Regeneration von Nervenzellen im Gehirn: Aktuelle Forschung und vielversprechende Ansätze

Schädigungen des zentralen Nervensystems, wie sie beispielsweise nach schweren Unfällen, Schlaganfällen oder bei Erkrankungen wie Multipler Sklerose auftreten, führen oft zu irreparablen Schäden. Die Forschung zur Regeneration von Nervenzellen im Gehirn ist daher von großer Bedeutung, um neue Therapieansätze für diese Erkrankungen zu entwickeln.

Ursachen und Folgen von Nervenzellschäden

Verschiedene Ereignisse können zu Schädigungen von Nervenzellen im Gehirn führen:

  • Schwere Unfälle: Schädigungen an Rückenmark oder Gehirn sind oft irreparabel.
  • Schlaganfall: Minderversorgung mit Blut führt zum Absterben von Gewebe und Schädigung von Axonen.
  • Glaukom: Axone im Sehnerv werden geschädigt, was zum Absterben von Nervenzellen in der Netzhaut führt.
  • Multiple Sklerose: Myelinhüllen, die Axone umgeben und schützen, werden durch Entzündungsprozesse geschädigt.

Diese Schädigungen können erhebliche Beeinträchtigungen der Gehirnfunktion verursachen, was die Notwendigkeit intensiver Forschung unterstreicht.

Herausforderungen und Voraussetzungen für die Regeneration

Die Entwicklung von Therapien zur Regeneration von Nervenzellen ist komplex und erfordert das Erfüllen mehrerer Voraussetzungen:

  1. Erhaltung des Zellkörpers: Der Zellkörper der Nervenzelle muss am Leben erhalten werden, auch wenn das Axon durchtrennt ist.
  2. Proteinsynthese: Proteine müssen produziert werden, damit das Axon wieder wachsen kann.
  3. Beseitigung von Wachstumshemmern: Wachstumshemmende Faktoren müssen beseitigt oder die Signalwege innerhalb des Wachstumskegels so verändert werden, dass sie unempfindlich gegenüber diesen Hemmstoffen sind.
  4. Zielfindung der Axone: Die Axone müssen dazu gebracht werden, beim Wachsen ihr ursprüngliches Zielgebiet wiederzufinden.
  5. Synapsenbildung: Es müssen stabile Synapsen ausgebildet werden.
  6. Myelinisierung: Die Axone müssen wieder umhüllt, also myelinisiert werden.

Zusätzlich zu diesen zellulären Herausforderungen gibt es Schwierigkeiten bei der Übertragung von im Labor getesteten Verfahren auf den Menschen. Ein vielversprechender Ansatz, bei dem die Bildung eines bestimmten Proteins unterdrückt wird, könnte beispielsweise in anderen Zellen die Entstehung von Krebs verhindern.

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Kompensationsmechanismen und therapeutische Ansätze

Nach einem Schlaganfall bildet die gesunde Seite des Gehirns oft neue Verknüpfungen in den geschädigten Teil aus, wodurch ein Teil der verlorengegangenen Funktion kompensiert werden kann. Die Unterstützung solcher Prozesse könnte ein schneller umsetzbarer Ansatz sein. Schwieriger ist es beispielsweise bei Erblindung nach Sehnervschädigungen oder bei Querschnittslähmung.

Neuronale Reprogrammierung

Ein vielversprechender Ansatz zur Regeneration von Nervenzellen ist die neuronale Reprogrammierung. Dabei wird ein Zelltyp in einen anderen umgewandelt. Gliazellen, die nicht-neuronalen Zellen des zentralen Nervensystems, können in Zellkultur und in lebenden Organismen erfolgreich in funktionelle Neuronen umgewandelt werden. Die an dieser Umprogrammierung beteiligten Prozesse sind jedoch komplex und noch nicht vollständig verstanden.

