Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, die durch wiederholte Anfälle gekennzeichnet ist. Die Diagnose und Behandlung von Epilepsie erfordert eine umfassende Bewertung, bei der verschiedene diagnostische Verfahren eingesetzt werden. Das Elektroenzephalogramm (EEG) spielt eine zentrale Rolle bei der Diagnose und Charakterisierung von Epilepsie. Insbesondere das EEG nach Schlafentzug hat sich als wertvolles Instrument zur Erhöhung der diagnostischen Ausbeute erwiesen. Dieser Artikel beleuchtet den Zusammenhang zwischen Schlafentzug, EEG und Epilepsie und geht dabei auf die Bedeutung von Schlafmustern, EEG-Mustern und diagnostischen Verfahren ein.
Bedeutung der ärztlichen Abklärung bei Verdacht auf Epilepsie
Bei Verdacht auf Epilepsie ist es unerlässlich, fachärztlichen Rat einzuholen. Fachärzte für Neurologie sind die richtigen Ansprechpartner für Erwachsene, während Kinder mit Verdacht auf Epilepsie von Kinderärzten (Pädiatern) betreut werden sollten. Ein erster epileptischer Anfall sollte immer ärztlich abgeklärt werden, um eine genaue Diagnose zu stellen und eine geeignete Behandlung einzuleiten.
Diagnose von Epilepsie
Die Diagnose von Epilepsie umfasst in der Regel eine Anamnese, eine körperliche Untersuchung, ein EEG und bildgebende Verfahren. Die Anamnese beinhaltet die Erhebung der Krankengeschichte des Patienten, einschließlich Informationen über frühere Verletzungen, Medikamente und Begleitumstände der Anfälle. Beobachtungen von Augenzeugen sind dabei oft von großer Bedeutung.
Das EEG ist ein wichtiges diagnostisches Instrument zur Aufzeichnung der Hirnströme. Dabei werden Elektroden auf die Kopfhaut aufgeklebt, um die elektrische Spannung zwischen den Nervenzellen zu messen. Jede Epilepsieform äußert sich in charakteristischen Veränderungen in der Hirnstromkurve.
In der Regel werden Patienten bei Verdacht auf Epilepsie stationär in eine neurologische Klinik aufgenommen, um die notwendigen Untersuchungen durchzuführen. Diese Untersuchungen sind in der Regel nicht schmerzhaft und Routine.
Lesen Sie auch: Gehirnfunktion bei Schlafmangel
Das Elektroenzephalogramm (EEG)
Das Elektroenzephalogramm (EEG) ist eine nicht-invasive neurologische Untersuchungsmethode, bei der die elektrische Aktivität des Gehirns über Elektroden, die auf der Kopfhaut platziert werden, aufgezeichnet wird. Es ist ein wichtiges Instrument zur Diagnose und Überwachung verschiedener neurologischer Erkrankungen, insbesondere der Epilepsie.
Durchführung eines EEGs
Bei einem EEG wird dem Patienten eine Haube aufgesetzt, die mit Elektroden versehen ist. Diese Elektroden werden an festgelegten Punkten der Kopfhaut platziert und mit einem Kontaktgel versehen, um eine gute elektrische Verbindung herzustellen. Die Elektroden messen die elektrische Aktivität des Gehirns, die dann von einem Computer aufgezeichnet und analysiert wird. Die Untersuchung ist schmerzlos und kann beliebig oft wiederholt werden.
Ein Routine-EEG dauert in der Regel etwa 20-30 Minuten. Während der Messung sollte der Patient entspannt und ruhig sein und die Augen geschlossen halten. Der Arzt kann den Patienten auffordern, die Augen zu öffnen, eine Rechenaufgabe zu lösen oder zu hyperventilieren (tief und schnell atmen), um die Hirnaktivität zu verändern und bestimmte Muster im EEG hervorzurufen.
EEG-Arten
Es gibt verschiedene Arten von EEGs, die je nach Fragestellung und klinischem Kontext eingesetzt werden:
- Routine-EEG: Dies ist die Standardform des EEGs, bei der die Hirnaktivität über einen kurzen Zeitraum (20-30 Minuten) im Wachzustand aufgezeichnet wird.
