Entzündliche und neurodegenerative Erkrankungen des zentralen Nervensystems (ZNS) stellen eine wachsende Herausforderung in der Neurologie dar. Diese Erkrankungen können vielfältige Ursachen haben und unterschiedliche Bereiche des Nervensystems betreffen, was zu einem breiten Spektrum an Symptomen und Beeinträchtigungen führt.
Entzündliche Erkrankungen des ZNS
Entzündliche Erkrankungen des ZNS können entweder durch Erreger (infektiös-entzündlich) oder durch Autoimmunprozesse (autoimmun-entzündlich) verursacht werden. Autoimmunerkrankungen des Nervensystems treten in der modernen Welt immer häufiger auf und betreffen in der Regel junge Erwachsene in den produktivsten Jahren ihres Lebens.
Infektiös-entzündliche Erkrankungen
Erregerbedingte Entzündungen können durch Bakterien, Pilze, Protozoen und Viren ausgelöst werden. Häufige Krankheitsbilder sind:
- Neuborreliose: Eine bakterielle Infektion, die das Nervensystem betreffen kann.
- Gürtelrose (Herpes Zoster): Eine Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus, die zu schmerzhaften Hautausschlägen und neurologischen Komplikationen führen kann.
- Progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML): Eine Virusinfektion des Gehirns, die vor allem bei immungeschwächten Patienten auftritt, insbesondere im Zusammenhang mit immunsuppressiven Therapien bei Multipler Sklerose.
- Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis (HSVE): Eine der häufigsten sporadischen Enzephalitiden in Westeuropa, die mit Kopfschmerzen, Fieber und Bewusstseinsstörungen einhergeht. Eine rasche antivirale Therapie mit Aciclovir ist entscheidend, da die Erkrankung unbehandelt meist tödlich verläuft.
- Bakterielle Meningitis: Häufige Erreger sind Streptokokken (Streptococcus pneumoniae), Listerien (Listeria monocytogenes) und Meningokokken (Neisseria meningitidis). Leitsymptome sind Kopfschmerzen, Fieber, Übelkeit, Erbrechen und Meningismus (Nackensteifigkeit), wobei Meningismus bei sehr jungen und sehr alten Menschen fehlen kann.
- Opportunistische Infektionen: Bei immungeschwächten Patienten können Infektionen mit dem John-Cunningham-Virus (JCV) oder "neueren" viralen Erregern wie West-Nil-, Borna- oder Chikungunya-Viren auftreten.
Autoimmun-entzündliche Erkrankungen
Autoimmunologische Prozesse führen zu Entzündungen, wenn der Körper nicht in der Lage ist, bestimmte Strukturen als körpereigene zu erkennen. Das Immunsystem produziert Antikörper gegen Gewebestrukturen des eigenen Körpers, zum Beispiel gegen Teile des Nervensystems.
- Multiple Sklerose (MS): Die häufigste Autoimmunerkrankung des ZNS, eine chronisch entzündliche, demyelinisierende Erkrankung mit axonaler Schädigung. Häufige Symptome sind Sehstörungen, Taubheit, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Sprechstörungen, Koordinationsschwierigkeiten, Spastik, Blasenstörung und Sexualfunktionsstörung.
- Myelitis: Eine Entzündung des Rückenmarks, die diffus über den gesamten Querschnitt (Myelitis transversa) oder herdförmig (disseminierte Myelitis) auftreten kann. Symptome reichen von Muskelschwäche, Lähmungen, Gefühlsstörungen und Schmerzen bis hin zu Fehlfunktionen von Enddarm und Harnblase.
- Guillain-Barré-Syndrom (GBS): Eine akut oder subakut verlaufende Polyradikuloneuritis, die häufig nach Infektionen auftritt. Es kommt zu einer multifokalen Demyelinisierung und/oder axonalen Schädigung der peripheren Nerven und der Rückenmarkwurzeln. Typisch sind initial unspezifische sensible Reizerscheinungen wie Kribbelparästhesien an Füßen und Händen sowie Rückenschmerzen, gefolgt von schlaffen Lähmungen, die sich von den Beinen zu den Armen ausdehnen können.
- Neuromyelitis optica (NMO) und MOG-Antikörper-assoziierte Erkrankungen (MOGAD): Eigenständige, aber weniger häufige Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems.
Neurodegenerative Erkrankungen
Neurodegenerative Erkrankungen sind durch den fortschreitenden Verlust von Nervenzellen im ZNS gekennzeichnet. Da der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung stetig zunimmt, stellen diese Erkrankungen eine wichtige medizinische Herausforderung dar.
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Ursachen und Mechanismen
Die Ursachen für Neurodegeneration sind vielfältig und oft nur teilweise bekannt. Zu den bekannten Faktoren gehören:
- Genetische Faktoren: Bei bestimmten Formen der Parkinson-Erkrankung oder der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit kommt es aufgrund genetischer Besonderheiten zu einer Zusammenlagerung von Eiweißstoffen in den Nervenzellen. Bei der Huntington-Krankheit tritt eine bestimmte genetische Sequenz im Erbgut sehr viel häufiger auf als bei gesunden Menschen.
