Die hypokaliämische periodische Lähmung (HypoPP) ist eine seltene, erblich bedingte Muskelerkrankung, die durch wiederkehrende Episoden von Muskelschwäche oder Lähmung gekennzeichnet ist. Diese Episoden gehen typischerweise mit einem Abfall des Kaliumspiegels im Blut einher.
Was sind periodische Paralysen?
Die periodischen Paralysen sind eine Gruppe von Muskelerkrankungen, die durch immer wiederkehrende, vorübergehende Lähmungen gekennzeichnet sind. Diese Lähmungen können plötzlich oder allmählich beginnen und sich innerhalb von Stunden oder Tagen zurückbilden. Bewusstsein und Sprache sind dabei nicht beeinträchtigt, und auch die Atemmuskulatur ist meist weniger betroffen. Ursächlich sind Störungen in den Ionenkanälen der Muskelzellen, die die elektrische Muskelaktivität steuern. Die Vererbung erfolgt autosomal dominant.
Formen periodischer Paralysen
Man unterscheidet verschiedene Formen periodischer Paralysen, die sich anhand des Kaliumgehalts im Blut während der Lähmungsanfälle unterscheiden lassen:
- Hypokaliämische periodische Paralyse (HypoPP): Hierbei ist der Kaliumgehalt im Blut während der Lähmungsanfälle erniedrigt.
- Hyperkaliämische periodische Paralyse (HyperPP): Hierbei ist der Kaliumgehalt im Blut während der Lähmungsanfälle erhöht.
- Normokaliämische periodische Paralyse: Bei dieser Form sind die Kaliumwerte während der Lähmungsanfälle normal.
Ursachen der hypokaliämischen periodischen Lähmung
Die HypoPP ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, die auf genetischen Veränderungen in Genen beruht, die für muskuläre Kalzium-, Natrium- oder Kaliumkanäle kodieren. Bei etwa 60 % der Patienten mit HypoPP lassen sich Mutationen im CACNA1S-Gen nachweisen. Dieses Gen codiert für die alpha-1-Untereinheit des muskulären spannungsgesteuerten Calcium-Kanals CaV1.1. Seltener sind Mutationen in den Genen SCN4A (Natriumkanal) oder KCNE3 (Kaliumkanal) die Ursache. Diese Mutationen führen zu einer Störung des Kaliumtransports in die Muskelzellen, was zu einer verminderten Erregbarkeit der Muskelzellen und somit zu Lähmungserscheinungen führt.
Symptome der hypokaliämischen periodischen Lähmung
Die HypoPP ist durch episodische Anfälle von Muskelschwäche oder Lähmung gekennzeichnet. Die Lähmungen betreffen oft alle vier Gliedmaßen gleichzeitig, können aber auch nur einzelne Extremitäten oder den gesamten Körper betreffen. Hals und Kopf sind in der Regel nicht betroffen. Die Ausprägung der Lähmung kann von einer leichten Schwäche bis hin zu einer kompletten Lähmung variieren.
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Weitere Symptome, die während eines Anfalls auftreten können, sind:
- Muskelschmerzen
- Muskelkrämpfe
- Müdigkeit
- Herzrhythmusstörungen
Die Anfälle dauern in der Regel mehrere Stunden bis Tage an. Die Häufigkeit der Anfälle ist unterschiedlich und kann von täglich bis selten variieren. Typischerweise beginnen die ersten Symptome vor dem 20. Lebensjahr, wobei die Anfallshäufigkeit zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr ihren Höhepunkt erreicht.
Auslöser von Lähmungsanfällen
Es gibt verschiedene Faktoren, die Lähmungsanfälle bei HypoPP-Patienten auslösen können:
- Kohlenhydratreiche Mahlzeiten: Eine kohlenhydratreiche Ernährung kann zu einem schnellen Anstieg des Blutzuckerspiegels und einer vermehrten Insulinausschüttung führen. Insulin fördert den Kaliumtransport in die Zellen, was zu einem Abfall des Kaliumspiegels im Blut führen kann.
- Ruhe nach körperlicher Anstrengung: Nach körperlicher Anstrengung kann es zu einem Abfall des Kaliumspiegels im Blut kommen, was einen Anfall auslösen kann.
- Stress: Stress kann die Ausschüttung von Adrenalin fördern, was ebenfalls zu einem Abfall des Kaliumspiegels im Blut führen kann.
- Alkohol: Alkoholkonsum kann den Kaliumhaushalt stören und einen Anfall auslösen.
- Kälte: Kälte kann bei manchen Patienten Lähmungsanfälle auslösen.
- Bestimmte Medikamente: Einige Medikamente, wie z.B. Diuretika, können den Kaliumspiegel im Blut senken und Anfälle auslösen.
- Hormonelle Veränderungen: Bei Frauen können hormonelle Veränderungen, z.B. im Zusammenhang mit der Menstruation oder einer Schwangerschaft, Anfälle auslösen.
- Progesteron: Die Einnahme von Progesteron kann bei manchen Betroffenen Lähmungen auslösen.
Diagnose der hypokaliämischen periodischen Lähmung
Die Diagnose der HypoPP basiert auf der Anamnese, der klinischen Untersuchung und verschiedenen diagnostischen Tests:
- Anamnese: Der Arzt wird nach der Krankengeschichte des Patienten fragen, insbesondere nach dem Auftreten von Lähmungsanfällen und möglichen Auslösern. Auch die Familienanamnese ist wichtig, da die HypoPP eine erbliche Erkrankung ist.