- Schlaf-EEG: Bei einem Schlaf-EEG wird die Hirnaktivität während des Schlafs aufgezeichnet. Diese Art von EEG ist besonders nützlich bei der Diagnose von Epilepsie, da bestimmte epileptische Aktivitäten im Schlaf häufiger auftreten. Ein Schlaf-EEG wird meist in einem speziellen Schlaflabor stationär durchgeführt. Über die gesamte Schlafdauer wird die Hirnaktivität gemessen und aufgezeichnet. Häufig erfasst der Arzt dabei auch die Augenbewegungen, die Muskelaktivität und die Herzfrequenz des Schlafenden.
- Langzeit-EEG: Bei einem Langzeit-EEG wird die Hirnaktivität über einen längeren Zeitraum (24-48 Stunden) aufgezeichnet. Dies ermöglicht es, seltene oder unregelmäßige epileptische Aktivitäten zu erfassen, die bei einem Routine-EEG möglicherweise nicht sichtbar sind. Dazu erhält der Patient einen tragbaren Rekorder, der am Körper befestigt wird. Während der Langzeitaufzeichnung protokolliert der Patient alle Vorkommnisse, damit der Arzt sie mit Veränderungen der Hirnaktivität in Zusammenhang bringen kann.
- Schlafentzugs-EEG: Ein Schlafentzugs-EEG wird nach einer Nacht ohne Schlaf durchgeführt. Schlafentzug kann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass epileptische Aktivitäten im EEG sichtbar werden. Für die Durchführung eines Schlafentzugs-EEGs müssen Sie einen ganzen Tag und eine ganze Nacht hindurch (24 Stunden) wach bleiben. Am nächsten Morgen wird dann in der Praxis während des Einschlafens und des Aufwachens über ca. 20-30 Minuten ein EEG durchgeführt.
- Video-EEG-Monitoring: Bei dieser Methode wird das EEG gleichzeitig mit einer Videoaufzeichnung des Patienten aufgezeichnet. Dies ermöglicht es, die aufgezeichnete Hirnaktivität mit dem klinischen Verhalten des Patienten zu korrelieren und epileptische Anfälle besser zu identifizieren und zu charakterisieren.
EEG-Muster
Das EEG zeigt verschiedene Muster (Graphoelemente), die je nach Wachheitsgrad variieren:
Lesen Sie auch: Kann ein Anfall tödlich sein?
- Alpha-Wellen (8-12 Hz): Treten bei wachen, entspannten Erwachsenen mit geschlossenen Augen auf.
- Beta-Wellen (13-30 Hz): Treten bei wachen Erwachsenen mit geöffneten Augen und bei geistiger Tätigkeit auf.
- Theta-Wellen (4-7 Hz): Treten bei starker Müdigkeit und beim Einschlafen auf.
- Delta-Wellen (0,5-3 Hz): Treten im Tiefschlaf auf.
Der Wechsel von Alpha- zu Beta-Wellen bei Augenöffnung oder Konzentration wird als Berger-Effekt oder Arousal-Reaktion bezeichnet.
Auswertung und Befundung
Der Neurologe beurteilt das EEG nach Form, Frequenz und Amplitude der aufgezeichneten Hirnwellen. Abweichungen von den normalen Mustern können auf verschiedene Erkrankungen hinweisen. Ein allgemein verlangsamter Grundrhythmus kann beispielsweise auf Vergiftungen, Koma oder Gehirnentzündung hindeuten. Ein Herdbefund, also eine örtlich begrenzte Veränderung der Hirnaktivität, kann auf Tumore oder Hirnschäden durch Verletzungen (Schädel-Hirn-Trauma) hinweisen.
Die Diagnostik einer Epilepsie ist schwieriger, da das EEG zwischen den Anfällen häufig unauffällig ist und die epilepsietypischen Hirnstromkurven erst bei einem Anfall auftreten.
Schlafentzug und Epilepsie
Schlafentzug ist ein bekannter Auslöser für epileptische Anfälle. Bei vielen Menschen mit Epilepsie treten Anfälle gehäuft nach Phasen von Schlafmangel auf. Der genaue Mechanismus, wie Schlafentzug Anfälle auslösen kann, ist noch nicht vollständig geklärt, aber es wird angenommen, dass er mit einer erhöhten Erregbarkeit des Gehirns zusammenhängt.
