Die Forschung im Bereich der psychischen Gesundheit hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht, insbesondere im Verständnis der Neurobiologie von Psychosen und der Möglichkeiten zur Regeneration des Gehirns. Dieser Artikel beleuchtet aktuelle Studien und Therapieansätze, die darauf abzielen, die neurodegenerativen Aspekte von Psychosen, insbesondere Schizophrenie, zu modulieren und die kognitiven Funktionen sowie die Hirnatrophie zu verbessern.
Neurodegenerative Aspekte der Schizophrenie
Lange Zeit wurde in der Psychiatrie kontrovers diskutiert, ob neurodegenerative Prozesse an der Pathophysiologie der Schizophrenie beteiligt sind. Insbesondere das Fehlen von Astrogliose, einem typischen Zeichen für Neurodegeneration, in den Gehirnen verstorbener schizophrener Patienten führte zu der Annahme, dass degenerative Prozesse bei Schizophrenie ausgeschlossen seien. Stattdessen konzentrierte man sich auf Entwicklungsdefekte als Ursache der Erkrankung.
Moderne bildgebende Verfahren haben jedoch die Erkenntnisse über die neurodegenerativen Aspekte der Schizophrenie deutlich verbessert. Eine prospektive Fünfjahresstudie von Thompson et al. (2001) zeigte, dass es zu Beginn der Erkrankung zu einem fortschreitenden Verlust an grauer Substanz im Bereich des Parietallappens kommt, der sich sukzessive nach temporal und frontal ausbreitet.
Tiermodell zur Modellierung der Neurodegeneration bei Schizophrenie
Diese Erkenntnisse veranlassten Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut für experimentelle Medizin, ein Tiermodell zu entwickeln, in dem die neurodegenerativen Aspekte der Schizophrenie modelliert werden sollten. Bei der Entwicklung des Modells gingen sie von zwei wesentlichen Annahmen aus:
- Der Parietallappen ist der entscheidende Ausgangspunkt für die neurodegenerativen Prozesse.
- Juveniles Alter ist Voraussetzung für den Prozessbeginn.
In diesem Modell wird bei juvenilen Mäusen (28 Tage alt) stereotaktisch durch die intakte Schädeldecke hindurch eine Kryoläsion (Applikation von -80° Kälte über 60 Sekunden mittels Metallspitze) im rechten Parietallappen gesetzt. Dadurch wird eine progrediente bilaterale Hirnatrophie ausgelöst, begleitet von Verhaltensänderungen sowie Lern- und Gedächtnisstörungen, ähnlich wie bei der Schizophrenie bekannt. Interessanterweise nehmen die kognitiven Defizite mit zunehmendem Alter der Tiere zu, was darauf hindeutet, dass zusätzlich zur gesetzten Vorschädigung der normale Alterungsprozess eine additive Rolle im Sinne einer Dekompensation spielt.
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Umfassende Untersuchungen auf stereologischer Basis zeigten, dass die unilateral gesetzte Läsion stets bilaterale Veränderungen im Gehirn induziert. Als frühes Ereignis wurde eine bilaterale Zunahme der Mikroglia festgestellt, die auf einen chronisch persistierenden, milden inflammatorischen Prozess hinweist. Während die Gesamtzahl von Neuronen und Astrozyten in Gyrus cinguli und Hippocampus unverändert war, was auf eine nicht-gliotische Neurodegeneration hindeutet, fanden die Forscher quantitative Verschiebungen von Nervenzellsubpopulationen. Parvalbumin-positive inhibitorische GABAerge Interneurone waren bilateral im Hippocampus vermehrt, ebenso wie die Expression des GABA-synthetisierenden Enzyms GAD67. Im Gefolge der parietalen Läsion war weiterhin eine Reduktion des präsynaptischen Proteins Synapsin1 feststellbar, was auf eine Beeinträchtigung von Synapsenfunktion und Neuroplastizität hindeutet.
Besonders bemerkenswert ist, dass eine frühe Behandlung mit hochdosiertem Erythropoietin (EPO) alle geschilderten Veränderungen vollständig verhindern kann, sowohl Atrophie und Verhaltensänderungen als auch morphologisch-histologische Folgeerscheinungen der parietalen Läsion.
Diese Befunde legen nahe, dass:
- Eine unilaterale Parietallappenläsion bei juvenilen Mäusen eine bilaterale, nicht-gliotische Neurodegeneration induziert, die einer frühen EPO-Behandlung zugänglich ist.
- Die hier beobachtete nicht-gliotische Neurodegeneration wesentliche Merkmale der Neurodegeneration bei der Schizophrenie nachstellt.
- Für die Initiation dieses neurodegenerativen Prozesses ein Setzen der Läsion zu einer vulnerablen Zeit (Pubertät) und in einer vulnerablen Region (Parietallappen) notwendig ist.
Erythropoietin (EPO) als neuroprotektive Therapie
Die Erkenntnisse aus dem Tiermodell führten zu der Idee, EPO als neuroprotektive Therapie bei Schizophrenie einzusetzen. EPO ist ein hämatopoietischer Wachstumsfaktor, der seit Jahrzehnten zur Behandlung von Patienten mit Blutarmut eingesetzt wird und sich als gut verträglich und sicher erwiesen hat. EPO wirkt anti-apoptotisch, anti-oxidativ, anti-entzündlich, neurotroph und plastizitätsmodulierend und stimuliert zusätzlich Neurogenese und Differenzierung von Nervenzellen.
