Eine Sepsis, umgangssprachlich als Blutvergiftung bekannt, ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die durch eine übermäßige Reaktion des Immunsystems auf eine Infektion ausgelöst wird. Trotz moderner Intensivbetreuung und Antibiotikatherapie sterben in Deutschland jährlich etwa 60.000 Menschen an einer Sepsis. Überlebende kämpfen oft mit langfristigen Komplikationen, darunter neuromuskuläre Schäden wie die Critical-Illness-Polyneuropathie (CIP) und Critical-Illness-Myopathie (CIM). Diese können zu Muskelschwäche, verlängerter Beatmungsdauer und verzögerter Rehabilitation führen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den Ursachen und Auswirkungen der Polyneuropathie nach Sepsis, insbesondere im Hinblick auf Schluckstörungen und deren langfristige Folgen.
Sepsis und ihre Folgen
Die Sepsis ist eine komplexe Erkrankung, die durch eine akute Aktivierung des Immunsystems ausgelöst wird. Diese Überreaktion kann zu einem Multiorganversagen führen, da lebenswichtige Organe wie Lunge, Niere, Leber und Gewebe nicht ausreichend versorgt werden. Die hohe Sterblichkeitsrate bei Sepsispatienten und die Tatsache, dass ein Großteil der Überlebenden an einem Post-Sepsis-Syndrom (PSS) leidet, unterstreichen die Notwendigkeit, die langfristigen Folgen dieser Erkrankung besser zu verstehen.
Das Post-Sepsis-Syndrom umfasst eine Vielzahl von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die das Leben der Betroffenen erheblich einschränken können. Dazu gehören:
- Kognitive Beeinträchtigungen: Konzentrationsstörungen, Gedächtnisprobleme
- Psychische Probleme: Angstzustände, Depressionen, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
- Neuromuskuläre Schäden: Muskelschwäche, Lähmungen, Koordinationsprobleme, Schluckbeschwerden
- Chronische Schmerzen: Gelenk- und Muskelschmerzen
- Ermüdung: Chronische Müdigkeit und Erschöpfung
Critical Illness Polyneuropathie (CIP) und Myopathie (CIM)
CIP und CIM sind häufige Komplikationen bei Patienten, die aufgrund einer schweren Erkrankung, wie z.B. einer Sepsis, auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Sie sind gekennzeichnet durch eine Muskelschwäche, die durch Schädigung der peripheren Nerven (CIP) und/oder der Muskelzellen (CIM) verursacht wird.
Ursachen und Risikofaktoren:
- Sepsis: Die Entzündungsreaktion im Rahmen einer Sepsis kann Nerven- und Muskelzellen schädigen.
- Lange Intensivstationsaufenthalte: Insbesondere eine längere Beatmungspflichtigkeit erhöht das Risiko für CIP und CIM.
- Medikamente: Bestimmte Medikamente, die auf der Intensivstation eingesetzt werden, können neuromuskuläre Schäden verursachen.
- Stoffwechselstörungen: Blutzuckerentgleisungen und Elektrolytstörungen können zur Entwicklung von CIP und CIM beitragen.
- Immobilität: Die lange Bettlägerigkeit auf der Intensivstation führt zu Muskelabbau und kann die Entstehung von CIP und CIM begünstigen.
Auswirkungen von CIP und CIM:
- Muskelschwäche: Die Muskelschwäche betrifft häufig die Extremitäten und die Atemmuskulatur, was zu Problemen beim Atmen und Bewegen führen kann.
- Verlängerte Beatmungsdauer: Eine Schwäche der Atemmuskulatur kann die Entwöhnung von der Beatmung erschweren.
- Verzögerte Rehabilitation: Die Muskelschwäche kann die Rehabilitation verzögern und die Rückkehr in den Alltag erschweren.
- Schluckstörungen (Dysphagie): CIP und CIM können die Muskeln beeinträchtigen, die für das Schlucken benötigt werden, was zu Schluckstörungen und einem erhöhten Risiko für Aspiration (Eindringen von Nahrung in die Atemwege) führen kann.
Schluckstörungen (Dysphagie) nach Sepsis
Schluckstörungen sind eine häufige und oft übersehene Komplikation nach einer Sepsis. Sie können sowohl in der akuten Phase der Erkrankung als auch langfristig auftreten und die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
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Ursachen von Schluckstörungen nach Sepsis:
- CIP und CIM: Die Schädigung der Nerven und Muskeln, die am Schluckvorgang beteiligt sind, kann zu einer beeinträchtigten Schluckfunktion führen.
- Neurologische Symptome: Anhaltende neurologische Symptome nach einer Sepsis können die Koordination der Schluckmuskulatur beeinträchtigen.
- Physische Schwäche: Allgemeine Schwäche und Erschöpfung können das Schlucken erschweren.
- Tracheotomie: Ein Luftröhrenschnitt kann die normale Schluckfunktion beeinträchtigen.
- Septische Enzephalopathie: Kognitive Dysfunktion und Bewusstseinsstörungen im Rahmen einer septischen Enzephalopathie können die Schluckfähigkeit beeinträchtigen.
Folgen von Schluckstörungen:
- Aspiration: Das Eindringen von Nahrung oder Flüssigkeit in die Atemwege kann zu Lungenentzündung (Pneumonie) und anderen Atemwegserkrankungen führen.
- Mangelernährung: Schluckstörungen können die Nahrungsaufnahme erschweren und zu Mangelernährung und Gewichtsverlust führen.
- Dehydration: Schwierigkeiten beim Trinken können zu Dehydration führen.
- Verminderte Lebensqualität: Schluckstörungen können die Fähigkeit, soziale Kontakte zu pflegen und Mahlzeiten zu genießen, beeinträchtigen.
