Ein Schlaganfall ist keine ausschließliche Erkrankung des Alters. Auch junge Menschen können betroffen sein, wobei die Ursachen und Auswirkungen sich von denen älterer Patienten unterscheiden. Dieser Artikel beleuchtet die spezifischen Ursachen, Diagnosemethoden und Therapieansätze bei Jugendlichen mit Schlaganfall, um das Bewusstsein für diese oft übersehene Problematik zu schärfen.
Definition des juvenilen Schlaganfalls
Es existiert keine einheitliche Altersdefinition für den juvenilen Schlaganfall. In der medizinischen Literatur werden Altersspannen von 18-40, 18-45, 18-50 oder 18-55 Jahren verwendet. Rund 15 % der Schlaganfälle in Deutschland betreffen Personen unter 55 Jahren, was etwa 30.000 juvenilen Schlaganfällen pro Jahr entspricht.
Arten des juvenilen Schlaganfalls
Zum juvenilen Schlaganfall zählen verschiedene Ereignisse:
- Arteriell-ischämische Ereignisse (ca. 70 %)
- Intrazerebrale Blutungen (ca. 10 %)
- Subarachnoidalblutungen (ca. 20 %)
- Sinus-/Hirnvenenthrombosen (0,5-1 %)
Diese Übersicht konzentriert sich auf den juvenilen arteriell-ischämischen Schlaganfall.
Häufigkeit und Bedeutung
Die Inzidenz arteriell-ischämischer Schlaganfälle steigt mit dem Alter exponentiell an, ist aber bei jungen Erwachsenen vergleichsweise niedrig (2,4/100.000 bei 20-24 Jahren, 20/100.000 bei 35-44 Jahren, 1.200/100.000 bei 75-84 Jahren). Die gesundheitlichen und psychosozialen Auswirkungen sind in dieser jungen Altersgruppe besonders gravierend. Junge Menschen kennen die Anzeichen oft nicht, nehmen die Diagnose nicht ernst und suchen nicht rechtzeitig medizinische Hilfe.
Lesen Sie auch: Umfassender Leitfaden zum Schlaganfall im hohen Alter
Ursachen des juvenilen arteriell-ischämischen Schlaganfalls
Die Ätiologie des juvenilen Schlaganfalls ist heterogener als bei älteren Patienten. Die Einteilung erfolgt üblicherweise anhand der TOAST-Klassifikation:
- Makroangiopathie
- Kardiale Embolien
- Mikroangiopathie
- Andere definitive Ursachen
- Ungeklärte bzw. kryptogene Schlaganfälle
Bei juvenilen Schlaganfällen ist die zervikale Gefäßdissektion eine sehr häufige Ursache. Auch die Assoziation zwischen einem persistierenden Foramen ovale (PFO) und kryptogenen Schlaganfällen ist häufiger als im höheren Alter. Klassische Schlaganfallätiologien wie Makro- und Mikroangiopathie sowie Vorhofflimmern spielen im jüngeren Alter eine geringe Rolle, nehmen aber in der Altersgruppe von 40-55 Jahren zu.
Spontane zervikale Gefäßdissektionen
Spontane zervikale Gefäßdissektionen sind mit einer Inzidenz von ca. 3/100.000/Jahr selten, stellen aber mit 10-25 % eine der häufigsten Ursachen für juvenile Schlaganfälle dar. Die Ursache ist nicht endgültig geklärt, vermutlich multifaktoriell. Neben einer genetischen Prädisposition spielen Umweltfaktoren wie Bagatelltraumen oder Infektionen eine Rolle.
Symptome und Diagnose
Häufige Symptome sind Kopf- und Halsschmerzen (30-70 %), ein Horner-Syndrom (15-35 %), Hirnnervenausfälle (insbesondere N. hypoglossus und N. vagus) sowie ein pulssynchroner Tinnitus (bis zu 10 %). Schlaganfälle treten in bis zu 90 % der Fälle auf. Diagnostischer Goldstandard ist eine MRT-Untersuchung des Halses mit fettsupprimierten T1-Sequenzen.
