Bei Polyneuropathien liegt eine Schädigung der peripheren Nerven oder ihrer Hüllen vor. Der Begriff Neuropathie bezeichnet allgemein eine Schädigung oder Erkrankung der Nerven. Es gibt nicht "die eine" Polyneuropathie, sondern eine vielfältige Gruppe von Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Die Klassifikation ist wichtig für die Diagnose und gezielte Therapie, da Behandlungsmöglichkeiten und Verlauf je nach Art der Polyneuropathie variieren können. Die Wissenschaft kennt mittlerweile rund 600 Ursachen, die einer Polyneuropathie zugrunde liegen können. Trotz ausführlicher Diagnostik lässt sich bei rund einem Viertel der Betroffenen keine Ursache für die Polyneuropathie feststellen. In den meisten Fällen stellt die Polyneuropathie keine eigenständige Krankheit dar, sondern tritt als Folge oder Begleiterscheinung einer Grunderkrankung auf.
Ursachen von Polyneuropathie
Die Ursachen von Polyneuropathie sind vielfältig. Hier sind einige der häufigsten Ursachen:
- Metabolische Polyneuropathien: Diese werden durch Stoffwechselstörungen hervorgerufen. Ein Vitamin-B12-Mangel kann eine Polyneuropathie begünstigen.
- Entzündliche Polyneuropathien: Diese werden überwiegend durch Autoimmun-Erkrankungen verursacht. Dazu zählen unter anderem das Guillain-Barré-Syndrom oder die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie, kurz CIDP.
- Infektionen: Nach einer Corona-Erkrankung kann eine Small Fiber Neuropathie auftreten.
- Toxine: Giftstoffe können ebenfalls eine Schädigung peripherer Nerven hervorrufen.
- Diabetes mellitus: Bei etwa jedem zweiten Patient mit Diabetes mellitus treten im Laufe des Lebens Nervenschäden auf. Die diabetische Polyneuropathie kann mit unterschiedlichen Symptomen einhergehen.
- Alkoholismus: Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum regelmäßig und in übermäßigen Mengen Alkohol konsumieren, sodass körperliche, psychische und soziale Schäden entstehen, ist die Rede von chronischem Alkoholismus. Übermäßiger Alkoholkonsum ist oft auch mit einem Mangel an Vitamin B12, Folsäure sowie Vitamin B2 und Vitamin B6 verbunden.
- Chemotherapie: Polyneuropathien sind eine der häufigsten Langzeit-Nebenwirkungen onkologischer Therapien. Am häufigsten werden Polyneuropathien durch Chemotherapie (Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie, CIPN), aber auch durch moderne Biologicals und Immuntherapien (Therapie-induzierte Polyneuropathie, TIPN) verursacht.
- Andere Ursachen: Zu der langen Liste möglicher Ursachen zählen auch Alkoholmissbrauch, Medikamente wie Chemotherapeutika, Infektionen sowie Auto-Immunerkrankungen wie das Sjögren-Syndrom, Zöliakie und monoklonale Gammopathie.
Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN)
Chemotherapie-induzierte Polyneuropathien sind sowohl von der Kumulativdosis als auch von der Einzeldosis abhängig.
Kumulativdosen:
- Paclitaxel nach Ø 100-200 mg/m² kumulativ
- Oxaliplatin nach Ø 700-800 mg/m² kumulativ
- Cisplatin nach Ø 300 mg/m² kumulativ
- Vincristin nach Ø 5-6 mg/m² kumulativ
- Bortezomib nach 16 mg/m² kumulativ
Für die Taxane wird beschrieben, dass sich die Beschwerden bei 50% der Behandelten innerhalb von 9 Monaten vollständig zurückbildeten. Bei genauerer Befragung mit Patient-reported Outcomes (PRO) und Quantitativer Sensorischer Testung fand sich bei 67% bis 80% der Patientinnen ein Jahr nach adjuvanter Brustkrebstherapie noch Taubheit. Persistierende Balance-Defizite bestehen teilweise auch noch nach 2 Jahren. 41% klagen noch nach 3 Jahren über Restbeschwerden im Sinne von Langzeitneurotoxizität.
