Die Regeneration von Nerven ist ein komplexer Prozess, der von verschiedenen Faktoren abhängt. Entgegen der landläufigen Meinung, dass sich Nerven schlecht regenerieren, zeigt das periphere Nervensystem erstaunliche Wiederherstellungsprozesse, insbesondere wenn die Ursache der Schädigung behoben wird. Dieser Artikel beleuchtet die Dauer, die zugrunde liegenden Mechanismen und die verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten zur Förderung der Nervenregeneration.
Einführung
Nervenschädigungen können vielfältige Ursachen haben und sich in unterschiedlichen Symptomen äußern. Während sich Nerven im peripheren Nervensystem grundsätzlich regenerieren können, ist dies im zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) nur begrenzt möglich. Dieser Artikel untersucht die Faktoren, die die Nervenregeneration beeinflussen, und stellt aktuelle Forschungsansätze vor, die darauf abzielen, die Nervenregeneration zu fördern und die Lebensqualität von Betroffenen zu verbessern.
Ursachen und Auswirkungen von Nervenschädigungen
Schädigungen des peripheren Nervensystems können sich vielfältig äußern. Abhängig von den betroffenen Nervenfasern treten starke Schmerzen, sensorische, motorische und vegetative sowie trophische Störungen auf, welche die Betroffenen im Alltag einschränken und ihre Lebensqualität mindern können. Häufige Ursachen sind Rückenschmerzen, Engpass-Syndrome wie das Karpaltunnelsyndrom und Polyneuropathien. Bei Polyneuropathien können verschiedene Funktionsausfälle auftreten, da mehrere periphere Nerven geschädigt sind, wobei axonale, myelinäre oder beide Anteile der Nerven beeinträchtigt sein können.
Die Ursachen peripherer Nervenschädigungen reichen von mechanisch-traumatischen über immunologische bis hin zu medikamentösen, toxischen, hereditären sowie endokrinen Faktoren. Bei Polyneuropathien gilt Diabetes mellitus als die häufigste Ursache, gefolgt von übermäßigem Alkoholkonsum. Auch ein Vitaminmangel, insbesondere ein Vitamin B12-Mangel aufgrund veganer Ernährung, kann eine Mangelneuropathie auslösen. Verletzungen peripherer Nerven treten zwar nur bei etwa 3 % aller Traumapatienten auf, können bei verzögerter, falscher oder ausbleibender Behandlung aber zu lebenslangen Einschränkungen bis hin zum kompletten Funktionsverlust führen. Der Nervenschaden und seine Konsequenzen hängen von Ausmaß, Art und Lokalisation der Verletzung sowie dem Alter des Patienten ab.
Grundlagen der Nervenregeneration
Die Regeneration von Nerven ist ein komplexer Prozess, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird. Grundsätzlich wird zwischen myelinisierten und nicht-myelinisierten Axonen unterschieden. Periphere Nervenstämme werden in bestimmten Abständen von Blutgefäßen versorgt, die durch eine feine Bindegewebsschicht (das Mesoneurium) ziehen. Dieses Mesoneurium ermöglicht es dem Nerv, während normaler Bewegungen zwischen den Gewebsschichten zu gleiten. Innerhalb eines gemischten sensomotorischen Nervs sind die sensiblen und motorischen Nervenfasern in bestimmten Faszikeln bzw. Faszikelgruppen angeordnet. Die einzelnen Faszikel sind häufig innerhalb des Nervs plexusartig miteinander verbunden, wodurch Axone im Verlauf des Nervs von einem Faszikel zum anderen wechseln können.
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Schweregrade von Nervenverletzungen
Nervenverletzungen werden in drei Schweregrade (nach Seddon) eingeteilt:
- Neurapraxie: Funktioneller Reizleitungsschaden mit Rückbildung von Sensibilitätsstörungen und motorischen Ausfällen innerhalb von Tagen bis Wochen.
- Axonotmesis: Strukturelle Veränderungen, bei denen die Bindegewebe bzw. die Nervenhüllstrukturen als Leitschiene für die Regeneration erhalten bleiben, die Axone aber keine Kontinuität mehr haben. Trotz Axonverlust ist hier eine zufriedenstellende Regeneration möglich, wobei eine starke intraneurale Fibrose die Axonregeneration blockieren kann.
