Weltweit sind mehr als 2,7 Millionen Menschen von einer Lähmung betroffen, und jährlich kommen 130.000 weitere hinzu. Eine Lähmung ist der vollständige oder teilweise Funktionsverlust eines Körperteils oder Organsystems aufgrund einer gestörten neuralen Reizweiterleitung im peripheren Nervensystem (PNS) bzw. in den betreffenden Regionen des Zentralnervensystems (ZNS).
Was ist eine Lähmung?
Eine Lähmung beeinträchtigt die Selbstständigkeit im Alltag. Je nach Ausmaß stehen Betroffenen verschiedene Leistungen der Pflegekasse zu, wobei ein anerkannter Pflegegrad Voraussetzung ist. Lähmungen lassen sich anhand ihrer Ausprägung, Ursachen sowie betroffenen Körperregionen einteilen. Es ist wichtig, Lähmungen von Bewegungsstörungen abzugrenzen, die beispielsweise durch Gelenkblockaden oder Muskelerkrankungen verursacht werden können.
Formen der Lähmung:
- Parese: Teilweise Lähmung der betroffenen Skelettmuskulatur.
- Plegie: Vollständige Lähmung der Skelettmuskulatur mindestens einer Extremität.
- Monoparese/Monoplegie: Betrifft nur einzelne Extremitäten.
- Paraparese/Paraplegie: Betrifft zwei gleichartige Extremitäten teilweise oder vollständig.
- Tetraparese/Tetraplegie: Betrifft alle vier Extremitäten.
Paraplegie und Tetraplegie können bei einer Querschnittslähmung auftreten, bei der die Nervenbahnen im Rückenmark durchtrennt oder gequetscht sind, oft nach einem Unfall oder infolge bestimmter Erkrankungen. Bei Verletzungen im Bereich der Halswirbelsäule sind Arme, Beine und Rumpf betroffen, wobei das Ausmaß der Lähmung in den Armen vom Segment der Halswirbelsäule abhängt. Auch die Rumpf- und Atemmuskulatur sowie Blasen- und Darmfunktion können beeinträchtigt sein.
Zentrale vs. Periphere Lähmungen:
- Zentrale Lähmungen: Ursprung im ZNS (Gehirn oder Rückenmark), betreffen Muskelgruppen und sind durch dauerhaft angespannte Muskulatur und gesteigerte Muskelreflexe gekennzeichnet.
- Periphere Lähmungen: Werden durch Schädigungen im PNS ausgelöst, wobei die Impulsübertragung zur Muskulatur geschwächt oder unterbrochen ist. Im Gegensatz zur spastischen Lähmung besteht kaum oder keine Muskelspannung mehr, und das betroffene Körperteil kann nur schlecht oder nicht mehr bewegt werden.
Motorische Lähmungen werden in der Regel im Laufe des Lebens erworben, oft als Folge eines Unfalls oder verschiedener Erkrankungen. In seltenen Fällen kann es bereits im Mutterleib oder während der Geburt zur sogenannten Erbschen Lähmung kommen. Eine Form der peripheren Lähmung ist die Gesichtslähmung (Fazialisparese), bei der die Gesichtsmuskulatur aufgrund einer gestörten Funktion des Gesichtsnervs teilweise gelähmt ist. Neben den körperlichen Schädigungen können motorische Lähmungserscheinungen auch psychische Ursachen haben, was als psychogene Lähmung bezeichnet wird.
Ursachen schlaffer Lähmungen
Die Ursachen für eine Lähmung sind sehr vielfältig. Grundsätzlich liegt einer Lähmung eine Nervenschädigung zugrunde.
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Allgemeine Ursachen:
- Schädigungen des Gehirns: Die Ursache der Lähmung liegt im Gehirn.
- Schädigungen der Muskelfasern: Die Ursache für die Lähmung sind Schädigungen der Muskelfasern oder des Kontakts zu den Muskelzellen.
- Muskelerkrankungen: Die Ursache für die Lähmung liegt in den Muskeln selbst.
Spezifische Ursachen einer schlaffen Lähmung:
Eine schlaffe Lähmung wird auch als denervierte Lähmung oder periphere Lähmung bezeichnet. Kennzeichnend ist, dass jegliche Impulsübertragung durch den Nerv fehlt, da der Motornerv zwischen Rückenmark und Muskulatur geschädigt ist. Durch die fehlende Reizübertragung und die mangelnde Möglichkeit zur Nutzung der Muskulatur atrophiert der Muskel, mit der Zeit kommt es zu einem massiven Rückgang der Muskelmasse, die teilweise durch Fett und Bindegewebe ersetzt wird.
