Capsaicin-Pflaster gegen Polyneuropathie: Wirksamkeit und Anwendung

Periphere neuropathische Schmerzen stellen eine komplexe und schwer zu therapierende Herausforderung dar. Sie entstehen durch Schädigung peripherer Nervenfasern und erfordern eine individuell auf das Beschwerdebild des Patienten ausgerichtete Behandlung. Eine neue Therapieoption bietet ein Pflaster mit hochdosiertem Capsaicin (8%), welches die therapeutischen Möglichkeiten um eine besonders lang wirksame Behandlungsoption erweitert.

Entstehung und Charakteristika neuropathischer Schmerzen

Neuropathische Schmerzen entstehen als direkte Folge einer Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Systems. Die Nervenschädigung kann sowohl Strukturen in Gehirn und Rückenmark (zentrale Neuropathie) als auch periphere Nerven (periphere Neuropathie) betreffen und dementsprechend zu einem unterschiedlichen klinischen Bild führen. Die Prävalenz für neuropathische Schmerzen insgesamt liegt weltweit zwischen 3 und 8%. Zu den häufigsten Ursachen der Nervenschädigung zählen Herpes-Zoster-Infektionen, Diabetes mellitus und HIV-Infektionen.

Periphere neuropathische Schmerzen sind durch chronisch brennende oder stechende Schmerzen gekennzeichnet, häufig auch durch einschießende, attackenartige Schmerzen oder Dysästhesien. Bei einigen Patienten lassen sich selbst durch normalerweise nicht schmerzhafte Reize Schmerzen hervorrufen (Allodynie). So kann das Bestreichen des Hautareals mit einem Wattestäbchen oder mit dem Finger Schmerzsensationen erzeugen. Die jeweiligen Empfindungen der Patienten hängen davon ab, welche Fasersysteme betroffen sind. Bei einer Schädigung von A-beta-Fasern klagen die Patienten häufig über ein pelziges Gefühl, Kribbeln oder ein Gefühl des Eingeschnürtseins. Wenn A-delta- oder C-Fasern geschädigt sind, herrschen in der Regel brennende Dysästhesien vor.

Individuelle Therapieansätze bei neuropathischen Schmerzen

So wie die Symptomatik erhebliche interindividuelle Unterschiede aufweist, ist auch das therapeutische Vorgehen in höchstem Maße individuell. Die Auswahl der Medikation richtet sich nach der zugrundeliegenden Schmerzentität und der Symptomkonstellation sowie nach den Komorbiditäten. Bisher besteht in der Therapie neuropathischer Schmerzen ein erheblicher ungedeckter Bedarf. Zahlreiche Patienten werden mit nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt, obschon es keine Evidenz für ihre Wirksamkeit in dieser Indikation gibt und ihr Einsatz mit einem Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen verbunden ist.

Capsaicin-Pflaster: Wirkweise und Anwendung

Eine neue Möglichkeit zur Behandlung peripherer neuropathischer Schmerzen bei nichtdiabetischen erwachsenen Patienten ist ein Pflaster mit hochdosiertem Capsaicin (8%, QutenzaTM). Nach Applikation stimuliert der Wirkstoff den TRPV1(Transient receptor potential vanilloid 1)-Rezeptor auf kutanen Nervenfasern. Die hohe Dosis von Capsaicin führt nach einer initialen Schmerzzunahme zu einem reversiblen Funktionsverlust der nozizeptiven Afferenzen und bewirkt so eine Schmerzlinderung. Der Wirkstoff ist in ein modernes kutanes Applikationssystem eingebettet, das eine rasche Freisetzung und Aufnahme in die Haut ermöglicht. Die Hautstelle im Bereich der schmerzhaften Körperregion, auf die das Pflaster aufgeklebt werden soll, wird vor der Applikation mit einem topischen Lokalanästhetikum vorbehandelt, um die Nervenfasern kurzfristig auszuschalten und die Schmerzwirkung der TRPV1-Stimulation zu reduzieren. Das Pflaster wird nach 30 Minuten (im Bereich des Fußes) beziehungsweise 60 Minuten (am Rumpf) wieder entfernt.

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Die analgetische Wirksamkeit des neuen Pflasters wurde bei Patienten mit postherpetischer Neuralgie (PHN) und HIV-assoziierter distal sensorischer Polyneuropathie (HIV) nachgewiesen. In den Studien führte die einmalige Applikation zu einer gegenüber einem Kontrollpflaster (mit niedrig dosiertem Capsaicin) signifikanten Schmerzreduktion (primärer Endpunkt: Veränderung des durchschnittlichen Schmerzes innerhalb der letzten 24 Stunden, gemessen als NPRS Score [numeric pain rating scale] über Woche 2-8 [PHN] bzw. Woche 2-12 [HIV], gegenüber dem Ausgangswert). Die Wirkung setzte bereits in der ersten Woche ein und blieb sowohl bei Patienten mit postherpetischer Neuropathie als auch bei Patienten mit HIV-assoziierter Neuropathie über 12 Wochen erhalten.

