Die psychiatrische und neurologische Versorgung in Niederösterreich ist ein komplexes Feld mit vielfältigen Akteuren und Angeboten. Dieser Artikel bietet einen Überblick über die Strukturen, Herausforderungen und aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich, wobei besonderes Augenmerk auf die Universitätskliniken und die psychotherapeutische Versorgung gelegt wird.
Universitätskliniken als Eckpfeiler der Versorgung
Die Universitätskliniken in St. Pölten, Krems, Tulln und Neunkirchen spielen eine zentrale Rolle in der psychiatrischen und neurologischen Versorgung Niederösterreichs. Sie bieten ein breites Spektrum an Leistungen, von der Akutversorgung bis zur spezialisierten Behandlung.
Universitätsklinikum St. Pölten
Das Universitätsklinikum St. Pölten ist ein wichtiger Standort für Psychiatrie und Neurologie in Niederösterreich. Hier werden Patientinnen und Patienten mit einem breiten Spektrum an psychischen und neurologischen Erkrankungen behandelt. Renate Zechmeister und Christiana Greil geben im Podcast "Das Sprechzimmer G1.3" Antworten auf Fragen zur kindlichen Sehkraft. Dr. Christian M. Neuhauser, Oberarzt an der Klinischen Abteilung für Neurologie, beleuchtet in einer weiteren Episode das Thema Angst und Panik.
Landesklinikum Hollabrunn
Dr. Philipp Beckerhinn, Oberarzt am Landesklinikum Hollabrunn und Leiter des niederösterreichischen Zentrums für metabolisch-bariatrische Chirurgie, erklärt die Gefahr von krankhafter Adipositas.
Zentrum für Altersmedizin (ZAM) Waidhofen/Thaya
Das Zentrum für Altersmedizin (ZAM) im Landesklinikum Waidhofen/Thaya ist ein Vorzeigeprojekt in Niederösterreich. Dort werden seit fast drei Jahren Patientinnen und Patienten ab 65 Jahren nach Operationen oder langwierigen Erkrankungen auf ein weiteres möglichst selbstständiges Leben zu Hause vorbereitet. Die medizinische Leiterin, Oberärztin Dr. Elke Maurer, und der pflegerische Leiter, DGKP Wolfgang Mühlberger, sprechen über den steigenden Bedarf solcher Einrichtungen.
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Radiologietechnologie in Tulln und Krems
Heinz Preiß, medizinisch-technischer Oberinspektor und Bereichsleiter am Universitätsklinikum Tulln, und Nikolaus Metz, MSc, leitender Radiologietechnologe am Universitätsklinikum Krems, geben Einblicke in die Radiologietechnologie und die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Mobile Kinderkrankenpflege MOKI NÖ
Um Krankenhaus-Aufenthalte der kleinen Patientinnen und Patienten zu verkürzen oder zu vermeiden, unterstützt „MOKI NÖ - die Mobile Kinderkrankenpflege“ Familien auf eigenen Wunsch zu Hause.
Psychotherapeutische Versorgung in Niederösterreich
Die psychotherapeutische Versorgung in Österreich, und somit auch in Niederösterreich, ist von regionalen und strukturellen Ungleichheiten geprägt, insbesondere in ländlichen Gebieten. Trotz eines grundsätzlich gut ausgebauten Gesundheitssystems gibt es Herausforderungen bei der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung.
Bedarf und Versorgungslage
Nach derzeitigen Daten leiden etwa 23,8 % der österreichischen Bevölkerung an einer psychischen Störung, wobei 14 % im Versorgungssystem vorstellig werden. Der geschätzte Behandlungsbedarf liegt bei rund 9 % der österreichischen Gesamtbevölkerung, während 2022 nur 4 % versorgt wurden. Die Diskrepanz ist vor allem auf finanzielle Hürden und regionale Versorgungsunterschiede zurückzuführen. Die COVID-19-Pandemie erschwerte den Zugang zu Psychotherapie, insbesondere für vulnerable Gruppen wie Jugendliche und Geflüchtete.