- Klinische Untersuchung: Der Arzt wird den Patienten neurologisch untersuchen, um Muskelschwäche oder andere neurologische Auffälligkeiten festzustellen.
- Blutuntersuchungen: Während eines Anfalls wird der Kaliumspiegel im Blut gemessen. Bei HypoPP-Patienten ist dieser Wert erniedrigt. Auch andere Blutwerte, wie z.B. die Kreatinkinase (CK), können erhöht sein.
- Elektromyographie (EMG): Das EMG ist eine Untersuchung, bei der die elektrische Aktivität der Muskeln gemessen wird. Bei HypoPP-Patienten können im EMG Auffälligkeiten festgestellt werden.
- Genetische Untersuchung: Eine genetische Untersuchung kann durchgeführt werden, um Mutationen in den Genen CACNA1S, SCN4A oder KCNE3 nachzuweisen.
- Provokationstests: In seltenen Fällen können Provokationstests durchgeführt werden, um einen Anfall auszulösen. Dabei wird dem Patienten z.B. Glukose oder Insulin verabreicht, um den Kaliumspiegel im Blut zu senken.
Differentialdiagnose
Es gibt andere Erkrankungen, die ähnliche Symptome wie die HypoPP verursachen können. Dazu gehören:
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- Hyperkaliämische periodische Paralyse (HyperPP)
- Normokaliämische periodische Paralyse
- Thyreotoxische hypokaliämische Lähmung: Diese Form tritt im Rahmen einer Schilddrüsenüberfunktion auf.
- Andersen-Tawil-Syndrom: Eine sehr seltene Form der episodischen Paralyse, die mit Herzrhythmusstörungen und skelettalen Anomalien einhergeht.
- Myotone Dystrophie: Eine andere Muskelerkrankung, die mit Muskelschwäche und Myotonie (Muskelsteifheit) einhergeht.
Behandlung der hypokaliämischen periodischen Lähmung
Die Behandlung der HypoPP zielt darauf ab, die Häufigkeit und Schwere der Lähmungsanfälle zu reduzieren und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Die Behandlung umfasst in der Regel:
- Akutbehandlung: Während eines Anfalls wird Kalium oral oder intravenös verabreicht, um den Kaliumspiegel im Blut zu erhöhen und die Lähmung zu beheben.
- Prophylaktische Behandlung: Um Anfälle zu verhindern, können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden:
- Ernährungsumstellung: Patienten sollten kohlenhydratreiche Mahlzeiten vermeiden und stattdessen auf eine kaliumreiche Ernährung achten. Auch regelmäßige Mahlzeiten und die Vermeidung von Fastenperioden können helfen, Anfälle zu verhindern.
- Vermeidung von Auslösern: Patienten sollten versuchen, die individuellen Auslöser ihrer Anfälle zu identifizieren und zu vermeiden.
- Medikamentöse Therapie: Verschiedene Medikamente können zur Vorbeugung von Anfällen eingesetzt werden:
- Carboanhydrasehemmer (z.B. Acetazolamid): Diese Medikamente senken den Kaliumspiegel im Blut zwar leicht, können aber dennoch die Anfallshäufigkeit reduzieren. Um einem Kaliumverlust entgegenzuwirken, sollte zusätzlich Kalium gegeben werden.
- Aldosteronantagonisten (z.B. Spironolacton, Eplerenon): Diese Medikamente wirken dem Aldosteron entgegen, einem Hormon, das den Kaliumverlust über die Nieren fördert.
- Kaliumsparende Diuretika: Diese Medikamente erhöhen die Kaliumausscheidung über die Nieren nicht.
Weitere Maßnahmen
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die Muskelkraft und Ausdauer zu verbessern und Muskelabbau vorzubeugen.
- Psychologische Betreuung: Die HypoPP kann für die Betroffenen und ihre Familien eine große Belastung darstellen. Eine psychologische Betreuung kann helfen, mit der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.
Spezielle Hinweise für die Narkose
Bei Patienten mit HypoPP sind bei Narkosen einige Besonderheiten zu beachten:
- Kontraindizierte Medikamente: Fenoterol (zur Wehenhemmung) und Succinylcholin (Muskelrelaxans) sind kontraindiziert, da sie die myotone Symptomatik massiv verstärken können.
- Vorsicht bei Muskelrelaxanzien: Bei der Verwendung von nicht-depolarisierenden Muskelrelaxanzien ist Vorsicht geboten, da der Relaxansbedarf vermindert sein kann.
- Vermeidung von Stress: Bei der Wahl des Anästhesieverfahrens ist auf eine genügende Abschirmung gegen endogene Katecholamine (Stresshormone) zu achten.
- Postoperative Beatmung: Postoperativ kann aufgrund der muskulär bedingten respiratorischen Insuffizienz eine Fortführung der maschinellen Beatmung indiziert sein.
Forschung und Ausblick
Die Forschung zur HypoPP ist weiterhin aktiv. Ziel ist es, die Pathophysiologie der Erkrankung besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu entwickeln. So arbeiten Forscher beispielsweise daran, die Bedeutung des Kaliums bei Muskelerkrankungen noch besser zu untersuchen.
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