In Deutschland erleiden laut der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe jährlich fast 270.000 Menschen einen Schlaganfall. Es ist die häufigste Ursache für eine Aphasie: eine Sprachstörung, bei der Betroffene Probleme haben, zu sprechen, zu verstehen, zu lesen oder zu schreiben. Für viele Betroffene und ihre Angehörigen ist der Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben oft lang und steinig. Neben der medizinischen Behandlung und der Rehabilitation spielen Selbsthilfegruppen eine wichtige Rolle. Ein Beispiel hierfür ist die Schlaganfall-Selbsthilfegruppe Essen, die einen sicheren Raum für Austausch, Verständnis und gegenseitige Unterstützung bietet.
Ein Treffpunkt in Holsterhausen
Es duftet nach Kaffee und frisch gebackenem Kuchen. Langsam füllt sich der Raum im Nachbarschaftsladen an der Gemarkenstraße in Essen-Holsterhausen. Begrüßungen ohne viele Worte: ein Nicken, eine Umarmung. Wer hier zur Selbsthilfegruppe für Aphasiker kommt, weiß, was es heißt, innerlich alles zu fühlen - und nichts sagen zu können. Die Atmosphäre ist herzlich und verständnisvoll. Hier treffen sich Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und sich gegenseitig Mut machen.
Die Erfahrung von Nicole Lorenz
Unter den Teilnehmenden ist auch Nicole Lorenz, die ihren richtigen Nachnamen nicht nennen möchte. Vor rund eineinhalb Jahren erlitt sie einen Schlaganfall. Zwei Tage lang lag die 56-Jährige allein in ihrer Wohnung, unfähig, sich zu bewegen oder zu sprechen. Schließlich fand sie ihr Sohn. "Wenn du so lange gelegen hast, weißt du gar nicht, was passiert ist", erzählt Lorenz, ihre Stimme bricht bei der Erinnerung. Mit einem Taschentuch trocknet sie die Tränen in ihren Augen. "Ich wollte etwas sagen - und es kam nichts." Erst nach zwei Wochen brachte sie wieder ein Wort über die Lippen. "Das war nur 'Hallo'".
Die Geschichte von Nicole Lorenz ist kein Einzelfall. Viele Schlaganfallpatienten kämpfen mit den körperlichen und psychischen Folgen der Erkrankung. Der Verlust der Sprache, die Schwierigkeiten bei der Bewegung und die Angst vor einem erneuten Schlaganfall können das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen.
Mangelnde Unterstützung und die Bedeutung von Selbsthilfegruppen
"Viele von ihnen erhalten nicht die nötige Unterstützung", kritisiert Logopädin Johanna Coppers. Es fehle an Therapieplätzen, an Fachkräften, an langfristiger Begleitung. Auch Selbsthilfegruppen wie die in Holsterhausen sind selten. Die 27-jährige Coppers leitet sie gemeinsam mit ihrem Kollegen Leon Friedhoff. Sie begrüßen jeden Einzelnen mit einem Lächeln, geben Raum für das, was seit dem letzten Treffen passiert ist.
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Selbsthilfegruppen füllen eine wichtige Lücke im Versorgungssystem. Sie bieten Betroffenen und ihren Angehörigen die Möglichkeit, sich auszutauschen, Erfahrungen zu teilen und von den Erfahrungen anderer zu lernen. In den Gruppen finden die Teilnehmer Verständnis, Ermutigung und praktische Tipps für den Alltag.
Ein typisches Treffen der Selbsthilfegruppe
Diesmal ist es stiller als sonst. Ein Mitglied der Gruppe ist verstorben, verkündet Coppers leise. Es folgt eine Schweigeminute. Betroffenheit liegt im Raum. Dann beginnt das Stuhl-Yoga. Köpfe kreisen langsam, Schultern rollen vor und zurück, Arme werden ausgestreckt, Hände gedehnt. "Einatmen … ausatmen", sagt der 31-jährige Friedhoff ruhig. Ankommen im eigenen Körper. "Das hilft, weil du wieder was spürst", erklärt Lorenz. Danach: Kaffee, Kuchen, viele Gesten und Gespräche, manche holpriger als andere.
Die Treffen der Selbsthilfegruppe sind vielfältig gestaltet. Neben Gesprächen und Erfahrungsaustausch gibt es auch Entspannungsübungen, Gedächtnistraining und kreative Aktivitäten. Ziel ist es, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten der Teilnehmer zu fördern und ihr Selbstvertrauen zu stärken.
Die Kraft der Gemeinschaft
Die 56-jährige Lorenz sitzt neben ihrer besten Freundin Kirsten Hamich und lächelt sie an. Die beiden Frauen kennen sich durch die Reha. Sie konnten kaum sprechen, aber verstanden sich sofort. Auch Hamich erinnert sich noch daran, wie es war, wieder sprechen lernen zu müssen. "Ich glaube, mein erstes Wort war auch 'Hallo'", sagt die 58-Jährige. In der Essener Selbsthilfegruppe fanden die Frauen Halt, Verständnis und Vertrauen. Bis zu 20 Menschen kommen regelmäßig - Betroffene und Angehörige. Manche sagen hier das erste Wort seit Monaten.
Die Gemeinschaft in der Selbsthilfegruppe ist für viele Teilnehmer eine wichtige Stütze. Hier können sie offen über ihre Probleme und Ängste sprechen, ohne Angst vor Ablehnung oder Unverständnis haben zu müssen. Die gegenseitige Unterstützung und Ermutigung helfen den Betroffenen, mit den Herausforderungen des Alltags besser umzugehen und neue Lebensperspektiven zu entwickeln.
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Ein fester Bestandteil des Lebens
Am Ende des heutigen Treffens stehen alle im Kreis. Lorenz schaut wieder zu Hamich. "Ich glaube, dass das jetzt ein fester Bestandteil meines Lebens ist, diese Selbsthilfe, der Austausch", sagt sie. "Ja, das gehört dazu", erwidert Hamich. Die beiden lächeln sich an.
Für Nicole Lorenz und Kirsten Hamich ist die Schlaganfall-Selbsthilfegruppe Essen zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden. Hier haben sie nicht nur Unterstützung und Verständnis gefunden, sondern auch neue Freundschaften geschlossen und neuen Lebensmut gefasst.
Weitere Angebote und Veranstaltungen
Neben der regelmäßigen Selbsthilfegruppe gibt es in Essen und Umgebung weitere Angebote für Schlaganfallbetroffene und ihre Angehörigen.
- Elterntreff: Seit 2019 gibt es einen regionalen Elterntreff. Der erste Elterntreff fand am 8. Februar von 18.00 bis 20.00 Uhr in Rüttenscheid statt. Ein weiteres Treffen fand am 13. April statt. Bei einem Treffen in einem Indoorspielplatz konnten sich die Erwachsenen austauschen und plaudern, während die Kinder spielten.
- Veranstaltungen der Klinik für Neurologie im Philippusstift und der Schlaganfall-Gruppe Essen e.V.: Die Klinik für Neurologie im Philippusstift und die Schlaganfall-Gruppe Essen e.V. laden gemeinsam zu Veranstaltungen ein, bei denen Ursachen, Symptome, Akuttherapie und Möglichkeiten der Nachsorge vorgestellt und diskutiert werden. Der Austausch bietet Betroffenen und Angehörigen Raum, individuelle Fragen zu stellen. Ein Beispiel ist eine Veranstaltung am Mittwoch, 10. September 2025. Die Teilnahme ist in der Regel kostenfrei, um Anmeldung wird gebeten.
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