Bei Patienten mit postherpetischer Neuropathie betrug die mittlere Schmerzreduktion in Woche 2-8 29,6% (Kontrolle: 19,6%; p<0,001), und 44% der Patienten erreichten eine Schmerzlinderung um mindestens 30% in den Wochen 2-12.

Anwendungshinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Bei der Anwendung des Pflasters ist Vorsicht geboten, sie sollte daher von einem Arzt oder einer medizinischen Fachkraft unter Aufsicht eines Arztes durchgeführt werden. Akute Schmerzen während und nach der Behandlung können durch örtliche Kühlung oder mit oralen Analgetika (z.B. kurzwirksamen Opioiden) behandelt werden. Bei Bedarf kann die Anwendung alle 90 Tage wiederholt werden.

Capsaicin-Pflaster müssen von einem Arzt oder unter der Aufsicht eines Arztes angewendet werden. Schmerzhafte Hautreale sollten von einem Arzt ermittelt und auf der Haut markiert werden. Es soll an den Füßen (z. B. bei HIV-assoziierter Neuropathie oder schmerzhafter diabetischer Neuropathie) 30 Minuten und an anderen Stellen (z. B. bei postherpetischer Neuralgie) 60 Minuten appliziert bleiben. Das Behandlungsareal kann vor der Applikation mit einem topischen Anästhetikum behandelt oder dem Patienten kann ein orales Analgetikum verabreicht werden, um eventuelle applikationsbedingte Beschwerden zu reduzieren. Das topische Anästhetikum sollte auf das gesamte zu behandelnde Areal und die umgebenden 1 bis 2 cm aufgetragen und gemäß der Produktinformation des jeweiligen Arzneimittels angewendet werden. In klinischen Studien wurden die Patienten mit topischem Lidocain (4%), Lidocain (2,5%)/Prilocain (2,5%) oder mit 50 mg Tramadol vorbehandelt.

Mögliche Nebenwirkungen und Kontraindikationen

Die am häufigsten berichteten Nebenwirkungen an der Applikationsstelle waren Brennen, Schmerzen, Erythem und Pruritus, die vorübergehend und lokal auftraten. Es wurden keine formalen Wechselwirkungsstudien mit anderen Arzneimitteln durchgeführt, da mit Capsaicin-Pflastern nur eine vorübergehende geringfügige systemische Resorption während der Behandlung festgestellt wurde.

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Capsaicin-Creme darf nicht in der Nähe der Augen oder auf Schleimhäute aufgebracht werden. Es wird empfohlen, sich nicht im Anwendungsbereich zu kratzen, um Hautverletzungen zu vermeiden. Zusätzliche Wärmezufuhr (z.B. durch Sonnen-/Infrarot-Bestrahlung oder Heizkissen oder warmes Wasser) während der Behandlung sollte vermieden werden. Die Wärmewirkung kann durch körperliche Aktivität (Schwitzen) verstärkt werden. Die Anwendung ist abzubrechen falls die Wärmewirkung als zu stark empfunden wird. In diesem Fall können überschüssige Cremereste mit kaltem Wasser oder einer Hautcreme entfernt werden. Eine großflächige Anwendung ist zu vermeiden. Es sollte beachtet werden, dass die Wärmewirkung erst einige Zeit nach Auftragen der Creme auftreten kann.

Bei Patienten mit einer schmerzhaften diabetischen Neuropathie sollte vor jeder Applikation und bei den folgenden Arztbesuchen eine sorgfältige Untersuchung der Füße vorgenommen werden, um Hautläsionen in Zusammenhang mit der zugrundeliegenden Neuropathie oder vaskulären Insuffizienz zu diagnostizieren. Für einen Einzelfall einer dauerhaften Hypoästhesie in einer klinischen Studie bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie konnte ein Zusammenhang mit Capsaicin-Pflastern nicht ausgeschlossen werden. Daher ist bei Patienten mit beeinträchtigter Wahrnehmung in den Füßen und Patienten mit erhöhtem Risiko für derartige Einschränkungen der sensorischen Funktion Vorsicht geboten. Alle Patienten mit vorher bestehender Beeinträchtigung der sensorischen Funktion sollten vor jeder Applikation auf Anzeichen eines Verlustes der sensorischen Wahrnehmung hin klinisch untersucht werden.

Infolge einer behandlungsbedingten Zunahme der Schmerzen kann es während und kurz nach der Behandlung mit Capsaicin-Pflastern zu einem vorübergehenden Blutdruckanstieg (um durchschnittlich < 8,0 mmHg) kommen. Der Blutdruck sollte während der Behandlung überwacht werden. Bei Patienten mit instabiler oder schlecht eingestellter Hypertonie oder mit einer Vorgeschichte einer kardiovaskulären Erkrankung sollte das Risiko unerwünschter kardiovaskulärer Ereignisse durch den potenziellen Stress des Behandlungsverfahrens bedacht werden, bevor die Behandlung eingeleitet wird.

