blutzuckerkontrolle hinausgeht.
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Internationale Studie bestätigt Zusammenhang
Eine große, internationale „Real-World“-Studie der Taipei-Universität in Taiwan aus dem Jahr 2025 mit mehr als 450.000 übergewichtigen Menschen bestätigt diesen Zusammenhang: Über einen Zeitraum von zehn Jahren hatten Metformin-Anwenderinnen und -Anwender ein deutlich geringeres Demenz- und Sterblichkeitsrisiko als vergleichbare Personen ohne Metformin. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind jedoch bisher noch unklar.
Aktuelle klinische Studien untersuchen die präventive Wirkung von Metformin
Aktuell werden mindestens drei klinische Studien durchgeführt, um zu klären, ob Metformin auch Menschen ohne Typ-2-Diabetes vor einer Demenz schützen kann. Der Fokus liegt dabei vor allem auf Personen mit einem erhöhten Demenzrisiko, beispielsweise aufgrund einer leichten kognitiven Beeinträchtigung (Mild Cognitive Impairment, MCI) oder bestimmter genetischer Faktoren, wie dem ApoE4-Gen.
Studien im Überblick:
- USA (Columbia University, New York): Eine Phase-2/3-Studie untersucht, ob Metformin die Gedächtnisleistung bei 326 Teilnehmenden mit amnestischem MCI stabilisieren oder verbessern kann. Die Ergebnisse werden für Mitte 2027 erwartet.
- Australien (Garvan Institute of Medical Research, Sydney): Eine ähnliche Phase-3-Studie untersucht, ob Metformin das Fortschreiten von Gedächtnisstörungen bei Personen mit MCI und Übergewicht aufhält. Ergebnisse werden Ende 2027 erwartet.
- Großbritannien (Imperial College London): In dieser Studie nehmen 600 ältere Menschen mit erhöhtem Demenzrisiko teil. Getestet wird eine Kombination aus Lebensstilprogrammen und Metformin, um herauszufinden, ob die Kombination das Demenzrisiko langfristig senken kann.
Metformin wirkt Tau-Protein-Ablagerungen entgegen
Wissenschaftler vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der University of Dundee und dem Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik haben herausgefunden, dass das Diabetes-Medikament Metformin in Nervenzellen von Mäusen einem der Hauptmerkmale der Alzheimer-Erkrankung, der Veränderung des Zellstrukturproteins Tau, entgegenwirkt. Darüber hinaus ist es ihnen gelungen, den molekularen Mechanismus dieser Wirkungsweise von Metformin aufzudecken. Metformin schützt PP2A in Nervenzellen direkt vor der Zerstörung, indem es verhindert, dass PP2A an bestimmte Abbauproteine bindet. Mehr aktives PP2A wiederum führt dazu, dass Tau weniger stark phosporyliert wird. In einem weiteren Versuch gaben die Forscher gesunden Mäusen Metformin ins Trinkwasser und beobachteten wiederum eine Herabsetzung der Tau-Phosporylierung in Zellen des Gehirns.
GLP-1-Agonisten: Vielversprechende Kandidaten für die Alzheimer-Therapie
Ozempic ist ein Medikament, das zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes verwendet wird. Sein Wirkstoff Semaglutid senkt den Blutzuckerspiegel und reduziert das Hungergefühl, was Erkrankte beim Abnehmen und dem Erhalt eines gesunden Körpergewichts unterstützt. Für die Alzheimer-Forschung besonders interessant ist die Wirkung von Semaglutid, dem Wirkstoff in Ozempic, der zur Gruppe der GLP-1-Agonisten gehört.
GLP-1-Agonisten wirken positiv auf das Gehirn
GLP-1-Agonisten sind Medikamente, die die Wirkung eines natürlichen Hormons namens GLP-1 (Glucagon-like-Peptide-1) im Körper nachahmen - einem Hormon, das eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Blutzuckerspiegels spielt. Als Medikament können GLP-1-Agonisten helfen, den Blutzuckerspiegel zu senken, indem sie das Hungergefühl verringern und die Bauchspeicheldrüse anregen, mehr Insulin zu produzieren. In frühen Studien zu Ozempic zeigte sich, dass GLP-1-Agonisten darüberhinaus positive Effekte auf das Gehirn haben könnten. So wurde beobachtet, dass die Gabe von Semaglutid kognitive Fähigkeiten verbessern und schädliche Prozesse im Gehirn, die mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden, verlangsamen kann. Dazu gehört die Reduktion von Entzündungen und die Verhinderung der Bildung der für Alzheimer typischen Beta-Amyloid-Plaques.