Therapie und Prognose
Randomisierte Studien zur Akuttherapie liegen nicht vor. Fallserien legen nahe, dass analog zu ischämischen Schlaganfällen anderer Ätiologien sowohl eine systemische Thrombolysetherapie als auch eine mechanische Thrombektomie durchgeführt werden kann. Zur Sekundärprophylaxe liegt nur eine randomisierte Studien vor, die bei insgesamt sehr niedriger Rezidivrate ischämischer Schlaganfälle von 1-2 %/Jahr keinen Unterschied beim Vergleich von Thrombozytenfunktionshemmern (TFH) und oraler Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten fand. Ischämie-Patienten sollten lebenslang mit TFH behandelt werden. Patienten, die nur Lokalsymptome ohne zerebrale Ischämien hatten, können in der Regel nach 6-12 Monaten die Sekundärprophylaxe beenden.
Lesen Sie auch: Ursachen und Risikofaktoren für Schlaganfälle bei Katzen
Kardial-embolische Ursachen und persistierendes Foramen ovale
Zwischen 5-25 % der juvenilen Schlaganfälle werden auf kardiale Embolien zurückgeführt. Vorhofflimmern (VHF) ist bei älteren Menschen eine der häufigsten Schlaganfallursachen, wird aber beim juvenilen Schlaganfall nur selten (ca. 5 %) gefunden.
Persistierendes Foramen ovale (PFO)
Ein PFO wird bei 30-50 % der Patienten mit juvenilem Schlaganfall nachgewiesen. Pathophysiologisch plausibel erscheint das PFO als Ursache eines kardialen Rechts-Links-Shunts, bei dem Thrombusmaterial aus dem venösen System in das arterielle System im Sinne einer paradoxen Embolie übertritt.
Therapie und Prognose
Bisherige Studien zur Rezidivprävention konnten keinen Vorteil eines interventionellen PFO-Verschlusses im Vergleich zur medikamentösen Behandlung zeigen. Die Rezidivrate für einen erneuten Schlaganfall war mit 1 %/Jahr äußerst gering. Zur Sekundärprophylaxe werden aktuell Thrombozytenfunktionshemmer wie Acetylsalicylsäure empfohlen. Bei einem Zweitereignis unter TFH wird eine orale Antikoagulation mit Phenprocoumon empfohlen, ebenso beim sicheren Nachweis einer paradoxen (venösen) Embolie. Als individueller Heilversuch kann ein PFO-Verschluss diskutiert werden, insbesondere wenn der Patient jung und eine paradoxe Embolie wahrscheinlich ist.
Klassische vaskuläre Risikofaktoren
Die Bedeutung klassischer kardiovaskulärer Risikofaktoren nimmt mit dem Lebensalter deutlich zu. Ab dem 40. Lebensjahr kommt es auch bei juvenilen Schlaganfallpatienten immer häufiger zu Fällen von Makro- und Mikroangiopathie. Die wesentlichen Risikofaktoren sind:
- Arterielle Hypertonie (25-50 %)
- Zigarettenrauchen (35-50 %)
- Fettstoffwechselstörungen (40-70 %)
- Diabetes mellitus (5-20 %)
Häufig bestehen mehrere Risikofaktoren parallel, wodurch das Risiko exponentiell steigt.
Lesen Sie auch: Gesundheitliche Rückschläge und politische Leistungen von Lafontaine
Andere, seltene und sehr seltene Ursachen
Beim juvenilen Schlaganfall sind auch eine Reihe anderer, seltener Ursachen zu berücksichtigen, die immerhin mindestens 10 % der juvenilen Schlaganfälle verursachen.
