Polyneuropathie und Depression: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Die Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere Nervenfasern geschädigt oder zerstört werden, was zu einer gestörten Reizweiterleitung führt. Das periphere Nervensystem (PNS) umfasst alle Nerven außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks und verbindet diese funktionell mit dem zentralen Nervensystem (ZNS). Es leitet Impulse aus dem Gehirn und Rückenmark an Organe und Gewebe weiter und sorgt für physiologische Reaktionen. Die Nerven des PNS sind für die Wahrnehmung von Reizen, die Steuerung der Muskeln und die Funktion der Organe zuständig. Schäden an diesen Nerven können zu vielfältigen Beschwerden führen.

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Einführung

Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Diagnose und Behandlung der Polyneuropathie und geht insbesondere auf den Zusammenhang mit Depressionen ein. Ziel ist es, ein umfassendes Verständnis dieser komplexen Erkrankung zu vermitteln und Betroffenen sowie Interessierten fundierte Informationen an die Hand zu geben.

Was ist Polyneuropathie?

Die Polyneuropathie ist keine seltene Erkrankung. Die Inzidenz, also die Anzahl der Neuerkrankungen, liegt zwischen 60 und 120 pro 100.000 Einwohner pro Jahr. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei 65 Jahren, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen.

Die Erkrankung betrifft das periphere Nervensystem, also alle Nerven, die außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks liegen. Das periphere Nervensystem besteht aus zwei Anteilen:

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  • Somatisches (willkürliches) Nervensystem: Zuständig für willkürliche Bewegungen und Reflexe. Bei den meisten Polyneuropathien sind Nerven dieses Systems betroffen.
  • Vegetatives (autonomes) Nervensystem: Versorgt das Blutgefäßsystem und die inneren Organe und ist für automatisch ablaufende Körperfunktionen wie Atmung, Verdauung oder Schwitzen zuständig.

Bei einer Polyneuropathie ist die Reizweiterleitung der Nerven gestört. Reize werden nicht, zu stark oder abgeschwächt an das Gehirn weitergeleitet, und Kommandos vom Gehirn erreichen die Muskeln und Organe nicht mehr zuverlässig.

Es gibt zwei Möglichkeiten der Schädigung:

  • Demyelinisierende Polyneuropathie: Die Isolation um die Nervenfasern (Myelinscheide) zerfällt, wodurch die elektrischen Impulse nicht mehr richtig weitergeleitet werden.
  • Axonale Polyneuropathie: Die Nervenfaser selbst geht kaputt.

Beide Formen können auch in Kombination auftreten.

Ursachen der Polyneuropathie

Die Ursachen einer Polyneuropathie sind vielfältig. Insgesamt sind mehr als 200 Auslöser bekannt. Es gilt vor allem, die Ursache der Polyneuropathie zu ermitteln, um dieser mittels Medikamente und Therapien entgegenzuwirken. Grundsätzlich lassen sich angeborene und erworbene Formen unterscheiden.

Angeborene Polyneuropathien

Angeborene Polyneuropathien sind relativ selten. Ihnen liegen vererbbare Krankheiten wie Enzymdefekte, veränderte Proteine oder eine eingeschränkte Nervenleitgeschwindigkeit zugrunde. Sie unterscheiden sich meist in der Symptomatik von den erworbenen Polyneuropathien.

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Erworbene Polyneuropathien

Die erworbene Polyneuropathie ist mit Abstand die häufigere Form. Sie entwickelt sich als Folge einer anderen Erkrankung oder durch einen externen Auslöser. Die mit Abstand häufigsten Grunderkrankungen, die zu einer Polyneuropathie führen können, sind der Diabetes mellitus und Alkoholmissbrauch.

