Nicht-epileptische psychogene Anfälle: Ursachen, Diagnose und Behandlung

Psychogene nicht-epileptische Anfälle (PNEA), auch bekannt als dissoziative Anfälle oder funktionelle neurologische epileptiforme Anfälle (FNEA), sind eine wichtige Differenzialdiagnose zu epileptischen Anfällen. Es handelt sich um Anfälle, die nicht durch abnorme elektrische Aktivität im Gehirn verursacht werden, sondern auf unbewusste seelische Konflikte zurückzuführen sind.

Definition und Terminologie

Es gibt viele verschiedene Bezeichnungen für psychogene nicht-epileptische Anfälle, darunter dissoziative Anfälle, hysterische Anfälle, somatoforme Anfälle, funktionelle Anfälle oder Pseudoanfälle. All diese Bezeichnungen meinen dasselbe. In der ICD-11-Klassifikation wird der Begriff einer „dissoziativen neurologischen Symptomstörung“ verwendet. International und national hat sich in den letzten Jahren der Begriff „funktionelle/dissoziative Anfälle“ oder „funktionelle neurologische epileptiforme Anfälle (FNEA)“ etabliert.

Epidemiologie

PNEA sind keine seltene Erkrankung. Die Prävalenz in Deutschland liegt repräsentativen Krankenkassendaten zufolge bei 23/100.000, ähnlich hoch wie in Norwegen. Mit 70% sind überwiegend Frauen von dissoziativen Krampfanfällen betroffen.

Ursachen und Auslöser

Die Ursachen psychogener Anfälle sind keine körperlichen Beschwerden, sondern seelische Belastungen, die zu Krankheitszeichen und einer speziellen Symptomatik führen. Viele Menschen, die unter dissoziativen Anfällen leiden, haben ein Trauma erlebt. Die Traumatisierungen können schon sehr lange zurückliegen und müssen nicht zwangsläufig erinnerbar sein. Insbesondere Missbrauch und Vernachlässigung gelten als prädisponierende Faktoren. Das bedeutet, dass diese Erlebnisse die Anfälligkeit für die Entwicklung psychogener Anfälle immens erhöhen können und folglich häufig Ursache für die Anfälle sind. Auch sehr schwierige Lebenssituationen sind als Ursache für dissoziative Krampfanfälle möglich. Manchmal stehen frühere medizinische Ereignisse wie ein epileptischer Anfall oder eine Ohnmacht am Anfang. Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen wie Epilepsie, Migräne, Depression, Angst- oder Schlafstörungen haben ein erhöhtes Risiko.

Symptome

Dissoziative Anfälle können epileptischen Anfällen ähneln und werden oft mit ihnen verwechselt. Dissoziative Krampfanfälle weisen eine große Ähnlichkeit zu epileptischen Anfällen auf, jedoch gibt es einige Merkmale, in denen sie sich zu epileptischen Anfällen unterscheiden. Bei den dissoziativen Krampfanfällen treten selten die für epileptische Anfälle typischen Symptome Zungenbiss, Verletzungen beim Sturz oder Einnässen (Inkontinenz) auf. Die dissoziativen Anfälle kennzeichnen sich zum Beispiel durch krampfartige Zuckungen, verrenkungsähnliche Bewegungen, Überstreckungen des Kopfes, Grimassierungen oder schüttelnde Bewegungen der Arme, Beine oder des Kopfes. Die Anfälle begleiten außerdem starke Einschränkungen der Bewusstseinsfunktionen. Während des psychogenen Krampfanfalls kommt es zu einem plötzlichen Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper. Typisch ist ein plötzlicher Kontrollverlust über den Körper. Es kann zu Zuckungen, Verkrampfungen oder einem Ohnmachtsanfall kommen. Bei dissoziativen Anfällen sind die Augen meistens geschlossen. Betroffene von epileptischen Anfällen sind nach den Anfällen völlig desorientiert bzw. am Schlafen. Oft wird von Betroffenen berichtet, dass sie während der dissoziativen Anfälle flashbackartige Erlebnisse haben. Dissoziative Krampfanfälle sind individuell sehr unterschiedlich, vor allem bezüglich Häufigkeit und Dauer der Anfälle und des Erscheinungsbildes. Je nach Häufigkeit und Ausprägung können die dissoziativen Krampfanfälle die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Darüber hinaus nehmen Betroffene die Anfälle oftmals als beängstigend und beschämend wahr. Viele Betroffene haben Mühe anzuerkennen, dass die dissoziativen Anfälle psychogen sind.