Entwicklung der Psychotherapie in Österreich
Die Zahl der Psychotherapeut:innen stieg von 950 im Jahr 1991 auf 11.676 im Jahr 2023. Heute gibt es in allen Bezirken Österreichs mindestens fünf Psychotherapeut:innen, jedoch bleibt die Versorgung regional ungleich verteilt. Das Inkrafttreten des aktualisierten Psychotherapiegesetzes (PThG 2024) und der Psychotherapie-Ausbildungs‑, Approbationsprüfungs- und Qualitätssicherungs-Verordnung (PTh-AAQV 2024) birgt Potenzial zur Verbesserung der Versorgung durch klarere rechtliche Rahmenbedingungen.
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Aktuelle Herausforderungen und Lösungsansätze
Trotz der steigenden Zahl an Psychotherapeut:innen fehlen belastbare Daten zu ihrem tatsächlichen Tätigkeitsumfang und ihrer Verfügbarkeit. Eine Online-Befragung unter den Mitgliedern des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP) sollte hier Aufschluss geben.
Ergebnisse der ÖBVP-Befragung
Im Rahmen der Online-Befragung zur psychotherapeutischen Versorgung in Österreich haben 2777 Personen teilgenommen, was einer Rücklaufquote von 43,5 % entspricht. Die Mehrheit der Teilnehmenden war weiblich und zwischen 50-65 Jahren alt. 60,7 % üben Psychotherapie als einzige Tätigkeit aus, 63,4 % nur in einer Stadt. 98,0 % arbeiten in freier Praxis, 20,5 % sind angestellt, davon rund 20 % in Krankenhäusern oder Kliniken.
Die Verteilung nach Landesverbänden zeigt regionale Unterschiede. Die Wochenstunden psychotherapeutischer Tätigkeit in Institutionen verteilen sich unterschiedlich; in freier Praxis arbeiten 33,6 % 11-20 h, 23,8 % 21-30 h und 14,6 % mehr als 30 h pro Woche. 26,4 % behandeln 10-20 Patient:innen, 18,0 % 21-30 und 13,4 % 31-40 Patient:innen. Von den Vertragspsychotherapeut:innen behandelten 2024 34,9 % weniger als zehn und 35,7 % zehn bis zwanzig Patient:innen. 2024 hatten 28,9 % der Vertragspsychotherapeut:innen ein Sachleistungskontingent bis 200 h und rund 25 % bis 100 h.
Rund 83 % der Psychotherapeut:innen ohne Vertrag hätten grundsätzlich Interesse an Sachleistungsplätzen; 61 % nur bei höheren Tarifen, 22 % uneingeschränkt und 17 % kein Interesse. Im Hinblick auf die zukünftige Berufstätigkeit gaben rund 53 % der befragten Psychotherapeut:innen an, mindestens noch 16 Jahre lang im Beruf verbleiben zu wollen. Rund 75 % der Befragten verlangen ein Honorar zwischen 90 und 120 €. Darüber hinaus gaben rund 75 % der befragten Psychotherapeut:innen an, in ihrer Praxis auch Sozialtarife anzubieten.
Schlussfolgerungen aus der Befragung
Die Ergebnisse der Befragung zeigen eine starke Konzentration der Praxistätigkeit in urbanen Regionen, wobei Wien den höchsten Anteil hat. Westliche und kleinere Bundesländer wie Vorarlberg und Burgenland sind hingegen deutlich schwächer vertreten. Dies legt nahe, dass Psychotherapeut:innen in manchen Bundesländern kaum in institutionelle Angebote eingebunden sind und freiberufliche Strukturen dominieren. Für eine ausgewogene, wohnortnahe Versorgung wäre daher ein gezielter Ausbau institutioneller Beschäftigungsmöglichkeiten, insbesondere in unterversorgten Regionen, notwendig.
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Die Ergebnisse belegen zudem die Schwerpunktsetzung auf die freiberufliche Ausübung der Psychotherapie. Gerade hier könnte durch die Planung von psychotherapeutischen Versorgungseinrichtungen in unterversorgten Regionen entgegengewirkt werden. Die psychotherapeutische Tätigkeit in Anstellung erfolgt überwiegend in Teilzeit, was auf eine hohe Teilzeitquote verweist.
Trotz der hohen Dominanz der freien Praxis in der aktuellen Versorgungslage erscheint es aus versorgungspolitischer und ausbildungsbezogener Perspektive sinnvoll, die psychotherapeutische Tätigkeit stärker auch in die multiprofessionelle Regelversorgung zu integrieren.