Zu den häufigsten Ursachen zählen:

  • Diabetes mellitus: Diabetiker sind besonders gefährdet, an einer Polyneuropathie zu erkranken. Durch den erhöhten Blutzucker kommt es zu Schädigungen der kleinsten Gefäße, die die peripheren Nerven versorgen. Diese sogenannte diabetische Polyneuropathie beginnt oft in den Zehen und Füßen und ist durch ein herabgesetztes Schmerz- und Temperaturgefühl gekennzeichnet. Die diabetische Neuropathie ist sehr häufig mit Depressionen, Angststörungen und auch Schlafstörungen assoziiert.
  • Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholkonsum kann durch neurotoxische (nervenschädigende) Wirkungen zu funktionellen Beeinträchtigungen der peripheren Nerven führen. Neben der akuten Giftwirkung des Alkohols spielt eine langfristige Unterversorgung mit B-Vitaminen eine Rolle.
  • Critical-Illness-Polyneuropathie: Diese Sonderform tritt z. B. im Rahmen langwieriger intensivmedizinischer Behandlungen auf, wo der Körper als Fehlleitung des Immunsystems die Nerven des peripheren Nervensystems schädigt. Sie äußert sich vor allem in schwindender Kraft und Muskelmasse in der Extremitäten- und Rumpfmuskulatur.
  • Weitere Stoffwechselerkrankungen: Erkrankungen von Leber, Niere und Schilddrüse können in seltenen Fällen ebenfalls verantwortlich sein.
  • Vitaminmangelzustände: Der Aufbau der Myelinscheide, welche die Nervenzellen isolierend umhüllt, ist auf das Vorhandensein von Vitaminen angewiesen. Sind diese nicht in ausreichendem Maß verfügbar, führt das zu einer mangelhaften Umscheidung und damit zur Schädigung der Nerven.
  • Medikamente und Toxine: Bestimmte Medikamente (z. B. Zytostatika) und Toxine können in seltenen Fällen ebenfalls eine Polyneuropathie verursachen. Zu den Substanzen mit nervenschädigender Wirkung zählen manche Medikamente, aber auch krankhafte Eiweißstoffe, die im Rahmen von Krebserkrankungen entstehen.
  • Autoimmunerkrankungen: Eine weitere wichtige Sonderform ist eine Schädigung durch das eigene Immunsystem.
  • Infektionen: Es gibt auch Infektionen (z.B. HIV, Borreliose, Diphterie, Pfeiffersches Drüsenfieber) mit begleitender Polyneuropathie. Sind die Nerven selbst entzündet, so nennt man das Polyneuritis. Eine besonders rasch innerhalb von zwei bis drei Tagen auftretende Polyneuritis ist das Guillain-Barré-Syndrom (GBS).
  • Stress: Stress kann sowohl eine primäre als auch eine sekundäre Ursache einer Polyneuropathie sein. Dauernde Stressbelastungen können zu Schlafproblemen, Nervosität, Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder Herzinfarkt, Schilddrüsenüberfunktion, erhöhter Infektanfälligkeit durch ein geschwächtes Immunsystem, aber auch zu Diabetes führen. Durch Stress können die Symptome von Diabetes, aber auch einer Polyneuropathie verstärkt werden.

In etwa 20 % der Fälle lässt sich keine Grunderkrankung finden, und die Ursache bleibt ungeklärt. In diesem Fall spricht die Medizin von einer idiopathischen Polyneuropathie.

Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie sind vielfältig und hängen davon ab, welche Nervenfasern betroffen sind.

Zu den häufigsten Symptomen zählen:

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  • Sensible Symptome:
    • Kribbeln, Stechen, Taubheitsgefühle in Fingern, Händen, Zehen und Füßen
    • Missempfindungen wie "Ameisenlaufen", Brennen oder elektrisierende Schmerzen
    • Herabgesetztes Schmerz- und Temperaturempfinden
    • Gangunsicherheit
  • Motorische Symptome:
    • Muskelzucken, Muskelkrämpfe
    • Muskelschwäche, Muskelschwund
    • Lähmungserscheinungen
  • Autonome Symptome:
    • Herzrhythmusstörungen
    • Verdauungsprobleme wie Blähgefühl, Appetitlosigkeit, Aufstoßen, Durchfall oder Verstopfung
    • Urin- oder Stuhlinkontinenz
    • Impotenz
    • Gestörtes Schwitzen
    • Schlechte Kreislaufregulation mit Schwindel beim Aufstehen
    • Schwellung von Füßen und Händen (Wassereinlagerungen)

Die Symptome beginnen meist an den Füßen und steigen langsam auf, Richtung Körpermitte. Oft werden die Symptome von Schmerzen oder Krämpfen begleitet. Im Verlauf der Erkrankung kann es ohne Behandlung zur Verschlimmerung der Symptomatik, vor allem des Schmerzempfindens, kommen.