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Oxaliplatin löst in höheren Kumulativdosen bei 20-50% der Patienten distale Missempfindungen und Taubheit aus, die zu funktionellen Defiziten führen. Fälschlich wurde die Oxaliplatin-induzierte PNP früher als reversibel angesehen, denn bei 10-15% der Patienten werden auch noch nach 2 Jahren klinisch (NCI Skalen) neurotoxische Symptome beschrieben, laut PRO sogar bei 60% funktionsbeeinträchtigende Symptome. Nach 7 bis 11 Jahren berichten noch 29% der Patienten über schwere neuropathische Fußsymptome. Nach 18 Monaten bleiben neurophysiologische Abweichungen und Balancedefizite bei 75% der Patienten nachweisbar. Die akuten Kältedysästhesien sind in der Regel innerhalb von Tagen rückläufig. Bei Persistenz können sie jedoch das Arbeiten in Kälte und Greifen kalter Gegenstände erheblich erschweren.
Persistierende Cisplatin-induzierte PNP entwickeln 20% der Behandelten, in Abhängigkeit von der Dosis bis zu 36%. Bei objektivierender Testung zeigen bis zu 80% der Betroffenen nach 2 Jahren noch Cisplatin-induzierte Nervenschäden. Diese Diskrepanz mag auf eine Adaptation der Patienten hinweisen.
Unter Vincristin entwickeln in Abhängig von Einzel- und Kumulativdosis 35-45% der Patienten eine führend sensible PNP, typischerweise an den Händen beginnend. Diese kann nach Beendigung der Therapie fortschreiten (sog. Coasting). Die Vincristin-induzierte PNP gilt als weitgehend reversibel. Leichte Symptome bilden sich typischerweise innerhalb von wenigen Monaten zurück. Bei 32% der Patienten persistieren allerdings milde Symptome bis zu 3 Jahre. 14% zeigen noch nach bis zu 9 Jahren deutlich beeinträchtigende Symptome. Betroffene berichten über eine damit einhergehend schlechtere Lebensqualität.
Bortezomib wird als der erste Vertreter einer neuen Klasse von Proteasomen-Inhibitoren v.a. beim multiplen Myelom eingesetzt. Unter Bortezomib entwickeln 50% der Behandelten eine schmerzhafte, sensible PNP, 30% mäßige bzw. schwere Neurotoxizität. Eine subjektiv gute Rückbildung berichten 60-85% der Betroffenen innerhalb von 2-3 Monaten nach Therapieende, 25% eine persistierende PNP. Objektive Assessments zeigen im Langzeitverlauf persistierende Beschwerden ohne Besserung nach einem Jahr. Die klinische Besserung ist also möglicherweise nicht Ausdruck der Rückbildung neurologischer Schädigungen.
Neuropathie ist unter Thalidomid eine der häufigsten Nebenwirkungen. Die Inzidenz ist 83%, abhängig von der täglichen Einzeldosis und vor allem der Behandlungsdauer auch bei niedrigen Dosen. Nach einer Erhaltungstherapie von über einem Jahr entwickeln 75% eine PNP, davon 35% eine schwere Form. Über den Langzeitverlauf gibt es wenige Daten. Bei 90% der Patienten tritt innerhalb von 3-4 Monaten nach Absetzen eine Besserung ein.
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Symptome von Polyneuropathie
Die ersten Anzeichen einer Polyneuropathie zeigen sich vorrangig an den vom Rumpf am weitesten entfernten Stellen. Motorische Nervenfasern sind für die Steuerung der Muskulatur verantwortlich. Typisch für den Verlauf ist das sog. Coasting-Phänomen. Symptome können nach der Beendigung der Tumortherapie zunächst über etwa 3-4 Monate weiter fortschreiten, bevor sie meist wieder abklingen.
Die Symptome können je nach Art der Polyneuropathie variieren. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Empfindungsstörungen: Manche Menschen haben Empfindungsstörungen. Sie spüren kaum noch Temperaturunterschiede, Berührungen und Schmerzreize. Werden deshalb Druckstellen oder Verletzungen an den Füßen nicht mehr wahrgenommen, können sich schwere Wunden entwickeln.
