Etwa fünf Millionen Menschen in Deutschland leiden an Polyneuropathie, oft ohne es zu wissen. Diese Erkrankung betrifft die peripheren Nerven, die außerhalb des Gehirns und Rückenmarks liegen, und kann verschiedene Ursachen haben. Die Schädigung dieser Nerven führt zu einer Vielzahl von Symptomen, die von leichten Missempfindungen bis hin zu starken Schmerzen und Lähmungen reichen können.
Was ist Polyneuropathie?
Der Begriff Polyneuropathie stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Erkrankung mehrerer Nerven“. Es handelt sich um eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, das alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks umfasst. Diese Nerven sind für die Steuerung von Muskelbewegungen, Sinneswahrnehmungen und autonomen Funktionen wie Atmung und Verdauung zuständig. Bei einer Polyneuropathie sind diese Nerven geschädigt, was zu einer gestörten Signalübertragung zwischen dem Gehirn und den verschiedenen Körperteilen führt.
Ursachen der Polyneuropathie
Es gibt über 300 bekannte Ursachen für Polyneuropathie. Die häufigsten Ursachen sind:
- Diabetes mellitus: Rund jeder zweite Diabetes-Patient entwickelt eine Polyneuropathie. Dauerhaft erhöhte Blutzuckerwerte schädigen die Nervenfasern und beeinträchtigen ihre Funktion.
- Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholkonsum kann zu einer alkoholbedingten Polyneuropathie führen. Neben der direkten toxischen Wirkung des Alkohols spielt auch eine Mangelernährung mit Vitamin-B-Mangel eine Rolle.
- Toxine und Medikamente: Verschiedene Toxine wie Schwermetalle (Blei, Arsen, Thallium, Quecksilber, Gold) und Medikamente, insbesondere Chemotherapeutika (Platin-Verbindungen, Taxane, Vinca-Alkaloide), Interferone oder Virustherapeutika bei HIV, können Nervenschäden verursachen.
- Entzündliche Erkrankungen: Autoimmunerkrankungen wie das Guillain-Barré-Syndrom, Gefäßentzündungen (Vasculitis), Borreliose (Zeckenbisserkrankung), HIV/AIDS oder Sarkoidose können ebenfalls zu Polyneuropathie führen.
- Vitaminmangel: Ein Mangel an Vitamin B1, B2, B6, B12 oder E kann Nervenschäden verursachen.
- Genetische Faktoren: Es gibt auch genetisch bedingte Polyneuropathien, bei denen die Erkrankung vererbt wird.
- Andere Erkrankungen: Schilddrüsenüber- oder -unterfunktion, Nierenversagen, bestimmte Lebererkrankungen, Krebserkrankungen, Bluteiweißerkrankungen, Porphyrie oder Amyloidose können ebenfalls mit Polyneuropathie einhergehen.
In etwa 25 % der Fälle bleibt die Ursache der Polyneuropathie trotz umfangreicher Abklärung unklar (idiopathische Polyneuropathie).
Symptome der Polyneuropathie
Die Symptome einer Polyneuropathie können vielfältig sein und hängen davon ab, welche Nervenfasern betroffen sind. Häufige Symptome sind:
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- Empfindungsstörungen: Kribbeln, Brennen, Taubheitsgefühle, "Ameisenlaufen" oder ein Gefühl, wie auf Watte zu gehen, insbesondere in den Füßen und Händen.
- Schmerzen: Brennende Schmerzen an der Fußsohle, Muskelkrämpfe in den Waden, Stiche in den Oberschenkeln oder dumpfe, stechende Schmerzen in der Leiste oder am vorderen Oberschenkel.
- Muskelschwäche: Lähmungen der Fußheber oder Zehenheber, Muskelschwund und Gangstörungen.
- Gleichgewichtsstörungen: Unsicherer Gang, Schwanken, Schwindel und gestörtes Lageempfinden.
- Vegetative Störungen: Störungen der Blasen- oder Darmfunktion, Herzrhythmusstörungen oder Probleme mit der Temperaturregulation und dem Schwitzen.
- Eingeschränktes Temperaturempfinden: Betroffene können beispielsweise die Badewassertemperatur an den Füßen nicht mehr richtig einschätzen.
- Erhöhte Verletzungsgefahr: Durch das herabgesetzte Schmerzempfinden werden Verletzungen am Fuß oft nicht oder zu spät wahrgenommen, was insbesondere bei Diabetes mellitus zur Entstehung von Druckgeschwüren führen kann.
Die Symptome beginnen meist schleichend und symmetrisch, d.h. auf beiden Seiten des Körpers gleichzeitig. Häufig sind zunächst die Zehen und der Fußballen betroffen, bevor sich die Symptome auf die Füße und Unterschenkel ausweiten. In manchen Fällen können auch die Fingerspitzen und Hände betroffen sein.
Diagnose der Polyneuropathie
Die Diagnose einer Polyneuropathie umfasst in der Regel folgende Schritte:
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte des Patienten, einschließlich der Art und des Verlaufs der Symptome, Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme und möglicher Risikofaktoren wie Diabetes oder Alkoholmissbrauch.
- Klinisch-neurologische Untersuchung: Der Arzt untersucht die Muskelkraft, Reflexe, Sensibilität (Berührung, Schmerz, Temperatur, Vibration) und Koordination des Patienten.
- Elektrophysiologische Untersuchungen:
- Elektroneurographie (ENG): Misst die Nervenleitgeschwindigkeit und die Reizantwortstärke der betroffenen Nerven.
- Elektromyographie (EMG): Untersucht die elektrische Aktivität der Muskeln, um Muskelschäden festzustellen.