Epigenetische Veränderungen

Epigenetische Veränderungen, kleine chemische Modifikationen des Erbguts, spielen eine wichtige Rolle bei der neuronalen Reprogrammierung. Das Epigenom trägt dazu bei, zu kontrollieren, welche Gene in verschiedenen Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten aktiv sind. Forschungen haben gezeigt, wie die Umstrukturierung des Epigenoms durch einen einzigen Transkriptionsfaktor gesteuert wird. Ein neuartiges Protein, der Transkriptionsregulator YingYang1, wurde als Schlüsselfaktor für die Umprogrammierung identifiziert. YingYang1 ist notwendig, um das Erbgut für die Umprogrammierung zu öffnen, und interagiert dafür mit dem Transkriptionsfaktor.

Rolle der synaptischen Übertragung

Forschungen deuten darauf hin, dass die Unfähigkeit von Nervenzellen im zentralen Nervensystem, sich nach einer Schädigung zu regenerieren, eng mit ihrer Eigenschaft zusammenhängt, miteinander zu kommunizieren. Zwei Proteine, die für die synaptische Übertragung zwischen Nervenzellen entscheidend sind, Munc13 und RIMs, verhindern das Auswachsen von Zellfortsätzen. Experimente, bei denen diese Proteine aktiviert und deaktiviert wurden, zeigten, dass sie die Regeneration von Nervenzellen hemmen. Die Abschwächung der synaptischen Übertragung förderte das Wachstum von Axonen.

Bedeutung der Mikrotubuli-Stabilisierung

Die Stabilisierung zellinterner Protein-Röhrchen, der Mikrotubuli, spielt eine wichtige Rolle beim Wachstum von Nervenzellen. Werden Nervenzellen verletzt, so sind es häufig die langen Verbindungskabel zwischen den Nervenzellen, die Axone, die beschädigt oder durchtrennt werden. Bei jungen Nervenzellen befindet sich an der Spitze eines auswachsenden Axons ein so genannter Wachstumskegel. Hier befinden sich ganz spezielle Gene und Proteine, die es dem Axon ermöglichen, zwischen Tausenden von Nervenzellen den Weg zur richtigen Partnerzelle zu finden. Außerdem enthält der Wachstumskegel eine große Ansammlung von Mitochondrien, den Kraftwerken der Zellen, und parallel gebündelte Mikrotubuli, um das Auswachsen des Axons überhaupt zu ermöglichen. Mikrotubuli sind winzige Protein-Röhrchen, deren koordiniertes Vorstoßen zur Verlängerung des Axons führt.

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Stammzellforschung

Auch im Erwachsenenalter werden im menschlichen Gehirn neue Nervenzellen gebildet. Diese Erkenntnis ist relativ jung. Erst seit Anfang dieses Jahrtausends ist wissenschaftlich belegt, dass auch noch nach der frühen Kindheit aus den das Nervengewebe stützenden Zellen, den Gliazellen, neue Neurone entstehen können. Im erwachsenen Gehirn von Säugetieren kommen Nervenstammzellen nur in bestimmten Bereichen vor, den sogenannten Stammzellnischen. Was macht diese Regionen so besonders? Um das herauszufinden, wurde das Proteom dieser Nischen untersucht - also die gesamte Menge der dort vorhandenen Proteine.

Aktuelle Forschungsprojekte

Mehrere Forschungsprojekte widmen sich der Regeneration von Nervenzellen:

  • Interactive Biomaterials for Neural Regeneration (InteReg): An der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) wird mit sechs Millionen Euro ein Forschungsprojekt gefördert, das präzisionsgefertigte, synthetische Biomaterialien zur Behandlung neurologischer Erkrankungen herstellen soll.
  • Europäischer Forschungsverbund: Ein europäischer Forschungsverbund arbeitet daran, die Proteome verletzter Hirnregionen zu vergleichen und die Bildung von neuen Nervenzellen nach einer Hirnverletzung herbeizuführen, indem sie die verletzte Region in eine neurale Stammzellnische umwandeln.

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