- Schmerzen: Polyneuropathien betreffen im Allgemeinen die großen peripheren Nervenbahnen. Die Medizin spricht deshalb auch von „Large Fiber Neuropathien“. Teilweise treten diese Beschwerden einseitig an anderen Körperstellen, auch an Brustkorb und Gesicht, auf.
- Muskelschwund: Häufig kommt es zu einem Schwund der Fuß- und Wadenmuskulatur und infolgedessen zu einer Gangstörung.
- Autonome Nervenschäden: Bei Diabetes mellitus kann es auch zu einer Schädigung der autonomen Nerven kommen.
- Missempfindungen (Parästhesien): Leitsymptome sind deshalb Missempfindungen (Parästhesien) wie Kribbeln und Nadelstiche, teilweise schmerzhaft (Dysästhesien), oder Taubheit. Das Verteilungsmuster der Beschwerden ist typischerweise symmetrisch, handschuh- oder sockenförmig. Die Ausfälle beginnen körperfern in den Finger- bzw. Zehenspitzen und können zur Körpermitte hin fortschreiten.
- Sensible Ataxie: Symptome wie eine sensible Ataxie, Schmerzen und ausgeprägte Taubheit können funktionelle Fähigkeiten und Lebensqualität einschränken und behindern.
Da die Symptome Körperbereiche betreffen, die am weitesten vom Rumpf entfernt (distal) sind und an beiden Füßen auftreten, sprechen Ärzte von einer distal-symmetrischen Polyneuropathie.
Akute Polyneuropathie
Akute Polyneuropathie: Die Symptome entwickeln sich innerhalb weniger Tage bis maximal vier Wochen. Typisch ist dies zum Beispiel beim Guillain-Barré-Syndrom.
Diagnose von Polyneuropathie
Bei Missempfindungen oder anderen Beschwerden, die im Zusammenhang mit einer Neuropathie stehen könnten, ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Bei Verdacht auf eine Polyneuropathie überweist der Hausarzt an einen Neurologen.
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Die Diagnose von Polyneuropathie umfasst in der Regel folgende Schritte:
- Anamnese: Bei der Erfassung der Krankengeschichte fragt der Neurologe nach den aktuellen Symptomen und ihrem ersten Auftreten, Grunderkrankungen und Medikation.
- Klinische Untersuchung: Bei der körperlichen Untersuchung werden Reflexe, Temperatur-, Schmerz- und Vibrationsempfinden an betroffenen Gliedmaßen überprüft sowie Gleichgewicht, Stand, Gang und Muskelkraft getestet. Bei der klinischen Untersuchung findet man Ausfälle des Berühr- und Vibrationsempfindens sowie des Lagesinns, verbunden mit einem Verlust der Muskeleigenreflexe. Motorische und vegetative Defizite sind seltener, können aber abhängig von der Substanz hinzukommen.
- Nervenleitgeschwindigkeit (NLG): Gemessen wird, wie schnell elektrische Signale durch die Nerven geleitet werden. Veränderungen der Nervenleitgeschwindigkeit treten aber erst relativ spät im klinischen Verlauf auf, so dass die NLG zur Früherkennung oder Verlaufsbeurteilung wenig geeignet ist.
- Spezielle Laboruntersuchungen: Das Blut wird auf spezifische Antikörper getestet.
- Bildgebung: Mittels hochauflösender Sonographie können beispielsweise Veränderungen in der Dicke eines Nervs detektiert werden.
- Quantitative Sensorische Testung (QST): Die Quantitative Sensorische Testung (QST) umfasst thermische und mechanische Untersuchungsparameter und erlaubt neben dem Nachweis sensorischer Ausfallerscheinungen (Negativsymptome) auch die Detektion von sensiblen Pluszeichen (z.B. thermische oder mechanische Hyperalgesie). So kann eine herabgesetzte Kälteschmerzschwelle Hinweis auf die Entwicklung einer schweren Neuropathie bei Oxaliplatin-Patienten sein.
- Vibrationsprüfung: Frühwarnzeichen einer Polyneuropathie ist neben dem Verlust der Muskeleigenreflexe das Nachlassen des Vibrationsempfindens. Deshalb soll die Vibration nach jedem Therapiezyklus mit der Stimmgabel nach Rydel-Seiffer überprüft werden.