- Neurotmesis: Axon, Myelinscheide und Peri- und Epineurium sind mehr oder weniger durchtrennt. Es findet keine spontane funktionelle Wiederherstellung statt, und regeneratives Wachstum von Axonen ist ohne Operation erfolglos. In vielen Fällen entwickelt sich ein Neurom am proximalen Nervenende oder ein Neuroma in continuitatem, das häufig mit neuropathischen Schmerzsymptomen einhergeht.
Rolle der Schwann-Zellen
Bei einer peripheren Nervenschädigung sind meist die Myelin produzierenden Schwann-Zellen der peripheren Nerven betroffen, sodass ein wesentlicher Aspekt der Behandlung in der Regeneration und dem Schutz der Myelinscheide besteht. Abhängig sind die Nervenfasern dabei von den die Nervenfasern umgebenden Schwann-Zellen. Diese sterben nach einer Nervenverletzung nicht ab, sondern sind dafür verantwortlich, den Abbau wie auch das erneute Auswachsen der Nervenfasern zu ihren ursprünglichen Gebieten hin zu koordinieren.
Multimodale Behandlungsansätze
Eine umfassende, multimodale Patientenversorgung kann neben einer sorgfältigen Differenzialdiagnose eine Symptombekämpfung mittels Membranstabilisatoren, Analgetika und/oder Antidepressiva sowie gezieltes Bewegungstraining und entlastende orthopädische Hilfsmittel beinhalten. Ebenfalls einbezogen werden sollte die Möglichkeit, gleichzeitig kausal vorzugehen und die Regeneration der peripheren Nerven zu unterstützen. "Damit sich die Nerven erfolgreich regenerieren können, müssen zunächst die auslösenden Ursachen, die zu ihrer Zerstörung geführt haben, behandelt werden", erklärte Wimmer. "Zusätzlich kann eine Supplementation neurotroper Substanzen die Regeneration peripherer Nerven fördern".
Uridinmonophosphat (UMP)
Bei einer peripheren Nervenschädigung sind meist die Myelin produzierenden Schwann-Zellen der peripheren Nerven betroffen, sodass ein wesentlicher Aspekt der Behandlung in der Regeneration und dem Schutz der Myelinscheide besteht. In klinischen Modellen zu Myelinscheiden- Schädigungen hat sich die Gabe von Nukleotiden wie Uridinmonophosphat (UMP) als sinnvoller Ansatz erwiesen. UMP besteht aus den Komponenten Uracil, einer Ribose sowie Phosphat. Das Pyrimidinnukleotid ist ein natürlicher Bestandteil der in allen Zellen vorkommenden Ribonukleinsäure (RNA). UMP kann mit weiteren Phosphaten energiereiche Verbindungen eingehen und als Bestandteil gruppenübertragender Coenzyme mit der abgegebenen Energie zahlreiche Stoffwechselreaktionen aktivieren. Dadurch wird die Synthese von Phospho- und Glykolipiden sowie Glykoproteinen angeregt und der Wiederaufbau der Myelinschicht unterstützt. Zusätzlich fördert UMP als RNA-Baustein die Biosynthese von Strukturproteinen und Enzymen. Insgesamt trägt die gezielte Stimulation des Nervenstoffwechsels zur Unterstützung der physiologischen Reparaturmechanismen nach Nervenläsionen bei.
UMP ist sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Lebensmitteln enthalten. Um aber die benötigte Menge zu sich zu nehmen, können Nahrungsergänzungsmittel mit entsprechend hoher UMP-Konzentration in die Therapie zur Unterstützung der Nervenregeneration einbezogen werden. Diese sollten regelmäßig und über einen längeren Zeitraum von mindestens 60 Tagen eingenommen werden, da die Regeneration zerstörter Nervenfasern Zeit benötigt. "Für alle Patienten mit Nervenschädigungen, insbesondere bei langfristigen Beschwerden, kann die Einnahme von UMP in Verbindung mit Vitamin B12 und Folsäure empfohlen werden", so Wimmer. Studien haben gezeigt, dass die Kombination von Uridinmonophosphat, Vitamin B12 und Folsäure positive Ergebnisse bei Patienten mit Nervenschädigungen erzielt.