Auswirkungen von Schlaf auf die Hirnaktivität
Während des Schlafs durchläuft das Gehirn verschiedene Schlafstadien, die jeweils mit unterschiedlichen Mustern der Hirnaktivität verbunden sind. Der Schlaf gliedert sich in eine Abfolge von Schlafzyklen, jeder über ca. 90 min Dauer, mit jeweils konsekutiver Sequenz aus einleitendem Leichtschlaf N1/N2, dann Tiefschlaf N3, dann wieder Leichtschlaf N1/N2, dann REM-Schlaf. Die üblichen Proportionen der verschiedenen Schlafstadien sind abhängig vom Lebensalter und liegen beim Erwachsenen im Durchschnitt (mit weiter individueller Streubreite) bei ca. 50 % Leichtschlaf, 20 % REM Schlaf, 20 % Tiefschlaf und 10 % Wachliegezeit.
Lesen Sie auch: Cortison-Therapie bei Epilepsie im Detail
Im Non-REM-Schlaf (NREM-Schlaf) kommt es zu einer Drosselung der cholinergen Efferenzen zum Thalamus, was zu thalamischer Inaktivität und einer Reduktion thalamokortikaler Zuflüsse führt. Dies ermöglicht eine verstärkte Eigenaktivität kortikaler Neuronengruppen, die sich im EEG als hochamplitudige, synchrone Delta-Aktivität zeigt. In diesem Milieu von hoher kortikaler Eigenaktivität sind die Genese und Propagation epileptischer Aktivität erleichtert.
Im REM-Schlaf kehrt sich dies um: Durch cholinerge Aktivierung des Thalamus kommt es zum Wiedereinsetzen des Informationsflusses von Thalamus zu Kortex und mithin zu Drosselung der kortikalen Eigenrhythmen mit nun im EEG erkennbarer Frequenzzunahme, Amplitudenreduktion und Desynchronisierung der Oberflächenaktivität. Dies verhindert die räumliche und zeitliche Aufsummierung von pathologischen Spontandepolarisationen kortikaler Neurone, sodass es - anders als im NREM-Schlaf - nur erschwert zu einer Rekrutierung direkter kortikokortikaler Ausbreitungswege kommen kann.
Schlafentzug als Provokationsmethode im EEG
Aufgrund des Zusammenhangs zwischen Schlafentzug und erhöhter Anfallsbereitschaft wird Schlafentzug häufig als Provokationsmethode im EEG eingesetzt. Ein Schlafentzugs-EEG wird nach einer Nacht ohne Schlaf durchgeführt, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass epileptische Aktivitäten im EEG sichtbar werden. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass ein vorheriger Schlafentzug die Ausbeute an epilepsietypischen Potenzialen (ETP) im EEG um 40 % erhöht. Damit hat das EEG nach Schlafentzug eine höhere Sensitivität für das Erfassen von epileptischer Aktivität.
Schlaf und die verschiedenen Epilepsieformen
Auch die Art und Weise, wie Schlaf die Anfallshäufigkeit beeinflusst, kann je nach Epilepsieform variieren. Einige Epilepsieformen sind eng mit bestimmten Schlafstadien verbunden. Anfälle in der morgendlichen Aufwachphase sind häufig Myoklonien oder tonisch klonische Anfälle bei idiopathisch generalisierter Epilepsie. Paroxysmale Ereignisse in der ersten Nachthälfte sind häufig NREM-Parasomnien, während Ereignisse, die in der 2. Nachthälfte bemerkt werden, häufig epileptisch, extratemporal, frontal mehr als parietal sind.
Schlafstörungen und Epilepsie
Schlafstörungen können die Anfallshäufigkeit bei Menschen mit Epilepsie erhöhen. Anfälle im Schlaf, aber auch interiktuale epileptische Aktivität im Schlaf führen zu Schlaffragmentierung, und sie stören physiologische schlafgebundene Prozesse mit all ihren klinischen Konsequenzen für Tagesvigilanz, Affektstabilität, Gedächtniskonsolidierung sowie kardio- und zerebrovaskulären Risiken. Sie provozieren darüber hinaus aber auch eine erhöhte Neigung zu weiter vermehrter epileptischer Aktivität, was den Epilepsiepatienten - v. a. bei häufigen schlafgebundenen Anfällen - in einen Teufelskreis führt. Dieser kann noch weiter verstärkt werden durch das komorbide Vorliegen von schlafmedizinischen Erkrankungen, die ihrerseits den Schlaf der Patienten fragmentieren und so die Spirale aus Schlafstörung und Anfallsprovokation weiter antreiben.
