Regeneration von Nervenzellen: Aktuelle Forschung und vielversprechende Ansätze

Neurologische Erkrankungen und Verletzungen, wie Traumata, Schlaganfälle, Epilepsie und neurodegenerative Erkrankungen, führen oft zu einem dauerhaften Verlust von Nervenzellen und somit zu erheblichen Beeinträchtigungen der Gehirnfunktion. Da die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten begrenzt sind, stellt die Regeneration von verloren gegangenen Nervenzellen eine große Herausforderung dar. Die Forschung konzentriert sich daher intensiv auf die Entwicklung neuer Therapieansätze.

Neuronale Reprogrammierung: Ein vielversprechender Ansatz

Ein vielversprechender Ansatz zur Regeneration von Nervenzellen ist die neuronale Reprogrammierung. Dieses komplexe Verfahren beinhaltet die Umwandlung eines Zelltyps in einen anderen. So können Gliazellen, die nicht-neuronalen Zellen des zentralen Nervensystems, in Zellkultur und in lebenden Organismen erfolgreich in funktionelle Neuronen umgewandelt werden. Obwohl die an dieser Umprogrammierung beteiligten Prozesse komplex und noch nicht vollständig verstanden sind, bietet dieser Ansatz großes Potenzial.

Epigenetische Veränderungen im Fokus

Zwei Forschungsteams unter der Leitung von Professorin Magdalena Götz (LMU/Helmholtz Munich/SyNergy) und Boyan Bonev (Helmholtz Pioneer Campus) haben die molekularen Mechanismen untersucht, die bei der Umwandlung von Gliazellen in Neuronen mithilfe eines einzigen Transkriptionsfaktors eine Rolle spielen. Dabei konzentrierten sie sich auf epigenetische Veränderungen, also kleine chemische Modifikationen des Erbguts. Das Epigenom trägt dazu bei, zu steuern, welche Gene in verschiedenen Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten aktiv sind. Die Teams konnten zeigen, wie die Umstrukturierung des Epigenoms durch einen einzigen Transkriptionsfaktor koordiniert gesteuert wird.

Schlüsselrolle für YingYang1

Die Forschenden deckten auf, dass eine posttranslationale Modifikation des reprogrammierenden neurogenen Transkriptionsfaktors Neurogenin2 die epigenetische Umstrukturierung und die neuronale Reprogrammierung maßgeblich beeinflusst. Allerdings genügt dieser Transkriptionsfaktor allein nicht, um die Gliazellen umzuprogrammieren. Sie identifizierten ein neuartiges Protein, den Transkriptionsregulator YingYang1, als Schlüsselfaktor für diesen Prozess. YingYang1 ist notwendig, um das Erbgut für die Umprogrammierung zu öffnen, und interagiert dafür mit dem Transkriptionsfaktor. „Das Protein Ying Yang 1 ist entscheidend, um die Umwandlung von Astrozyten in Neuronen zu erreichen", erklärt Götz.

Herausforderungen und Voraussetzungen für die Regeneration

Die Entwicklung von Therapien zur Nervenzellregeneration ist komplex. Damit eine Nervenzelle regenerieren kann, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein:

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  1. Erhalt des Zellkörpers: Der Zellkörper der Nervenzelle muss am Leben erhalten werden, obwohl das Axon durchtrennt ist.
  2. Proteinsynthese: Proteine müssen produziert werden, damit das Axon wieder wachsen kann.
  3. Beseitigung von Wachstumshemmern: Wachstumshemmende Faktoren müssen beseitigt werden oder die Signalwege innerhalb des Wachstumskegels müssen so verändert werden, dass sie unempfindlich gegenüber diesen Hemmstoffen werden.
  4. Zielfindung: Die Axone müssen dazu gebracht werden, beim Wachsen ihr ursprüngliches Zielgebiet wiederzufinden.
  5. Synapsenbildung: Es müssen stabile Synapsen ausgebildet werden.
  6. Myelinisierung: Die Axone müssen wieder umhüllt, also myelinisiert werden.

Zusätzlich gibt es Probleme bei der Übertragung von im Labor getesteten Verfahren auf den Menschen. So kann beispielsweise die Unterdrückung eines bestimmten Proteins, das in anderen Zellen die Entstehung von Krebs verhindert, zu Tumorwachstum führen.

Regeneration im peripheren Nervensystem

Das periphere Nervensystem (PNS) besitzt im Vergleich zum zentralen Nervensystem (ZNS) eine bemerkenswerte Fähigkeit zur Regeneration nach Verletzungen. Für diese Regeneration sind hauptsächlich die Schwann-Zellen verantwortlich. Diese Zellen können sich in kürzester Zeit aktiv in Reparaturzellen umwandeln. Allerdings verläuft die Wiederherstellung der Nerven in manchen Fällen nur unzureichend.

HDAC8 als Bremse der Regeneration

Ein Forschungsteam an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hat einen Mechanismus entdeckt, der die Regeneration des peripheren Nervensystems abbremst. "Verantwortlich dafür ist ein Protein namens Histon-Deacetylase 8 oder kurz HDAC8", erklärt Neurobiologin Prof. Dr. Claire Jacob von der JGU. HDAC8 wirkt der Umwandlung von Schwann-Zellen in den Reparaturtyp entgegen. Interessanterweise reguliert HDAC8 diesen Mechanismus spezifisch in jenen Schwann-Zellen, die sensorische Axone mit Myelin umhüllen, und kontrolliert so das erneute Wachstum von sensorischen Axonen und die Erholung der sensorischen Funktion.

