Die steigende Lebenserwartung und die Zunahme von Demenzerkrankungen stellen unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Prof. Gerald Hüther, ein renommierter Hirnforscher, plädiert für ein Umdenken in der Demenzforschung und -prävention. Er sieht Demenz nicht als unvermeidliche Folge altersbedingter Abbauprozesse, sondern als Ergebnis der Unterdrückung der natürlichen Regenerations- und Kompensationsfähigkeit des Gehirns.
Gerald Hüther: Ein Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Lebenspraxis
Gerald Hüther, geboren 1951, ist einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands. Er ist Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung und engagiert sich für die Schaffung günstigerer Voraussetzungen zur Entfaltung menschlicher Potentiale. Als Autor zahlreicher Sachbücher, gefragter Vortragsredner und Berater für Politik und Wirtschaft versteht er sich als "Brückenbauer" zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis. Ein besonderes Anliegen ist ihm die Förderung der kindlichen Begeisterung fürs Lernen.
Kritik an Hüthers Thesen
Trotz seiner Popularität und seines Engagements steht Hüther auch in der Kritik. Markus Spiewak bezeichnete ihn in der ZEIT als "umtriebigsten Vertreter einer Gattung von Bildungsgurus", warf ihm mangelnde empirische Forschung zum Thema Schule vor und relativierte seine Expertise in der Hirnforschung. Es ist wichtig, diese kritischen Stimmen zu berücksichtigen und Hüthers Thesen differenziert zu betrachten.
Hüthers Sichtweise auf Demenz: Ein Paradigmenwechsel
Hüther stellt die gängige Vorstellung in Frage, dass Demenz durch altersbedingte Abbauprozesse und Ablagerungen im Gehirn verursacht wird. Er argumentiert, dass die Unterdrückung der Regenerationsfähigkeit des Gehirns eine entscheidende Rolle spielt. Seiner Ansicht nach kann ein "bahnbrechender Paradigmenwechsel innerhalb der Heilkunde" dazu beitragen, Demenzerkrankungen vorzubeugen.
Die Nonnenstudie als Schlüssel zum Verständnis
Hüther stützt seine These auf die berühmte Nonnenstudie des Epidemiologen David A. Snowdon. Diese Studie zeigte, dass einige Nonnen im hohen Alter degenerative Veränderungen im Gehirn aufwiesen, die typisch für Alzheimer-Patienten sind, ohne jedoch Symptome der Demenz zu zeigen. Hüther interpretiert dies als Beweis dafür, dass ein bestimmter Lebensstil die neuroplastische Umbaufähigkeit des Gehirns bis ins hohe Alter erhalten und Abbauerscheinungen kompensieren kann.
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Der richtige Lebensstil: Kohärenzgefühl und Selbstheilungskräfte
Laut Hüther spielt das "Kohärenzgefühl" eine zentrale Rolle bei der Vorbeugung von Demenz. Dieses Gefühl entsteht, wenn Menschen ihr Leben als verstehbar, gestaltbar und sinnvoll erleben und Konflikte aus eigener Kraft bewältigen können. Widersprüche, die wir nicht lösen können, schwächen die Selbstheilungskräfte des Gehirns.
Hüther betont, dass es nie zu spät ist, einen gesünderen Lebensstil zu pflegen. Er fordert ein Umdenken in der Gesellschaft und eine stärkere Einbeziehung älterer Menschen in das Leben. Anstatt älteren Menschen vor allem Stabilität zu geben, sollten wir ihnen helfen, wieder ins Leben zurückzufinden und ihre regenerativen Potentiale zu entfalten.
Praktische Implikationen und Herausforderungen
Hüthers Ansatz bietet eine interessante Perspektive auf die Demenzprävention und betont die Bedeutung der Selbstverantwortung. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass seine Schlussfolgerungen auf der Nonnenstudie basieren und möglicherweise nicht auf alle Menschen übertragbar sind. Zudem ist eine bestehende Demenz nicht durch bloße Lebensstiländerungen umkehrbar.
Dennoch liefert Hüthers Buch einen leicht verständlichen Leitfaden für ein gelingendes Altern und macht Mut, die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Es fordert dazu auf, die alten Denkpfade über Demenz zu verlassen und ein vitaleres Bild des Alterns zu zeichnen.
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