Die Polyneuropathie (PNP) ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, die durch eine Vielzahl von Ursachen ausgelöst werden kann. Typische Symptome der Nervenkrankheit Polyneuropathie sind Kribbeln, Brennen und Taubheit, die anfangs an beiden Füßen und Beinen auftreten. Die Polyneuropathie gehört zu den häufigsten neurologischen Krankheiten.
Was ist Polyneuropathie?
Polyneuropathien sind Erkrankungen des „peripheren Nervensystems“, zu dem alle außerhalb des Zentralnervensystems liegenden Anteile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven mit den sie versorgenden Blut- und Lymphgefäßen gehören. Dabei nehmen Nerven, die sich außerhalb des Gehirns und des Rückenmarks befinden (sogenannte periphere Nerven), Schaden. Dies beeinträchtigt die Reizweiterleitung in den Nervenbahnen, was in Missempfindungen, Sensibilitätsstörungen oder auch Schmerzen mündet.
Ihren Ursprung haben die Gefühlsstörungen in den langen Nerven, die Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn verbinden. Schäden an den Nerven führen dazu, dass die Weiterleitung von Informationen zwischen Gehirn, Rückenmark und dem Rest des Körpers gestört ist. Je nachdem, welche Nerven betroffen sind, können bei der Polyneuropathie unterschiedliche Beschwerden im Vordergrund stehen. Typische Symptome einer Polyneuropathie sind sensible Reizerscheinungen wie Kribbeln, Ameisenlaufen, Stechen, Elektrisieren und sensible Ausfallerscheinungen wie Pelzigkeitsgefühl, Taubheitsgefühl, Gefühl des Eingeschnürtseins, Schwellungsgefühle sowie das Gefühl, wie auf Watte zu gehen. Oft bestehen eine Gangunsicherheit, insbesondere im Dunkeln, und ein fehlendes Temperaturempfinden mit schmerzlosen Wunden.
Die Polyneuropathie wird oftmals auch als "Periphere Polyneuropathie" oder "Periphere Neuropathie" (PNP) beschrieben.
Ursachen und Risikofaktoren
Die meisten Polyneuropathien sind keine eigenständige Erkrankung, sondern das Erkennbarwerden einer anderen zugrunde liegenden Erkrankung. Daher sind auch die Ursachen vielgestaltig und es gibt unterschiedliche Schweregrade. Folgende Grunderkrankungen sind häufig mit einer Polyneuropathie assoziiert:
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- Diabetes mellitus
- Alkoholmissbrauch
- Entzündungen (Borreliose, Lepra)
- Leber-, Nieren- und Lungenerkrankungen
- Hämatologische und rheumatologische Erkrankungen
- Tumorerkrankungen
- Bestimmte Medikamente
- Langzeitbehandlung auf einer Intensivstation
- Organtransplantationen
Die häufigste Ursache für eine Polyneuropathie sind der Diabetes mellitus oder ein übermäßiger Alkoholkonsum. Die entzündlichen, meist immunvermittelten Polyneuropathien sind mit ca. 20 % seltener. Eine wahrscheinlich weiterhin unterdiagnostizierte Gruppe sind die erblichen Neuropathien. Eine Vielzahl von Medikamenten und weiteren Substanzen kann eine „exotoxische“ Polyneuropathie verursachen. Dazu gehören u.a. verschiedene Chemotherapeutika, Antibiotika, Immun-Checkpoint-Inhibitoren.
Formen der Polyneuropathie
Je nach Ausprägung und Körperstelle, an dem die Nervenschäden auftreten, unterscheiden Ärzte:
- Symmetrische Polyneuropathien: Die Nervenschädigungen betreffen beide Körperhälften.
- Asymmetrische Polyneuropathien: Die Nervenschädigungen betreffen nur eine Körperseite.
- Distale Polyneuropathien: Die Schäden an den Nervenbahnen betreffen hauptsächlich Körperregionen, die vom Rumpf bzw. der Körpermitte entfernt liegen (bspw. Hände, Beine, Füße).
- Proximale Polyneuropathie: Eine seltene Form der Neuropathie, bei der sich die Erkrankung auf die rumpfnahen Körperteile beschränkt.
