Die Frontotemporale Demenz (FTD), früher als Morbus Pick bekannt, ist eine Form der Demenz, die vor allem jüngere Menschen betrifft, oft vor dem 65. Lebensjahr. Sie zeichnet sich durch den Abbau von Nervenzellen im Frontal- und Temporallappen des Gehirns aus, was zu Veränderungen im Verhalten, der Persönlichkeit, der Sprache und in seltenen Fällen auch der Bewegung führt. Da die FTD nicht heilbar ist, ist ein umfassendes Verständnis des Krankheitsverlaufs, der Symptome und der verfügbaren Therapieansätze entscheidend für Betroffene und ihre Angehörigen.
Was ist die Frontotemporale Demenz?
Die Frontotemporale Demenz (FTD) ist eine heterogene Gruppe von neurodegenerativen Erkrankungen, die durch einen fortschreitenden Funktionsverlust und Zellabbau im Stirn- und Schläfenlappen des Gehirns gekennzeichnet sind. Diese Hirnregionen steuern wichtige Funktionen wie Gefühle, Sozialverhalten und Sprache. Bei der FTD lagern sich häufig krankhafte Proteine in den betroffenen Nervenzellen ab, was die Zellfunktion stört.
Ursachen und Risikofaktoren
Was genau diese Veränderungen auslöst, ist noch nicht abschließend geklärt. Bei etwa 10 bis 15 Prozent aller Menschen mit FTD lässt sich eine genetische Veränderung nachweisen, die die Erkrankung auslöst. In rund 40 Prozent der Fälle zeigt sich eine familiäre Häufung: In den betroffenen Familien treten FTD selbst oder ähnliche Erkrankungen auf, zum Beispiel andere Demenzformen, die Nervenkrankheit ALS oder psychische Erkrankungen wie Depressionen. Ein Teil dieser familären FTD-Fälle ist tatsächlich durch eine Mutation in einem Gen bedingt. Meist handelt es sich um Mutationen in den Genen C9orf72, GRN oder MAPT. Wird diese genetische Veränderung von einem Elternteil vererbt, hat das Kind eine 50 prozentige Wahrscheinlichkeit, auch an FTD zu erkranken.
Weitere Risikofaktoren, die für die frontotemporale Demenz spezifisch sind, wurden noch nicht abschließend geklärt. Ein übermäßiger Alkoholkonsum kann dazu führen, dass Nervenzellen im Gehirn absterben, was vor allem bei Personen unter 65 Jahren die Entstehung einer frühen Demenz begünstigen kann. Traumatische Kopfprellungen können ebenfalls eine Rolle spielen.
Formen der Frontotemporalen Demenz
Abhängig von den Hauptsymptomen werden zwei Hauptformen der FTD klinisch unterschieden:
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- Verhaltensvariante (bvFTD): Hier stehen Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen im Vordergrund, wie z.B. gestörter Antrieb, verändertes Sozial- und Essverhalten, Enthemmung, Apathie oder Verlust von Einfühlungsvermögen. Viele erkennen ihr eigenes Verhalten nicht als problematisch und haben keine Krankheitseinsicht.
- Sprachliche Variante (PPA): Hier stehen Schwierigkeiten beim Sprechen, Verstehen, Lesen oder Schreiben im Vordergrund. Bei diesen Sprachtypen der FTD werden mittlerweile drei Unterformen unterschieden:
- Nicht-flüssige/agrammatische PPA: Das Sprechen wird mit der Zeit immer schwieriger. Die Wörter kommen langsamer über die Lippen und das Sprechen klingt oft angestrengt. Schließlich kann die Sprache ganz versagen, während jedoch andere Fähigkeiten durchaus intakt bleiben.
- Semantische PPA: Menschen mit dieser Form verlieren nach und nach das Verständnis für Wörter. Sie können Dinge oft nicht mehr benennen oder genau beschreiben, selbst wenn sie wissen, was sie sind.
- Logopenische PPA: Bei dieser Form fällt es den Betroffenen schwer, die richtigen Worte zu finden. Das Sprechen wird langsam und zögerlich, und sie beschreiben Begriffe umständlich, wenn ihnen die passenden Worte fehlen. Im Gegensatz zu den anderen Formen gehört der logopenische Typ nicht zur Frontotemporalen Demenz, sondern zur Alzheimer-Krankheit.
Stadien der Frontotemporalen Demenz
Wie die meisten Demenzerkrankungen hat auch die frontotemporale Demenz einen schleichenden Verlauf. Der Krankheitsverlauf kann jedoch individuell sehr unterschiedlich sein.