InteReg: Interaktive Biomaterialien für die neuronale Regeneration

Ein neues Forschungsprojekt namens "Interactive Biomaterials for Neural Regeneration" (InteReg), gefördert von der Carl-Zeiss-Stiftung, verfolgt das Ziel, präzisionsgefertigte, synthetische Biomaterialien herzustellen, um neurologische Erkrankungen zu behandeln. Forschende aus der Neurobiologie, Neuroimmunologie, Chemie und Polymerforschung arbeiten gemeinsam an diesem Projekt.

Forschung zu Rückenmarksverletzungen

Rückenmarksverletzungen führen in der Regel zu permanenten Beeinträchtigungen, da durchtrennte Nervenverbindungen im Rückenmark nicht wieder zusammenwachsen. Nervenzellen im Rückenmark können keine Nervenfasern (Axone) ausbilden, weil bestimmte Faktoren im Rückenmark diesen Prozess verhindern. Ein Forschungsverbund untersucht, wie die Axon-Regenerations-Bremse in Nervenzellen des Rückenmarks aufgehoben und die Regeneration gefördert werden kann.

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Regeneration bei Fischen: Die Mauthnerzellen als Modell

Mauthnerzellen sind die größten Zellen, die in tierischen Gehirnen vorkommen und lösen lebensrettende Fluchtreaktionen aus. Interessanterweise können sich Mauthnerzellen in Zebrafischen nach einer Axonverletzung regenerieren. „Eine derart schnelle Regeneration einer Nervenzelle ist bisher nirgendwo im zentralen Nervensystem anderer Tierarten entdeckt worden“, sagt Dr. Alexander Hecker. Die Untersuchung der Mauthnerzellen bietet die Möglichkeit, die unterschiedlichen Reaktionen auf Verletzungen innerhalb des gleichen Nervensystems zu untersuchen und die Gene zu identifizieren, die bei der Regeneration von Nervenzellen aktiv sind.

Neuropathische Schmerzen und fehlerhafte Nervenregeneration

Selbst ausgeheilte Nervenverletzungen hinterlassen häufig chronischen Schmerz und Überempfindlichkeit gegenüber sanften Berührungen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) haben im Tierversuch gezeigt, dass fehlerhafte „Verschaltungen“ der Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) zu einer bisher noch nicht untersuchten Form sogenannter neuropathischer Schmerzen führen. Diese treten erst im Zuge der Regeneration von Nervenverbindungen beim Ausheilen der Verletzung auf. Die chronischen Schmerzen entstehen nicht durch die eigentliche Verletzung, sondern auf einer fehlerhaften Nervenregeneration sowie auf einer fehlerhaften Wiederherstellung der nervalen Versorgung.

Interdisziplinäre Forschung für neue Erkenntnisse

Die neuen Erkenntnisse waren nur durch die interdisziplinäre Ausrichtung der Projektgruppe möglich. Die Teams setzten moderne und speziell angepasste Bildgebungsverfahren sowie die entsprechenden Algorithmen ein, um die Heilung der Nervenfasern über Monate zu verfolgen und quantitativ zu analysieren.

Wirkstoffe zur Nervenregeneration

Ein Kölner Forschungsteam des Zentrums für Pharmakologie stellt eine Studie vor, in welcher ein möglicher Wirkstoff zur Nervenregeneration untersucht wurde. Sie untersuchten Proteine, sogenannte Vasohibine, die den Zustand des Skelets der axonalen Wachstumsspitzen (Mikrotubuli) beeinflussen. Mithilfe eines definierten Inhaltsstoffes aus dem Mutterkraut (Tanacetum Parthenium) wurden die Vasohibine so stark gehemmt, dass sich das Gleichgewicht zwischen detyrosinierten und tyrosinierten Mikrotubuli bei Nervenzellen von adulten Tieren dem von neugeborenen Tieren annäherte. Dies führte bei adulten Nervenzellen zu einer deutlichen Beschleunigung der axonalen Regeneration. Bemerkenswert ist, dass die Forscher auch im lebenden Tier zeigen konnten, dass Parthenolid nach täglicher intravenöser Gabe den Heilungsprozess von geschädigten Nerven deutlich beschleunigt.

Synaptische Übertragung und Regeneration

Eine Studie von Forschenden des DZNE liefert Hinweise darauf, dass die Unfähigkeit von ausgewachsenen Nervenzellen des zentralen Nervensystems zur Regeneration eng mit der Eigenschaft der Nervenzellen zusammenhängt, miteinander zu kommunizieren. Konkret fanden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, dass zwei Proteine, die für die so genannte synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen entscheidend sind, das Auswachsen von Zellfortsätzen verhindern. Experimente zeigten, dass Munc13 und RIMs die Regeneration von Nervenzellen hemmen. Untersuchungen an Mäusen mit einer Rückenmarksläsion ergaben, dass die Behandlung mit Baclofen, einem Medikament, das die synaptische Übertragung verringert, Wachstum und Regeneration von Axonen im verletzten Rückenmark anregte.

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