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Semaglutid wird in Phase-III-Studien untersucht
Derzeit wird Semaglutid in Phase-III-Studien untersucht, um seine Wirksamkeit gegen Alzheimer genauer zu erforschen. Neben Semaglutid gibt es weitere GLP-1-Agonisten, die in der Forschung ebenfalls vielversprechend sein könnten.
GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Inhibitoren könnten Alzheimer-Risiko senken
GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Inhibitoren könnten nach einer neuen Studie das Alzheimer-Risiko senken. Ähnliches hatten auch schon andere Erhebungen gezeigt. Allerdings handelt es sich nicht um randomisierte Studien, weshalb die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) im Hinblick auf Empfehlungen zur Alzheimer-Prophylaxe zurückhaltend ist. Dafür seien mehr Daten erforderlich.
Studienergebnisse deuten auf neuroprotektive Wirkung hin
Eine Metaanalyse von 23 Studien ergab eine nominelle, nicht aber statistisch signifikante Reduktion des Demenzrisikos bei Anwendung von kardioprotektiven, blutzuckersenkenden Therapien mit SGLT2-Inhibitoren, GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA) und Pioglitazon gegenüber den Kontrollen. Unter den Substanzklassen fand sich aber ein klarer, statistisch signifikanter neuroprotektiver Effekt der GLP-1-RA gegenüber den Kontrollen. Eine weitere Studie ergab sowohl für GLP-1-RA als auch für SGLT2-Hemmer eine statistisch signifikante Senkung des Risikos für Demenzen im Vergleich zu älteren glukosesenkenden Substanzklassen. Unter den GLP-1-RA reduzierte vor allem Semaglutid das Risiko, und zwar stärker als SGLT2-Inhibitoren.
Mögliche Mechanismen der neuroprotektiven Wirkung
Die genauen Mechanismen, die für die potenzielle neuroprotektive Wirkung von GLP-1-Rezeptoragonisten und SGLT2-Inhibitoren verantwortlich sind, sind noch nicht vollständig geklärt. Es gibt jedoch mehrere Hypothesen: Zum einen könnten die Medikamente, die beide ähnliche Signalwege aktivieren, die Neuroinflammation hemmen, die auch bei der Alzheimer-Erkrankung eine Rolle spielt. Ebenso könnte ihre positive Wirkung auf die Gefäßgesundheit den vor Alzheimer schützenden Effekt mit sich bringen - Hirn- und Gefäßgesundheit hängen eng miteinander zusammen.
Einschränkungen und Empfehlungen
Es handelt sich um retrospektiv gewonnene Daten, keine kontrollierten randomisierten Studien. Die Ergebnisse aus laufenden Phase-3-Studien zu den GLP-1-Rezeptor-Agonisten müssen wir abwarten. Die möglichen Risiken einer Langzeittherapie sind auch noch nicht vollständig geklärt. Die DGN empfiehlt eine gesunde Lebensführung mit Fokus auf Bewegung, gesunde Ernährung und soziale Kontakte sowie die Korrektur von Seh- und Hörstörungen.
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Pioglitazon: Antidiabetikum mit entzündungshemmenden Eigenschaften
Pioglitazon ist ein handelsübliches Antidiabetikum, das die Wirkung des körpereigenen Insulins unterstützt. Dadurch können die Körperzellen den im Blut zirkulierenden Zucker besser aufnehmen. Der Wirkstoff wird in Tablettenform eingenommen und kann den Blutzucker sowohl kurzfristig als auch im Rahmen einer langfristigen Therapie regulieren.