Autonome Polyneuropathie

Eine autonome Polyneuropathie kann verschiedene Organe wie Herz und Kreislauf, Magen-Darm-Trakt, Nieren und Blase oder Augen beeinträchtigen und sich durch Beschwerden mit diesen Organen bemerkbar machen. Für den Arzt ist es schwer, eine autonome Polyneuropathie zu diagnostizieren und die Ursachen festzustellen. Die Ursachen einer autonomen Polyneuropathie können Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder ein erhöhter Blutdruck sein.

Diagnostik der Polyneuropathie

Die Diagnostik der Polyneuropathie erfordert Erfahrung. Es ist wichtig, die Polyneuropathie von anderen Erkrankungen abzugrenzen. Die Symptome einer Polyneuropathie können denen einer Wirbelkanalverengung (Spinalkanalstenose) ähneln.

Die Diagnostik umfasst in der Regel folgende Schritte:

  1. Anamnese: Der Arzt befragt den Patienten ausführlich zu seiner medizinischen Vorgeschichte, der Art, Intensität und Dauer der Beschwerden, Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme, Alkoholkonsum und anderen relevanten Faktoren.
  2. Körperliche Untersuchung: Der Arzt untersucht Muskelkraft, Reflexe sowie die Wahrnehmung von Berührungen, Temperatur und Vibration. Man kann eine Polyneuropathie vermuten, wenn sich das Gefühl in den Füßen beim Sockenanziehen verringert oder wenn eine Gangunsicherheit auftritt, ohne dass eine andere Erkrankung als Ursache in Frage kommt.
  3. Neurologische Untersuchung: Umfasst die Überprüfung von Muskelkraft, Reflexen und Sensibilität.
  4. Elektrophysiologische Untersuchungen:
    • Elektroneurografie (ENG): Misst, wie schnell Nerven eine Erregung weiterleiten.
    • Elektromyografie (EMG): Zeichnet die Aktivität eines Muskels in Ruhe und bei Anspannung auf.
  5. Laboruntersuchungen: Bluttests können behandelbare Ursachen der Polyneuropathie aufdecken, beispielsweise einen Vitamin-B12-Mangel oder einen bis dahin unbekannten Diabetes mellitus. Gegebenenfalls wird der Neurologe auch untersuchen, ob eine schwere Nierenerkrankung vorliegt, die ebenfalls als Verursacher einer Polyneuropathie in Frage kommt.
  6. Weitere Untersuchungen: Bei speziellen Fragestellungen können weitere Untersuchungen in der Neurologie sinnvoll sein. Eine Analyse des Nervenwassers (Liquoruntersuchung) hilft beispielsweise, entzündlich bedingte Polyneuropathien festzustellen. Bei Anhaltspunkten für eine genetische Polyneuropathie ist eine Erbgutanalyse möglich. In besonders schweren Krankheitsfällen kann eine Probenentnahme aus dem Nervengewebe (Nervenbiopsie) gerechtfertigt sein.
  7. Bildgebende Verfahren: Je nach Einzelfall können bildgebende Verfahren wie Magnetresonanztomografie (MRT) oder Ultraschall durchgeführt werden.

Therapie der Polyneuropathie

Die Therapie der Polyneuropathie richtet sich nach der festgestellten Ursache und nach dem Beschwerdebild. Es gilt, die Grunderkrankung zu behandeln, um die Nervenschädigung zu stoppen oder zu verlangsamen.

Behandlung der Grunderkrankung

  • Diabetes mellitus: Eine konsequente Blutzuckereinstellung ist entscheidend.
  • Alkoholmissbrauch: Absolute Alkoholabstinenz ist notwendig.
  • Vitaminmangel: Ausgleich des Mangels durch hoch dosierte Nahrungsergänzungsmittel.
  • Weitere Erkrankungen: Behandlung von Leber-, Nieren- oder Schilddrüsenerkrankungen.

Symptomatische Behandlung

Neben der Behandlung der Ursache ist eine symptomatische Behandlung wichtig, um die Beschwerden zu lindern.