- Fragebögen: Zur Erhebung der subjektiven Beschwerden der Betroffenen stehen verschiedene Fragebögen zur Verfügung.
Oftmals genügen die Basisuntersuchungen, um die Ursache der Polyneuropathie zu klären und die Diagnose Neuropathie zu sichern.
Bis heute gibt es keinen verbindlichen Standard zur Untersuchung und Schweregradeinteilung. Ein Goldstandard würde neben der klinischen Untersuchung objektive neurophysiologische Parameter umfassen und subjektive Patienteneinschätzungen (patient reported outcomes, PROs), da Ärzte in der Regel Häufigkeit und Schwere der Neurotoxizität unterschätzen.
An klinischen Scores stehen die Common Terminology Criteria for Adverse Events des National Cancer Institute (CTCAE-NCI) und der Total Neuropathy Score (TNS) zur Verfügung.
CTC sind einfach zu erheben, weisen aber Boden- und Deckeneffekte sowie eine mäßige Untersucherübereinstimmung (Reliabilität 46-71%) auf. Durch konsequentes Training ist diese deutlich zu verbessern.
Der aufwendigere, validierte TNS ist den CTC überlegen, da er präziser ist, z.B. in der Differenzierung zwischen Grad II und III, eine gute Veränderungsempfindlichkeit im Verlauf und gute Reliabilität aufweist. Vom TNS ist eine klinische Version ohne neurophysiologische Testung verfügbar (TNSc) und eine reduzierte Version (TNSr), die darüber hinaus auf die Erhebung motorischer und vegetativer Symptome sowie der Vibrationsschwelle verzichtet.
Behandlung von Polyneuropathie
Die Heilungschancen hängen davon ab, welche Ursache der Polyneuropathie zugrunde liegt. Bei einigen Arten bestehen gute Aussichten auf eine Rückbildung. Ob eine Neuropathie heilbar ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Viele Polyneuropathien weisen einen chronischen Verlauf auf und begleiten Betroffene über eine lange Zeit. Ob eine Rückbildung möglich ist, können im individuellen Fall nur die behandelnden Ärzte abschätzen. Ebenso wie sich eine chronische Polyneuropathie schleichend über einen längeren Zeitraum entwickelt, dauert es eine Weile, bis sich der Körper an die verordneten Therapien gewöhnt hat. Ob Schmerzmittel oder nicht-medikamentöse Maßnahmen - oft braucht es einige Wochen, bis eine wesentliche Linderung der Beschwerden spürbar wird.
Liegt der Polyneuropathie eine Erkrankung zugrunde, steht als Erstes deren gezielte Behandlung an. So ist zum Beispiel bei Diabetes mellitus eine optimale Blutzuckereinstellung unerlässlich. Bei Alkoholismus als Ursache ist eine sofortige, lebenslange Abstinenz angezeigt.
Zusätzlich gibt es verschiedene Möglichkeiten zur symptomatischen Behandlung. Diese richtet sich danach, welche Beschwerden im Vordergrund stehen.
- Schmerzmittel: Klassische Schmerzmittel sind bei Polyneuropathie nur schlecht wirksam. Wichtig ist zudem, dass die verordnete Dosierung exakt eingehalten wird. In schweren Fällen können Opioide in Betracht gezogen werden. Gerade bei komplexen Schmerztherapien ist es besonders wichtig, die richtige Medikation zur richtigen Zeit einzunehmen. Eine Alternative zu oralen Medikamenten können Schmerzpflaster mit hochdosiertem Capsaicin oder Lidocain sein, insbesondere bei lokalisierten Beschwerden wie Schmerzen und Missempfindungen.
- Medizinisches Cannabis: Seit 2017 können Ärzte in Deutschland medizinisches Cannabis auf Rezept verschreiben. Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei chronischen neuropathischen Schmerzen wird kontrovers diskutiert.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann bei motorischen Einschränkungen und Gangunsicherheit dazu beitragen, die Beweglichkeit und Stabilität zu verbessern.
