Pflege von Menschen mit Demenz: Ein umfassender Leitfaden für Angehörige und Interessierte

Demenz ist eine Herausforderung - für die Betroffenen selbst, aber auch für ihre Angehörigen. Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick über die verschiedenen Aspekte der Pflege von Menschen mit Demenz, von den alltäglichen Herausforderungen bis hin zu innovativen Wohnkonzepten.

Die Rolle der Angehörigen

Ein Großteil der Versorgung von Menschen mit Demenz lastet auf den Schultern der Angehörigen. Diese Aufgabe ist oft sehr schwer und verantwortungsvoll und erstreckt sich meist über viele Jahre. Die Probleme, die im Zusammenleben mit einem Demenzerkrankten auftreten, sind individuell verschieden. Sie werden bestimmt von der Persönlichkeit der betroffenen Person, vom Stadium der Krankheit, von den äußeren Lebensumständen, aber auch von den besonderen Fähigkeiten und Schwächen der betreuenden Person(en). Ebenso individuell müssen die Lösungen für die Probleme sein.

Wissen als Schlüssel zur Sicherheit

Wissen über die Krankheit verleiht Sicherheit im Zusammenleben und im Umgang mit den Erkrankten. Es kann vor Enttäuschungen aber auch vor unnötiger Resignation bewahren. An Demenz erkrankte Menschen muss man so annehmen, wie sie sind. Sie können sich nicht ändern. Die Angehörigen sollten lernen, die Bedürfnisse und Wünsche der Betroffenen, aber auch deren ganz eigene Sicht der Realität wahrzunehmen und zu berücksichtigen.

Eigenständigkeit fördern

Eigenständigkeit ist eine Wurzel von Selbstachtung, Sicherheit und Lebenszufriedenheit bei Gesunden wie bei Kranken. Deshalb sollte man den Erkrankten nicht alle Aufgaben abnehmen, nur weil sie ihnen schwerer fallen als früher oder sie weniger gut ausgeführt werden. Durch Vereinfachung der Kleidung, durch die Aufteilung von Handlungen in einzelne Schritte und durch geeignete Hilfestellungen kann oft ein hohes Maß an Selbständigkeit erhalten bleiben.

Hilfestellungen im Alltag

Menschen in einem frühen Stadium der Demenz benötigen nur zu bestimmten Zeiten oder bei bestimmten Verrichtungen Unterstützung von anderen. Um bei Bedarf entsprechende Hilfe bekommen zu können, haben Menschen mit beginnender Demenz in einer Gruppe Verständniskärtchen erarbeitet: „Ich habe Demenz. Bitte haben Sie etwas Geduld“. Ein gleichbleibender, überschaubarer Tagesablauf, helles Licht und die Beleuchtung wichtiger Wege in der Nacht erleichtern es den Kranken, sich zurecht zu finden. Auch Hinweisschilder in der Wohnung können hilfreich sein. Eine gut lesbare Uhr und ein Kalender, auf dem das jeweilige Datum markiert wird, erleichtern die zeitliche Orientierung. Es ist auch empfehlenswert, die Gewohnheiten der Betroffenen nach Möglichkeit beizubehalten.

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Reizüberflutung vermeiden

Bestimmte Sinneseindrücke können von Menschen mit Demenz verkannt werden und zu Verwirrung führen (z. B. laufender Fernseher, Musik und Stimmen aus dem Radio oder das eigene Spiegelbild). Versuchen Sie diese dann zu vermeiden.

Vorbereitung auf Begegnungen

Wenn Besuch kommt oder Ihnen unterwegs ein Bekannter begegnet, weisen Sie vorher darauf hin: „Ach, da kommt ja Frau Soundso“, „…dein Bruder Karl“ usw. Viele Verhaltensweisen von Menschen mit Demenz, die Pflegende vor Herausforderung stellen, sind Reaktionen, die man aus der Krankheit heraus verstehen und nachvollziehen kann: Rat- und Orientierungslosigkeit können zu Ängstlichkeit, Anhänglichkeit und zum ständigen Wiederholen von Fragen führen. Aggressivität und Wutausbrüche können aus Frustration oder Überforderung entstehen, Depression und Rückzug aus einem Mangel an Aktivität und Ermunterung.