EEG im Schlaf und seine Bedeutung für die Epilepsiediagnostik
Das EEG im Schlaf ist ein wertvolles Instrument zur Diagnose und Charakterisierung von Epilepsie. Im Schlaf treten bestimmte epileptische Aktivitäten häufiger auf als im Wachzustand, insbesondere im NREM-Schlaf. Darüber hinaus kann das EEG im Schlaf helfen, den Ursprungsort der Anfälle zu lokalisieren.
Epileptische Aktivität in verschiedenen Schlafstadien
Die Wahrscheinlichkeit, epileptische Aktivität im EEG zu erfassen, variiert je nach Schlafstadium:
- Fokale ETP treten in den Stadien W, N1, N2 oder N3 1,1-, 1,7-, 1,7- und 2,5-mal wahrscheinlicher auf als im REM-Schlaf.
- Generalisierte ETP treten in den Stadien W, N1, N2 und N3 3,3-, 3,1-, 3,1- und 6,6-mal wahrscheinlicher auf als im REM-Schlaf.
- Fokale Anfälle treten in den Stadien W, N1, N2 und N3 mit einem relativen Risiko von 7,8, 87,2, 67,8 und 50,8 auf, verglichen mit dem REM-Schlaf.
REM-Schlaf und die Lokalisation des Anfallsursprungs
Obwohl das EEG im REM-Schlaf weniger sensitiv für die Erfassung epileptischer Aktivität ist als im NREM-Schlaf, scheinen die im REM-Schlaf gefundenen interiktualen und iktualen Entladungen spezifischer zu sein mit praktischem, nämlich lokalisatorischem Wert für die Bestimmung des tatsächlichen Anfallsursprungs. Studien haben gezeigt, dass die Lokalisation interiktualer epilepsietypischer Potenziale in REM bei 85 % der Patienten in Übereinstimmung war mit der anderweitig definierten Seizure-Onset-Zone (SOZ). Zum Vergleich: Übereinstimmung zwischen Lokalisation von ETP und SOZ im NREM: 60 %, ETP und SOZ im Wach: 70 %.
Fallbeispiele
Um die Alltagsrelevanz der Thematik zu verdeutlichen, seien hier einige Patientenbeispiele aus dem Epilepsiemonitoring aufgeführt:
- 19-jährige Patientin: Differenzialdiagnostik bei anfallsartigen Episoden mit Verharren und Areagibilität. Durch Erfassung von im Schlaf mit zunehmender Schlaftiefe immer weiter aktivierten generalisierten epilepsietypischen Potenzialen eindeutige Diagnose einer genetischen generalisierten Epilepsie.
- 53-jähriger Patient: Rechts frontaler Substanzdefekt nach schwerem Schädel-Hirn-Trauma und therapierefraktärer, struktureller Epilepsie mit Persistenz von Anfällen im Wachen und im NREM-Schlaf. Im Schlafstadium N3 findet sich eine bedeutsame Zunahme und Ausweitung der ETP. Im REM-Schlaf vollständige Suppression aller ETP.
- 22-jährige Patientin: Fokale und fokal zu generalisierte Anfälle seit dem 20. Lebensjahr. Im REM-Schlaf geminderte Dichte und geringere räumliche Ausdehnung der ETP, jetzt nur die mesiale Temporalregion abbildend. In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigt sich temporomesial eine Epidermoidzyste als strukturelle Ursache der Epilepsie. Nach epilepsiechirurgischer Resektion ist die Patientin anfallsfrei.
Weitere diagnostische Verfahren
Neben dem EEG gibt es weitere diagnostische Verfahren, die bei der Abklärung von Epilepsie eingesetzt werden können:
- Magnetresonanztomographie (MRT): Die MRT ist ein bildgebendes Verfahren, das detaillierte Bilder des Gehirns liefert. Sie kann helfen, strukturelle Ursachen für Epilepsie zu identifizieren, wie z.B. Fehlbildungen, Gefäßveränderungen, Hippokampussklerosen oder niedrigmaligne Gehirntumoren.
- Genetische Tests: Für einige Epilepsieformen ist eine genetische Ursache bekannt. Genetische Tests können helfen, die Diagnose zu bestätigen und die Behandlung zu planen.
tags: #Schlafentzug #EEG #Epilepsie #Zusammenhang