Welcher Teil der Nervenzellen wird geschädigt?
Jede Nervenzelle setzt sich aus einem Zellkörper und einem Nervenfortsatz (Axon) zusammen. Axone kann man sich wie elektrisch leitende Kabel vorstellen. Der Körper muss sie für die optimale elektrische Reiz- oder Signalweiterleitung mit einer Isolierschicht ummanteln. Diese wird Myelinschicht oder Markscheide genannt. Bei einer Polyneuropathie können unterschiedliche Teile dieser Nervenfortsätze geschädigt sein. Man unterscheidet:
- Demyelinisierende Polyneuropathie: Bei dieser Neuropathieform zerfällt die schützende Myelinschicht. Die elektrische Reizweiterleitung wird gestört. Je nach Ursache kann sich eine demyelinisierende Neuropathie (zumindest) teilweise auch wieder bessern.
- Axonale Polyneuropathie: Dabei ist das Axon selbst betroffen. Meist geht eine axonale Degeneration der Nerven mit schwerwiegenderen Beschwerden einher und weist eine deutlich schlechtere Prognose auf.
In bestimmten Fällen treten auch beide Formen kombiniert auf, sodass Myelinschicht und Axone gleichermaßen geschädigt sind.
Diagnostik der Polyneuropathie
Bei Verdacht auf Neuropathie führen einfache neurologische Tests zur Diagnose. Diese Untersuchungen zeigen Nervenschäden auf. Bei Verdacht auf Polyneuropathie führen einfache neurologische Tests zur Diagnose.
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Anamnese und körperliche Untersuchung
Die klinische Diagnose einer Polyneuropathie wird anhand von Anamnese und dem klinisch-neurologischen Befund gestellt. Am Anfang steht das ärztliche Gespräch mit dem Patienten. Der Arzt fragt dabei nach der Art der Beschwerden, wann und in welchem Zusammenhang diese begonnen haben und wie sie sich auswirken. Außerdem möchte er wissen, ob der Betreffende unter anderen Erkrankungen leidet und ob und wie diese behandelt werden.
In der Krankengeschichte wird nach typischen Symptomen, dem Erkrankungsverlauf, nach Vorerkrankungen und Begleiterkrankungen sowie nach der Familienanamnese gefragt. In einer neurologischen Untersuchung werden Muskelkraft, Sensibilität und Muskeleigenreflexe geprüft. Am häufigsten beginnen die Symptome und Ausfälle an den unteren Extremitäten, meist an den Füßen oder Fußspitzen. In einer klinischen Untersuchung stellt man häufig abgeschwächte oder ausgefallene Muskelreflexe (insbesondere Achillessehnenreflex) und schlaffe Lähmungen fest. An den Extremitäten können sich Sensibilitätsstörungen socken-, strumpf- oder handschuhförmig ausbreiten. Zu den weiteren Symptomen gehört einerseits eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit, z. B. auf Berührung, Wärme oder Kälte. Je nach Schädigung der Nerven kann aber auch das Berührungs- und Schmerzempfinden abgeschwächt sein.
Die Ärztin oder der Arzt testet dabei unter anderem die Berührungsempfindlichkeit Ihrer Haut sowie das Vibrations- und Temperaturempfinden. Außerdem prüft er Ihre Reflexe. Zu den wichtigsten Untersuchungsmethoden bei einem Polyneuropathie-Test gehören:
- Berührungsempfinden: Mit einem Nylonfaden (Monofilament) prüft die Ärztin oder der Arzt, wie empfindlich Sie auf Druck und Berührung am Fuß reagieren. Dazu drückt er den Faden leicht auf Fuß oder Hand.
- Vibrationsempfinden: Mit dem sogenannten Stimmgabel-Test prüft die Ärztin oder der Arzt, wie deutlich Sie Vibrationen am Fuß wahrnehmen. Dazu schlägt er die Stimmgabel an und hält sie an den Fuß- oder Handknöchel.