Wichtig ist es, solche Faktoren zu erkennen und möglichst zu beseitigen. Um mit anstrengenden und problematischen Verhaltensweisen umzugehen, ist es hilfreich, ruhig zu bleiben und auf den Gefühlszustand des erkrankten Menschen einzugehen.

Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen

Demenz kann zu verschiedenen herausfordernden Verhaltensweisen führen. Hier sind einige Tipps zum Umgang mit Aggressivität und Unruhe:

Aggressivität

Angst, Wut, Unruhe, Enttäuschung und Nervosität können zu aggressivem Verhalten führen.

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  • Bemühen Sie sich herauszufinden, was der Auslöser für das aggressive Verhalten war, um solche Situationen in Zukunft möglichst zu vermeiden.
  • Versuchen Sie gelassen zu bleiben und die Vorwürfe oder das Verhalten der erkrankten Person nicht auf sich zu beziehen. Dieses Verhalten wird durch die Krankheit ausgelöst.
  • Versuchen Sie in der akuten Situation die bzw. den Kranken abzulenken, wechseln Sie das Thema. Wenn Sie sich durch das Verhalten bedroht fühlen, sollten Sie aber auch an Ihre eigene Sicherheit denken. Verlassen Sie den Raum und holen Sie sich im Notfall Hilfe.

Unruhe

Menschen mit Demenz sind oft unruhig und laufen immer wieder die gleiche Strecke auf und ab. Daran sollte man sie nicht hindern. Sie können aber versuchen herauszufinden, was dieses Verhalten verursacht: Vielleicht tut der bzw. dem Kranken etwas weh oder ihn beschäftigt gerade etwas. Demenzerkrankte leben in einer anderen Welt. So kann es sein, dass eine 85-Jährige das Gefühl hat, schnell nach Hause zu müssen, weil die Mutter mit dem Essen wartet. Die Antwort, dass die Mutter doch schon lange tot ist und dass Sie auch gerade gegessen haben, hilft in einer solchen Situation nicht weiter. Günstiger ist es, dann ein Gespräch darüber anzufangen („Was macht deine Mutter denn, wenn du zu spät kommst?“ oder „Deine Mutter kocht wohl sehr gut?“).

Unruhe kann auch Ausdruck von Ängstlichkeit oder Unbehagen sein, denen Sie mit folgenden Maßnahmen begegnen können:

  • Gestalten Sie die Umgebung ruhig.
  • Bleiben Sie ruhig und sprechen Sie sanft.
  • Beruhigen Sie die erkrankte Person, halten Sie Körperkontakt und reagieren Sie auf die Gefühle, die sie ausdrückt.
  • Schaffen Sie eine entspannte Atmosphäre.
  • Gut beleuchtete Ecken verhindern Angst erzeugende Schatten.
  • Schaffen Sie Zeiten der Ruhe und Entspannung.

Menschen mit Demenz mögen meistens Körperkontakt. Eine Massage der Hände mit einem wohlriechenden Lieblingsöl beruhigt.

Aktivierung und Beschäftigung

Finden Sie die Stärken und Vorlieben der oder des Kranken heraus. Suchen Sie zum Beispiel nach Spielen, Liedern, und Beschäftigungen, die aus der Vergangenheit bekannt sind, aber berücksichtigen Sie auch die berufliche Biografie. Üben sie die Lieblingsbeschäftigungen ruhig öfter. Neues Lernen ist für Demenzerkrankte kaum noch möglich, Bekanntes kann jedoch geübt und erhalten werden. Im Haushalt bieten sich dafür viele Möglichkeiten.

