Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems, bei der das körpereigene Immunsystem Teile von Gehirn und Rückenmark angreift. Die Krankheit wird auch Encephalomyelitis disseminata (ED) genannt. Charakteristisch für diese Erkrankung ist die Schädigung der Nervenscheiden, was zu einer gestörten Weiterleitung elektrischer Signale führt. Die MS verläuft meist in Schüben und kann je nach betroffenem Hirnareal unterschiedliche Verlaufsformen haben, weshalb sie auch die „Krankheit der 1000 Gesichter“ genannt wird.
Ursachen der Multiplen Sklerose
Die genauen Ursachen für die Entstehung von MS sind noch nicht vollständig geklärt. Es wird angenommen, dass ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren eine Rolle spielt. Zu den möglichen Ursachen und Risikofaktoren gehören:
- Genetische Veranlagung: Es gibt nicht das „eine“ MS-Gen, sondern eine Vielzahl von Genen, die alleine und in Kombination das Risiko, an MS zu erkranken, erhöhen. Vererbt wird eher eine "Neigung", die Erkrankung möglicherweise zu bekommen, eine sogenannte Prädisposition.
- Virusinfektionen: Bestimmte Virusinfektionen, wie z.B. mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), Masern- oder Herpesviren, könnten eine Rolle spielen. Menschen mit Multipler Sklerose sind aber nahezu zu 100% EBV-positiv. Die genauen Zusammenhänge zwischen EBV und MS sind aber noch ungeklärt.
- Vitamin-D-Mangel: Ein Mangel an Vitamin D wird als möglicher Risikofaktor diskutiert.
- Rauchen: Rauchen erhöht das Risiko, an MS zu erkranken.
- Geschlecht: Frauen sind etwa 2-3mal häufiger betroffen als Männer. Dieser Einfluss könnte jedoch sowohl biologisch als auch durch die im Schnitt unterschiedlichen Lebensumstände von Frauen und Männern begründet sein.
- Übergewicht im Jugendalter: Übergewicht in der Kindheit wird als möglicher Risikofaktor diskutiert.
- Die individuelle Darmflora: Die individuelle Darmflora wird als möglicher Risikofaktor diskutiert.
Symptome der Multiplen Sklerose
Die Symptome der MS können sehr vielfältig sein und variieren von Patient zu Patient. Sie können plötzlich auftreten (in Schüben) oder sich langsam entwickeln. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Sehstörungen: Verschwommen- oder Nebelsehen, Sehausfall, Doppelbilder, schmerzhafte Einschränkung der Sehkraft auf einem Auge als Ausdruck einer Entzündung der Sehnerven (Optikusneuritis).
- Motorische Störungen: Krämpfe, Muskelzuckungen, Schwerfälligkeit, spastische Lähmungserscheinungen (vor allem die Beine betreffend), Unsicherheiten beim Gehen, Störungen der Bewegungskoordination, Lähmungen. Im Verlauf sind die Lähmungserscheinungen häufig mit einem Steifigkeitsgefühl ("wie Blei an den Beinen") verbunden, Spastik genannt.
- Sensibilitätsstörungen: Gefühlsstörungen der Haut (Kribbeln, Taubheitsgefühl, Missempfindungen), Sensibilitäts-Störungen, meist in Form von Kribbeln, (schmerzhaften) Missempfindungen oder einem Taubheitsgefühl.
- Fatigue: Müdigkeit, allgemeine Mattigkeit oder Konzentrationsstörungen.
- Blasen- und Darmstörungen: Störungen beim Entleeren von Darm oder Blase, häufiger, nicht gut kontrollierbarer Harndrang (imperativer Harndrang), einer Blasenentleerungs-Störung bis hin zur Inkontinenz oder als kombinierte Schädigung zeigen.
- Weitere Symptome: Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, "verwaschenes" Sprechen.
Die meisten Anfangsbeschwerden können auch denen anderer Krankheiten entsprechen, daher kann es sogar für einen erfahrenen Arzt schwierig sein, die Krankheitszeichen bereits im Frühstadium exakt einzuordnen.
