Polyneuropathie der Füße: Medikamente und Behandlungsansätze

Die Polyneuropathie ist eine häufige neurologische Erkrankung, bei der mehrere periphere Nerven geschädigt sind. Typische Symptome sind Kribbeln, Brennen und Taubheit, die oft an den Füßen beginnen und sich auf die Beine ausbreiten. Diese Gefühlsstörungen entstehen durch Schäden an den langen Nerven, die Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn verbinden. Die Beeinträchtigung der Nerven führt dazu, dass die Informationsübertragung zwischen Gehirn, Rückenmark und dem Rest des Körpers gestört ist.

Ursachen und Diagnose

Die Ursachen einer Polyneuropathie sind vielfältig und reichen von Diabetes und Alkoholmissbrauch bis hin zu Autoimmunerkrankungen und Medikamentennebenwirkungen. Trotz diagnostischer Fortschritte bleibt die Ursache in vielen Fällen unklar (idiopathische Neuropathie), was die Behandlung erschwert.

Zur Diagnose einer Polyneuropathie werden verschiedene Untersuchungsmethoden eingesetzt:

  • Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurographie): Hierbei wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt, um die Funktionsfähigkeit der Nerven zu überprüfen.
  • Vibrationsempfinden: Mit einer Stimmgabel wird das Vibrationsempfinden geprüft.
  • Quantitative Sensorische Testung (QST): Durch verschiedene Gefühlstests an der Haut werden 13 Werte ermittelt, um zu erkennen, welche Nervenfasern geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist.
  • Thermode: Computergesteuerte Temperaturreize werden eingesetzt, um das Temperaturempfinden exakt zu messen.
  • Nerv-Muskel-Biopsie: Eine Gewebeprobe aus dem Schienbein wird entnommen und feingeweblich untersucht, um die Ursache der Polyneuropathie zu finden. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist.

Therapieansätze

Die Therapie der Polyneuropathie umfasst kausale Ansätze zur Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung und symptomatische Ansätze zur Therapie der auftretenden Beschwerden. Zu Beginn der Behandlung sollten stets alle kausalen Therapieoptionen ausgeschöpft werden, um einen weiteren Progress zu verhindern. Im klinischen Alltag kommen vor allem symptomatische Ansätze zur Behandlung der verschiedenen sensiblen, motorischen und autonomen Symptome zum Einsatz.

Kausale Therapie

Die wichtigste Maßnahme ist die Behandlung der Grunderkrankung. Hier einige Beispiele:

Lesen Sie auch: Behandlungsmöglichkeiten bei alkoholischer Polyneuropathie

  • Diabetes: Eine effektive Einstellung des Blutzuckers durch eine Kombination aus Ernährungsumstellung, körperlicher Aktivität und optimierter Medikamenten- bzw. Insulingabe ist entscheidend.
  • Alkoholmissbrauch: Alkoholiker sollten einen Entzug machen.
  • Vitaminmangel: Bei einem Vitamin-B12-Mangel sollte man sich ausgewogener ernähren und den Mangel durch ein Vitaminpräparat ausgleichen.
  • Medikamente/Giftstoffe: Sind Giftstoffe oder Medikamente der Auslöser der Polyneuropathie, müssen sie möglichst gemieden werden.
  • Infektionen/Entzündungen: Führen Infektionen oder Entzündungen zu den Nervenschäden, können Antibiotika oder Kortison sinnvoll sein.

Symptomatische Therapie

Medikamentöse Schmerztherapie

Etwa 50 % aller Polyneuropathien gehen mit Schmerzen einher. Mittel der ersten Wahl zur Therapie von Schmerzen bei Polyneuropathie sind die an Kalziumkanälen ansetzenden Antikonvulsiva Gabapentin und Pregabalin sowie die Antidepressiva Amitriptylin und Duloxetin. Alternativ können bei lokalisierten Beschwerden topische Therapeutika eingesetzt werden. In Einzelfällen kann der Einsatz von Opioiden sowie anderen Antidepressiva und Antikonvulsiva erwogen werden. Generell sollte die Therapie multimodal erfolgen und die Behandlung weiterer Beschwerden umfassen. Bei der Auswahl der Schmerzmedikation sollten Komorbiditäten, Patientenalter und Nebenwirkungen berücksichtigt werden.

