Parkinson-Patienten weisen im Vergleich zu gesunden Menschen eine veränderte Bakterienzusammensetzung im Darm auf. Auffällig ist zudem, dass die Konzentration von kurzkettigen Fettsäuren, welche als Stoffwechselprodukte der Darmbakterien entstehen, bei Parkinson-Betroffenen oft vermindert ist. Kurzkettigen Fettsäuren werden verschiedene positive Eigenschaften zugeschrieben, darunter entzündungshemmende Effekte und der Schutz der Darm-Blut-Schranke. Aktuelle Forschungsansätze untersuchen daher, ob eine orale Substitution von kurzkettigen Fettsäuren zu einem Anstieg der Spiegel im Blut und Stuhl führen kann.
Die Darm-Hirn-Achse und ihre Bedeutung bei Parkinson
Der Darm ist nach dem Gehirn die zweitgrößte Ansammlung von Nervenzellen im menschlichen Körper. Es wird vermutet, dass beide Organe über die sogenannte Darm-Hirn-Achse miteinander verknüpft sind. Diese Achse beschreibt die bidirektionale Kommunikation zwischen dem Gehirn und dem Darm, wobei der Darm Dopamin, Serotonin und andere Substanzen produziert, die im Gehirn als Neurotransmitter fungieren. Viele Erkrankungen des Gehirns gehen mit Darmbeschwerden einher. So leiden Menschen mit Morbus Parkinson häufig unter Obstipation, die der Hirnkrankheit um Jahre vorausgeht.
Die Rolle von Alpha-Synuclein und Darmbakterien
Das Protein Alpha-Synuclein, dessen Ablagerung im Gehirn nach heutiger Kenntnis die Ursache von Parkinson ist, wurde auch im Darm und im Nervus vagus nachgewiesen. Einige Neuroanatomen vermuten sogar, dass Morbus Parkinson eine Prionen-Erkrankung ist, bei der mit der Nahrung aufgenommene Proteine über Nerven ins Gehirn transportiert werden und dort eine fatale Kettenreaktion auslösen.
Experimente mit Gen-modifizierten Mäusen, die aufgrund einer Überproduktion von Alpha-Synuclein an Morbus Parkinson erkranken, zeigten, dass die Tiere gesund blieben, wenn sie keimfrei aufgezogen wurden und ihr Darm nicht von Bakterien besiedelt war. Sie erkrankten jedoch, nachdem sie oral mit Darmbakterien von Parkinson-Patienten behandelt wurden. Diese Ergebnisse belegen einen Einfluss der Darmflora auf die Entstehung der Erkrankung.
Kurzkettige Fettsäuren: Mögliche Schutzfaktoren für Nervenzellen
Die Darmbakterien könnten Substanzen bilden, die vom Darm resorbiert über die Blutbahn ins Gehirn gelangen. Im Verdacht stehen kurzkettige Fettsäuren wie Acetat, Propionat oder Butyrat, die relativ rasch resorbiert werden.
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In Tierversuchen konnte gezeigt werden, dass die Gabe von kurzkettigen Fettsäuren die Immunreaktion der Mikroglia, dem Immunsystem des Gehirns, auslösen konnte. Zudem entwickelten keimfrei aufgewachsene Tiere, denen Stuhlproben von Parkinson-Patienten verfüttert wurden, die typischen motorischen Zeichen eines Morbus Parkinson.
Diese tierexperimentellen Studien deuten darauf hin, dass die Darmbakterien über die Produktion von kurzzeitigen Fettsäuren die Entwicklung eines Morbus Parkinson fördern könnten. Ob dieser Pathomechanismus auch beim Menschen greift, wird derzeit in klinischen Studien untersucht. Mögliche Therapieansätze wären Stuhltransplantationen oder die Behandlung mit Probiotika, um die Darmflora zu normalisieren und die Symptome der Patienten zu lindern.
Propionsäure: Ein vielversprechendes Molekül für den Nervenschutz
Propionat, das Salz einer kurzkettigen Fettsäure, kann Nerven schützen und bei ihrer Regeneration helfen. Diese Erkenntnisse könnten für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen nützlich sein, bei denen Nervenzellen geschädigt werden, wie bei der chronisch entzündlichen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP). Propionat entsteht natürlicherweise im Darm beim Abbau von Ballaststoffen.
In Laborversuchen wurde gezeigt, dass Propionat den Rezeptor FFAR3 auf der Oberfläche von Nervenzellen und Schwannzellen anspricht und außerdem das Ablesen der DNA über Histon-Moleküle beeinflusst.
Progesteronrezeptoren im Enterischen Nervensystem
Zwischen den Nervenzellen des Magen-Darm-Trakts und denen im Gehirn und Rückenmark gibt es eine gegenseitige Kommunikation. Sie lässt vermuten, dass das Nervensystem des Verdauungstrakts Einfluss auf Prozesse im Gehirn nehmen könnte, die zu Parkinson führen. In den Nervenzellen des Magen-Darm-Trakts wurden erstmals Progesteronrezeptoren nachgewiesen und gezeigt, dass Progesteron die Zellen schützt.
