Polyneuropathie durch Vitamin-B12-Mangel: Ursachen, Symptome und Therapie

Vitamin B12 ist ein essentielles Vitamin, das eine entscheidende Rolle für die Gesundheit der Nerven spielt. Ein Mangel an diesem Vitamin kann zu einer Polyneuropathie führen, einer Erkrankung, bei der mehrere periphere Nerven geschädigt werden. Dieser Artikel beleuchtet die Ursachen, Symptome und Therapiemöglichkeiten der Polyneuropathie, die durch einen Vitamin-B12-Mangel verursacht wird.

Vitamin B12: Aufnahme, Funktion und Bedeutung

Aufnahme und Verwertung von Vitamin B12

Die Aufnahme von Vitamin B12 im Körper ist ein komplexer Prozess, der mehrere Schritte umfasst:

  1. Abspaltung: Im Magen wird Vitamin B12, das an Proteine gebunden ist, durch Pepsin und Magensäure freigesetzt.
  2. Bindung an R-Proteine: Das freigesetzte Vitamin B12 bindet im Magen an R-Proteine (Haptocorrine).
  3. Abspaltung der R-Proteine: Im Duodenum werden die R-Proteine durch Pankreasenzyme abgespalten.
  4. Bindung an Intrinsic Factor (IF): Vitamin B12 bindet an den Intrinsic Factor, der von den Parietalzellen des Magens produziert wird.
  5. Resorption: Der Vitamin-B12-IF-Komplex wird im terminalen Ileum resorbiert. Eine geringe passive Resorption (ca. 1 %) findet im gesamten Dünndarm statt.

Im Körper zirkuliert Vitamin B12 in verschiedenen Formen:

  • Holotranscobolamin: Die biologisch aktive Form von Vitamin B12.
  • Haptocorrin und Transcobalamin: Weitere Transportproteine für Vitamin B12.

Funktionen von Vitamin B12

Vitamin B12 ist an verschiedenen wichtigen Stoffwechselprozessen beteiligt:

  • Umwandlung von Methylmalonyl-CoA zu Succinyl-CoA: Vitamin B12 ist ein Katalysator für diese Reaktion. Bei einem Mangel kommt es zu einer Erhöhung der Methylmalonsäure.
  • Synthese von Methionin: Vitamin B12 ist zusammen mit Folsäure für die Synthese von Methionin aus Homocystein notwendig. Methionin spielt eine wichtige Rolle in der Blutbildung (Hämatopoese). Ein Mangel an Methionin führt zu einer Erhöhung des Homocysteinspiegels.

Bedarf und Speicherung

Der tägliche Bedarf an Vitamin B12 beträgt etwa 3-4 µg. Vitamin B12 wird hauptsächlich in der Leber gespeichert, aber auch in geringeren Mengen in Nieren, Muskulatur, Gehirn und Milz. Die Körperspeicher reichen in der Regel für mehrere Jahre.

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Polyneuropathie: Eine Übersicht

Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere Nerven gleichzeitig geschädigt sind. Das periphere Nervensystem verbindet Organe und Gewebe mit dem zentralen Nervensystem und ist für die Weiterleitung motorischer Befehle an die Muskeln sowie für die Übertragung von Sinneseindrücken verantwortlich. Eine Schädigung dieser Nerven kann zu vielfältigen Symptomen führen.

Ursachen von Polyneuropathie

Es gibt zahlreiche Ursachen für Polyneuropathie, wobei erworbene Formen häufiger sind als angeborene. Zu den häufigsten Ursachen zählen:

  • Diabetes mellitus: Ein dauerhaft erhöhter Blutzuckerspiegel kann die Nerven schädigen.
  • Alkoholmissbrauch: Chronischer Alkoholmissbrauch kann eine toxische Wirkung auf die Nerven haben.
  • Entzündungen: Entzündungsprozesse im Körper, die durch Autoimmunerkrankungen oder Infektionen verursacht werden, können die Nerven schädigen.
  • Mangelernährung: Ein Mangel an wichtigen Nährstoffen, insbesondere Vitamin B12, kann zu Nervenschäden führen.
  • Medikamente und Toxine: Bestimmte Medikamente und der Kontakt mit giftigen Substanzen können Polyneuropathie verursachen.
  • Infektionen: Infektionen wie Borreliose, Diphtherie oder Gürtelrose können ebenfalls eine Polyneuropathie auslösen.
  • Weitere Erkrankungen: Erkrankungen der Leber, Nieren, Schilddrüse oder Krebserkrankungen können ebenfalls eine Polyneuropathie verursachen.