- Transkutane Elektrostimulation (TENS): Bei der transkutanen Elektrostimulation, kurz TENS, werden kleine Elektroden auf die Haut geklebt, die sanfte elektrische Impulse abgeben. TENS ist eine nicht-medikamentöse Therapie, die oft bei starken neuropathischen Schmerzen in Kombination mit anderen Behandlungen eingesetzt wird. Sollten Medikamente zur Linderung der neuropathischen Schmerzen nicht ausreichen, kann in Absprache mit dem Arzt ein Therapieversuch erwogen werden.
- Aktive funktionelle Trainingstherapien: Insbesondere bei den Schweregraden II und III stehen aktive funktionelle Trainingstherapien im Vordergrund. Erfolgreich werden v.a. Gleichgewichtstrainings eingesetzt, im Unterschied zu reinen Kraft- und Ausdauertrainings. Daten liegen zum Sensorimotortraining vor. Subjektiv besonders effektiv ist Walking in Granulat. Außerdem etabliert sind Whole Body Vibration und Tai Chi. Hinzu kommt bei Grad III und IV das gezielte Training von Hilfsmitteln für Beruf und Alltag. Gezeigt wurde, dass sich Gang- und Standsicherheit, Balance und Sturzreflexe deutlich bessern, auch wenn die sensiblen Defizite fortbestehen.
Zu beachten ist, dass bei einer Polyneuropathie oftmals das Temperaturempfinden herabgesetzt ist.
Selbsthilfe bei Polyneuropathie
Wenn Sie von einer Polyneuropathie betroffen sind, können Sie selbst einiges tun, um den Behandlungserfolg zu unterstützen.
- Selbsthilfegruppen: In einer Selbsthilfegruppe treffen Sie auf Menschen, die genau verstehen, was es bedeutet, mit Polyneuropathie zu leben. Hier können Sie sich mit anderen Betroffenen über ihre Erfahrungen austauschen und praktische Tipps für den Alltag erhalten. Informationen über regionale Selbsthilfegruppen finden Sie beim Deutschen Polyneuropathie Selbsthilfe e.V..
- Ernährung: Ein spezielles Ernährungskonzept ist bei Polyneuropathie im Allgemeinen nicht notwendig - mit einer ausgewogenen Ernährungsweise versorgen Sie Ihren Körper mit allen essenziellen Vitaminen und Nährstoffen. Eine Nahrungsergänzung mit Folsäure, B12 oder anderen B-Vitaminen ist nur angeraten, wenn bei Ihnen ein ärztlich nachgewiesener Mangel besteht.
- Bewegung: Regelmäßige Bewegung kann neuropathische Beschwerden lindern und die Regeneration der Nerven anregen. Ideal ist die Kombination aus einem moderaten Ausdauertraining und Krafttraining. Zur Verbesserung von Gleichgewicht und Mobilität können schon einfache Übungen wie das Stehen auf einem Bein oder Gehen auf einer Linie helfen.
- Fußpflege: Bei Sensibilitätsstörungen ist eine tägliche Fußpflege unverzichtbar. Kürzen Sie die Fußnägel mit einer Nagelfeile anstatt mit der Schere, um Verletzungen zu vermeiden. Um Folgeschäden an den Füßen vorzubeugen, empfiehlt sich eine regelmäßige medizinische Fußpflege beim Podologen.
- Schuhwerk: Taubheitsgefühle oder eine eingeschränkte Schmerz- und Temperaturempfindung können das Risiko für Stürze und Verletzungen am Fuß erhöhen. Umso wichtiger ist es, dass Sie geeignetes Schuhwerk tragen. Wechseln Sie täglich die Socken.
- Hilfsmittel: Verschiedene Hilfsmittel können das Leben mit Polyneuropathie erleichtern.
Grad der Behinderung (GdB) bei Polyneuropathie
Bei erheblichen Beeinträchtigungen durch eine Polyneuropathie kann Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis bestehen, mit dem Sie bestimmte Nachteilsausgleiche wie zum Beispiel Steuerermäßigungen erhalten. Der Ausweis steht Ihnen ab einem Grad der Behinderung, kurz GdB, von mindestens 50 zu.
