Die psychogene Lähmung, auch bekannt als funktionelle Lähmung, ist eine neurologische Störung, bei der Betroffene einen teilweisen oder vollständigen Verlust der willkürlichen Bewegungsfähigkeit erfahren, ohne dass eine entsprechende organische Ursache im Nervensystem nachweisbar ist. Diese komplexe Erkrankung äußert sich durch motorische und/oder sensorische Ausfälle und ist oft mit psychischen Belastungen oder traumatischen Erlebnissen verbunden.
Was ist psychogene Lähmung?
Die psychogene Lähmung ist eine Form der dissoziativen Störung (Konversionsstörung), bei der psychische Konflikte oder Belastungen in körperliche Symptome umgewandelt werden. Die Symptome ähneln denen einer neurologischen Erkrankung, obwohl keine strukturellen Schäden im Nervensystem vorliegen. Es handelt sich um eine Fehlanpassung, die jenseits der bewussten Kontrolle stattfindet.
Ursachen und Risikofaktoren
Die genauen Ursachen der psychogenen Lähmung sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird jedoch angenommen, dass eine Kombination aus psychologischen, sozialen und biologischen Faktoren eine Rolle spielt. Zu den möglichen Ursachen und Risikofaktoren gehören:
- Psychische Belastungen: Belastende Lebensereignisse, traumatische Erfahrungen, ungelöste Konflikte oder zwischenmenschliche Schwierigkeiten können Auslöser sein.
- Psychische Erkrankungen: Depressionen, Angststörungen und andere psychische Erkrankungen erhöhen das Risiko.
- Konversionsstörung: Die psychogene Lähmung kann als Ausdruck einer Konversionsstörung auftreten, bei der psychische Konflikte in körperliche Symptome umgewandelt werden.
- Somatische Symptomstörung: In manchen Fällen kann die psychogene Lähmung Teil einer somatischen Symptomstörung sein, bei der Betroffene übermäßig auf körperliche Symptome fixiert sind.
- Lernerfahrungen und Identifikationsmodelle: Im Kindes- und Jugendalter können Lernerfahrungen und Identifikationsmodelle eine besondere Bedeutung haben.
- Besondere Familienkonstellationen: Enge Mutterbindung, überprotektive Eltern oder ein überangepasstes Kindverhalten könnten die Entstehung fördern.
- Schulischer Druck: Konflikte mit der Familie oder mit Gleichaltrigen sowie schulischer Druck können die Symptome auslösen und verstärken.
Symptome
Die Symptome der psychogenen Lähmung können vielfältig sein und variieren von Person zu Person. Typische Symptome sind:
- Motorische Symptome:
- Schwäche oder Kraftlosigkeit in Armen oder Beinen (Paresen)
- Vollständige Lähmung eines oder mehrerer Körperteile
- Gangstörungen (Humpeln, Stolpern, Hinken)
- Bewegungseinschränkungen
- Zittern
- Krampfanfälle (dissoziative Krampfanfälle)
- Sensorische Symptome:
- Taubheitsgefühle oder Empfindungsstörungen
- Verlust des Tastsinns
- Seh- oder Hörverlust
- Schmerzen
- Weitere Symptome:
- Erinnerungsverlust (dissoziative Amnesie)
- Verlust des Identitätsbewusstseins
- Dissoziativer Stupor (beträchtliche Verringerung oder Fehlen von willkürlichen Bewegungen und normalen Reaktionen auf äußere Reize)
- Trance- und Besessenheitszustände (zeitweiliger Verlust der persönlichen Identität und der vollständigen Wahrnehmung der Umgebung)
- Sprachstörungen (Aphonie, Dysphonie)
Die Symptome treten oft plötzlich auf und können von wechselhaftem Verlauf sein. Typisch sind ein plötzlicher Beginn und ein wechselhafter Verlauf mit guten und schlechten Tagen. Die Symptome können sich in enger Beziehung zu psychischer Belastung entwickeln und erscheinen oft plötzlich.
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Diagnose
Die Diagnose der psychogenen Lähmung basiert in der Regel auf einer umfassenden klinischen Untersuchung und Anamnese. Es ist wichtig, organische Ursachen für die Symptome auszuschließen. Die Diagnose wird in der Regel klinisch gestellt, aber bestimmte zusätzliche Untersuchungen können hilfreich sein.
- Körperliche und neurologische Untersuchung: Der Arzt untersucht die motorischen und sensorischen Funktionen, Reflexe und Koordination.
- Anamnese: Der Arzt erfragt die Krankengeschichte, psychische Belastungen und traumatische Erlebnisse.
- Ausschluss organischer Ursachen: Bildgebende Verfahren (MRT, CT) und elektrophysiologische Untersuchungen (EMG, EEG) können eingesetzt werden, um neurologische Erkrankungen auszuschließen.