- Erhöhte Sterblichkeit: Schwere chronische Dysphagie ist ein Risikofaktor für erhöhte Sterblichkeit, insbesondere aufgrund von Aspirationspneumonie.
Diagnostik von Schluckstörungen:
- Funktionell Endoskopische Evaluation der Schluckfunktion (FEES): Eine endoskopische Untersuchung, bei der der Schluckvorgang unter direkter Sicht beurteilt wird.
- Videofluoroskopie: Eine Röntgenuntersuchung, bei der der Schluckvorgang in Echtzeit beobachtet wird.
- Klinische Untersuchung: Beurteilung der Zungenbeweglichkeit, Stimmlippenfunktion und anderer schluckrelevanter Parameter.
Behandlung von Schluckstörungen:
- Schlucktherapie: Übungen und Techniken zur Verbesserung der Schluckfunktion.
- Anpassung der Nahrungskonsistenz: Veränderung der Konsistenz von Nahrung und Flüssigkeiten, um das Schlucken zu erleichtern.
- Ernährungstherapie: Sicherstellung einer ausreichenden Nährstoffversorgung durch angepasste Ernährung oder künstliche Ernährung.
- Behandlung von Grunderkrankungen: Behandlung von CIP, CIM und anderen Grunderkrankungen, die zu Schluckstörungen beitragen.
Aktuelle Forschung und Studien
Um die Zusammenhänge zwischen Sepsis, CIP/CIM und Schluckstörungen besser zu verstehen, werden derzeit verschiedene Studien durchgeführt. Diese Studien zielen darauf ab, Risikofaktoren für die Entwicklung von chronischer Dysphagie zu identifizieren und Interventionsstrategien zu entwickeln, um die Häufigkeit von Schluckstörungen bei Sepsispatienten zu verringern.
Ein Beispiel für eine solche Studie ist die Untersuchung der Schluckfunktion bei septischen Patienten, die im Rahmen der Studienprojekte NeuroSOS-CIP und NeuroSOS-NERVE auf CIP und CIM hin untersucht wurden. In dieser Studie werden die Patienten nach 2 Wochen und 4 Monaten mittels FEES untersucht und schluck- und ernährungsrelevante Parameter überprüft. Ziel ist es, CIP und CIM als unabhängige Risikofaktoren für die Entwicklung von chronischer Dysphagie zu identifizieren.
Weitere Forschungsansätze umfassen die Untersuchung der Beteiligung kleiner somatischer und autonomer Nervenfasern im Verlauf der Sepsis sowie die Analyse von Muskelgewebe mittels Kernspintomographie (MRT) und Muskelbiopsie, um die anatomische Lokalisation von Nerven- und Muskelschäden bei CIP und CIM zu bestimmen.
Prävention und Management von Polyneuropathie nach Sepsis
Die Prävention und das Management von Polyneuropathie nach Sepsis erfordern einen umfassenden Ansatz, der auf die Risikofaktoren und die individuellen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten ist.
Präventive Maßnahmen:
- Frühe Diagnose und Behandlung von Sepsis: Eine rechtzeitige und adäquate Behandlung der Sepsis ist entscheidend, um die Entzündungsreaktion zu kontrollieren und Organschäden zu minimieren.
- Kontrolle von Risikofaktoren: Eine gute Blutzuckereinstellung, die Vermeidung von Medikamenten, die neuromuskuläre Schäden verursachen können, und die Korrektur von Elektrolytstörungen können dazu beitragen, das Risiko für CIP und CIM zu verringern.
- Frühmobilisation: Eine frühe Mobilisierung der Patienten auf der Intensivstation kann Muskelabbau verhindern und die Entstehung von CIP und CIM reduzieren.
- Immuntherapie: In einigen Fällen kann der Einsatz von Immunglobulin-Präparaten, insbesondere solchen, die mit IgM angereichert sind, die Sterberate von Sepsispatienten senken und möglicherweise das Risiko für CIP und CIM verringern.
- Impfungen: Schutzimpfungen, insbesondere gegen Grippe, Covid-19 und Pneumokokken, sind wichtige Präventionsmaßnahmen, um Infektionen und damit auch Sepsis vorzubeugen.
Management von Polyneuropathie nach Sepsis:
- Neurologische Untersuchung: Eine umfassende neurologische Untersuchung ist wichtig, um das Ausmaß der Nerven- und Muskelschäden zu beurteilen und die Diagnose CIP und CIM zu bestätigen.
- Elektrophysiologische Untersuchungen: Neurographie und Elektromyographie können helfen, die Art und das Ausmaß der Nerven- und Muskelschäden zu bestimmen.
- Physiotherapie: Physiotherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Rehabilitation von Patienten mit CIP und CIM. Sie umfasst Übungen zur Kräftigung der Muskulatur, zur Verbesserung der Koordination und zur Förderung der Mobilität.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann Patienten mit CIP und CIM helfen, ihre Alltagskompetenzen wiederzuerlangen und ihre Lebensqualität zu verbessern.
- Schlucktherapie: Schlucktherapie ist ein wichtiger Bestandteil der Behandlung von Schluckstörungen nach Sepsis. Sie umfasst Übungen und Techniken zur Verbesserung der Schluckfunktion und zur Vermeidung von Aspiration.
- Ernährungstherapie: Eine angepasste Ernährung und gegebenenfalls künstliche Ernährung können sicherstellen, dass Patienten mit Schluckstörungen ausreichend Nährstoffe erhalten.
- Psychologische Betreuung: Psychologische Betreuung kann Patienten und ihren Angehörigen helfen, mit den psychischen Belastungen des Post-Sepsis-Syndroms und den Folgen von CIP und CIM umzugehen.
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