Der Grad der Behinderung (GdB) beschreibt den Schweregrad einer Krankheit oder Behinderung. Dazu zählen alle körperlichen, psychischen, kognitiven oder Sinnesbeeinträchtigungen, die länger als sechs Monate zu Einschränkungen führen. Der Grad der Behinderung wird auf einer Skala von 20 bis 100 in Zehnerschritten angegeben, wobei 100 den schwersten Grad der Behinderung darstellt. Der GdB wird oft bei Anträgen auf bestimmte Sozialleistungen wie Schwerbehindertenausweise, Rente oder Eingliederungshilfen herangezogen. Menschen mit einem höheren GdB haben in der Regel mehr Ansprüche auf Unterstützung und soziale Leistungen.
Der Grad der Behinderung wird auf Antrag durch versorgungsärztliche Gutachterinnen bestimmt. Dabei werden verschiedene Faktoren berücksichtigt, einschließlich der körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Beeinträchtigungen einer Person. Die Gutachterinnen betrachten alle medizinischen Diagnosen und nehmen die Bewertung anhand der Rechtsgrundlage der sogenannten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ vor.
Liegen mehrere Behinderungen oder Krankheiten vor, besteht die Berechnung nicht einfach aus dem Zusammenzählen der Einzel-GdB-Werte für verschiedene Behinderungen. Stattdessen ist das Verfahren ein komplexer Prozess, bei dem beurteilt wird, welche Wechselwirkungen unter den verschiedenen Krankheiten bestehen. Dieser Prozess zielt darauf ab, eine genaue und gerechte Bewertung des individuellen Unterstützungsbedarfs einer Person mit Behinderungen zu gewährleisten. Unterm Strich ist die Ermittlung des Gesamt-GdB eines Menschen immer vom Einzelfall abhängig und sehr individuell.
Als schwerbehindert gelten alle Personen mit einem Gesamt-GdB von mindestens 50. Darunter fallen die meisten schwereren Ausprägungen körperlicher, geistiger und psychischen Krankheiten. Wer einen Gesamt-GdB von 50 hat, erhält einen Schwerbehindertenausweis, mit dem Betroffene Rechte und Vergünstigungen erhalten. Er soll die Teilnahmemöglichkeiten am sozialen Leben für Menschen mit Behinderung verbessern. Übrigens können auch Menschen mit einem GdB von 30 bis unter 50 Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Dadurch erhalten sie dieselben Rechte, z. B. einen besonderen Kündigungsschutz, aber keinen Schwerbehindertenausweis.
GdB-Tabelle (Auszug)
Die folgende Tabelle enthält einen Auszug aus der GdB-Tabelle, der für Polyneuropathie relevant sein kann:
- Polyneuropathien: Der GdB bei Polyneuropathien richtet sich nach dem Ausmaß der Funktionseinschränkungen und den Auswirkungen auf den Alltag.
- Chronische Schmerzen: Bei chronischen Schmerzen kann vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung (GdB) festgestellt werden. Er richtet sich in der Regel nach der Grunderkrankung. Bei chronischen Schmerzen, die nicht oder nur in geringem Maße durch körperliche Schädigungen erklärt werden können und durch ein Zusammenspiel von körperlichen, seelischen und sozialen Ursachen entstehen, wird der GdB interdisziplinär, also in Zusammenarbeit von Fachleuten aus verschiedenen Bereichen, festgestellt.
- Psychische Störungen: Bei Schmerzen als Begleitsymptom einer psychischen Gesundheitsstörung (z.B. Depressionen, Angststörungen) wird bewertet, wie stark die psychische Gesundheitsstörung den Alltag und die Aktivität der betroffenen Person beeinträchtigt.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Kriterien und Verfahren zur Feststellung des GdB sich im Laufe der Zeit ändern können. Die Ermittlung des Gesamt-GdB eines Menschen ist immer vom Einzelfall abhängig und sehr individuell.
Nachteilsausgleiche
Damit Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilhaben können, gibt es für sie sog. Nachteilsausgleiche. Das Versorgungsamt, Amt für Soziale Angelegenheiten oder Amt für Soziales und Versorgung richtet sich bei der Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (= Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung). Diese enthalten Anhaltswerte über die Höhe des GdB bzw. Der Grad der Schädigungsfolgen ist ein Begriff aus dem Rechtsgebiet der Sozialen Entschädigung (SGB XIV) und beschreibt, wie stark eine Person durch ein Trauma oder eine Verletzung beeinträchtigt ist und wie sehr dies ihr tägliches Leben beeinflusst.