Frühes Stadium
Im frühen Stadium der FTD treten oft nur wenige Symptome auf oder sie entwickeln sich allmählich. Zu den frühen Anzeichen gehören:
- Verhaltensänderungen: Sozial unangemessene Handlungen, sexuelle Enthemmung, Impulsivität, Interesselosigkeit an Arbeit, Hobbys oder sozialen Interaktionen.
- Veränderungen im Essverhalten: Überessen oder gesteigerte Vorliebe für süße Lebensmittel.
- Sprachliche Schwierigkeiten: Wortfindungsstörungen, Schwierigkeiten beim Bilden von Sätzen, Verlust des Verständnisses für Wörter.
Viele erkennen ihr eigenes Verhalten nicht als problematisch und haben keine Krankheitseinsicht. Trotz erster Symptome können FTD-Patienten im Anfangsstadium ihren Alltag noch weitgehend selbstständig bewältigen.
Mittleres Stadium
Im mittleren Stadium verschlimmern sich die Symptome, die im frühen Stadium begonnen haben. Patienten mit der verhaltensbetonten Variante der FTD können häufigere oder schwerere Verhaltensprobleme aufweisen, während Patienten mit der Sprachvariante verschärfte Kommunikationsschwierigkeiten erleben. In diesem Stadium kann es ebenfalls zu einer Überlappung von Symptomen kommen, sodass etwa Patienten mit primärer progressiver Aphasie zunehmend Verhaltensänderungen zeigen und umgekehrt. In diesem mittleren Stadium sind Menschen mit FTD in ihrem Alltag zunehmend auf Hilfe angewiesen.
Spätes Stadium
Im späten Stadium der FTD beginnen auch Gedächtnisprobleme, die häufig mit anderen Demenzarten wie Alzheimer assoziiert sind, die Oberhand zu gewinnen. Betroffene können zunehmend Schwierigkeiten haben, alltägliche Aktivitäten wie Essen, Trinken, Baden, Anziehen und Körperpflege zu bewältigen. Die motorischen Fähigkeiten können abnehmen, sodass Betroffene möglicherweise auf einen Rollstuhl angewiesen sind oder bettlägerig werden. Muskelkraft kann abnehmen, was zu Problemen beim Kauen und Schlucken oder beim Erhalt der Kontrolle über Blase und Darm führen kann. Im Endstadium der Frontotemporalen Demenz, ähneln die Symptome vor allem der Alzheimer-Krankheit: Es kommt zum weitgehenden Verlust der Selbstständigkeit und teilweise auch der Sprache.
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Diagnose
Die Frontotemporale Demenz wird häufig nicht sofort erkannt. Besonders bei der Verhaltensvariante ähneln die Symptome oft einer psychischen Erkrankung, etwa einer Depression, Manie oder Schizophrenie. Da es derzeit kein einzelnes Verfahren gibt, das FTD eindeutig nachweisen kann, erfolgt die Diagnose in mehreren Schritten:
- Anamnese: Die Ärztin oder der Arzt erhebt die Krankengeschichte und prüft grundlegende kognitive Fähigkeiten, zum Beispiel das Gedächtnis.
- Befragung der Angehörigen: Besonders bei der Verhaltensvariante sind Einschätzungen aus dem Umfeld entscheidend. Denn Erkrankte zeigen oft keine Einsicht in ihre Verhaltensänderungen.
- Bildgebende Verfahren: Mithilfe von MRT, CT oder FDG-PET können Veränderungen in den Stirn- und Schläfenlappen sichtbar gemacht werden.
- Neuropsychologische Tests: Diese erfassen spezifische Beeinträchtigungen in Planung, Urteilsvermögen, Sprache oder sozialem Verhalten, die für FTD typisch sind.
- Genetische Untersuchungen: Liegen in der Familie weitere Fälle von FTD vor, kann ein Gentest helfen, eine vererbbare Form festzustellen.
Therapie
Die Frontotemporale Demenz ist bisher nicht heilbar. Auch Medikamente, die den Krankheitsverlauf aufhalten oder verlangsamen gibt es leider nicht. Weltweit wird dazu jedoch intensiv geforscht. Ziel der symptomatischen Therapie ist eine Stärkung der Alltagsfähigkeit der Betroffenen.
Medikamentöse Behandlung
Manche Symptome - etwa starke Unruhe, Aggression oder zwanghaftes Verhalten - lassen sich mit bestimmten Medikamenten lindern. Bei Gereiztheit können serotonerge Antidepressiva zum Einsatz kommen. Unruhe und Aggressivität können durch Risperidon oder niederpotente Antipsychotika gelindert werden. Sedierung, Schwindel, Zunahme kognitiver Beeinträchtigung und Sturzgefahr können unter diesen Substanzen zunehmen. Dies gilt auch für den symptomatischen Einsatz von Benzodiazepinen, die allenfalls nur kurzfristig gegeben werden sollten.