Schwangerschaft
Eine Schwangerschaft, insbesondere die Phase vor der Geburt und die ersten Wochen danach (Wochenbett), ist mit einer erhöhten Rate von Schlaganfällen assoziiert. Neben unmittelbaren Schlaganfällen gibt es eine Reihe von neurologischen Komplikationen, die indirekt mit Schlaganfällen assoziiert sind: die (Prä)eklampsie, das reversible zerebrale Vasokonstriktionssyndrom (RCVS), das posteriore reversible Enzephalopathiesyndrom (PRES), aber auch die Sinus-/Hirnvenen-Thrombose.
Migräne
Eine Migräne, insbesondere eine Migräne mit Aura, erhöht das Schlaganfallrisiko um den Faktor 2. Das gilt vor allem für Frauen unter 55 Jahren. Mit der Anzahl der Migräneattacken steigt auch das Schlaganfallrisiko.
Orale Kontrazeption und Hormonersatztherapie
Die Bedeutung der oralen Kontrazeption und der Hormonersatztherapie für die Schlaganfallentstehung ist unklar. Beobachtungsstudien legen einen Zusammenhang zwischen Östrogen und der Schlaganfallinzidenz nahe. Die Leitlinien empfehlen Frauen mit zusätzlichen Risikofaktoren (z.B. Migräne mit Aura, Zigarettenrauchen), keine orale Kontrazeption mit östrogenhaltigen Präparaten anzuwenden.
Konsum illegaler Substanzen
Der Konsum illegaler Substanzen kann eine Ursache von Schlaganfällen sein: zum einen bei sympathomimetischen Drogen mit der Gefahr hypertensiver Krisen, zerebraler Vasospasmen und von Vaskulitiden oder aufgrund einer gestörten Rheologie; zum anderen bei intravenösem Substanzmissbrauch und der damit verbundenen Gefahr thrombembolischer Ereignissen, zum Beispiel bei einer Endokarditis.
Weitere seltene Ursachen
Weitere seltene bis sehr seltene Ursachen juveniler Schlaganfälle sind Gefäßentzündungen (Vaskulitiden), Gerinnungsstörungen (Thrombophilien) oder auch Schlaganfälle durch Gerinnsel aus dem Herzen (kardioembolisch) u.a. durch Defekte der Herzscheidewand (paradoxe Embolien), die im höheren Alter selten eine Rolle spielen. Auch genetische Veranlagungen können eine Rolle spielen.
Diagnostik des juvenilen Schlaganfalls
Basierend auf dem Ursachenspektrum und der Häufigkeitsverteilung empfiehlt sich eine Stufendiagnostik, bestehend aus Basisdiagnostik, erweiterter Diagnostik und schließlich Spezialdiagnostik. Es muss jedoch betont werden, dass es sich hierbei um einen Leitfaden zur Orientierung und keinen standardisierten Algorithmus handelt. Insbesondere bei der spezialisierten Diagnostik zum Nachweis sehr seltener Ursachen ist eine gezielte Diagnostik, die auf einem klinisch-anamnestischen Verdachtsmoment basiert, sinnvoll und klinisch praktikabel.
Stufendiagnostik
- Basisdiagnostik: Anamnese, neurologische Untersuchung, Bildgebung (CT, MRT), EKG, Blutuntersuchungen.
- Erweiterte Diagnostik: Transösophageale Echokardiographie (TEE), Langzeit-EKG, Gefäßdarstellung (MRT-Angiographie, CT-Angiographie).
- Spezialdiagnostik: Gerinnungsdiagnostik, Autoantikörper, genetische Untersuchungen, Liquoruntersuchung.
Der kryptogene Schlaganfall
Schlaganfälle, für die man keine definitive Ursache findet, machen bis zu 50 % der juvenilen Schlaganfälle aus. Es besteht allerdings eine terminologische Unschärfe: Schlaganfälle können kryptogen sein, nachdem die Basisdiagnostik, die erweiterte Diagnostik oder die spezialisierte Diagnostik ohne Ergebnis blieb. Wenn keine eindeutige Ursache gefunden wird, ist das Wiederholungsrisiko geringer.
Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls
Die Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls ist altersunabhängig und besteht in der schnellstmöglichen Zuweisung in ein Krankenhaus, in dem gefäßrekanalisierende Maßnahmen (systemische Thrombolyse und/oder endovaskuläre Thrombektomie) und die Weiterbehandlung auf einer Stroke-Unit möglich sind. Jede Minute, die bei einem Schlaganfall unbehandelt vergeht, führt zum Absterben von Millionen Nervenzellen.
FAST-Test
Symptome kommen plötzlich. Plötzlich auftretende halbseitige Lähmungserscheinungen, Gefühlsstörungen, Schwindel und/oder Sprach- und Sehstörungen sind klassische Symptome für einen Schlaganfall. Da man diese aber nicht unbedingt mit einem Schlaganfall in Verbindung bringe, werde ein Schlaganfall bei jungen Patienten nicht immer erkannt, so der Neurologe. Dabei müssen Betroffene schon beim geringsten Verdacht umgehend in eine spezielle Schlaganfalleinrichtung, eine Stroke Unit, gebracht werden.
Der FAST-Test hilft, einen Schlaganfall schnell zu erkennen:
- Face (Gesicht): Die Person bitten zu lächeln. Hängt ein Mundwinkel herab, deutet das auf eine Halbseitenlähmung hin.
- Arms (Arme): Die Person bitten, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können nicht beide Arme gehoben werden, ein Arm sinkt oder dreht sich.
- Speech (Sprache): Die Person bitten, einen einfachen Satz nachzusprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.
- Time (Zeit): Nicht zögern, unverzüglich die 112 wählen und die Symptome schildern.
Thrombolyse und Thrombektomie
Ist ein Gefäßverschluss die Ursache für den Schlaganfall erfolgt eine Akuttherapie mittels Thrombolyse. Dabei wird ein Medikament über die Vene verabreicht, das das Gerinnsel auflösen soll. Reicht das nicht aus, erfolgt eine Thrombektomie. Dabei wird das Gerinnsel im Gehirn über einen Katheter entfernt. Je nach Ausmaß des Schlaganfalls sind nach der Behandlung unter Umständen umfassende Maßnahmen zur Rehabilitation nötig.
Rehabilitation nach Schlaganfall
Nach einem Schlaganfall sind unter Umständen umfassende Maßnahmen zur Rehabilitation nötig. Motorische Ausfälle und neurologische Folgeschäden wie Lähmungen oder Gleichgewichtsstörungen werden mit Physio- und Ergotherapie behandelt, Sprach- und Stimmstörungen mit Logopädie. Im ersten halben Jahr nach einem Schlaganfall sind die größten Fortschritte zu erwarten. Junge Menschen erholen sich körperlich oft besser, weil das Gehirn noch anpassungsfähig ist, um Defizite zu kompensieren.
Prävention eines erneuten Schlaganfalls
Nach einem Schlaganfall steigt die Gefahr, dass er sich wiederholt. Betroffene können selbst viel tun, um das Risiko für einen zweiten Schlaganfall zu senken:
- Regelmäßig Sport treiben
- Gesunde und ausgewogene Ernährung
- Auf Nikotin verzichten
- Alkoholkonsum begrenzen
- Optimalen Einstellung des Blutdrucks
Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Zwischen 18 und 35 Jahren sind Frauen statistisch gesehen häufiger vom Schlaganfall betroffen als Männer. Bei ihnen spielen das Risiko der Pille - vor allem im Zusammenspiel mit Rauchen - und der Risikofaktor Migräne mit Aura eine besondere Rolle. Deutlich mehr Frauen als Männer leiden unter Migräne. Auch Schwangerschaften erhöhen das Risiko für einen Schlaganfall: Um die Entbindung, bzw. die Zeit kurz nach Entbindung, ist das Schlaganfallrisiko erhöht. In der Altersspanne von 35 bis 50 Jahren sind dann wiederum Männer häufiger vom Schlaganfall betroffen.
tags: #schlaganfall #ursachen #jugendliche