Ein bedeutsamer Aspekt der aktuellen Versorgungslage betrifft die Finanzierung psychotherapeutischer Leistungen. Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass der überwiegende Teil der psychotherapeutischen Tätigkeit in freier Praxis als Krankenbehandlung im Sinne des Gesundheitssystems zu verstehen ist. Gleichzeitig verfügen nur 46 % der eingetragenen Psychotherapeut:innen über einen Vertrag für vollfinanzierte Sachleistungsplätze.
Die Versorgung im Rahmen vollfinanzierter Sachleistungsplätze ist aktuell durch begrenzte Stundenzahlen und niedrige Fallzahlen gekennzeichnet. Gleichzeitig gaben 60 % an, eine Erweiterung des Kontingents nur bei höheren Tarifen in Betracht zu ziehen. Rund 83 % der Psychotherapeut:innen ohne bestehenden Vertrag für Sachleistungen zeigten prinzipielles Interesse an einem solchen.
Aus den Angaben der Umfrage ergibt sich ein geschätzter Anteil von etwa 50-60 % an psychotherapeutischen Behandlungen, die privat ohne jegliche Rückerstattung durch die Sozialversicherung finanziert werden müssen. Diese hohe Selbstzahlungsquote ist insbesondere im Hinblick auf die sozialpolitische Zielsetzung eines gleichberechtigten Zugangs zu medizinischer Versorgung bedenklich.
Die aktuelle Tarifstruktur sowie die kontingentierte Vergabe von Sachleistungsplätzen erweisen sich damit als zentrale strukturelle Barrieren, die einer fairen und bedarfsgerechten Versorgung entgegenstehen.
Die Ergebnisse zeigen ein hohes berufliches Engagement: 53 % planen, mindestens 16 Jahre, 36 % sogar über 20 Jahre im Beruf zu bleiben. 42 % möchten ihre Tätigkeit bis 2030 ausweiten, meist um bis zu 10 h pro Woche; nur 11 % planen eine Reduktion. Auch bei den Honoraren ergibt sich ein klares Bild: 75 % verrechnen 90-120 € pro Einzelsitzung, ähnliche Tarife gelten für Supervision und Selbsterfahrung.
Übergang von der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Erwachsenenpsychiatrie
Der Übergang von der Adoleszenz ins Erwachsenenalter ist mit einer Reihe wichtiger Entwicklungsaufgaben verbunden, deren Bewältigung für Jugendliche mit psychischen Erkrankungen eine besondere Herausforderung darstellt. Zur effektiven Bewältigung dieser sind eine stabile Umgebung und eine angemessene soziale Unterstützung von großer Bedeutung. Das bestehende österreichische psychiatrische Versorgungssystem trägt diesem jedoch oft unzureichend Rechnung, da die Versorgungskontinuität im Regelfall durch einen abrupten Wechsel von der kinder- und jugendpsychiatrischen (KJP) zur erwachsenenpsychiatrischen (EP) Behandlung mit dem 18. Geburtstag unterbrochen wird.
Herausforderungen und Kritik
Fehlende Kontinuität in der psychiatrischen Versorgung wurde bereits vielfach kritisiert, da sie häufig Behandlungslücken zur Folge hat. Neben der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen der Behandlung stellt auch der Wechsel von einer entwicklungs- und familienorientierten Kultur mit stark sozialpädagogischer Komponente zu einem in der EP meist sehr auf das Individuum fokussierten Behandlungsansatz eine besondere Schwierigkeit dar.
Die Novelle der Ärzteausbildungsordnung (ÄAO)
Die nun in der ÄAO verankerte Erweiterung des Aufgabengebiets für Kinder- und Jugendpsychiater:innen (KJPs) führt zu einer Ausweitung des Behandlungsalters, welche sich auch entsprechend in der Behandlungspraxis niederschlagen kann. Eine Studie untersuchte die Auswirkungen der Novelle aus Sicht von KJPs.
Ergebnisse der Studie
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die Novelle auf der fachlich-inhaltlichen Ebene von den Befragten als überwiegend positiv bewertet wurde. Weiters thematisierten einige Befragte auch den „Kulturschock“, den viele 18-Jährige bei einem Wechsel in die erwachsenenpsychiatrische Versorgung erleben würden. Die Unterschiede in der Behandlungskultur zwischen der KJP und der EP würden viele 18-Jährige teils radikal überfordern.