- Temperaturempfinden: Mit einem speziellen Instrument untersucht die Ärztin oder der Arzt, wie empfindlich Sie auf Wärme und Kälte an den Füßen reagieren. Der sogenannte Tip Therm® verfügt über eine Kunststoffoberfläche, die als relativ warm empfunden wird und eine Metalloberfläche, die auch bei Raumtemperatur ein Kältegefühl auslöst.
- Muskelreflexe: Mit dem Reflexhammer untersucht die Ärztin oder der Arzt im Rahmen des Neuropathie-Tests, ob Ihre Muskelreflexe funktionieren.
- Durchblutung der Beine: Mit einer ausführlichen Inspektion der Haut und durch das Tasten der Pulse an den Arterien des Fußes (Fußpulse) kann die Ärztin oder der Arzt feststellen, ob die Beine gut durchblutet sind.
Spezielle Tests zur Diagnose
- Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (Elektroneurografie, NLG): Falls bereits eine Neuropathie diagnostiziert wurde, kann die Ärztin oder der Arzt durch eine Messung der Reizleitgeschwindigkeit der Beinnerven feststellen, wie weit die Erkrankung fortgeschritten ist.
- Bestimmung der Muskelaktivität (Elektromyografie, EMG): Das Elektromyogramm zeichnet die Aktivität einzelner Muskeln auf. Veränderungen der Reizantworten deuten auf geschädigte Nerven oder Muskeln hin.
- Ultraschall und/oder Magnetresonanz-Angiografie: Wenn die Ärztin oder der Arzt eine Beteiligung der Gefäße an den Beschwerden vermutet, kann eine bildgebende Darstellung der Beinarterien (Ultraschall und/oder Magnetresonanz-Angiografie) die Polyneuropathie-Diagnose sichern.
- Elektrokardiogramm (EKG): Mit der Untersuchung der Herzstromkurve kann die Ärztin oder der Arzt prüfen, ob das Herz von einer autonomen Neuropathie betroffen ist.
Elektrophysiologische Untersuchung
Bei der neurophysiologischen Untersuchung mit Elektroneurographie (ENG) werden mit Stromimpulsen periphere Nerven stimuliert und Antworten von Muskeln oder sensiblen Fasern abgeleitet. Damit lässt sich die Art der Nervenschädigung feststellen. Die Elektromyographie (EMG) untersucht Muskeln mit Nadeln und stellt so das Ausmaß der Schädigung fest.
Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt. Das Elektromyogramm (EMG) misst die Muskelaktivität und kann ergänzend zur Elektroneurografie durchgeführt werden. Eine Nadelelektrode wird an der Haut über dem Muskel angebracht. Bei Muskelanspannung treten elektrische Veränderungen auf.
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Quantitative Sensorische Testung (QST)
Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz.
Nerven-Muskel-Biopsie
Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen.
Hautbiopsie
Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden.
Pedobarografie
Die Pedobarografie ist eine Druckmessung am Fuß. Mit ihr wird gemessen, wie der Fuß belastet wird. Die PatientInnen stellen sich auf eine Druckmessplatte und gehen auf ihr.
Blutuntersuchungen bei Polyneuropathie
Blutuntersuchungen dienen vor allem dazu, häufige und behandelbare Ursachen der Nervenschädigung zu erkennen. Polyneuropathie ist nicht direkt im Blut nachweisbar. Allerdings können (seltenere) Ursachen bei entsprechendem Verdacht anhand bestimmter Laborwerte aufgedeckt werden.
Laboranalysen, z.B. in Form spezieller Blutuntersuchungen, werden bei Verdacht auf diabetische Polyneuropathie nur in einzelnen Fällen zur Differenzialdiagnostik, d.h. zur Abklärung bei unklarer Ursache und/oder zur Abgrenzung anderer Krankheitsbilder mit ähnlicher Symptomatik, sowie zur Verlaufskontrolle genutzt. Bei jeder Polyneuropathie ist eine ausführliche Krankengeschichte (Anamnese) wichtig. Infektiöse Ursachen einer Polyneuropathie lassen sich durch Labortests nachweisen. Bei einer alkoholischen Polyneuropathie finden sich bei Blutuntersuchungen häufig Anzeichen für einen Vitamin-B-Mangel. Ist die Leber durch den chronischen Alkoholmissbrauch bereits stark geschädigt, fallen Gerinnungsstörungen, Eiweißmangel und erhöhte Leberwerte auf.