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Chirurgische Behandlungsmöglichkeiten
Die verzögerte oder falsche Behandlung peripherer Nervenverletzungen kann zu bleibenden Beeinträchtigungen bis hin zum Funktionsverlust führen. Daher ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit gemeinsam mit neuen technologischen Entwicklungen in der Bildgebung wegweisend für eine rasche und präzise Diagnosestellung und Voraussetzung für chirurgische Behandlungsmöglichkeiten. Der Behandlungserfolg hängt wesentlich von einer engen interdisziplinären Zusammenarbeit ab - der Faktor Zeit ist für den Therapieerfolg entscheidend. Die Weiterentwicklung bildgebender Diagnostik erlaubt früh exakte Aussagen über den Istzustand von Nerven. Bei chronischen Neuropathien kann eine zeitnahe chirurgische Behandlung das Risiko für schwere funktionelle und psychosoziale Beeinträchtigungen vermindern.
Die primäre Rekonstruktion richtet sich nach Art und Ausmaß eines Nervenschadens. Bei sichtbaren morphologischen Schäden am Nerv, aber erhaltener Kontinuität (In-continuitatem-Läsion) ist je nach Ausmaß der Veränderung eine Epineurotomie oder die sparsame, aber suffiziente Anfrischung bis ins sichtbar vitale Nervengewebe indiziert. Kommt es zu einer Durchtrennung einzelner Faszikel oder des gesamten Nervs, ist die spannungsfreie Wiederherstellung der Kontinuität durch mikrochirurgische epineurale Nähte das Ziel. Dies kann entweder im Sinne einer Direktnaht oder bei Substanzverlust mittels Nerventransplantaten erfolgen. Körpereigene Spendernerven stellen weiterhin den Goldstandard in der Rekonstruktion von Nervendefekten dar, sind jedoch ein limitiertes Gut. Bei kurzstreckigen Defekten an Fingernerven oder einem sensiblen Hautnerv kann die Rekonstruktion auch mittels autologer Vene erfolgen. Ebenso existiert eine Vielzahl an synthetischen Nervenersatzmaterialien, die eine Rekonstruktion ohne Hebedefekt versprechen. Selbst der Einsatz von allogenen Nerventransplantaten aus menschlichen Organspendern ist heute möglich.
Als Methoden für die Sekundäroperationen kommen in geeigneten Fällen para- und epineurale Neurolysen zur Anwendung, um funktionsbehinderndes Narbengewebe zu entfernen. Interfaszikuläre Neurolysen führen häufig zu neuerlichen Vernarbungen und werden daher kaum mehr angewandt. An möglichen Nerventransplantaten stehen hier entbehrliche sensible Hautnerven zur Verfügung, z.B. Endäste des Nervus interossius anterior und posterior (vom Handgelenk), der Nervus cutaneus antebrachii medialis und lateralis am beugeseitigen Ober- und Unterarm oder für langstreckige Defekte der Nervus suralis vom Unterschenkel. Einen steigenden Stellenwert in der sekundären Therapie haben auch die verschiedenen Formen des Nerventransfers (Nervenumlagerungen), die in den letzten 20 Jahren zunehmend in die Standardtherapie der Nervenchirurgie aufgenommen worden sind.
Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit
Das interdisziplinäre Zusammenspiel von Neurologen, Radiologen und Nervenchirurgen ist der Grundstein für eine erfolgreiche Erholung der beschädigten Nervenstrukturen, um die beste Wiedererlangung der Funktion zu erreichen. Die rasche Diagnose und richtige Therapie sind essenziell für den Erfolg der Nervenrekonstruktion.
Innovative Forschungsansätze
Die Forschung zur Nervenregeneration hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Neue Erkenntnisse über die molekularen Mechanismen, die das Nervenwachstum steuern, eröffnen vielversprechende Perspektiven für die Entwicklung neuer Therapien.
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Einfluss von Vasohibinen auf das axonale Wachstum
Ein Kölner Forschungsteam des Zentrums für Pharmakologie hat Proteine, sogenannte Vasohibine, untersucht, die den Zustand des Skelets der axonalen Wachstumsspitzen (Mikrotubuli) beeinflussen. Sie stellten fest, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli zwischen erwachsenen Tieren und neugeborenen unterscheidet. Mithilfe eines definierten Inhaltsstoffes aus dem Mutterkraut (Tanacetum Parthenium) wurden die Vasohibine so stark gehemmt, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli bei Nervenzellen von adulten Tieren dem von neugeborenen Tieren annäherte. Dies führte bei adulten Nervenzellen zu einer deutlichen Beschleunigung der axonalen Regeneration. Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch im lebenden Tier zeigen konnten, dass Parthenolid nach täglicher intravenöser Gabe den Heilungsprozess von geschädigten Nerven deutlich beschleunigt, sodass die Tiere nach einer Behandlung deutlich früher wieder ihre Zehen bewegen und Reize spüren konnten.