Symptome der Polyneuropathie

Die Symptome einer Polyneuropathie können je nach Art der betroffenen Nerven variieren. Mediziner unterscheiden sensible, motorische und vegetative Polyneuropathien.

  • Sensible Polyneuropathie: Betrifft die Nerven, die Informationen von der Haut zum Gehirn senden. Symptome können Empfindungsstörungen wie Kribbeln, Brennen, Taubheitsgefühle, vermindertes Temperatur- oder Schmerzempfinden sein. Häufig treten diese Symptome zuerst in den Füßen und Händen auf ("Handschuh- und Strumpf"-Verteilung).
  • Motorische Polyneuropathie: Betrifft die Nerven, die Signale vom Gehirn zu den Muskeln leiten. Symptome können Muskelschwäche, Muskelschmerzen, Muskelzucken oder Muskelkrämpfe sein.
  • Vegetative Polyneuropathie: Betrifft das vegetative Nervensystem, das automatische Körperfunktionen wie Verdauung, Atmung und Schwitzen koordiniert. Symptome können Schwindel, Blasenschwäche, Durchfall oder verstärktes Schwitzen sein.

Zusätzlich zu diesen spezifischen Symptomen können auch allgemeine Beschwerden wie Erschöpfungszustände auftreten.

Diagnostik der Polyneuropathie

Die Diagnose einer Polyneuropathie umfasst mehrere Schritte:

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  1. Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte und die aktuellen Beschwerden des Patienten.
  2. Körperliche Untersuchung: Der Arzt prüft Muskelkraft, Reflexe und das Reizempfinden des Patienten.
  3. Neurologische Untersuchung: Umfasst die Elektroneurographie (Messung der Nervenleitgeschwindigkeit) und Elektromyographie (Messung der Muskelaktivität).
  4. Laboruntersuchungen: Blut- und Urinuntersuchungen können Hinweise auf mögliche Ursachen liefern, wie z.B. Diabetes, Vitaminmangel oder Entzündungen.
  5. Bildgebung: MRT-Untersuchungen des Gehirns und des Rückenmarks können durchgeführt werden, um andere Erkrankungen auszuschließen.
  6. Weitere Untersuchungen: In einigen Fällen können weitere Untersuchungen wie Nervenbiopsien oder genetische Tests erforderlich sein.

Vitamin-B12-Mangel als Ursache der Polyneuropathie

Ein Mangel an Vitamin B12 kann zu einer Schädigung der Nerven führen, da dieses Vitamin für die Bildung und Regeneration der Myelinscheide, der Schutzhülle der Nervenfasern, unerlässlich ist. Ein Mangel kann verschiedene neurologische Symptome verursachen, darunter:

  • Polyneuropathie: Sensible oder sensomotorische Störungen, beginnend in den Füßen und Händen.
  • Funikuläre Myelose: Degeneration der Seiten- und Hinterstränge im Rückenmark, beginnend im zervikothorakalen Übergang. Symptome sind Parästhesien, Störungen der Tiefensensibilität und spastische Ataxie.
  • Optikusatrophie: Schädigung des Sehnervs, die zu Sehstörungen führen kann.

Ursachen für Vitamin-B12-Mangel

Ein Vitamin-B12-Mangel kann verschiedene Ursachen haben:

  • Aufnahmestörungen: Erkrankungen des Magens oder des Dünndarms, die die Aufnahme von Vitamin B12 beeinträchtigen. Dazu gehören z.B. Autoimmungastritis (mit Bildung von Parietalzell-Antikörpern und/oder IF-Autoantikörpern), Zöliakie oder Morbus Crohn.
  • Mangelernährung: Eine unzureichende Zufuhr von Vitamin B12 über die Nahrung, insbesondere bei veganer Ernährung.
  • Erhöhter Bedarf: In bestimmten Lebensphasen, wie z.B. Schwangerschaft oder Stillzeit, kann der Bedarf an Vitamin B12 erhöht sein.
  • Medikamente: Einige Medikamente, wie z.B. Metformin (ein Medikament zur Behandlung von Diabetes), können die Aufnahme von Vitamin B12 beeinträchtigen.
  • Alter: Mit zunehmendem Alter sinkt die Leistungsfähigkeit des Magen-Darm-Trakts, was die Aufnahme von Vitamin B12 beeinträchtigen kann.