Menschen mit Demenz fühlen sich zugehörig und nützlich, wenn sie den Tisch mit decken, Kartoffeln schälen oder sich anders an der täglichen Arbeit beteiligen. Gemeinsames Singen und Spielen, Musizieren und Tanzen oder andere Bewegungsübungen können Spaß machen. Körperliche Bewegung regt den Kreislauf an, hebt die Stimmung und verbessert die Mobilität; auch Spaziergänge tun gut.

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Sie können gemeinsam alte Fotos ansehen, nachdem Sie möglichst sichergestellt haben, dass sie aus guten Zeiten stammen. Kommentieren Sie aktuellere Fotos. Damit verhindern Sie bei Ihrem erkrankten Familienmitglied das ungute Gefühl etwas nicht mehr zu wissen. Schreiben Sie Namen, Daten und vielleicht den Anlass zu den Fotos.

Innovative Wohnkonzepte: Das Haus am Kanal

Am Ufer des Osterbekkanals im Hamburger Stadtteil Dulsberg befindet sich das Haus am Kanal - ein außergewöhnliches Lebens- und Wohnprojekt mit und für ältere Menschen.

Das Haus am Kanal ist weder ein Heim, noch eine Pflegestation oder eine Seniorenresidenz. Es ist ein bisschen von allem - und zugleich vieles mehr. Ältere Menschen - pflegebedürftig oder nicht - leben hier gemeinsam. Selbstbestimmung, Gemeinschaft, Sicherheit und Lebensqualität stehen dabei an oberster Stelle.

Das Haus vereint drei Funktionsbereiche unter seinem Dach: eine Tagespflegeeinrichtung, die Wohngruppe für Demenzkranke sowie eine Haus- und Wohngemeinschaft für Senioren.

Damit schafft das Haus am Kanal die Bedingungen dafür, dass sowohl die Bewohner des Hauses als auch ihre Angehörigen weiterhin ein so normales Leben wie eben möglich im vertrauten Alltag führen können. Ein hohes Maß an Selbstbestimmung, neue Formen der nachbarschaftlichen Hilfe und Unterstützung durch Angehörige und Freunde stärken den Willen und geben vor allem die Kraft, die zweite Hälfte des Lebens aktiv zu gestalten.

Erforderliche Hilfen der Pflege und Betreuung werden über selbstgewählte ambulante Dienstleistungen abgedeckt. Das Haus am Kanal stellt eine Innovation alternativen Wohnens für Senioren und pflegebedürftige Menschen in Hamburg dar: Hier wird das qualitativ hochwertige Wohnen zum Lebensmittelpunkt eines selbstbestimmten Alterns.

Der Verein Alter und Pflege e.V. legte den Grundstein für das Haus am Kanal legte ein Modell zur Verbesserung der Lebenslage Pflegebedürftiger, das im Rahmen eines Programms der Stadt Hamburg zur sozialen Stadtteilentwicklung in Dulsberg (1995-2002) entwickelt wurde. Das Programm sollte die Lebensbedingungen in Dulsberg und seiner 18.000 Einwohner verbessern.

Speziell für die älteren Dulsberger wurden im Modell zur „Verbesserung der Lebenslage Pflegebedürftiger" neue Pflege- und Versorgungskonzepte formuliert.

Daraus folgte u.a. die Entscheidung, dass die seit zehn Jahren erfolgreich arbeitende Tagespflegeeinrichtung Dulsberg anstatt ihres damaligen besucherunfreundlichen Standorts im vierten Stock (ohne Gartennutzung und Lastenaufzug) eine geeignetere Unterbringung bekommen sollte.

Gleichzeitig sollten neue Pflege- und innovative Wohnangebote für Demenzkranken sowie für aktive Senioren im Stadtteil entwickelt werden. Die Ideen dazu entwickelte die damals neu eingerichtete „Pflegekonferenz Dulsberg". Die Verantwortung für ihre Umsetzung übernahm schließlich Ende 1998 der gemeinnützige Verein Alter und Pflege e.V.