Verlaufsformen der Multiplen Sklerose
Es gibt verschiedene Verlaufsformen der MS, die sich in ihrem Fortschreiten und den auftretenden Symptomen unterscheiden:
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- Schubförmig remittierende MS (RRMS): Bei dieser Form treten die Symptome in Schüben auf, die sich dann wieder zurückbilden. Zwischen den Schüben kann es zu vollständigen oder teilweisen Remissionen kommen. Bei 85 Prozent der Menschen mit MS beginnt die Erkrankung im jungen Erwachsenenalter mit einem schubförmig remittierenden Verlauf.
- Sekundär progrediente MS (SPMS): Diese Form entwickelt sich aus der RRMS, wenn sich die Symptome nach einem Schub kaum noch oder gar nicht mehr zurückbilden. Es kommt zu einer fortschreitenden Verschlechterung des Zustands. Etwa jeder dritte MS-Patientin in Deutschland befindet sich im Stadium der sekundär progredienten Multiplen Sklerose oder im Übergang zur SPMS.
- Primär progrediente MS (PPMS): Bei dieser Form schreitet die Erkrankung von Beginn an unaufhaltsam fort, ohne klare Schübe. Dies ist die schwerste Verlaufsform der Krankheit. Etwa 10% der Patienten haben von Beginn an einen primär-chronisch progredienten Verlauf, d.h. von Beginn an eine langsame Verschlechterung ohne klare Schübe. Die Patient*innen sind im Durchschnitt etwas älter als die mit RRMS. Die PPMS kommt bei Männern häufiger vor als die RRMS.
- Klinisch isoliertes Syndrom (KIS): Wenn ein Mensch einen Krankheitsschub mit MS-typischen Beschwerden hat, sonst aber keine weiteren Kriterien für eine MS-Diagnose erfüllt, spricht man von einem Klinisch isolierten Syndrom (KIS). Ein KIS kann auf eine beginnende Multiple Sklerose hinweisen - muss es aber nicht.
- Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS): Wenn Läsionen, die typisch für eine Multiple Sklerose sind, zufällig auf MRT-Aufnahmen entdeckt werden, die aus einem anderen Grund angefertigt wurden, handelt es sich um ein radiologisch isoliertes Syndrom (RIS). Auch ein RIS kann im Verlauf in eine Multiple Sklerose übergehen.
Diagnose der Multiplen Sklerose
Die Diagnose der MS kann schwierig sein, da die Symptome vielfältig sind und auch bei anderen Erkrankungen auftreten können. Es gibt keinen einzelnen Test, der die MS-Krankheit eindeutig beweist. Die Diagnose basiert auf einer Kombination von verschiedenen Untersuchungen:
- Anamnese: Erfassung der Krankheitsgeschichte und der aktuellen Symptome.
- Neurologische Untersuchung: Überprüfung der Nervenfunktionen.
- Magnetresonanztomographie (MRT): Darstellung von Entzündungsherden (Läsionen) im Gehirn und Rückenmark. Entscheidend für die Abgrenzung zu anderen möglichen Krankheiten sind unter anderem deren Form, Lokalisation und räumliche Ausbreitung (räumliche Dissemination). Ein weiteres diagnostisches Kriterium ist die zeitliche Ausdehnung (zeitliche Dissemination) der Läsionen, d. h. deren unterschiedliches Alter.
- Untersuchung des Nervenwassers (Liquor): Nachweis von Entzündungszeichen (Entzündungszellen, oligoklonale Banden). OKB sind Antikörper, die bei autoimmunen Entzündungsprozessen entstehen.
- Evozierte Potentiale: Messung der Nervenleitgeschwindigkeit.
Zur Orientierung gibt es international anerkannte Diagnosekriterien (die McDonald-Kriterien), die eine Diagnosestellung unterstützen. Dennoch kann es manchmal Wochen, Monate, zuweilen sogar Jahre dauern, bis die Diagnose eindeutig feststeht.
Behandlung der Multiplen Sklerose
Multiple Sklerose ist nicht heilbar. Durch moderne Behandlungsmöglichkeiten kann der Verlauf der Erkrankung jedoch meist lange herausgezögert und verbessert werden. Die Therapie der Multiplen Sklerose stützt sich dabei auf mehrere Säulen:
- Schubtherapie: Behandlung akuter Schübe, damit Beschwerden sich schnell zurückbilden. Bei akuten Schüben können u.a. Cortison-Präparate die Symptome dämpfen. In vielen Fällen wird auf eine sogenannte Blutwäsche ausgewichen (Plasmapherese), bei der Blut entnommen, gereinigt und wieder in den Körper zurückgeleitet wird.