- Laboruntersuchungen: Blutuntersuchungen werden durchgeführt, um mögliche Ursachen der Polyneuropathie zu identifizieren, wie z.B. Diabetes mellitus, Vitaminmangel, Schilddrüsenerkrankungen, Nieren- oder Leberfunktionsstörungen, Entzündungen oder Autoimmunerkrankungen.
- Weitere Untersuchungen: In einigen Fällen können weitere Untersuchungen erforderlich sein, wie z.B. eine Nervenwasseruntersuchung (Liquorpunktion) bei Verdacht auf eine entzündliche Erkrankung, eine Kernspintomographie (MRT) der Wirbelsäule bei Verdacht auf eine zusätzliche Erkrankung wie einen engen Spinalkanal oder eine Nervenbiopsie zur Untersuchung des Nervengewebes. Genetische Untersuchungen können bei Verdacht auf eine erblich bedingte Polyneuropathie durchgeführt werden.
Behandlung der Polyneuropathie
Die Behandlung der Polyneuropathie zielt in erster Linie darauf ab, die Ursache der Erkrankung zu behandeln oder zu beseitigen. Darüber hinaus werden Maßnahmen ergriffen, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern.
Behandlung der Ursache
- Diabetes mellitus: Eine optimale Blutzuckereinstellung ist entscheidend, um die Nervenschädigung zu stoppen oder zu verlangsamen.
- Alkoholmissbrauch: Eine vollständige und lebenslange Alkoholabstinenz ist notwendig, um eine weitere Verschlechterung zu verhindern und eine Ausheilung zu ermöglichen.
- Toxine und Medikamente: Die auslösenden Substanzen müssen vermieden oder abgesetzt werden, sofern dies medizinisch vertretbar ist.
- Entzündliche Erkrankungen: Cortison-Infusionen, Plasmapherese (Blutwäsche) oder die Gabe von Immunglobulinen können bei entzündlichen Polyneuropathien zu einer Linderung oder Ausheilung führen.
- Vitaminmangel: Ein Mangel an bestimmten Vitaminen kann durch eine entsprechende Ernährungsumstellung oder die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln behoben werden.
Symptomatische Behandlung
- Schmerztherapie: Verschiedene Medikamente können zur Linderung von Schmerzen und Missempfindungen eingesetzt werden, darunter Schmerzmittel, Antidepressiva (z.B. Amitriptylin, Duloxetin) und Antikonvulsiva (z.B. Gabapentin, Pregabalin). Auch Pflaster zum Aufkleben auf die Haut, die Nervenfasern anregen, die nicht den Schmerz transportieren, können helfen. Bei starken Schmerzen können Opioide in Betracht gezogen werden, sollten aber aufgrund des Suchtpotenzials nur kurzzeitig eingesetzt werden.
- Physiotherapie: Gezielte Physiotherapie kann helfen, Lähmungen, Muskelschwund, Gleichgewichtsstörungen und Gangstörungen zu verbessern. Spezielle Übungen können die Kraft, Koordination und das Gleichgewicht fördern.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann Patienten helfen, ihre Alltagsaktivitäten trotz der Einschränkungen durch die Polyneuropathie besser zu bewältigen.
- Hilfsmittel: Je nach Bedarf können Hilfsmittel wie orthopädische Schuhe, Einlagen, Gehstöcke oder Rollatoren eingesetzt werden, um die Mobilität und Sicherheit zu erhöhen.
- Neural-Akupunktur: Bei Missempfindungen und Schmerzen kann eine Neural-Akupunkturbehandlung in Betracht gezogen werden.
- Elektrotherapie (TENS): Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) kann helfen, Schmerzen zu lindern, indem sie die Nerven stimuliert und die Schmerzwahrnehmung beeinflusst.
- Capsaicin-Pflaster: Capsaicin, der Wirkstoff aus Chilischoten, kann in Form von Pflastern auf die Haut aufgetragen werden, um Schmerzen zu lindern und die Durchblutung zu fördern.
Weitere Maßnahmen
- Regelmäßige Fußpflege: Patienten mit Polyneuropathie sollten ihre Füße regelmäßig auf Verletzungen und Druckstellen kontrollieren und gegebenenfalls professionelle Fußpflege in Anspruch nehmen, um das Risiko von Fußgeschwüren zu minimieren.
- Bequemes Schuhwerk: Das Tragen von bequemem und gut sitzendem Schuhwerk ist wichtig, um Druckstellen und Verletzungen zu vermeiden.
- Bewegung und Training: Regelmäßige Bewegung und Training, am besten in der Gruppe, können helfen, die Muskelkraft, Koordination und das Gleichgewicht zu verbessern. Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg bietet beispielsweise ein spezielles Trainingsprogramm für Polyneuropathie-Patienten an.
- Kühlen und Kompression: Kühlen und Kompression können helfen, Nervenschäden zu verringern.
Verlauf und Prognose
Der Verlauf und die Prognose der Polyneuropathie hängen von der Ursache, dem Schweregrad und dem Zeitpunkt der Diagnose und Behandlung ab. In einigen Fällen, z.B. bei entzündlichen Polyneuropathien oder Polyneuropathien aufgrund von Vitaminmangel, ist eine vollständige Ausheilung möglich. Bei anderen Ursachen, wie z.B. Diabetes mellitus oder chronischem Alkoholmissbrauch, kann die Nervenschädigung möglicherweise nicht vollständig rückgängig gemacht werden, aber eine konsequente Behandlung der Grunderkrankung und eine symptomatische Therapie können helfen, das Fortschreiten der Erkrankung zu verlangsamen und die Lebensqualität zu verbessern.
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