- Elektromyografische Analyse: Die elektromyografische Analyse von Tremor und Myoklonus kann dazu dienen, psychogenen Tremor und Myoklonus von ihren organischen Gegenstücken zu unterscheiden.
- Psychiatrische Beurteilung: Ein Psychiater oder Psychologe kann die psychische Gesundheit des Patienten beurteilen und eine Diagnose stellen.
Es ist wichtig zu beachten, dass die psychogene Lähmung keine "Ausschlussdiagnose" ist. Das bedeutet, dass die Diagnose nicht nur gestellt wird, wenn alle anderen Ursachen ausgeschlossen wurden, sondern auch aufgrund positiver klinischer Befunde, die auf eine psychogene Ursache hindeuten.
Differentialdiagnose
Die Differentialdiagnose der PMD beruht auf den organischen Ursachen der jeweiligen abnormen Bewegungen. Wenn Tremor das Hauptsymptom ist, werden z. B. die Parkinson-Krankheit und der essentielle Tremor in Betracht gezogen.
Behandlung
Die Behandlung der psychogenen Lähmung zielt darauf ab, die Symptome zu reduzieren, die psychischen Ursachen zu behandeln und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern. Es gibt nur wenige klinische Studien, aber die verfügbare Literatur deutet darauf hin, dass eine Kombination aus Psychotherapie und individuell abgestimmter psychiatrischer Medikation (die auf die Behandlung von Begleiterkrankungen wie Depression oder Angstzuständen abzielt) von Vorteil sein kann.
- Psychotherapie:
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT): Hilft, negative Gedanken und Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern.
- Tiefenpsychologisch orientierte Verfahren: Untersuchen die unbewussten Konflikte und traumatischen Erfahrungen, die zur Entstehung der Symptome beigetragen haben könnten.
- Hypnose: Kann helfen, Stress und andere psychische Zustände, die sich auf die Körperfunktionen auswirken, zu kontrollieren.
- Physiotherapie: Kann helfen, die motorischen Fähigkeiten wiederherzustellen und die körperliche Funktion zu verbessern.
- Medikamentöse Behandlung: Medikamente können eingesetzt werden, um Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Angstzustände zu behandeln.
- Unterstützendes Arzt-Patienten-Verhältnis: Ein vertrauensvolles Verhältnis zu einem Arzt oder Therapeuten ist entscheidend für den Behandlungserfolg.
- Einbeziehung der Familie: Die Einbeziehung der Familie in die Behandlung kann hilfreich sein, um das Verständnis und die Unterstützung für den Patienten zu verbessern.
Prognose
Die Prognose von PMD ist unterschiedlich, aber besser als die von Patienten mit anderen somatoformen Beschwerden wie sensorischen Symptomen, Schwäche oder Schmerzen. Das Vorliegen einer psychiatrischen Komorbidität (Depression oder Angststörung) ist ein positiver prognostischer Faktor. Lang anhaltende Symptome, ein schleichender Beginn der Bewegungen und eine psychiatrische Primärdiagnose wie Hypochondrie, eine Artefakt-Krankheit oder Simulation sind negative Prognosefaktoren. Ohne eine spezifische Behandlung ist der Verlauf funktioneller Lähmungen in etwa der Hälfte der Fälle chronisch. Mit frühzeitiger Unterstützung wie einer Bewegungs- und Psychotherapie ist die Erkrankung gut behandelbar.
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Psychogene Lähmung bei Kindern und Jugendlichen
Die psychogene Lähmung tritt auch bei Kindern und Jugendlichen auf. Die Symptome können sich durch Gangstörungen, Bewegungseinschränkungen, Hüftschmerzen und Lähmungen äußern. Betroffen sind vor allem Kinder im Alter zwischen elf und dreizehn Jahren. Die Behandlung erfolgt meist stationär durch verhaltenstherapeutisch orientierte Psychotherapie und individuelle Physiotherapie. Bei multimodaler Therapie zeigt die Lähmung einen günstigen Verlauf und hat eine gute Prognose.
Wichtige Aspekte für Betroffene und Angehörige
- Frühzeitige Diagnose und Behandlung: Je früher die Diagnose gestellt und die Behandlung begonnen wird, desto besser sind die Chancen auf eine vollständige Genesung.
- Akzeptanz der Erkrankung: Es ist wichtig, die psychogene Lähmung als eine echte Erkrankung anzuerkennen und nicht als Einbildung oder Simulation abzutun.
- Unterstützung suchen: Betroffene und Angehörige sollten sich nicht scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
- Informationen sammeln: Je besser man über die Erkrankung informiert ist, desto besser kann man damit umgehen.
- Selbsthilfe: Es gibt verschiedene Selbsthilfegruppen und Online-Foren, in denen sich Betroffene austauschen und gegenseitig unterstützen können.
- Geduld haben: Die Behandlung der psychogenen Lähmung kann Zeit und Geduld erfordern. Es ist wichtig, nicht aufzugeben und sich realistische Ziele zu setzen.
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