- Verlaufsmodifizierende Therapie (Basistherapie): Reduktion der Schwere und Häufigkeit der Schübe, um die beschwerdefreie oder -arme Zeit zu verlängern. Für Patientinnen und Patienten mit schubförmig verlaufender Erkrankung stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, die den Angriff des Immunsystems auf die Nervenzellen abschwächen. Zu den schon am längsten verfügbaren Basistherapeutika zählen die Betainterferon-Präparate und das synthetische Peptidgemisch Glatirameracetat; sie alle müssen regelmäßig gespritzt werden. Schon seit 2011 kamen aber auch Basistherapeutika in Tablettenform heraus, mit den Wirkstoffen Fingolimod, Siponimod, Ponesimod, Ozanimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin. Drei Antikörperpräparate (Natalizumab, Ocrelizumab und Ofatumumab) werden in Dauertherapie eingesetzt, für ein weiteres (Alemtuzumab) genügen zwei kurze Behandlungsphasen für eine langanhaltende Wirkung.
- Symptomatische Therapie: Linderung von MS-Beschwerden und Vorbeugung möglicher Komplikationen.
Medikamente für Patienten mit primär-progredienter MS
Für Patienten mit primär-progredienter MS (PPMS) gab es lange Zeit trotz intensiver Forschung kein zugelassenes Basis-Medikament. Im Jahr 2018 kam erstmals ein solches Medikament heraus; das Präparat enthält den Antikörper Ocrelizumab und kann die Krankheitsaktivität dämpfen.
Medikamente in Erprobung oder Zulassungsverfahren
Ein wichtiger Schwerpunkt der klinischen Forschung liegt 2024 wie auch in den vergangenen Jahren auf der Weiterentwicklung von immunmodulatorischen Substanzen, die das Voranschreiten der Behinderung effektiver unterbinden sollen. Wirkstoffe wie Siponimod, Ozanimod und Ponesimod werden in klinischen Studien erprobt.
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Wirkungsweise der Medikamente
Die Medikamente in der MS-Therapie greifen an verschiedenen Stellen in den Entzündungsprozess ein. Einige Präparate verhindern die Vermehrung bestimmter Immunzellen. Ein anderes hindert T- und B-Lymphozyten daran, die Lymphknoten zu verlassen und ins ZNS einzudringen. Ein weiteres stört die Kommunikation zwischen Immunzellen, so dass diese ihren Angriff nicht koordinieren können.
MS-Forschung und neue Medikamente
Dennoch ist vieles bis heute nicht zufriedenstellend: Im Jahr 2024 kann keines der Basistherapeutika alle Schübe verhindern. Deshalb versuchen Pharmaforscher weiterhin, für die Patienten Medikamente zu entwickeln, die noch wirksamer und noch besser verträglich sind. Und sie arbeiten an weiteren Medikamenten gegen die stetig fortschreitende MS.
Leben mit Multipler Sklerose
Ein selbstbestimmtes Leben mit MS ist möglich. Es gibt viele Dinge, die Betroffene tun können, um ihre Lebensqualität zu verbessern:
- Bewegung und Sport: Körperliche Aktivität ist sehr wichtig und wird total unterschätzt. Sport hat positive Auswirkungen auf das Nerven- und Immunsystem und ein trainierter Körper kann mit Einschränkungen deutlich besser umgehen als ein untrainierter.
- Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung kann helfen, die Symptome zu lindern. Es gibt zwar keine spezielle MS-Diät, aber eine Fülle von Empfehlungen, zum Beispiel eine vegane Ernährungsweise, eine antientzündliche Diät oder auch eine Ernährung, bei der möglichst wenig Kohlehydrate (low carb), aber viele Proteine aufgenommen werden.
- Vitamin D: Hochdosierte Vitamin-D-Gaben können MS-Schübe vermindern, also die MS-Aktivität etwas verlangsamen.
- Psychologische Unterstützung: Eine MS kann die Psyche belasten. Psychologische Unterstützung kann helfen, mit der Erkrankung umzugehen.
- Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen kann sehr hilfreich sein.
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