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Diagnose

Dissoziative Krampfanfälle sind nicht einfach zu diagnostizieren und schwer von epileptischen Anfällen zu unterscheiden. Aus diesem Grund erhalten viele Betroffene zunächst die falsche Diagnose „Epilepsie“. Studien haben gezeigt, dass psychogene nicht-epileptische Anfälle erst nach mittleren 7 Jahren sicher als solche diagnostiziert werden. Die Diagnose stützt sich auf das typische Erscheinungsbild der Anfälle. Wichtig: Abgrenzung zur Epilepsie. Die Abgrenzbarkeit von PNEA zu epileptischen Anfällen ist sehr schwierig, insbesondere wenn beide Entitäten vorliegen. Es bedarf dazu der klinischen Beurteilung, Begleitung und Dokumentation durch geschultes Personal und der Möglichkeit ständiger diagnostischer Evaluation durch Video-EEG-Überwachung mit der Option, im Zweifelsfall ein Notfall-EEG oder sogar ein erneutes Monitoring durchzuführen. Durch Video-EEG-Monitoring (EEG = Elektroenzephalographie) kann mit nahezu vollständiger Sicherheit eine Epilepsie ausgeschlossen werden. Die Betroffenen werden dabei während den Anfällen gefilmt und deren elektrische Gehirn-Aktivitäten gemessen. Anders als bei Epilepsie fehlt jedoch eine krankhafte elektrische Entladung im Gehirn.

Behandlung

Bei dissoziativen Krampfanfällen ist Psychotherapie das Mittel der Wahl. Unterschiedliche Therapieformen sind für die Behandlung dissoziativer Krampfanfälle möglich. Die Art der Therapie sollte davon abhängig sein, wie ausgeprägt die dissoziative Symptomatik ist. Bei einfachen dissoziativen Störungen ist die Arbeit an den Auslösern sowie die Verbesserung der Affektwahrnehmung und der Affekttoleranz empfehlenswert. In komplizierteren Fällen mit komplexerem Störungsniveau, weiteren psychischen Begleiterkrankungen und zum Beispiel traumatischer Vorgeschichte wird ein differenziertes Behandlungskonzept mit verursachungsspezifischen Therapietechniken entwickelt. Damit werden die zugrundeliegenden Traumata, aber auch Angstzustände, depressive Zustände und psychosomatische Symptomkomplexe behandelt. Die standardmäßige Behandlung von epileptischen Anfällen mit Antiepileptika hat bei dissoziativen Krampfanfällen keine positiven Auswirkungen. Nicht erfolgreich behandelbare epileptische Anfälle sind in 20-30% der Fälle in Wahrheit verkannte dissoziative Anfälle. Ein zentraler Ansatz der stationären Behandlung ist das rasche Erlernen von Strategien zur Erkennung und Vermeidung von Auslösern, zur Wahrnehmung sich anbahnender Anfälle sowie zur Unterbrechung von Anfällen durch die Betroffenen. Diese Kompetenzen spielen auch bei der Therapie epileptischer Anfälle eine Rolle. Entsprechende therapeutische Angebote sind daher an Epilepsiezentren gut etabliert. Erst eine gewisse Kontrolle der Anfälle schafft die Voraussetzung für eine ambulante Psychotherapie.

Versorgungssituation

Aktuell werden in der medizinischen Versorgung starre Grenzen zwischen Fachbereichen zugunsten fachübergreifender Kooperationen abgebaut. In vielen Fachgebieten werden interdisziplinäre Zentren zur multiprofessionellen Versorgung etabliert. Wie oben ausgeführt, wenden sich Patientinnen und Patienten mit dem Symptom „Anfall“ an neurologische Kliniken bzw. Epilepsiezentren. Für die Krankheitsakzeptanz hat es sich als hilfreich erwiesen, wenn bereits bei der Aufklärung über die Diagnose PNEA in der epileptologischen Klinik Kenntnis über weiterführende psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten besteht und bereits bei der Diagnosestellung ein psychotherapeutischer Erstkontakt erfolgen kann. Dies ist nur möglich, wenn Diagnostik und Therapie im selben Zentrum erfolgen. Schließlich ist es für die Prognose essenziell, nach der Diagnosestellung und Aufklärung unmittelbar geeignete therapeutische Schritte einzuleiten, wie dies bei der gängigen Vorgehensweise in Epilepsiezentren gewährleistet ist. Es gibt also eine Versorgungslücke bei der Behandlung dieser schwer betroffenen Menschen. Schon seit Langem gibt es deutliche Hinweise darauf, dass in stationären Settings mit Expertise für anfallsartige Störungen bessere Behandlungsergebnisse bei PNEA erzielt werden. Dies wird auch durch teils jahrzehntelange Erfahrungen in deutschen Epilepsiezentren bestätigt.

Prognose

Ohne gezielte Therapie bleiben dissoziative Anfälle oft über Jahre bestehen. Eine individuell angepasste Psychotherapie kann jedoch sehr wirksam sein. Jeder zweite Betroffene wird mit Therapie anfallsfrei - früh beginnen lohnt sich! Eine spontane Heilung ist selten - aber mit gezielter Therapie sind die Chancen gut: Bei über der Hälfte der Patienten nehmen die Anfälle stark ab oder verschwinden ganz.

Was man tun kann

  • Sorge für Sicherheit, entferne z.B.
  • Halte den Betroffenen nicht fest.
  • Spreche ruhig und freundlich mit dem Betroffenen.
  • Wichtig ist ein offener Umgang mit der Erkrankung. Angehörige, Freunde und Kolleg:innen sollten wissen, wie sie im Ernstfall reagieren.
  • Wenn Sie ein Trauma erlebt haben, dann könnte eine Traumaberatung für dich hilfreich sein.

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