Menschen mit Behinderungen, die einen GdB von mindestens 50 haben, gelten als schwerbehindert und können einen Schwerbehindertenausweis beantragen, in dem der GdB sowie ggf. Merkzeichen (z.B. G für Gehbehinderung, aG für außergewöhnliche Gehbehinderung, B für Notwendigkeit ständiger Begleitung, H für Hilflosigkeit, RF für Rundfunkgebührenbefreiung) eingetragen sind.
Ab GdB 30 gibt es Hilfen und Nachteilsausgleiche im Beruf, z.B. Unterstützung bei der Arbeitsplatzgestaltung oder die Möglichkeit der stundenweisen Freistellung.
Mit Schwerbehindertenausweis gibt es vergünstigte Eintritte z.B. in Museen und Theater oder bei Konzerten, vergünstigte Mitgliedsbeiträge z.B. in Sportvereinen oder Ermäßigungen im öffentlichen Personennahverkehr.
Sozialmedizinische Beurteilung der Leistungsfähigkeit
Aufgrund des zunehmenden Einsatzes von onkologischen Behandlungsprotokollen mit Medikamenten, die in einem hohem Maße mit dem Risiko einer Polyneuropathie assoziiert sind, ist die CIPN ein wesentlicher Faktor bei der sozialmedizinischen Beurteilung. Die leitliniengerechte Therapie mit CIPN-induzierenden Chemotherapeutika betrifft häufig Tumorstadien, die in der sozialmedizinischen Gesamtbeurteilung ohnehin häufiger mit einer gefährdeten Leistungsfähigkeit einhergehen, z.B. beim Mammakarzinom oder bei kolorektalen Karzinomen. Andererseits möchten Betroffene angesichts der mit diesen Therapien verbesserten Heilungschancen im Erwerbsleben verbleiben oder müssen zu ihrer Existenzabsicherung weiterarbeiten. Die vorliegenden Fähigkeitseinschränkungen in Hinblick auf die Teilhabe am Erwerbsleben und am gesellschaftlichen Leben müssen deshalb in einer ausführlichen Anamnese, insbesondere unter beruflichen Aspekten erarbeitet werden. Die sozialmedizinische Beurteilung gründet sich auch in Bezug auf die CIPN auf die wie oben dargestellten diagnostischen Befunde und Einschätzungen. Patienten, bei denen aufgrund der erhobenen Fähigkeits- und Funktionseinschränkungen Probleme bei der beruflichen Reintegration zu erwarten sind, sollten darüber hinaus während einer Rehabilitation eine Arbeitsplatzberatung und ggf. auch eine Arbeitserprobung (medizinisch-berufliche Orientierung) angeboten werden. Die sozialmedizinische Relevanz einer CIPN ergibt sich für einen bestehenden Beruf aus der konkreten Arbeitsplatzbeschreibung.
Bei hohen Anforderungen an das Tastvermögen ergeben sich unter Umständen schon bei umschriebener Taubheit der Fingerspitzen (CIPN I) relevante Einschränkungen für die letzte Tätigkeit, z.B. bei medizinischem Assistenzpersonal (Venen tasten oder punktieren, instrumentieren) oder bei Berufsmusikern, speziell von Streichinstrumenten. Ebenso können hohe Anforderungen an die Feinmotorik, beispielsweise bei Laborarbeiten oder der Herstellung von Computerchips die Ausübung der bisherigen Tätigkeit einschränken (CIPN II). Bei Bauarbeitern ist das Besteigen von Leitern und Gerüsten von einer überprüften ausreichenden Gang- und Standsicherheit abhängig zu machen (bereits ab CIPN I).
Bürotätigkeiten sind in der Regel mit einer CIPN II möglich, bei einer dritt- gradigen CIPN wird zuvor ein funktionelles Training erforderlich sein. Bei Schreibkräften, die im Akkord arbeiten, lässt sich die Anschlagszahl gut im Rahmen einer Arbeitsplatzerprobung feststellen und trainieren.
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