  • Schmerztherapie: Gegen die Schmerzsymptomatik werden Pregabalin oder Gabapentin sowie alternativ Duloxetin oder Amitriptylin eingesetzt. Diese Medikamente modifizieren die Schmerzwahrnehmung auf unterschiedlichen Wegen und haben sich als effektiver gegenüber klassischen Schmerztabletten erwiesen. Hierzu bedarf es der Unterstützung eines erfahrenen Neurologen oder Schmerztherapeuten.
  • Physiotherapie und physikalische Therapie: Physiotherapeutische und physikalische Maßnahmen sind als langfristige Behandlungen am effektivsten. In der physikalischen Therapie können vor allem sensible und motorische Symptome gelindert werden. Dazu werden Bäder, Elektrotherapie und Wärmeanwendungen eingesetzt. In der Krankengymnastik, der Sporttherapie und der medizinischen Trainingstherapie (spezielles Krafttraining) lernen Patienten spezielle Übungen und stärken ihre geschwächte Muskulatur.
  • Ergotherapie: Sensible Symptome erfordern Therapien aus den Bereichen Ergotherapie.
  • Weitere Maßnahmen: Bei Magen- und Darmproblemen helfen häufigere, aber kleinere Mahlzeiten. Übelkeit und Durchfall werden mit Medikamenten behandelt. Schwindel und körperliche Schwäche werden mit Stützstrümpfen und regelmäßigem Muskeltraining behandelt.

Rehabilitation

Wenn bisherige Behandlungen nicht zur gewünschten Beschwerdefreiheit geführt haben, ist ein Reha-Aufenthalt eine sinnvolle therapeutische Ergänzung. Der multimodale Behandlungsansatz von Polyneuropathien in den neurologischen Rehabilitationskliniken zielt einerseits, soweit möglich, auf die optimale Behandlung der zugrunde liegenden Ursache der Erkrankung ab. Andererseits erfolgen eine engmaschige Kontrolle und gegebenenfalls die Optimierung der medikamentösen und nichtmedikamentösen Behandlung. Spezifische Symptome der Polyneuropathie wie Lähmungserscheinungen sowie Gang- und Gleichgewichtsstörungen werden entsprechend individuell behandelt. Hier greifen Anwendungen aus Physiotherapie und Ergotherapie sinnvoll ineinander.

Polyneuropathie und Depression

Häufig kommt es aufgrund der konstanten Schmerzen einer Polyneuropathie zu Depressionen. Die diabetische Neuropathie ist sehr häufig mit Depressionen, Angststörungen und auch Schlafstörungen assoziiert. Für die Prognose der Erkrankung wie auch die Lebensqualität des Patienten hat diese Trias summativ einen negativen Einfluss. In der Praxis sollte daher standardmäßig bei Neuropathiepatienten ein Screening in Bezug auf Depressionen, Angststörungen und Schlafstörungen erfolgen. Depressionen in der Folge der Erkrankung werden bei Bedarf sowohl durch eine psychologische Betreuung als auch medikamentös mitbehandelt.

Was kann ich selbst tun?

Um die Symptome einer Polyneuropathie zu lindern, ist regelmäßige Bewegung sehr wichtig. Bei einer durch Alkohol verursachten Polyneuropathie sollte auf Alkohol verzichtet werden, um eine Verschlimmerung zu verhindern. Die effektivsten Maßnahmen gegen Polyneuropathie sind regelmäßige Bewegung oder Physiotherapie, eine ausgewogene Ernährung und gegebenenfalls die Substitution von Vitaminen.

Häufig kann durch die optimale Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung der Verlauf der Polyneuropathie günstig beeinflusst werden. Die optimale Behandlung eines Diabetes mellitus, Alkoholkarenz und die Substitution von fehlenden Vitaminen sind z. B. wichtige Basismaßnahmen.

Heilungsaussichten und Lebenserwartung

Die Frage, ob eine Heilung der Polyneuropathie möglich ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Sie hängt unter anderem vom Zeitpunkt der Diagnose, der zugrundeliegenden Erkrankung und dem Ausmaß der bereits bestehenden Nervenschädigung ab. Polyneuropathien beeinflussen für gewöhnlich die Lebenserwartung nicht direkt, jedoch kann die Lebensqualität durch Symptome wie Schmerzen, verminderte Mobilität und die damit verbundene erhöhte Sturzgefahr eingeschränkt sein.

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