Nicht-medikamentöse Therapie
Durch nicht-medikamentöse Therapieformen, wie sie auch bei Menschen mit Alzheimer-Demenz angewandt werden können einige Symptome der Patienten und Patientinnen gemildert werden.
- Logopädie: Insbesondere Betroffene mit einer primären Sprachstörung sollten Logopädie erhalten. Für kognitive und sprachliche Trainings gibt es auch erste digitale Anwendungen.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, die Selbstständigkeit im Alltag zu erhalten und zu fördern.
- Physiotherapie: Physiotherapie kann helfen, die körperliche Beweglichkeit zu erhalten und Stürzen vorzubeugen.
- Sport und Bewegung: Sport hat nachgewiesene positive Effekte auf die Leistungsfähigkeit, Fitness und Stimmung von Erkrankten. Bewegung kann Ängste abbauen, Unruhe mildern und beim Ein- und Durchschlafen helfen.
- Soziale Kontakte: Gute Gespräche, gemeinsame Erlebnisse oder einfach Nähe - soziale Kontakte geben Halt und tun dem Gehirn gut. Ein Treffen mit Freunden, Familie oder Nachbarn kann ebenso bereichernd sein wie der Besuch einer Tagespflege oder eines Demenzcafés.
- Schaffung von Routinen: Ein geregelter Tagesablauf gibt Patienten mit FTD Sicherheit und kann dazu beitragen, Verwirrung zu reduzieren.
- Anpassung der Kommunikation: Die Kommunikation mit Demenzerkrankten ist häufig nicht so einfach. Formulieren Sie möglichst einfache Sätze. Offene Fragen können Patienten schnell überfordern und sollten daher für ernsthafte Gespräche vermieden werden.
- Schaffung eines demenzgerechten Zuhauses: Passen Sie das häusliche Umfeld Ihres betroffenen Angehörigen Stück für Stück an, um eine Wohlfühlatmosphäre zu erzeugen und die Sicherheit zu erhöhen.
Umgang mit der Frontotemporalen Demenz im Alltag
Der Pflegealltag mit Frontotemporaler Demenz kann sehr herausfordernd sein. Eine der größten Herausforderungen im Umgang mit FTD ist jedoch, dass viele Erkrankte keine Einsicht in die eigene Erkrankung haben. In solchen Momenten ist es wichtig zu wissen: Man kann eine an FTD erkrankte Person nicht vom eigenen Fehlverhalten überzeugen, weil ihr schlicht der innere Maßstab fehlt.
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Tipps für Angehörige
- Informieren Sie sich: Verstehen Sie, was Frontotemporale Demenz ist, welche Symptome sie verursacht und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln kann.
- Treffen Sie frühzeitig rechtliche Vorkehrungen: Erstellen Sie rechtzeitig Vollmachten und Verfügungen.
- Bleiben Sie geduldig: Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit können sehr belastend sein - gerade für die Angehörigen.
- Achten Sie bei allem auch auf sich selbst: Vergessen Sie Ihre eigene Gesundheit und Ihr Wohlbefinden nicht.
- Suchen Sie sich Unterstützung: Pflegende sollten sich frühzeitig Hilfe suchen, wenn sie seelisch mit der Situation nicht zurechtkommen oder leichte Niedergestimmtheit (Depression) bei sich feststellen.
- Schaffen Sie positive Momente: Versuchen Sie, trotz aller Herausforderungen auch schöne Momente miteinander zu erleben. Gemeinsame Aktivitäten wie Musik hören, Fotos anschauen oder Zeit an der frischen Luft verbringen tun meist gut und können die Bindung stärken.
Forschung und Ausblick
Trotz vielversprechender Fortschritte in der Demenzforschung ist bislang kein Heilmittel gegen Demenz bekannt. Forscher:innen weltweit arbeiten jedoch unermüdlich daran, die Diagnostik zu verbessern und neue Therapieansätze zu entwickeln.
GENFI-Studie
Unsere Ambulanz ist eines der deutschlandweit führenden Studienzentren von GENFI (Genetische Frontotemporale Demenz Initiative). Genetic Frontotemporal Dementia Initiative (GENFI) ist eine prospektive, multizentrische weltweite Diagnostik-Studie, welche ein großes, zentrales Ziel vor Augen hat: den Grundstein dafür zu legen, dass zukünftige Therapien der frontotemporalen Demenz bereits eingeleitet werden können, bevor die ersten Demenzsymptome auftreten.