Die Pudendusneuralgie, auch bekannt als Alcock-Kanal-Syndrom oder Pudendusneuropathie, ist eine seltene und oft schmerzhafte Erkrankung, die durch eine Reizung oder Schädigung des Nervus pudendus verursacht wird. Dieser Nerv spielt eine zentrale Rolle bei der Sensibilität und Funktion des Beckenbodens. Die Erkrankung kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinträchtigen.
Was ist Pudendusneuralgie?
Pudendusneuralgie ist eine schmerzhafte Neuralgie, die durch eine Läsion oder Kompression des Nervus pudendus verursacht wird. Der Nervus pudendus, auch Schamnerv genannt, ist ein peripherer Nerv, der aus dem Plexus sacralis entspringt und für die sensible Wahrnehmung von After, Damm und Hoden bzw. Schamlippen zuständig ist. Er steuert auch die Muskulatur des Beckenbodens und den äußeren Afterschließmuskel, was ihn wichtig für die Kontrolle von Harn und Stuhl sowie für die Sexualfunktion macht.
Historisch wurde die Pudendusneuralgie erstmals bei Wettkampfradfahrern identifiziert und 1988 von dem französischen Psychiater Gérard Amarenco als „Radfahrersyndrom“ oder „Alcock-Kanal-Syndrom“ bezeichnet. Spätere Erkenntnisse zeigten, dass Beckenverletzungen diese Erkrankung auch bei anderen Patientenpopulationen auslösen kann. Die Häufigkeit der Pudendusneuralgie wird auf etwa 1 von 100.000 Personen geschätzt, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.
Symptome der Pudendusneuralgie
Patienten mit Pudendusneuralgie berichten über neuropathische Schmerzen im Versorgungsgebiet des Nervus pudendus. Die Schmerzen werden oft als brennend oder messerstichartig beschrieben und treten typischerweise zwischen Testis/Labien und Anus auf. Ein charakteristisches Merkmal ist die Zunahme der Schmerzsymptomatik beim Sitzen, während sie auf der Toilette oder im Liegen oft abnimmt. Bei rektaler digitaler Palpation des Ligamentum sacrospinale kann es zu einer Verstärkung der Schmerzsymptomatik kommen.
Das führende Symptom der Pudendusneuralgie sind starke Nervenschmerzen (Neuralgie). Diese werden häufig als stechend, brennend und einschließend beschrieben. Die Beschwerden sind in den meisten Fällen nur einseitig vorhanden. Eine Beteiligung beider Seiten wird meist nur nach schwereren Beckenfrakturen oder anderen größeren Traumata beschrieben. Beschwerden im Schlaf werden daher meist nicht angegeben. Häufig berichten Patienten auch von einer Besserung nach dem Stuhlgang, was auf eine Druckentlastung des kleinen Beckens zurückzuführen ist.
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Neben den Schmerzen können aber noch weitere Symptome auftreten. Etwas häufiger werden Sensibilitätsstörungen im Sinne von Missempfindungen (Parästhesien) im Dammbereich beschrieben. Durch mögliche Taubheitsgefühle sind manchmal das Wasserlassen und der Stuhlgang nicht mehr richtig kontrollierbar. Eine Pudendusneuralgie kann damit in einigen Fällen zu einer Harn- und Stuhlinkontinenz führen. In seltenen Fällen ist die Sexualfunktion gestört.
Zusammenfassend können folgende Symptome auftreten:
- Starke Nervenschmerzen im Dammbereich
- Brennende Missempfindungen im Genitalbereich
- Dauerhaftes Fremdkörpergefühl im After
- Schmerzen, die beim Sitzen zunehmen und beim Liegen nachlassen
- Sensibilitätsstörungen im Sinne von Missempfindungen (Parästhesien) im Dammbereich
- Harn- und Stuhlinkontinenz
- Störungen der Sexualfunktion
Ursachen der Pudendusneuralgie
Die Pudendusneuralgie kann durch verschiedene Faktoren verursacht werden, darunter mechanische Verletzungen, virale Infektionen oder immunologische Prozesse. Mechanische Ursachen können durch Muskelkrämpfe im Beckenboden (Musculus levator ani oder Musculus obturator internus), Druck durch umliegende Bänder (Sakrospinal- oder Sakrotuberalligament) oder Narbengewebe infolge von Traumata oder Operationen entstehen. Bei chirurgischen Eingriffen kann eine Einklemmung auch durch Netze oder Nähte, die den Nerv direkt verletzen, verursacht werden.