Eine komplette Schmerzfreiheit kann mit den derzeit verfügbaren Medikamenten in der Regel nicht erzielt werden. Die oralen Medikamente sollten langsam aufdosiert und je nach Nebenwirkungen individuell titriert werden. Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass die analgetische Wirkung zeitverzögert eintritt.

Antikonvulsiva

  • Gabapentin und Pregabalin: Laut aktueller S2-Leitlinie der DGN sollen Gabapentin und Pregabalin als Mittel der ersten Wahl zur Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden, unabhängig von der Ätiologie. Nebenwirkungen unter der Therapie sind häufig und umfassen vor allem zentralnervöse Effekte wie Schwindel, Schläfrigkeit, Konzentrations- und Gleichgewichtsstörungen, die nicht selten zum Therapieabbruch führen.
  • Carbamazepin, Oxcarbazepin, Lamotrigin und Topiramat: Aufgrund der geringen Evidenz und häufiger Nebenwirkungen werden Carbamazepin und Oxcarbazepin laut Leitlinie nicht zur Behandlung von schmerzhaften Polyneuropathien empfohlen. Bei Versagen von Gabapentin und Pregabalin kann im Einzelfall ein Off-label-Versuch erfolgen, vor allem bei einschießenden Schmerzattacken. Topiramat und Lamotrigin sollten im Allgemeinen nicht zur Therapie neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden. Lacosamid wirkt ebenfalls über Blockade von Natriumkanälen. In der aktuellen Leitlinie wird der generelle Einsatz bei unzureichender Datenlage nicht empfohlen.

Antidepressiva

  • Trizyklische Antidepressiva (TCA) und Duloxetin: Laut Leitlinie sollten TCA als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden. Insbesondere bei begleitenden Schlafstörungen kann sich Amitriptylin aufgrund seines sedierenden Effekts günstig auswirken. Aufgrund der nichtselektiven Bindung sind Nebenwirkungen häufig. Duloxetin ist in Deutschland als Mittel der ersten Wahl für die Behandlung der schmerzhaften DPN zugelassen. Venlafaxin hat in Deutschland keine Zulassung für die Behandlung neuropathischer Schmerzen, es kann jedoch in Einzelfällen „off label“ eingesetzt werden. Zu Therapiebeginn treten häufig Übelkeit und Erbrechen auf, diese sind jedoch im Verlauf oft reversibel. Aufgrund potenzieller Blutdrucksteigerung werden regelmäßige Kontrollen empfohlen.

Topische Therapie

Ein Vorteil der Topika ist die geringe systemische Nebenwirkungsrate und somit gute Verträglichkeit, sodass der Einsatz vor allem für ältere Patienten empfohlen wird.

  • Capsaicinpflaster: Vom Capsaicinpflaster wird Capsaicin in die Haut freigesetzt und bindet selektiv TRPV1-Rezeptoren auf nozizeptiven Endigungen. Dies resultiert initial in einer Übererregbarkeit der Nervenfasern mit Brennen, Hyperalgesie, Allodynie und Rötung durch Freisetzung vasoaktiver Substanzen. Die S2-Leitlinie empfiehlt das Hochdosispflaster als zweite Wahl zur Therapie neuropathischer Schmerzen, bei lokalisierten Schmerzen auch als Primärtherapie. Unter der Therapie können lokale Hautreaktionen wie Rötung, Brennen und Juckreiz, auftreten.
  • Lidocainpflaster: Lidocainpflaster wirken als Lokalanästhetika über Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle auf Nozizeptorafferenzen. Zudem bildet das Pflaster eine mechanische Barriere gegenüber äußeren Reizen mit Schutz vor Allodynie und Hyperalgesie. Laut Leitlinie können Lidocainpflaster in der Therapie lokalisierter neuropathischer Schmerzen als zweite Wahl eingesetzt werden (bei postherpetischer Neuralgie gegebenenfalls als erste Wahl), bei allen anderen Neuropathien „off label“. Da nur etwa 3 % des Lidocains systemisch absorbiert werden, sind systemische Nebenwirkungen selten.
  • Botulinumtoxin (BTX): Der schmerzlindernde Effekt intrakutaner Botulinumtoxin(BTX)-Injektionen entsteht durch verminderte Freisetzung proinflammatorischer Substanzen, Deaktivierung von Natriumkanälen und verminderten axonalen Transport mit Verhinderung einer peripheren und zentralen Sensibilisierung.

