Periodische Lähmung: Symptome, Ursachen, Diagnose und Behandlung

Periodische Lähmungen sind seltene, erbliche Erkrankungen der Skelettmuskulatur, die durch eine Über- oder Untererregbarkeit der muskulären Zellmembran hervorgerufen werden. Sie gehören zu den sogenannten Ionenkanalerkrankungen. Diese Gruppe von Erkrankungen umfasst eine Vielzahl von hereditären Erregungsstörungen der Muskulatur oder des Nervensystems. Die bekanntesten Beispiele sind Skelettmuskelerkrankungen (Myotonien und periodische Paralysen sowie maligne Hyperthermie), zentralnervöse Erregungsstörungen (episodische Ataxien, familiäre hemiplegische Migräne sowie bestimmte Formen dominant erblicher Epilepsien) und kardiale Arrhythmien (Long-QT-Syndrome und idiopathisches Kammerflimmern).

Was ist eine Lähmung?

Eine Lähmung ist der Verlust der Fähigkeit, sich willentlich zu bewegen. Sie kann verschiedene Ursachen haben und unterschiedliche Formen annehmen.

Formen von Lähmung

Man unterscheidet zwischen zentralen und peripheren Lähmungen:

  • Zentrale Lähmung: Hier liegt die Schädigung im Gehirn oder Rückenmark (erstes Motoneuron). Typisch ist eine Spastik, also eine Erhöhung des Muskeltonus, die sich jedoch erst im Verlauf entwickelt. Initial zeigt sich meist eine schlaffe Parese. Pyramidenbahnzeichen (z.B. Babinski-Reflex) können vorhanden sein. Ursachen können beispielsweise Demyelinisierungsprozesse der zentralen Nervenbahnen sein.
  • Periphere Lähmung: Hier ist das zweite Motoneuron oder der Muskel selbst betroffen. Periphere Nervenschädigungen können beispielsweise durch Traumata, Entzündungen oder Stoffwechselerkrankungen entstehen.

Ursachen

Periodische Lähmungen sind in der Regel genetisch bedingt. Ursache sind Mutationen in Genen, die für Ionenkanäle in Muskelzellen codieren. Diese Ionenkanäle spielen eine wichtige Rolle bei der Erregungsleitung in Muskelzellen. Je nach betroffenem Ionenkanal und Art der Mutation kann es zu einer Über- oder Untererregbarkeit der Muskelmembran kommen, was sich in Muskelsteifigkeit (Myotonie) oder Muskelschwäche bzw. Lähmung äußert.

Die periodischen Lähmungen werden typischerweise mit Abweichungen des Blutkaliumspiegels in Verbindung gebracht. Es gibt zwei Hauptformen:

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  • Hypokaliämische periodische Paralyse (HypoPP): Hier kommt es während der Lähmungsanfälle zu einem Abfall des Kaliumspiegels im Blut.
  • Hyperkaliämische periodische Paralyse (HyperPP): Bei dieser Form kommt es während der Anfälle zu einem Anstieg des Kaliumspiegels im Blut, obwohl der Kaliumspiegel während eines Anfalls oft nicht über dem Normalwert liegt.

Es ist wichtig zu beachten, dass auch sekundäre Hypokaliämien, die auf einer anderen Grunderkrankung basieren, ähnliche Muskelschwächen verursachen können. Daher ist eine sorgfältige Abklärung wichtig.

Symptome

Die Symptome periodischer Lähmungen sind vielfältig und können von Patient zu Patient variieren. Typisch sind wiederkehrende Episoden von Muskelschwäche oder Lähmung, die Minuten bis Stunden andauern können. Die Symptome manifestieren sich im Allgemeinen nach Erreichen des Adoleszenzalters.

Hypokaliämische periodische Paralyse (HypoPP)

  • Lähmungsanfälle: Treten typischerweise nachts oder in den frühen Morgenstunden auf. Seelische Erregung, Kälteexposition, kohlenhydratreiche Mahlzeiten sowie vorausgegangene starke körperliche Belastungen provozieren diese Anfälle aber ebenfalls. Die Lähmung setzt Schritt für Schritt ein. Manchmal können der Lähmung andersartige Beschwerden vorausgehen. Danach entwickelt sich zunehmend eine symmetrisch ausgeprägte Muskelschwäche. Sie setzt rumpfnahe an Schulter- und Beckengürtel ein, und schreitet binnen weniger Stunden Richtung Rumpf und Hals fort.
  • Betroffene Muskeln: Hauptsächlich die rumpfnahen Extremitäten (Schultern, Hüften). Die Muskulatur, die von den Hirnnerven versorgt wird, ist in der Regel nicht beteiligt. Auch die Atemmuskulatur ist normalerweise nicht befallen.
  • Dauer: Stunden bis Tage.
  • Begleitende Symptome: Abgeschwächte oder erloschene Muskeleigenreflexe, herabgesetzter Muskeltonus. Selten betrifft die Atonie die Muskulatur innerer Organe (Darm- oder Blasenatonie). Die Sensibilität scheint gewahrt zu sein.
  • Chronische Myopathie: Langfristig kann sich eine chronisch fortschreitende Muskelerkrankung entwickeln, die vor allem die Schulter- und Beckengürtelmuskulatur betrifft.