Bei Frauen sind die häufigsten Ursachen für eine Pudendusneuralgie chirurgische Verletzungen, insbesondere durch gynäkologische Eingriffe wie vaginale Operationen bei Prolaps oder Inkontinenz, Beckenverletzungen (z. B. durch Heben schwerer Lasten, Stürze oder das Einführen von Fremdkörpern) und seltener vaginale Geburten. Bei Männern hingegen sind Beckenverletzungen die häufigste Ursache für eine Pudendusneuralgie.
Weitere mögliche Ursachen sind:
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- Mechanischer Druck (z. B. durch langes Sitzen, Radfahren)
- Operationen oder Geburten
- Narbenbildung, Verletzungen, Entzündungen
- Beckenfrakturen
- Tumore
- Radiotherapie
- Tiefe Hämatome durch Injektionen
- Schädigungen des Nervs durch Herpes zoster
- Gynäkologische Erkrankungen wie Endometriose
- Gefäßerkrankungen des Beckens wie Thrombosen oder Krampfadern
- Bindegewebige Verengung des Alcock-Kanals
In vielen Fällen bleibt die Ursache jedoch unklar (idiopathisch).
Diagnose der Pudendusneuralgie
Die Diagnose einer Pudendusneuralgie kann eine Herausforderung sein, da die Symptome oft unspezifisch sind und leicht mit anderen Erkrankungen verwechselt werden können. Häufig dauert es Monate oder sogar Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird.
Die typische klinische Diagnose einer Pudendusneuralgie kann nach den Nantes-Kriterien erfolgen, welche sich wie folgt zusammensetzen:
- Schmerzen im anatomischen Versorgungsgebiet des Nervus pudendus.
- Zunahme der Schmerzsymptomatik durch Sitzen.
- Der Patient erwacht nicht durch die Schmerzen in der Nacht.
- Keine objektive Hypästhesie bei klinischer Untersuchung
- Positives Ansprechen auf eine Pudendusblockade
Neben einer bildgebenden Darstellung des Nervus pudendus kann auch zur weiteren Diagnostik eine EMG Untersuchung als auch CT-gesteuerten Blockade des Nervus pudendus erfolgen. Die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) kann Schädigungen des Nervus pudendus nachweisen.
Die Pudendusnerv-Blockade ist oft der wichtigste diagnostische Schritt vor der Behandlung. Hierbei wird eine lokale Betäubung in die Nähe der Nerven gespritzt, um zu testen, ob der Pudendusnerv die tatsächliche Ursache der Schmerzen ist.
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Es ist wichtig, andere Krankheiten auszuschließen, die ähnliche Beschwerden verursachen können, wie z.B.:
- Hautentzündungen
- Diabetes mellitus
- Tumoren der Nerven und des Rückenmarks (Neurinom, Ependymom)
- Psychologische Erkrankungen
- Nervenschäden durch Strahlentherapie
Therapie der Pudendusneuralgie
Die Therapie der Pudendusneuralgie zielt darauf ab, die Schmerzen zu lindern und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es gibt verschiedene Behandlungsansätze, die je nach Ursache und Schweregrad der Symptome eingesetzt werden können.
Konservative Therapie
Die konservative Therapie umfasst in der Regel:
- Medikamentöse Behandlung: Da die Schmerzen bei einer Pudendusneuralgie meist chronisch sind, sprechen übliche Schmerzmittel (Analgetika) oft nicht an. Daher kommen vor allem Medikamente zum Einsatz, die normalerweise als Antidepressiva oder Antiepileptika Anwendung finden. Antidepressiva (wie Amitriptylin oder Mianserin) und Antikonvulsiva (Krampflöser, Beispiele sind Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin und Lamotrigin) wirken dabei auf der Ebene der Signalweiterleitung in den Nerven, etwa indem sie Nervenbotenstoffe hemmen. Eine Kombination von Wirkstoffen dieser beiden Substanzklassen ist möglich und zeigt oft eine gute Wirkung.