Diagnose des Vitamin-B12-Mangels

Die Diagnose eines Vitamin-B12-Mangels erfolgt in der Regel durch Blutuntersuchungen:

  • Vitamin-B12-Spiegel: Ein niedriger Vitamin-B12-Spiegel im Serum (<200 pg/ml) deutet auf einen Mangel hin. Allerdings können neurologische Symptome auch bei "normalen" Blutwerten auftreten.
  • Holotranscobolamin: Die Messung des Holotranscobolamin-Spiegels (Holo-TC) ist aussagekräftiger, da es die biologisch aktive Form von Vitamin B12 erfasst. Ein niedriger Holo-TC-Spiegel (<40 pmol/l) ist ein Frühmarker für einen Vitamin-B12-Mangel.
  • Methylmalonsäure (MMA): Ein erhöhter MMA-Spiegel im Serum (>280 nmol/l) oder im Urin (>4 mg/g Kreatinin) deutet auf einen Vitamin-B12-Mangel hin.
  • Weitere Blutwerte: Anämie (erhöhtes MCV, erhöhtes MCH, hypersegmentierte Granulozyten, Retikulopenie) kann ebenfalls auf einen Vitamin-B12-Mangel hindeuten, aber diese Werte können auch normal sein.
  • Antikörper: Parietalzell-Antikörper und IF-Autoantikörper können bei Autoimmungastritis nachgewiesen werden.

Bei grenzwertigen Vitamin-B12-Spiegeln sind ergänzende Untersuchungen sinnvoll. Bei Niereninsuffizienz können die Vitamin-B12-Spiegel fälschlicherweise erniedrigt sein, daher sollte immer die Nierenfunktion überprüft werden.

Therapie der Polyneuropathie durch Vitamin-B12-Mangel

Die Therapie der Polyneuropathie durch Vitamin-B12-Mangel zielt darauf ab, den Vitamin-B12-Spiegel im Körper wiederherzustellen und die neurologischen Symptome zu lindern.

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Vitamin-B12-Substitution

Die Substitution von Vitamin B12 kann oral oder parenteral (intramuskulär oder intravenös/subkutan) erfolgen.

  • Orale Therapie: Bei einem leichten Mangel ohne neurologische Symptome ist die orale Therapie in der Regel ausreichend. Es werden hohe Dosen von Vitamin B12 (1000-2000 µg/Tag) eingenommen, um die passive Resorption zu nutzen. Die Dosis wird im Laufe der Zeit reduziert.
  • Parenterale Therapie: Bei neurologischen Manifestationen wie funikulärer Myelose oder Optikusatrophie ist die parenterale Therapie empfehlenswert. Es werden initial 1000 µg Hydroxycobalamin ein- bis zweimal pro Woche intramuskulär oder intravenös/subkutan verabreicht, gefolgt von einer Erhaltungsdosis von 1000 µg pro Monat.

Es gibt keine Toxizität bei Überdosierung von Vitamin B12. Bei Therapiebeginn sollte zusätzlich Folsäure (1,5-5 mg/Tag) gegeben werden, um die Blutbildung zu unterstützen.

Überwachung der Therapie

Der Vitamin-B12-Spiegel sollte nach Therapiebeginn regelmäßig kontrolliert werden. Eine Besserung der hämatologischen Symptomatik (Anstieg der Retikulozyten) ist in der Regel innerhalb einer Woche zu beobachten. Die Besserung der neurologischen Symptomatik hängt von der Dauer und Schwere der Symptome ab und kann mehrere Monate dauern.

Weitere Therapieansätze

Neben der Vitamin-B12-Substitution können weitere Therapieansätze zur Linderung der Symptome der Polyneuropathie eingesetzt werden:

  • Schmerztherapie: Bei neuropathischen Schmerzen können Antidepressiva oder Antikonvulsiva eingesetzt werden.
  • Physiotherapie: Zur Verbesserung der Muskelkraft, Koordination und des Gleichgewichts.
  • Ergotherapie: Zur Anpassung des Alltags an die körperlichen Einschränkungen.
  • Orthopädische Hilfsmittel: Schienen oder Orthesen können bei Muskellähmungen helfen.

Zusätzliche wichtige Informationen

  • Diabetespatienten: Bei Diabetespatienten sollte auf eine optimale Blutzuckereinstellung geachtet werden, um die Entstehung oder Verschlimmerung einer diabetischen Polyneuropathie zu verhindern. Eine Supplementierung mit Vitamin B1 und Benfotiamin kann ebenfalls sinnvoll sein, da diese Stoffe den Glukosestoffwechsel positiv beeinflussen und die Bildung schädlicher Endprodukte reduzieren können. Bei Metformin-Einnahme sollte der Vitamin-B12-Spiegel regelmäßig kontrolliert werden.
  • Weitere Mikronährstoffe: Auch andere Mikronährstoffe wie Vitamin D, Magnesium und Alpha-Liponsäure können eine positive Wirkung auf die Nervenfunktion haben.
  • Alternative Therapien: Einige Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Heilpflanzen wie Kurkuma oder Capsaicin bei Polyneuropathie hilfreich sein können.

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