Hyperkaliämische periodische Paralyse (HyperPP)

  • Lähmungsanfälle: Werden oft durch Kaliumaufnahme, Ruhe nach starker körperlicher Belastung, Diäten oder Kälteexposition ausgelöst.
  • Betroffene Muskeln: Typischerweise die Beine, mit Ausbreitungstendenz Richtung Rumpf. Mimische Muskulatur und Pharynxmuskulatur können ebenfalls betroffen sein. Eine Beteiligung der Atemmuskulatur ist selten.
  • Dauer: Weniger schwer und kürzer als bei der HypoPP, meist Minuten bis Stunden. Mitunter treten sie täglich auf.
  • Begleitende Symptome: Durstgefühl. Durch Kälte kann eine myotone Reaktion ausgelöst werden. Dies äußert sich zB durch ein gestörtes Artikulationsvermögen nach dem Genuss kalter Speisen, oder in einer feinmotorischen Ungeschicklichkeit der Hände nach dem Baden in kaltem Wasser.

Weitere Symptome und Differentialdiagnosen

Es ist wichtig, periodische Lähmungen von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abzugrenzen. Dazu gehören:

  • Psychogene Lähmung: Kann ein ähnliches Beschwerdebild und eine ähnliche Anamnese (Auftreten nach körperlicher Belastung) aufweisen.
  • Narkolepsie: Der Verlust des Muskeltonus tritt viel plötzlicher auf als bei der hyperkaliämischen Lähmung. Auch ist die Atemmuskulatur nicht beteiligt.
  • Myotone Dystrophie: Auch hier kann es zu Muskelschwäche und Myotonie kommen.
  • Restless-Legs-Syndrom (RLS): PLMS hängen oft mit dem Restless Legs Syndrom zusammen, können aber auch als eigenständige Schlafstörung auftreten.
  • Einschlafzuckungen: Diese Zuckungen, die ab und an kurz vor dem Einschlafen als plötzliches Zusammenzucken des kompletten Körpers in Erscheinung treten, sind vollkommen normal und wirken sich weder auf den Schlaf noch die Wachheit aus.
  • Maligne Hyperthermie (MH): Die maligne Hyperthermie ist ein lebensbedrohliches Krankheitsbild, das bei entsprechender Disposition insbesondere durch Inhalationsnarkotika und depolarisierende Muskelrelaxanzien ausgelöst wird. Medikamenteninduziert kommt es zu einer pathologischen Ausschüttung von Calcium aus dem sarkoplasmatischen Retikulum, was klinisch Tachykardie, Anstieg des pCO2, eine generalisierte Tonuserhöhung und einen raschen Anstieg der Körpertemperatur zur Folge hat.

Diagnose

Die Diagnose periodischer Lähmungen basiert auf der Anamnese, der klinischen Untersuchung und verschiedenen diagnostischen Tests.

  • Anamnese: Erhebung der Krankheitsgeschichte, insbesondere der Häufigkeit, Dauer und Auslöser der Lähmungsanfälle. Wichtige Hinweise liefert oft der Bettpartner.
  • Klinische Untersuchung: Neurologische Untersuchung zur Beurteilung von Muskelkraft, Reflexen und Sensibilität.
  • Laboruntersuchungen: Bestimmung des Kaliumspiegels im Blut während und außerhalb der Anfälle. Auch andere Elektrolyte, Nierenwerte, Schilddrüsenwerte und Muskelenzyme werden überprüft, um andere Ursachen auszuschließen.
  • Elektromyographie (EMG): Messung der elektrischen Aktivität der Muskeln. Während des Anfalls sind die Einzelpotenziale niedrig und kurz. Durch Kälte kann eine myotone Reaktion ausgelöst werden.
  • Elektrokardiogramm (EKG): Überprüfung der Herzfunktion, da Kaliumveränderungen Herzrhythmusstörungen verursachen können. Auffällig ist das Elektrokardiogramm (EKG).
  • Genetische Untersuchung: Kann durchgeführt werden, um Mutationen in den bekannten Genen für periodische Lähmungen nachzuweisen.
  • Muskelbiopsie: Entnahme einer Muskelprobe zur mikroskopischen Untersuchung. In der Muskelbiopsie lassen sich bei der hypokaliämischen periodischen Lähmung während des Anfalls zentrale Vakuolen in den Muskelfasern nachweisen, die erweiterten Transversal-Tubuli entsprechen.
  • Provokationstests: Früher wurden Anfälle durch die Beeinflussung des Glykogenhaushalts (Verabreichung von Kohlenhydraten, Insulin, ACTH) provoziert. Diese Provokationstests sind, vor allem wegen der damit verbundenen Komplikationen nicht ratsam.
  • MRT-Untersuchung: Kernspintomographien (MRT) können bei Betroffenen Natrium- und Wassereinlagerungen feststellen.