Die Übergangsphase wird von mehreren Teilnehmer:innen als holprig beschrieben. In manchen Fällen würden jedoch Behandlungen auch seitens der Erwachsenenpsychiater:innen (EPs) abgelehnt werden. Generell würden die Befragten versuchen, den Übergang möglichst frühzeitig einzuleiten.
Ressourcenmangel als Haupthindernis
Der Ressourcenmangel der österreichischen kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungslandschaft lässt es jedoch zum aktuellen Zeitpunkt kaum zu, dass das in der Novelle enthaltene Potenzial verwirklicht werden kann. Dies gilt sowohl für den stationären als auch den nicht-stationären Bereich, da jegliche Form der Weiterbehandlung immer mit den Opportunitätskosten anderer dringend benötigter Behandlungsplätze für jüngere Patient:innen abgewogen werden muss.
Die nachhaltige Realisierung des Potenzials der Novelle erfordert somit eine umfassende Investition in personelle und infrastrukturelle Kapazitäten.
Kooperationen und Initiativen zur Verbesserung der medizinischen Versorgung
Kooperation des Bezirks Niederbayern mit der Karl Landsteiner Privatuniversität Krems
Der Bezirk Niederbayern kooperiert mit der Karl Landsteiner (KL) Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften im niederösterreichischen Krems. Gegenstand des MoU ist der Aufbau einer Kooperation zur Schaffung von 20 zusätzlichen Studienplätzen im Studium der Humanmedizin für Studierende aus Niederbayern. Das Ziel des MoU ist die Errichtung einer Außenstelle der KL im Bezirk „zwecks Durchführung des MA-Studiums Humanmedizin in Niederbayern“. Bereits ab dem Jahr 2020 sollen Studierende aus Niederbayern das Studium in Krems aufnehmen können - mit der Perspektive, bereits nach dem dritten Studienjahr nach Niederbayern zurückzukehren.
Historischer Kontext: Julius Wagner-Jauregg
Julius Wagner-Jauregg (1857-1940) war ein österreichischer Psychiater, der maßgeblich die Entwicklung der Psychiatrie beeinflusste. Nach Absolvierung des Schottengymnasiums in Wien studierte W. seit 1874 Medizin an der Univ. Wien, wo er 1880 zum Dr. med. promoviert wurde. Anschließend als Assistent bei →Salomon Stricker (1834-98) am Institut für Allgemeine und Experimentelle Pathologie tätig, begann er 1883 seine Ausbildung zum Psychiater als Assistent von →Max Leidesdorf (1816-89), der die I. Psychiatrische Klinik der Landesirrenanstalt von Niederösterreich in Wien leitete. 1885 habilitierte sich W. für Neurologie und 1888 für Psychiatrie.
Er nahm 1889 einen Ruf als ao. Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Univ. Graz, als Primarius des Allgemeinen Krankenhauses und Leiter der Grazer Irrenanstalt Feldhof an. 1893 kehrte er nach Wien zurück, wo er den Lehrstuhl für Psychiatrie übernahm und mit der Leitung der I. Psychiatrischen Klinik betraut wurde. 1902 wechselte er an die II. Wiener Psychiatrische Klinik, die aufgrund ihrer Situierung im Allgemeinen Krankenhaus sowie einer angegliederten Abteilung für Nervenkrankheiten mehr Möglichkeiten in der klinisch-experimentellen Forschung und Lehre bot.
Über vier Jahrzehnte beeinflußte W. maßgeblich die fachliche und institutionelle Entwicklung der Psychiatrie sowie das österr. Gesundheitswesen. Im 1. Weltkrieg setzte W. durch, die zahlreichen an „Kriegsneurosen“ erkrankten sowie der Simulation verdächtigten Soldaten mit elektrischen Strömen zu behandeln.
Sein wissenschaftliches Lebenswerk, die Fiebertherapie (Malariatherapie) der Progressiven Paralyse, brachte ihm 1927 den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie ein.
Politisch dt.national gesinnt, war W. Mitglied der Großdt. Volkspartei und wurde 1928 Gründungsvorsitzender des Österr. Bundes für Volksaufartung und Erbpflege, dem er bis 1935 vorstand.
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