Einige Beispiele für solche Labortests bei Polyneuropathie sind:
- Erhöhte Entzündungswerte (wie CRP, weiße Blutkörperchen etc.) können auf eine entzündliche Ursache der Nervenschäden hindeuten.
- Ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) zeigt an, wie gut der Körper Zucker verarbeiten kann. Auffällige Testergebnisse können auf einen noch unentdeckten Diabetes (oder eine Vorstufe davon) hinweisen. Auch der Nüchternblutzucker ist hierbei sehr aussagekräftig. Bei bekannter Zuckerkrankheit ist vor allem der HbA1c-Wert ("Langzeitblutzucker") wichtig: Er zeigt an, wie gut der Diabetes in den letzten Monaten eingestellt war.
- Der Vitamin-B12-Status wird gemessen, um zu prüfen, ob eventuell ein Mangel besteht.
- Liegen die Leber- oder Nierenwerte außerhalb der Norm, wird die Polyneuropathie möglicherweise durch eine Leber- oder Nierenerkrankung verursacht. Dabei können Leberschäden auch durch Alkoholmissbrauch verursacht sein.
- Besteht der Verdacht, dass eine bestimmte Infektionskrankheit die Polyneuropathie verursacht, sind spezielle Blutuntersuchungen sinnvoll. Beispielsweise lässt sich eine vermutete Borreliose abklären, indem man im Blut des Patienten nach Antikörpern gegen die auslösenden Bakterien (Borrelien) fahndet.
- Eine genetische Untersuchung ist angezeigt, wenn es in einer Familie mehrere Fälle von Polyneuropathie gibt. Dann liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine erblich bedingte Nervenschädigung handelt. Das Gleiche gilt, wenn der Patient bestimmte Fehlstellungen des Fußes (Krallenzehen, Hohlfuß) oder andere Fehlbildungen des Skeletts (wie Skoliose) aufweist. Sie sind typisch für eine erblich bedingte Polyneuropathie. Der Arzt kann dann das Erbgut des Patienten auf entsprechende Veränderungen (Mutationen) untersuchen lassen.
Laborparameter im Detail:
- Entzündungsparameter: CRP (C-reaktives Protein) bzw. Urinstatus (Schnelltest auf: pH-Wert, Leukozyten, Nitrit, Eiweiß, Glucose, Keton, Blut), Sediment, ggf. Nüchternglucose, ggf. HbA1c (Langzeitblutzuckerwert).
- Parameter bei Verdacht auf Alkoholmissbrauch: Carbodefizientes Transferrin (CDT) [↑ bei chronischem Alkoholismus (langjähriger Alkoholmissbrauch); positiv bei Konsum von ca. 60 g Alkohol/Tag über mehrere Wochen]).
- Vitamin-Status: Vitamin B12 (ggf. Holo-Transcobalamin, Methylmalonsäure, Homocystein), Vitamin B1, Vitamin B6, Folsäure, Vitamin E.
- Autoimmunserologie: ANA, pANCA, cANCA, dsDNA, Autoantikörper gegen Gefäßendothel (AECA), SS-A (Ro), SS-B (La), snRNP, Kryoglobuline - bei Verdacht auf Vaskulitis (Gefäßentzündung).
- Infektionsdiagnostik: Borrelien-Serologie.
- Genetische Analysen: PMP22-Gen (häufigste Ursache: Duplikation am Chromosom 17) - bei positiver Familienanamnese für Neuropathien (Nervenerkrankungen) oder Verdacht auf hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ I (HMSN I) bzw. weitere genetische Analysen: GJB1, MPZ, MFN2, ggf. Mitochondrien-DNA.
Autoimmune Polyneuropathien und ihre Diagnostik
Von besonderem Interesse sind PNP, bei denen immunologische Mechanismen bzw. eine Fehlfunktion des Immunsystems eine Rolle spielen. Hierzu gehören die eigentlichen autoimmunen Neuropathien, die paraneoplastischen Erkrankungen des peripheren Nervensystems sowie die vaskulitischen PNP. Die genaue Zuordnung ist für die therapeutische Entscheidung außerordentlich wichtig.