Rolle der synaptischen Übertragung
Forschende des DZNE haben herausgefunden, dass zwei Proteine, die für die so genannte synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen entscheidend sind, das Auswachsen von Zellfortsätzen verhindern. Experimente, bei denen diese Proteine aktiviert und deaktiviert wurden, zeigten, dass Munc13 und RIMs die Regeneration von Nervenzellen hemmen. Untersuchungen an Nervenzellen von Mäusen mit einer Rückenmarksläsion ergaben, dass die Behandlung mit Baclofen, einem Medikament, das die Erregbarkeit von Nervenzellen und die synaptische Übertragung verringert, tatsächlich Wachstum und Regeneration von Axonen im verletzten Rückenmark anregte.
Bedeutung des Fettgewebes für die Nervenreparatur
Wissenschaftler:innen der Universitätsmedizin Leipzig haben herausgefunden, dass Schwann-Zellen bei der Nervenreparatur von dem Fettgewebe, welches die Nerven im Körper umgibt, entscheidend unterstützt werden. Leptin, das vor allem von Zellen des Fettgewebes produziert wird, regt den Energiehaushalt regenerierender Schwann-Zellen an, indem es deren Mitochondrien stimuliert. Gleichzeitig nutzen die Mitochondrien der Schwann-Zellen dabei Anteile des geschädigten Nervengewebes als Energiesubstrat, damit eine erfolgreiche Regeneration stattfinden kann.
Fehlerhafte Verschaltungen als Ursache chronischer Schmerzen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Pharmakologischen Instituts und des Instituts für Anatomie und Zellbiologie der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Sie treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf. Die neuen Ergebnisse zeigen nun, dass die chronischen Schmerzen nicht etwa durch die eigentliche Verletzung entstehen, sondern auf einer fehlerhaften Nervenregeneration sowie auf einer fehlerhaften Wiederherstellung der nervalen Versorgung, der sogenannten Reinnervation, beruhen. Die Ursache der Schmerzen ist eine falsche Verschaltung von Sensoren und tritt entsprechend erst nach einiger Zeit auf, wenn die Verbindung hergestellt ist.
Axonales Wachstum und Regeneration
Eine Verletzung im Gehirn oder Rückenmark hat meist schlimme Folgen, denn anders als zum Beispiel in Armen und Beinen wachsen durchtrennte Nervenfasern hier nicht nach. Nun konnten die Vorgänge in verletzten Nervenzellen erstmals beobachtet werden. Dabei zeigte sich, dass der Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen eine wichtige Bedeutung beim Wachsen dieser Zellen zukommt. Die Ergebnisse könnten langfristig auch zu neuen Therapieansätzen führen.
Perspektiven und Ausblick
Die Forschung zur Nervenregeneration ist ein dynamisches Feld, das kontinuierlich neue Erkenntnisse liefert. Die Entwicklung neuer Therapien, die auf die Förderung der Nervenregeneration abzielen, ist ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit Nervenschädigungen. Dabei ist es wichtig, die verschiedenen Faktoren, die die Nervenregeneration beeinflussen, zu berücksichtigen und multimodale Behandlungsansätze zu entwickeln, die sowohl die Ursachen der Nervenschädigung als auch die Regenerationsprozesse selbst adressieren. Langfristig scheint die Mikrotubuli-Stabilisierung ein vielversprechender Ansatz zu sein, um die Regeneration von Axonen im Zentralen Nervensystem zu verbessern. Bis die Medizin jedoch in der Lage sein wird, Querschnittslähmungen zu heilen, werden wohl noch viele Jahre ins Land gehen. Denn nach wie vor ist der Einfluss anderer Faktoren, wie zum Beispiel des Nerven-Narbengewebes, kaum bekannt. Dieses Narbengewebe schützt die Zellen zunächst vor weiteren Verletzungen, doch es bildet auch eine Art Mauer, die das erneute Auswachsen der Zellen behindert.
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