- Toxisch-entzündliche Ursachen: Entzündungen im Bereich der Nerven oder des Rückenmarks können die Reizübertragung vom Rückenmark zum Muskel stören. Auch Tumore, Vergiftungen oder Autoimmunerkrankungen können zu einer Schädigung führen.
- Mechanisch-traumatische Ursachen: Ein schwerer Unfall beim Sport oder im Straßenverkehr kann die Nervenbahnen im Rückenmark verletzen und zu einer Querschnittslähmung führen. Auch ein Bandscheibenvorfall kann zu einer Rückenmarkschädigung führen.
Weitere Erkrankungen, die mit Lähmungserscheinungen einhergehen können:
- Neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Multiple Sklerose (MS) und Epilepsie
- Krebserkrankungen
- Spinalkanalstenose, bei der es durch den Druck auf Nerven und Rückenmark je nach Lokalisation zu Lähmungserscheinungen in Armen und Beinen kommen kann.
Akute schlaffe Myelitis (AFM):
Seit August 2014 traten in den USA gehäuft Fälle von polio-ähnlichen Lähmungen bei Kindern auf. Insgesamt 103 Kinder in 43 Bundesstaaten entwickelten eine akute schlaffe Myelitis (AFM), die den Kriterien der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) entspricht. Nach Falldefinition der CDC liegt eine AFM vor, wenn die Betroffenen jünger als 22 Jahre sind, die fokale Schwäche der Extremitäten abrupt einsetzt und mithilfe der MRT Läsionen des Rückenmarks, speziell in der grauen Substanz, zu finden sind. Die Fälle müssen laut CDC zudem nach dem 1. August eines Jahres aufgetreten sein. Die Patienten waren im Schnitt 7,6 Jahre alt. Die meisten mussten hospitalisiert werden, einige erhielten künstliche Beatmung. Die meisten Betroffenen (92 Prozent) litten vor Beginn der neurologischen Symptome an Fieber oder einer Atemwegserkrankung. Die Gliederschwäche trat in der Regel abrupt auf und verschlimmerte sich dann innerhalb weniger Stunden deutlich. Meist war sie asymmetrisch und konnte bis zur vollständigen Lähmung einer Gliedmaße (Monoplegia) führen. Bei etwa zwei Dritteln verbesserten sich die Symptome innerhalb von Wochen geringfügig. Ein Drittel zeigte keine Veränderungen. In keinem Fall war eine vollständige Rückbildung der Symptomatik zu verzeichnen. Eine Reihe von Erregern kann ähnliche schlaffe Lähmungen auslösen. Zu diesen gehören neben den Enteroviren auch Flaviviren wie das Gelbfieber- oder West-Nil-Virus, Herpesviren und bestimmte Adenoviren.
Diagnose schlaffer Lähmungen
Bei Lähmungserscheinungen ist es wichtig, sofort einen Arzt zu konsultieren. Wählen Sie bitte den Notruf 112, wenn plötzlich Lähmungserscheinungen an Extremitäten oder Gesicht auftreten oder es nach einem Unfall oder Verletzungen zu motorischen Störungen kommt. Verständigen Sie einen Arzt bei einer kurzzeitigen Lähmung, die am selben Tag wieder verschwindet, da es sich um ein Anzeichen eines drohenden Schlaganfalls handeln könnte.
Zuständig für die Diagnostik bei Lähmungserscheinungen ist ein Facharzt für Neurologie, wobei erste Anlaufstelle auch der Hausarzt sein kann. Nach einem ausführlichen Gespräch zur Krankengeschichte (Anamnese) erfolgen neurologische Untersuchungen.
Diagnostische Verfahren:
- Neurologische Untersuchung: Prüfung von Kraft, Reflexen und Spannung einzelner Muskelgruppen sowie der Feinmotorik.
- Laboruntersuchungen: Blutbild und Untersuchung des Nervenwassers (Lumbalpunktion) geben weitere Hinweise.
- Bildgebende Verfahren:
- Computertomografie (CT): Darstellung der normalen Struktur und krankhafter Veränderungen oder Verletzungen im Schädelbereich.
- Magnetresonanztomografie/Kernspintomografie (MRT): Darstellung von Struktur und krankhaften Veränderungen im Hirngewebe und im Schädelbereich.
- Funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT): Darstellung der Durchblutung und Stoffwechselaktivität in bestimmten Gehirnregionen während einer Aufgabe.
- Elektroenzephalografie (EEG): Darstellung der elektrischen Hirnaktivität mit hoher zeitlicher Auflösung.
- Muskelbiopsie: Untersuchung von Muskelgewebe mittels einer Gewebeprobe.
- Messung des Muskeltonus (z.B. mit der Ashworth-Skala)
- Die Schmerzintensität
Die Informationen helfen dem Arzt bei der Diagnosestellung und Planung der anschließenden Therapiemaßnahmen, um die Spastik zu lösen. Ferner kann anhand von Bewertungsskalen das Ansprechen auf die Behandlung beurteilt und nachverfolgt werden.
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Behandlung schlaffer Lähmungen
Die Behandlungsmöglichkeiten bei einer schlaffen Lähmung richten sich nach Ausmaß und Ursache der Erkrankung. Kam es aufgrund einer Vergiftung oder Entzündung zu einer denervierten Lähmung, so gilt es diese Grunderkrankung zu behandeln. In diesem Fall kommen unter anderem Medikamente zum Einsatz, beispielsweise um die Entzündung zu bekämpfen. Sind Tumoren der Grund für die Schädigung des Motornervs, können umfassende Maßnahmen nötig werden, um die Geschwulst zu beseitigen. Bei gequetschten oder beschädigten Nerven werden unter bestimmten Voraussetzungen operative Verfahren in Betracht gezogen, um die Funktionsfähigkeit zu verbessern.
Allgemeine Therapieansätze:
- Behandlung der Grunderkrankung: Bei einer schlaffen Lähmung ist es wichtig, die Ursache zu behandeln, wie z.B. Entzündungen, Tumore oder Vergiftungen.
- Medikamentöse Therapie: Medikamente können eingesetzt werden, um Entzündungen zu bekämpfen oder andere Grunderkrankungen zu behandeln.
- Operative Verfahren: Bei gequetschten oder beschädigten Nerven können operative Verfahren in Betracht gezogen werden, um die Funktionsfähigkeit zu verbessern.
- Physiotherapie: Regelmäßige Physiotherapie kann einen Beitrag leisten, die vorhandene Beweglichkeit zu erhalten und den Rückgang der Muskulatur hinauszuzögern.
- Ergotherapie: Ergotherapie kann helfen, die Selbstständigkeit im Alltag zu erhalten oder wiederzuerlangen.
- Hilfsmittel: Ein Rollstuhl kann bei Betroffenen einen Teil der Mobilität wiederherstellen.
- Psychologische Betreuung: Eine Lähmung kann eine große psychische Belastung darstellen. Eine psychologische Betreuung kann helfen, mit der Situation umzugehen.
Sind Lähmungen neurologisch bedingt, so kann man sie nach dem heutigen Stand der Medizin nicht vollständig heilen. In diesem Fall ist die Zielsetzung, den Gesundheitszustand von Betroffenen durch Physiotherapie, Massagen, Bäder und ähnliche Maßnahmen so weit wie möglich zu stabilisieren und zu verbessern. Welche Kombination aus operativer, medikamentöser oder krankengymnastischer Behandlung möglich und sinnvoll ist, unterscheidet sich im Einzelfall deutlich.
Wichtig im Pflegealltag mit schwereren und dauerhaften Lähmungen sind sogenannte Prophylaxen: Darunter fallen Maßnahmen, die vor Krankheiten oder deren möglichen Folgen schützen sollen. Ausreichend Bewegung im Alltag ist wichtig für unser Immunsystem. Kommt diese zu kurz, sind wir anfälliger für Infektionen. Infektionsschutz zuhause ist somit besonders für Menschen mit Lähmungen wichtig, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind. Mit anerkanntem Pflegegrad zahlt die Pflegekasse monatlich bis zu 42 Euro für sogenannte Pflegehilfsmittel zum Verbrauch.
Leben mit einer Lähmung
Für Menschen, die von einer Lähmung betroffen sind, kann das eine dauerhafte Einschränkung bedeuten, die erhebliche Auswirkungen auf das tägliche Leben hat. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn keine vollständige Heilung möglich ist. Hierzu zählt unter anderem die barrierefreie Ausstattung der Wohnung, die Umrüstung des Fahrzeugs sowie die Gestaltung der Freizeit.