Opioide

Opioide wirken als Agonisten an µ‑Opioidrezeptoren im zentralen Nervensystem. Einige Opioide wirken zusätzlich auf die endogene Schmerzmodulation. Je nach Wirksamkeit werden niederpotente und hochpotente Opioide unterschieden, wobei jeweils die Morphinäquivalenzdosis angegeben wird. Neben zentralnervösen Nebenwirkungen (Schwindel, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen) und Obstipation, kann es im Verlauf auch zu einer Toleranzentwicklung kommen. Der Einsatz von Opioiden mit dualem Wirkmechanismus liefert einen zusätzlichen analgetischen Nutzen. Das niederpotente Tramadol hemmt neben seiner Wirkung am µ‑Rezeptor die Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme. Tapentadol wirkt zusätzlich über eine Noradrenalinwiederaufnahmehemmung. In der NeuPSIG-Leitlinie werden niederpotente Opioide als zweite Wahl und hochpotente Opioide als dritte Wahl empfohlen.

Weitere Therapieansätze

  • Physiotherapie: Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie. Da Polyneuropathien häufig mit einer sensiblen Ataxie und motorischen Ausfällen einhergehen, sollte die medikamentöse Therapie um physiotherapeutische Maßnahmen ergänzt werden. Ziele sind unter anderem die Verbesserung von Stand, Gang und Gleichgewicht sowie ein gezieltes Training der Muskelkraft.
  • Ergotherapie: Zur Verbesserung der Feinmotorik können ergotherapeutische Maßnahmen eingesetzt werden.
  • Akupunktur: Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
  • TENS (Transkutane Elektrische Nervenstimulation): Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen.
  • Orthopädische Hilfsmittel: Bei Polyneuropathie-Patienten mit großen Problemen beim Gehen sind orthopädische Hilfsmittel sinnvoll. Wenn zum Beispiel der sogenannte Peroneus-Nerv im Bein geschädigt ist, können Betroffene den Fuß kaum oder gar nicht mehr anheben. Dann hilft eine spezielle Schiene oder ein spezieller Schuh/Stiefel.
  • Ernährungsumstellung: Völlegefühl, Übelkeit und Erbrechen lassen sich durch häufige kleinere Mahlzeiten vermeiden.
  • Regelmäßige Fußpflege: Die richtige Fußhygiene soll vor allem verhindern, dass sich kleine, unbemerkte Verletzungen entzünden. Deshalb müssen die Patienten darauf achten, täglich ihre Füße nach Blasen, Rötungen, Schwielen etc. zu untersuchen.

Small-Fiber-Neuropathien

Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.

Lesen Sie auch: Aktuelle Forschung zu Polyneuropathie und psychosomatischen Ursachen

Wichtige Hinweise

  • Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg.
  • Bei Altersdiabetes empfehlen Ärzte eine Umstellung des Lebensstils mit Gewichtsreduktion und viel Bewegung. Ziel ist, dass sich die Nerven wieder erholen. Besteht die Schädigung allerdings schon lange, ist die Polyneuropathie in der Regel nicht heilbar.
  • Sind Alkohol oder Medikamente die Ursache, hilft Abstinenz beziehungsweise ein Wechsel der Präparate.
  • Eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte kann zu weiteren Nervenschäden führen. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten.
  • Patienten mit bekannter Blasenschwäche sollten in regelmäßigen Abständen (z.B. alle drei Stunden) zur Toilette gehen.

Neue Therapieansätze

Aufgrund der unzureichenden Schmerzlinderung und häufiger Nebenwirkungen unter den derzeit verfügbaren Medikamenten werden in aktuellen Studien neue Therapeutika zur Behandlung neuropathischer Schmerzen untersucht.

  • Cannabinoide: Cannabinoide wirken als Agonisten am Cannabinoidrezeptor Typ 1 (CB1). Die Hauptkomponenten sind Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol.
  • "Gene silencing": Ein neuer vielversprechender Ansatz zur Therapie ist das „gene silencing“ mutierter Gene. Kürzlich wurden mit Inotersen und Patisiran zwei Medikamente zur Behandlung der hereditären Transthyretin-Amyloidose mit Polyneuropathie zugelassen, die über ein genetisches Knock-down des betroffenen Proteins Transthyretin wirken.

Lesen Sie auch: Polyneuropathie und Demenz: Was Sie wissen sollten

tags: #Polyneuropathie #Füße #Medikamente #Behandlung