Studienergebnisse deuten auf reduziertes Demenzrisiko hin
Eine Analyse von Krankenkassen-Daten zeigte, dass eine Behandlung mit Pioglitazon das Risiko einer Demenz wesentlich verringern konnte. Am deutlichsten sank das Risiko, wenn Pioglitazon mindestens zwei Jahre verabreicht wurde. Statistisch gesehen erkrankten die so behandelten Diabetiker sogar weniger häufig an Demenz als Menschen ohne Diabetes.
Mögliche Mechanismen der Schutzwirkung
Experimente aus dem Labor deuten darauf hin, dass Pioglitazon die Hirnzellen schützt. Dieser Wirkstoff kann vom Blut ins Gehirn gelangen und ist entzündungshemmend. Außerdem wirkt er der Ablagerung schädlicher Eiweiße entgegen, indem er das Enzym Beta-Sekretase blockiert, das an der Entstehung solcher Eiweiß-Ablagerungen beteiligt ist.
Klinische Studien zur Prävention sind angelaufen
Bisherige Untersuchungen zur Wirkung von Antidiabetika auf Demenzerkrankungen haben sich auf Patienten konzentriert, bei denen eine Demenz bereits ausgebrochen war. Studien zur Prävention sind gerade erst angelaufen.
Neue Alzheimer-Medikamente: Ein Hoffnungsschimmer
Neben den potenziellen präventiven und therapeutischen Effekten von Diabetes-Medikamenten gibt es auch vielversprechende Entwicklungen im Bereich der Alzheimer-Medikamente selbst.
Zulassung von Antikörper-basierten Medikamenten
Am 15.04.2025 wurde von der EU-Kommission ein Medikament mit dem Antikörper Lecanemab für eine genau umrissene Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Alzheimer im Frühstadium zugelassen. Studien zufolge kann Lecanemab bei frühzeitiger Anwendung das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen. Seit 25.09.2025 ist auch ein zweites Antikörper-basiertes Alzheimermedikament in der EU zugelassen, das den Antikörper Donanemab enthält.
Viele weitere Medikamente in der Entwicklung
Rund 60 weitere Medikamente befinden sich für die Alzheimer-Therapie im vorangehenden Erprobungsstadium (Phase II) oder der Erprobung mit wenigen Kranken nach erfolglichen Tests mit Gesunden (Phase I). Viele davon sind Neuentwicklungen, andere sind bereits zur Behandlung anderer Krankheiten zugelassen.
Frühe Behandlung ist entscheidend
Viel deutet darauf hin, dass die Behandlung sehr frühzeitig begonnen werden muss, wenn sie noch wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen soll, und nicht erst, wenn die Alzheimer-Symptome schon ausgeprägt sind. Das ist möglich geworden, weil sich Zeichen der Krankheit (d.h. Beta-Amyloid und Tau-Fibrillen im Gehirn) mittlerweile mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren nachweisen lassen.
Neue Definition von Alzheimer für klinische Studien
Das National Institute on Aging and Alzheimer's Association Research Framework empfiehlt, bei klinischen Studien nur noch mit Patient:innen zu arbeiten, die die für Alzheimer charakteristischen Gehirnveränderungen aufweisen; die dafür anzuwendende biologische (statt Symptom-bezogene) Alzheimer-Definition hat das Research Framework 2018 in der Zeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht.
Ansatzpunkte für neue Therapien
Die Medikamente, die zum Aufhalten oder Verlangsamen der Alzheimer-Demenz in Entwicklung sind, greifen an verschiedenen Stellen in den Krankheitsprozess ein. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die bei Alzheimer auftretenden Plaques zwischen den Nervenzellen wesentlich zum Absterben von Nervenzellen beitragen. Deshalb setzen viele Arzneimittel-Kandidaten an der Substanz an, aus der sie bestehen: dem Beta-Amyloid-Protein. Ein Typ dieser Medikamente enthält gentechnisch hergestellte Antikörper, die sich an das Beta-Amyloid-Protein oder Vorstufen davon heften. Das Immunsystem baut dann das so markierte Protein ab, wodurch der Raum zwischen den Nervenzellen gereinigt wird. Dieser Ansatz wird auch „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ genannt.
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