- Störungen der Proteinhomöostase: Ablagerungen von Amyloid und Tau bei Alzheimer, Synuclein bei Parkinson und Huntingtin bei Chorea Huntington.
- Erhöhter oxidativer Stress: Ungleichgewicht zwischen der Produktion freier Radikale und der Fähigkeit des Körpers, diese zu neutralisieren.
- Störungen der Mitochondrien: Beeinträchtigung der Energieversorgung der Zellen.
- Störungen des intrazellulären Transports: Probleme beim Transport von Molekülen innerhalb der Zelle.
- Entzündungsreaktionen: Immunzellen, die den Körper eigentlich schützen sollen, könnten im Gehirn Schäden anrichten und so beispielsweise die Alzheimer-Krankheit antreiben.
Beispiele für neurodegenerative Erkrankungen
- Alzheimer-Krankheit: Betrifft vor allem den Hippocampus und führt zu Gedächtnisstörungen, Orientierungsproblemen und Veränderungen im Verhalten.
- Parkinson-Krankheit: Betrifft dopaminproduzierende Nervenzellen in der Substantia nigra, was zu Bewegungsstörungen wie Steifigkeit, Verlangsamung und Zittern führt.
- Huntington-Krankheit: Betrifft Nervenzellen, die an der Steuerung von Bewegungsabläufen beteiligt sind, was zu unwillkürlichen, ausladenden Bewegungen führt.
- Amyotrophe Lateralsklerose (ALS): Selektiver Verlust von Motoneuronen, was zu Muskelschwäche, Lähmungen und schließlich zum Tod führt.
Weitere neurologische Erkrankungen
Neben entzündlichen und neurodegenerativen Erkrankungen gibt es eine Vielzahl weiterer neurologischer Erkrankungen, darunter:
- Schlaganfall: Plötzliche Störung des Blutflusses im Gehirn, die zu einer Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff und Nährstoffen führt. Ursachen können ischämisch (Gefäßverschluss) oder hämorrhagisch (Hirnblutung) sein.
- Schädel-Hirn-Trauma (SHT): Verletzung des Gehirns durch traumatische Krafteinwirkung, die von einer leichten Gehirnerschütterung bis zu schweren Hirnblutungen reichen kann.
- Epilepsie: Vorübergehender Zustand des Gehirns, bei dem es aufgrund einer pathologischen neuronalen Aktivität zu klinischen Symptomen kommt.
- Kopfschmerzen: Spannungskopfschmerzen, Migräne und chronische Kopfschmerzen sind weit verbreitete neurologische Beschwerden.
- Polyneuropathien: Generalisierte Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die sich durch Taubheitsgefühl, Schmerzen und Lähmungen bemerkbar machen.
- Hirntumore: Tumore, die sich aus gut- oder bösartiger Hirnsubstanz bzw. Hirnhäuten bilden (primäre Hirntumore) oder als Metastasen anderer Krebserkrankungen entstehen (sekundäre Hirntumore).
Diagnostik und Therapie
Die Diagnostik neurologischer Erkrankungen umfasst in der Regel eine gründliche Anamnese, neurologische Untersuchung, bildgebende Verfahren (z.B. MRT, CT) undLaboruntersuchungen.
Die Therapie neurologischer Erkrankungen ist abhängig von der Ursache und dem Schweregrad der Erkrankung. Zu den gängigen Behandlungen gehören:
- Medikamentöse Therapien: Zur Behandlung von Entzündungen, Schmerzen, Krämpfen und anderen Symptomen.
- Immunsuppressive Therapien: Zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen wie MS.
- Chirurgische Eingriffe: Zur Entfernung von Tumoren, Behandlung von Hirnblutungen oder Entlastung von Druck auf das Gehirn.
- Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie: Zur Verbesserung der motorischen Fähigkeiten, der sensorischen Wahrnehmung, der Sprache und des Schluckens.
Bedeutung der Früherkennung und Behandlung
Viele neurologische Erkrankungen sind heutzutage wesentlich besser behandelbar als früher. Eine frühzeitige Diagnose und Therapie können den Verlauf der Erkrankung verlangsamen, Symptome lindern und die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.
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Es ist wichtig, bei Verdacht auf eine neurologische Erkrankung frühzeitig einen Arzt aufzusuchen. Der Hausarzt ist in der Regel der erste Ansprechpartner und kann bei Bedarf an einen Neurologen überweisen.
Unterstützung für Betroffene und Angehörige
Neurologische Erkrankungen können eine erhebliche psychische Belastung für Betroffene und ihre Angehörigen darstellen. Es ist wichtig, sich Unterstützung zu suchen, sei es durch Angehörige, Freunde, Selbsthilfegruppen oder professionelle Beratung.
Forschung und Entwicklung
Die Forschung im Bereich der Neurologie hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Neue Erkenntnisse über die Ursachen und Mechanismen neurologischer Erkrankungen führen zu neuen Therapieansätzen und besseren Behandlungsmöglichkeiten.
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) beispielsweise erforscht die Ursachen von Störungen des Nervensystems und entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege bei Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS).
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