Weitere Aspekte:
- Pflegegrad: Bei Beeinträchtigungen im Alltag besteht eventuell Anspruch auf einen Pflegegrad, mit dem verschiedene Leistungen der Pflegeversicherung zustehen.
- Grad der Behinderung (GdB): Ab einem GdB 50 besteht Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis, mit dem Vergünstigungen und bestimmte Nachteilsausgleiche verbunden sind.
- Hilfsmittel: Bei medizinischer Notwendigkeit stellt der Arzt ein Rezept für das geeignete Hilfsmittel aus.
- Notrufsystem: Bei Gangunsicherheiten und einem erhöhten Sturzrisiko sorgt ein Notrufsystem für mehr Sicherheit.
- Wohnraumanpassung: Häufig werden Umbaumaßnahmen notwendig, um die Wohnung barrierefrei zu gestalten.
- Unterstützung: Wertvolle Hilfestellungen von Mensch zu Mensch in dieser schwierigen Situation können Verbände und Beratungsstellen zu speziellen Erkrankungen bieten. Oftmals ist auch ein Austausch mit anderen Betroffenen in Online-Foren oder regionalen Selbsthilfegruppen möglich.
Spastik als mögliche Folge
Spastik (auch bekannt als Spasmus oder Spastizität) leitet sich von dem griechischen Wort „spasmós“ ab und bedeutet Krampf. Aus medizinischer Sicht handelt es sich um eine krankhafte Erhöhung der Muskelspannung (auch Muskeltonus bezeichnet). Die Ursache für eine Spastik ist eine Schädigung des zentralen Nervensystems (ZNS). Die überaktive Muskulatur führt zu dauerhaften Fehlstellungen von Bewegungsabschnitten, somit Bewegungseinschränkungen - so genannten spastischen Lähmungen. In welchem Ausmaß die Muskulatur und die Gliedmaßen betroffen sind, ist von der Grunderkrankung und der individuellen Ausprägung der Symptome beim Patienten abhängig. Eine spastische Bewegungsstörung ist in aller Regel mit Einschränkungen der Beweglichkeit verbunden.
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Grundlagen einer Spastik:
Eine Spastik ist keine Krankheit, sondern ein Symptom (Krankheitszeichen) einer Schädigung des zentralen Nervensystems, bestehend aus Gehirn und Rückenmark. Ursachen für eine Spastik können beispielsweise ein Schlaganfall oder ein Schädel-Hirn-Trauma sein. Doch nicht nur plötzliche Traumata können die Ursache für eine Spastik sein, auch chronische neurologische Störungen können früher oder später zu spastischen Lähmungen führen. In jedem Fall ist es wichtig, dass der behandelnde Arzt die genaue Ursache für die Spastik diagnostiziert.
Eine Spastik kann für die Betroffenen mit starken Beeinträchtigungen ihres Alltags und einem hohen Leidensdruck verbunden sein. Nicht selten kommt es durch die Muskelsteifigkeit auch zu schmerzhaften und entstellenden Körperhaltungen. Die Symptome der Spastik können unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Verschiedene Betroffene können daher ähnliche Symptome aufweisen, aber völlig andere Einschränkungen in ihrem Alltag erleben. Eine individuelle Betrachtung der Symptome einer spastischen Lähmung ist somit unerlässlich.
Klassifikation der Spastik nach Ausmaß:
Spastische Lähmungen können einzelne Muskeln oder ganze Körperbereiche betreffen. Dabei unterscheidet man bei dem Ausmaß der Spastik zwischen zwei Kategorien: fokale Spastik und generalisierte Spastik. Ist die Spastik lokal begrenzt, spricht man von einer fokalen Spastik. Tetraspastik: Beide Beine und Arme sind von der Spastik betroffen. Je nach Ausprägung können auch die Hals- und Rumpfmuskulatur betroffen sein.
Weitere Symptome einer Spastik:
Eine Spastik kann von weiteren Symptomen begleitet sein, die ebenfalls durch die Schädigung des Gehirns oder Rückenmarks verursacht sind. Schmerzen und / oder SensitivitätsstörungenInsbesondere bei einer Spastik nach Schlaganfall kommt es neben der spastischen Lähmung häufig zu einer halbseitigen schlaffen Lähmung, die den Arm und das Bein einer Körperhälfte betrifft.
Die Symptome einer Spastik hängen damit zusammen, wo und wie stark das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) geschädigt ist. Dementsprechend können die damit verbundenen funktionellen Beeinträchtigungen von nur leichten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit bis zu einer vollständigen körperlichen Behinderung reichen.