Grundsätzlich werden autoimmune PNP zwischen akuten und chronisch entzündlichen Neuropathien unterschieden. Zugrunde liegt den beiden Erkrankungen eine entzündliche Autoimmunreaktion gegen spezifische Bestandteile des peripheren Myelins. Die Kenntnis über die autoimmunen PNP hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Entsprechend ist die Klassifikation differenzierter geworden.
Die wichtigsten akuten Verlaufsformen sind das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) mit einer Inzidenz von 1,3-2/100.000 sowie verschiedene Subtypen, z. B. das Miller-Fisher-Syndrom. Die chronischen, immunvermittelten Polyneuropathien (CIP) stellen eine heterogene Gruppe dar mit schwerpunktmäßig motorischen, sensorischen oder sensomotorischen Ausfällen, die sich symmetrisch oder auch asymmetrisch manifestieren können. Die häufigste Form ist die chronisch-inflammatorisch-demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) mit einer Prävalenz von ca. 7,7 pro 100.000 Einwohnern. Sie tritt überwiegend im Erwachsenenalter auf, meist mit subakutem Beginn und motorischen Defiziten, häufig fortschreitend bis zur Gehunfähigkeit, typischerweise mit einem schubförmig-remittierenden Verlauf. Die CIDP macht den größten Anteil der zuvor nicht diagnostizierten Polyneuropathien aus. Verschiedene Varianten der CIDP werden beschrieben: ataktische Form, multifokale CIDP (multifocal acquired demyelinating sensory and motor neuropathy = MADSAM), fokale CIDP (distal acquired demyelinating symmetric neuropathy = DADS), axonale Form (CIAP) sowie die CIDP mit monoklonaler Gammopathie unbestimmter Signifikanz. Eine weitere Form der Immunneuropathie stellt die multifokale motorische Neuropathie (MMN) dar, eine langsam-progrediente, asymmetrische, distal- und armbetonte, rein motorische PNP.
Neben der notwendigen Basis- und Liquordiagnostik (Eiweißerhöhung) kann die Labordiagnostik speziell durch den Nachweis von AAk gegen Ganglioside oder das Myelin-assoziierte Glykoprotein (MAG) wichtige differentialdiagnostische Hinweise geben.
Autoantikörper bei autoimmunen Polyneuropathien
- AAk gegen Ganglioside gelten als Markerantikörper für die Diagnostik und Differenzialdiagnostik von periphere autoimmunen Neuropathien. Ganglioside sind komplexe Sphingolipide, die als Bestandteil der Zellmembran deren Eigenschaften mitbestimmen. Sie bestehen aus einem Lipid, einer Oligosaccharidkette und Sialinsäure. Durch Position und Anzahl der Sialinsäure unterscheiden sich die einzelnen Ganglioside voneinander. Sie kommen sowohl im Zentralnervensystem (ZNS) als auch in peripheren Nerven (PNS) vor. Ähnliche Strukturen finden sich auch oberflächlich in Mikroorganismen. Gehäuftes Auftreten von PNP nach bestimmten Infektionen (z. B. Campylobacter jejuni, Cytomegalie-Virus, Mycoplasma pneumoniae oder Epstein-Barr-Virus) legen daher einen Zusammenhang über eine Kreuzreaktion nahe. Weitere Gangliosid-AAk spielen für die Differentialdiagnose gegenwärtig keine Rolle. Zu beachten ist, dass Gangliosid-AAk in geringer Frequenz (bis zu 8 %) auch bei gesunden Personen auftreten können.