Ein wichtiger Höhepunkt der gemeinsamen Identitätsstiftung für das ganze Haus am Kanal war ein Kreativworkshop unter Anleitung der Malerin Esther Naused (www.Memory-Workshop.de) im Oktober 2003.

25 Beteiligte (Hausgemeinschaft; Angehörigengruppe; MitarbeiterInnen der Tagespflege; Trägervertreter; Architekten; Tagespflegepatienten und ein Demenzkranker aus der zukünftigen Wohngruppe, Landesseniorenbeirat) waren unter dem Motto „Memory-Bild" eingeladen, je zwei identische Leinwandbilder in der Größe 25x25 cm zu malen.

Diese 49 fertigen Bilder (25x2 Bilder; ein Bild wurde herausgenommen) wurden dann zu einem großen, sehr bunten und beeindruckenden Gesamtkunstwerk zusammengestellt.

Das Haus am Kanal gliedert sich in drei Ebenen:

  • Ebene 1: Tagespflege
  • Ebene 2: Wohngemeinschaft für Menschen mit Demenz
  • Ebene 3: Hausgemeinschaft für Ältere

Finanzierung und Kritik am Pflegesystem

Andrea Sawatzki kritisierte das deutsche Pflegesystem scharf. Dass ihre demenzkranke Mutter vor deren Tod in einem Pflegeheim sediert wurde, steckt der Schauspielerin und Schriftstellerin offensichtlich bis heute in den Knochen. Auch der Gedanke "wie kann ich das beenden", den pflegende Angehörige in ihrer Verzweiflung hegen, ist Sawatzki nicht fremd: Schon als 12-Jährige musste sie ihren demenzerkrankten Vater versorgen.

Die Diskussion über Finanzierung oder über Ansätze in der Betreuung von Demenzkranken hielt er für falsch. Von Integration in Kleingruppen bis zur Schulung sowie Sensibilisierung des Personals - "das geschieht alles".

Eigenverantwortung und soziale Verantwortung

Rainer Heydenreich, der selbst vor vier Jahren eine Alzheimer-Diagnose erhielt, betonte: "Der Demenzerkrankte trägt den überwiegenden Teil der Verantwortung", betonte er, "er muss sich selbst verändern." Kein Alkohol, Bewegung, Anteilnahme am Geschehen und vor allem ein reges Familienleben - Heydenreich macht heute all das, was ihm sein Neurologe geraten hatte.

Eckart von Hirschhausen bestätigte: "Scham ist unangebracht". Schließlich würde die Erkrankung früher oder später Menschen in der Familie betreffen, deshalb dürfe man "Demenz nicht als Einzelschicksal betrachten, sondern als Form des Lebens, die nach einer sozialen Antwort sucht." Dennoch dürfe neben der Eigenverantwortung, sein Herz und Hirn fit zu halten, auch die politische Dimension der Prävention nicht außer Acht gelassen werden.

KuKuK-TV: Eine Stimme für ältere Menschen

KuKuK-TV ging im März 2017 auf YouTube an den Start. KuKuK-TV wurde ins Leben gerufen, um älter werdenden Menschen mit Vergesslichkeit und anderen alternsbedingten Beeinträchtigungen die Möglichkeit zu geben, ihre Sichtweisen und Anliegen offen zu artikulieren. KuKuK-TV ist vielfältig, aufgeschlossen und bunt. Themen wie junge Menschen mit Demenz, Bewegung und Sport, Pro und Contra Führerschein, Urlaub vom Alltag, Liebe im Alter, Senioren-WGs, Kunst und Kultur u.v.m. Jede:r kann sich beim Teilhabekanal KuKuK-TV einbringen - egal ob jung oder alt, mit oder ohne Handicap.

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