- Physiotherapie: Besonders Physiotherapie für den Beckenboden kann oft Linderung verschaffen. Physiotherapeutische Übungen zielen auf die Entspannung und das Stretching des Beckenbodens ab. Techniken zur Verbesserung der Körperhaltung und spezielle Sitzkissen können ebenfalls dazu beitragen, den Druck auf den Nervus pudendus zu reduzieren.
- Pudendusblockade: Bei der Pudendusblockade wird ein Lokalanästhetikum (ggf. mit Kortison oder Eigenblut) unter Ultraschallkontrolle direkt an den Pudendusnerv gespritzt. Die Injektion kann die Schmerzen sofort lindern und helfen, den Teufelskreis aus Schmerz und Verspannung zu durchbrechen.
- TENS (transkutane elektrische Nervenstimulation): Eine Reizstromtherapie, bei der Elektroden an den schmerzenden Stellen aufgeklebt werden. Die Stromimpulse sollen dazu dienen, die Schmerzweiterleitung ins Gehirn zu verringern.
- Weitere Maßnahmen: Osteopathie, Akupunktur, psychologische Begleitung bei der Schmerztherapie, basische, histaminarme Diät.
Operative Therapie
Wenn die konservative Therapie nicht ausreichend hilft, kann eine operative Behandlung in Erwägung gezogen werden. Bei der als Neurolyse bezeichneten Operation wird der Nervus pudendus freigelegt, um jeglichen Druck, der auf ihm lastet (zum Beispiel durch Narbengewebe), zu nehmen. Der Nerv wird entweder von hinten durch die Gesäßmuskulatur (die besterprobte Möglichkeit) freipräpariert oder durch den Damm beziehungsweise durch die Scheide.
Eine weitere operative Therapieoption stellt die pudendale Neuromodulation (PNM) dar. Hierbei wird eine dauerhafte Schmerzlinderung durch elektrisch herbeigeführte Veränderung und Unterbrechung der Schmerzempfindung und -weiterleitung über den Schamnerven erzielt.
Regenerative Medizin
In chronischen Fällen bietet die regenerative Medizin eine spannende Ergänzung:
- PRP (Platelet-Rich Plasma): Körpereigene Wachstumsfaktoren zur Nervenregeneration
- Stammzelltherapie: Autologe mesenchymale Stammzellen aus Fettgewebe oder Knochenmark - fördern Heilung und reduzieren Entzündungen
Diese Verfahren zielen auf eine nachhaltige Beruhigung und Reparatur des geschädigten Nervengewebes.
Auswirkungen auf Betroffene
Die Lebensqualität der Betroffenen kann durch die Schmerzen erheblich beeinträchtigt sein, da diese die Ausführung alltäglicher Aktivitäten und das Sitzverhalten stark stören können. Auch Störungen der Sexualfunktion sowie Harn- und Stuhlinkontinenz sind möglich. Besonders letztgenannte Symptome können ebenso wie die anhaltenden Schmerzen zu einer erheblichen psychischen Belastung führen.
Prognose
Eine Prognose bezüglich der Pudendusneuralgie abzugeben ist schwierig, da es viele verschiedene Ursachen gibt. Wichtig ist, die Schmerzen einer Pudendusneuralgie möglichst frühzeitig zu behandeln, damit sie nicht chronisch werden. Grundsätzlich gilt die Prognose der Pudendusneuralgien als gut, sofern alle verfügbaren Therapieoptionen in das Behandlungsschema miteinbezogen werden. Dennoch gibt es Patienten, die nicht von einem operativen Eingriff profitieren und auch die medikamentöse Therapie nur schlecht anschlägt.
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