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Das Enterische Nervensystem (ENS) ist ein komplexes Netzwerk, das sich entlang des gesamten Magen-Darm-Trakts erstreckt. Es besteht aus etwa 100 Millionen Nervenzellen, steuert autonom Verdauungsprozesse und wird oft als zweites Gehirn des Menschen bezeichnet. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass das ENS intensiv mit dem zentralen Nervensystem (ZNS), also Gehirn und Rückenmark, kommuniziert. Die Verbindung des ENS mit dem ZNS wird aktuell mit der Entstehung verschiedener neurologischer Erkrankungen wie Morbus Parkinson und Alzheimer, aber auch Depressionen assoziiert.
Die Rolle des Darm-Mikrobioms
Nahrung hat einen direkten Einfluss auf das Mikrobiom im Darm, welches wiederum in Wechselwirkung mit dem ENS steht. Studien zeigen: Die Zusammensetzung des Mikrobioms kann über die Darm-Hirn-Achse, insbesondere über den Vagusnerv, auch Einfluss auf das ZNS nehmen, und Erkrankungen wie Morbus Parkinson begünstigen.
Klinische Studien zur Substitution von kurzkettigen Fettsäuren und Prebiotika
Eine randomisierte, doppel-verblindete Studie untersucht derzeit, ob die direkte Substitution von kurzkettigen Fettsäuren, die orale Substitution von Prebiotika sowie die Kombination aus beiden Präparaten zu einem Anstieg der kurzkettigen Fettsäuren im Darm bzw. Blut führt.
In der Studie gibt es insgesamt 3 Gruppen mit Parkinsonpatienten. Untersucht werden Stuhl- und Serum-Metabolom (v.a.
Ausschlusskriterien für die Studienteilnahme sind:
- Schwerwiegende Begleiterkrankung bzw. Organdysfunktion (Herzinsuffizienz, NYHA-Stadium III-IV, schwere respiratorische Insuffizienz (z.B.
- Immunsuppressive Therapie in den letzten 6 Monaten (z.B.
Ernährungsempfehlungen zur Förderung einer gesunden Darmflora
Eine abwechslungsreiche und ballaststoffreiche Ernährung ist wichtig, um die Darmbakterien zu hegen und zu pflegen.
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Die Bedeutung der Forschung zur Darm-Hirn-Achse
Die aktuelle Forschung weist darauf hin, dass es eine Verbindung zwischen der Zusammensetzung der Darmflora und Erkrankungen des Gehirns gibt. Die Wissenschaftler sprechen in diesem Bezug von der „Darm-Hirn-Achse“.
Bei Mäusen, die keine oder nur wenige Bakterienstämme im Darm hatten, funktionieren auch die Abwehrzellen im Gehirn nicht mehr richtig. Hirnkranke Mäuse erhielten ein Gemisch von Fettsäuren ins Trinkwasser gemischt, woraufhin ihre Immunzellen wieder in Schwung kamen und das Gehirn der Nager sich erholte.
Mangel an Propionsäure bei Multipler Sklerose
Im Blut von MS-Patienten wurde ein Mangel an Propionsäure festgestellt. Die Fettsäure fehlt im Blut, weil der Darm offenbar nicht genügend davon produziert. Bei Menschen mit neurologischen Erkrankungen sind einige Darmbakterienstämme verschwunden. Zum Beispiel haben Menschen, die an Alzheimer oder an Parkinson erkrankt sind, deutlich weniger Bakterienstämme im Darm. Damit wird die Produktion der wichtigen Fettsäuren eingeschränkt. Es ist jedoch noch nicht klar, ob dies die Ursache oder das Resultat der Erkrankung ist.
Klinische Studien mit Propionsäure bei Multipler Sklerose
In Bochum wurde die Tätigkeit der Darmbakterien simuliert, indem 100 Patienten, die unter Multipler Sklerose leiden, ein Salz namens Propionat gaben, dass sich im Darm zu Propionsäure wandelt. Nach 2 wöchiger Einnahme von Propionsalz konnten die Ärzte im Blut der Probanden eine signifikante Zunahme der Immunzellen feststellen - und gleichzeitig verminderten sich die Entzündungszellen.
Propionsäure als Konservierungsmittel
Bis in die 80er Jahre haben viele Menschen Propionsäure täglich zu sich genommen, da das Propionat geschnittenem Brot zugesetzt wurde, um Schimmel zu verhindern. 1988 wurde das in Deutschland aber verboten, da Versuche mit Ratten eine erhöhte Krebsgefahr vermuten ließen. Dieses Risiko konnte aber in weiteren Versuchen nicht bestätigt werden.
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