Um zu überprüfen, ob EPO die Blut-Hirn-Schranke bei Schizophrenie-Patienten passieren kann, verabreichten die Göttinger Wissenschaftler Indium111-markiertes EPO intravenös jungen, männlichen, schizophrenen Patienten und gesunden Kontrollprobanden. Mittels SPECT (single photon emission computed tomography) wurde die Verteilung von EPO im Organismus und insbesondere im Gehirn untersucht. Es zeigte sich, dass schizophrene Patienten eine deutliche Anreicherung von Indium111-Signalen im Hirn aufwiesen, wobei allerdings auch gesunde Kontrollen erkennen ließen, dass eine Penetration der intakten Blut-Hirn-Schranke für EPO möglich ist.
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Post-mortem-Untersuchungen an den Gehirnen Schizophrener versus Gesunder zeigten, dass in Hippocampus und Cortex schizophrener Menschen eine signifikant höhere EPOR-Expression sowohl durch Neurone als auch durch Gliazellen nachweisbar war. Dies erklärt die stärkere Anreicherung des Indium111-markierten EPO in den Gehirnen dieser Patienten.
Daraufhin wurde die erste multizentrische, doppelblinde, randomisierte, placebokontrollierte Proof-of-Principle-Studie (Phase IIb) mit EPO als neuroprotektiver/neuroregenerativer Add-on-Therapie bei schizophrenen Patienten durchgeführt.
Weitere Therapieansätze und Forschungsergebnisse
Neben der Behandlung mit EPO gibt es weitere vielversprechende Therapieansätze und Forschungsergebnisse im Bereich der Regeneration des Gehirns nach Psychose:
Netzwerkbasierte Modelle zur Erklärung von Hirnveränderungen
Ein Forschungsteam entwickelte ein netzwerkbasiertes Modell, das sowohl medikamentenbedingte als auch krankheitsbedingte Hirnveränderungen erklären und unterscheiden kann. Die Ergebnisse zeigen, dass die Psychose mit einer signifikanten und fortschreitenden Abnahme im Volumen der grauen Hirnsubstanz einhergeht. Dabei sind die von Psychosen verursachten Veränderungen der grauen Substanz nicht zufällig über das Gehirn verteilt. Das Team identifizierte den Hippocampus als zentralen Ausgangspunkt der psychotischen Veränderungen. Vom Hippocampus aus breitet sich die Erkrankung mit der Zeit über die Nervenverbindungen der weißen Substanz weiter über das Gehirn aus. Diese Erkenntnisse eröffnen neue Chancen für die Therapie von Psychosen, insbesondere den Hippocampus als potenziellen Ansatzpunkt für die Entwicklung künftiger Medikamente.
Die Rolle der extrazellulären Matrix (EZM)
Die extrazelluläre Matrix (EZM), ein dichtes und dynamisches Geflecht, das die Zellen im Gehirn umhüllt, spielt eine essenzielle Rolle für die Hirnfunktion. Sie ist an neuronaler Plastizität, Lernprozessen und der Regeneration von Nervenzellen beteiligt. Veränderungen in der EZM werden mit neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer, Suchterkrankungen und Schizophrenie in Verbindung gebracht.
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Bei Schizophrenie sind die perineuronalen Netze (PNN), eine spezialisierte Form der EZM, morphologisch verändert. Studien haben gezeigt, dass Träger einer bestimmten Variante des Neurocan-Gens schlechtere Gedächtnisleistungen und Veränderungen im präfrontalen Kortex und Hippocampus aufweisen, ähnliche Merkmale wie bei Menschen mit Schizophrenie und bipolarer Störung.
Psychischer Stress kann ebenfalls die EZM beeinflussen. Bei dauergestressten Mäusen findet man verklumpte Proteine in den perineuronalen Netzen. Antidepressiva können diese Eiweißaggregate auflösen und das Verhalten der Tiere normalisieren.
Die EZM-Forschung ist jedoch schwierig, da menschliches Hirngewebe nur postmortal verfügbar ist. Zukünftige Forschung wird sich auf die Entwicklung von Biomarkern konzentrieren, um Hirnerkrankungen besser vorhersagen zu können, und auf die Entwicklung von Medikamenten, die sich explizit gegen Bestandteile der extrazellulären Matrix richten.
Körperliche Aktivität und Hippocampusvolumen
Studien haben gezeigt, dass körperliche Aktivität das Hippocampusvolumen vergrößern und die Gedächtnisleistung verbessern kann. Dies könnte ein vielversprechender Therapieansatz für Schizophrenie-Patienten sein, da viele von ihnen eine Verringerung des Hippocampusvolumens aufweisen.
Frühintervention und Remission
Eine Studie analysierte Daten von Patienten, die nach einer ersten psychotischen Episode an einem kanadischen Frühinterventionsprogramm teilgenommen hatten. Nach einem Jahr hatten 30 Prozent eine komplette Remission erreicht. Bei zwei Drittel aller Patienten waren die Positivsymptome komplett verschwunden, aber nur bei einem Drittel die Negativsymptome. Die Patienten zeigten jedoch auch nach zwei Jahren in fast allen kognitiven Domänen Defizite, die weitgehend unabhängig von der Symptomremission auftraten.
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