Patienten, die hohe Dosen von Opioiden anwenden, sprechen unter Umständen auf orale Opioidanalgetika, die zur akuten Schmerzlinderung während und nach der Behandlung eingesetzt werden (können), nicht an.

Anwendung in Schwangerschaft und Stillzeit

Capsaicin-Pflaster: Es liegen keine bzw. wenige Daten über die Anwendung von Capsaicin bei Schwangeren vor. Aufgrund der Humanpharmakokinetik, die eine vorübergehende geringfügige systemische Exposition gegenüber Capsaicin zeigt, ist die Wahrscheinlichkeit für Entwicklungsanomalien, wenn es während der Schwangerschaft angewendet wird, sehr gering. Das Stillen sollte während der Pflaster-Behandlung unterbrochen werden.

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Capsaicin: Ein Wirkstoff mit langer Tradition

Capsaicin wird als pharmazeutischer Wirkstoff in Form von Pflastern oder Salben gegen verschiedene Schmerzformen und Durchblutungsstörungen eingesetzt. Typische Anwendungsgebiete sind Schmerzen durch Verspannungen, Sportverletzungen, Nervenschmerzen oder periphere rheumatische Schmerzen. Chemisch handelt es sich um ein Alkaloid, genauer gesagt um ein zur Vanilloid-Klasse gehörendes Fettsäureamid. Die chemische Struktur wurde 1919 aufgeklärt. Capsaicin ist relativ temperaturstabil und löst sich in Ethanol und Fetten, jedoch nicht in Wasser. Gewonnen wird der sogenannte Scharfstoff vor allem aus Chili und Cayennepfeffer.

Capsaicin entfaltet seine schmerzhemmende und durchblutungsfördernde Wirkung, indem es Hitze- und Schmerzrezeptoren der Haut aktiviert. Kälte oder Wärme werden über TRP-Ionenkanäle wahrgenommen. Topisch appliziertes Capsaicin führt zunächst zu einer lokalen Reizung, die sich in einer Rötung und einer brennenden, manchmal juckenden Empfindung äußert. Diese kann auf einen Angriff an peripheren sensorischen C-Fasern der Nerven zurückgeführt werden und ist teilweise durch die Freisetzung des Neurotransmitters Substanz P bedingt. Danach folgt eine längere refraktäre Phase. In dieser ist das Neuron nicht nur gegen eine erneute Capsaicinstimulation unempfindlich, sondern auch gegen andere schmerzauslösende Faktoren. Die durchblutungsfördernde Wärme trägt dazu bei, Verspannungen und Entzündungen als Ursache von peripheren Schmerzen zu lindern. Es wird erwartet, dass Wahrnehmungen von nicht-TRPV1-exprimierenden Hautnerven unverändert bleiben, einschließlich der Fähigkeit, mechanische Reize und Vibrationsreize wahrzunehmen. Die durch Capsaicin induzierten Veränderungen in den kutanen Nozizeptoren sind reversibel.

Klinische Studien und Ergebnisse

Die Wirksamkeit von Capsaicin-Pflastern wurde in kontrollierten klinischen Studien an Patienten mit schmerzhafter humaner Immundefizienzvirus-assoziierter Neuropathie (HIV-AN), schmerzhafter diabetischer Neuropathie und posttherapeutischer Neuralgie (PHN) nachgewiesen. Eine Schmerzlinderung wurde in der 1. Woche bei PHN, in der 2. Woche bei HIV-AN und in der 3. Woche bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie beobachtet. Bei allen drei Ätiologien hielt die Wirkung während des 12-wöchigen Studienzeitraums an. Mit wiederholten Behandlungen über einen Zeitraum von 52 Wochen konnte eine konstante und reproduzierbare Wirksamkeit bei schmerzhafter diabetischer Neuropathie gezeigt werden.

Daten aus dem deutschen Versorgungsalltag zur schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie (pDPN) stützen nun Beobachtungen aus klinischen Studien, denen zufolge sich die Schmerzintensität verringerte, je mehr Applikationen die Patientinnen und Patienten erhielten.

Eine retrospektive Studie bei Patienten eines Krankenhauses in Oporto, Portugal, ergab, dass ein 8 %iges Capsaicin-Pflaster die Lebensqualität bei zwei Drittel der Patienten mit peripheren neuropathischen Schmerzen (PNP) zumindest kurzfristig verbessern kann. Analysiert wurden die Daten von 100 Patienten mit lokalisierter PNP, die zuvor eine unzureichende Schmerzkontrolle hatten und auf vorherige Behandlungen nicht ansprachen. Die Dauer der Schmerzen bis zur ersten Capsaicin-Anwendung variierte von 2 Monaten bis zu 49 Jahren (Ø 71,46 Monate, Median 30 Monate). 75 % der Patienten litten seit über 5 Jahren (61,5 Monate), 25 % gaben eine Schmerzdauer von weniger als 12 Monaten an. Nach der Behandlung fühlten sich 31 % der Patienten geringfügig verbessert, 22 % stark verbessert und 13 % sehr stark verbessert; 34 % empfanden keine Besserung.

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