Therapie

Die Therapie periodischer Lähmungen zielt darauf ab, die Häufigkeit und Schwere der Anfälle zu reduzieren und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern.

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Akutbehandlung (während eines Anfalls)

  • Hypokaliämische periodische Paralyse: Verabreichung von Kaliumchlorid, vorzugsweise oral. Eine intravenöse Verabreichung sollte nur in Notfällen erfolgen und unter EKG-Kontrolle geschehen. Eine parallele Infusion von Glukose oder NaCl ist zu vermeiden, da beide Substanzen den Kaliumspiegel zusätzlich senken würden.
  • Hyperkaliämische periodische Paralyse: Intravenöse Infusion mit Kalziumglukonat (1-2 g). Alternativ kann die Hyperkaliämie auch mit der parallelen Infusion von Glukose und Insulin beseitigt werden.

Intervalltherapie (zwischen den Anfällen)

  • Allgemeine Maßnahmen:
    • Hypokaliämische periodische Paralyse: Einschränkung des Konsums kohlenhydratreicher Kost und Kochsalz. Besonders abends sollten kohlenhydratreiche Nahrungsmittel möglichst vermieden werden. Vermeidung von Auslösern wie Kälte, Stress und starker körperlicher Belastung.
    • Hyperkaliämische periodische Paralyse: Beschränkung des Verzehrs kaliumreicher Nahrungsmittel (Bananen). Empfehlenswert ist eine kohlenhydratreiche Diät und eine ausreichend hohe Kochsalzzufuhr.
  • Medikamentöse Therapie:
    • Azetazolamid: Ein Carboanhydrasehemmer, der sowohl bei HypoPP als auch bei HyperPP zur Anfallsprophylaxe eingesetzt werden kann. Paradoxer weise sinkt durch diese Maßnahme der Kaliumspiegel. Die Therapie ist somit nicht ganz risikolos. Der Grund, warum Azetazolamid einen schützenden Effekt hat, ist nicht ganz klar. Man nimmt an, dass der schützende Effekt durch die Senkung des Blut-pH-Spiegels bedingt ist.
    • Thiaziddiuretika: Können bei HyperPP die Schwere und Frequenz der Anfälle reduzieren.
    • Kaliumsparende Diuretika (Triamteren, Spironolakton): Können in Einzelfällen bei HypoPP eingesetzt werden.
    • Lithium: Wird selten bei HypoPP eingesetzt.

Weitere Therapieansätze

  • Maligne Hyperthermie: Therapeutisch steht mit Dantrolen eine Substanz zur Verfügung, die direkt die Calciumfreisetzung aus dem sarkoplasmatischen Retikulum blockiert.
  • Kongenitale myasthene Syndrome: Hier gibt es verschiedene Therapieansätze, je nach zugrunde liegendem Defekt.

Leben mit periodischer Lähmung

Patienten mit periodischen Lähmungen müssen lernen, mit ihrer Erkrankung umzugehen und ihren Lebensstil entsprechend anzupassen. Dazu gehört:

  • Vermeidung von Auslösern: Identifizierung und Vermeidung von Faktoren, die Lähmungsanfälle auslösen können (z.B. bestimmte Nahrungsmittel, Kälte, Stress).
  • Regelmäßige Kaliumkontrolle: Überwachung des Kaliumspiegels im Blut, insbesondere bei HypoPP.
  • Körperliche Aktivität: Regelmäßige, moderate körperliche Aktivität kann helfen, die Muskelkraft zu erhalten. Allzu starke Muskelbelastung sollte jedoch vermieden werden.
  • Ernährung: Anpassung der Ernährung an die jeweilige Form der periodischen Lähmung (z.B. kohlenhydratarme Ernährung bei HypoPP, kaliumarme Ernährung bei HyperPP).
  • Psychologische Unterstützung: Eine psychologische Betreuung kann helfen, mit den Einschränkungen der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.

Matthias, ein Patient mit Paramyotonia Congenita, hat gelernt, mit seiner Kälteempfindlichkeit umzugehen und seinen Alltag entsprechend zu gestalten. Er vermeidet Hallenbäder, Seen und Stadionbesuche bei kühlen Temperaturen. Auch bei seiner Berufswahl musste er Einschränkungen hinnehmen, hat aber einen Weg gefunden, seine Interessen und Fähigkeiten in seinem Beruf als naturwissenschaftlicher Doktorand einzubringen.

Forschung

Die Forschung im Bereich der periodischen Lähmungen konzentriert sich auf das bessere Verständnis der Krankheitsmechanismen und die Entwicklung neuer Therapieansätze. Ein vielversprechender Ansatz ist die Untersuchung der Natrium- und Wassereinlagerungen in den Muskeln von Patienten mit HypoPP mithilfe von Kernspintomographie. Die Entwicklung hochmoderner Magnetresonanztomographen ermöglicht es, die Verteilung von Chlorid im Blut und in den Muskelzellen noch besser zu bestimmen.

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