- AAk gegen Myelin-assoziiertes Glykoprotein (MAG): Weitere AAk, die bei Patienten mit PNP auftreten, sind gegen ein Glykoprotein der Zellmembran der Myelinscheiden (Myelin-assoziiertes Glykoprotein = MAG) gerichtet. Ähnlich den Gangliosiden kommt auch MAG sowohl im ZNS als auch im PNS vor. AAk gegen MAG (IgM) treten bei Patienten mit PNP fast nur in Verbindung mit einer monoklonalen IgM-Gammopathie auf und sind bei ca. 50 % aller Fälle nachweisbar. Bei den assoziierten Gammopathien kann es sich sowohl um maligne Formen wie die Makroglobulinämie Waldenström als auch um die nicht malignen monoklonalen Gammopathien unbekannter Signifikanz (MGUS) handeln. Die mit MAG-AAk assoziierte PNP verläuft in der Regel langsam progressiv, symmetrisch, distal ausgeprägt und häufig überwiegend sensibel. Zuweilen finden sich MAG-AAk auch bei dem GuillainBarré-Syndrom.
Tabelle: Krankheitsbild, Autoantikörper und Häufigkeit
| Krankheitsbild | Autoantikörper | Häufigkeit |
|---|---|---|
| Guillain-Barré-Syndrom (GBS) | GM1 (IgG, IgM), GD1a, GT1b (IgG) | 20-30 %, 50% |
| Miller-Fisher-Syndrom | GQ1b (IgG), GT1a (IgG) | > 90 % |
| Multifokale motorische Neuropathie (MMN) | GM1 (IgM), GD1b (IgM), GT1b (IgG), GM2, GM3 | 30 - 80 %, 20 - 50 % |
| Chronische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) | GM1 (IgG), GD1a, GM2, GM3 | 15 % |
| Langsame progressive sensorische Neuropathie, monoklonale IgM-Gammopathie | MAG (nur IgM) | 100 % |
Fettdruck: diagnostischer Leitantikörper; Normaldruck: Begleitantikörper
Diagnostik und Differenzierung autoimmuner Polyneuropathien bei sensorischen, motorischen oder autonomen Ausfallerscheinungen: Gangliosid-AAk, MAG-AAk
Therapie der Polyneuropathie
Entscheidend ist stets die Behandlung der Grunderkrankung, z. B. bei Diabetes mellitus eine Verbesserung der Blutzuckereinstellung, das strikte Vermeiden von Alkohol oder die Behandlung einer Tumorerkrankung.
Hat ein Diabetes schleichend über viele Jahre die Nerven angegriffen, muss der Patient seine Blutzuckerwerte in den Griff bekommen, um die Nervenschädigung zu stoppen. Allerdings führt eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte zu weiteren Nervenschäden. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten. Bei Altersdiabetes empfehlen Ärzte eine Umstellung des Lebensstils mit Gewichtsreduktion und viel Bewegung. Ziel ist, dass sich die Nerven wieder erholen. Besteht die Schädigung allerdings schon lange, ist die Polyneuropathie in der Regel nicht heilbar. Sind Alkohol oder Medikamente die Ursache, hilft Abstinenz beziehungsweise ein Wechsel der Präparate.
Bei autoimmunvermittelten, entzündlichen Polyneuropathien gibt es verschiedene gegen die Entzündung wirkende Medikamente (Immunglobuline, Kortikoide, Immunsuppressiva). Bei schweren Verläufen kann auch eine Blutwäsche durchgeführt werden. Bei erblichen Neuropathien gibt es bisher keine Therapie. Bei ca. einem Viertel der Polyneuropathien kann die Ursache nicht geklärt werden, meist haben diese Formen jedoch eine gute Prognose. Reizerscheinungen und Muskelkrämpfe lassen sich mit verschiedenen Medikamenten dämpfen.
Zur Schmerzbekämpfung haben sich Antidepressiva und Medikamente gegen Krampfanfälle (Epilepsie), sogenannte Antikonvulsiva, bewährt. Capsaicin ist für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich und hat sich in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut in Studien als erfolgsversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen. Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Gerät so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren. Von außen lässt sich dieses durch ein TENS-Gerät erreichen. Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg. Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie. Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt.
Tipps für Betroffene
Für alle Polyneuropathien gilt:
- regelmäßige Kontrolle der Füße auf Druckstellen
- Tragen von bequemem Schuhwerk
- Meidung von Druck
- Nutzung professioneller Fußpflege
- Verbesserung des Lebensstils mit regelmäßiger körperlicher Betätigung (150 min Ausdauersport/Woche z. B. Walking, Radfahren, Schwimmen).
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