Einführung
Herausforderndes Verhalten, Abweisung und Aggressionen bei Menschen mit Demenz werden oft als direkte Folge der Krankheit interpretiert. Doch was, wenn andere Ursachen, die wir nicht verstehen, eine Rolle spielen? Sehen wir den Menschen mit Demenz wirklich mit seinen individuellen Bedürfnissen und Wünschen? Oftmals können Betroffene ihre Unbehagen oder Schmerzen nicht klar artikulieren, was zu Frustration und Abwehr führen kann. Dieser Artikel beleuchtet die Problematik von Schmerzen bei Menschen mit Demenz und wie wir diese erkennen und behandeln können, insbesondere wenn verbale Kommunikation eingeschränkt ist.
Die Problematik des Schmerzes bei Demenz
Schmerzen sind subjektiv und schwer zu erfassen, besonders bei Menschen mit Demenz, deren sprachliche Fähigkeiten reduziert sind. Wenn ein Mensch mit Demenz beispielsweise die Nahrungsaufnahme verweigert, könnte dies an Schmerzen im Mundbereich liegen, die er nicht äußern kann. Es ist wichtig, sich in die Lage des Betroffenen zu versetzen: Zahnschmerzen können uns selbst die Nahrungsaufnahme erschweren.
Oft haben wir als Pflegende einen Plan und Erwartungen an den Menschen mit Demenz, ohne dessen aktuelle Verfassung ausreichend zu berücksichtigen. Ist die Person zu der geplanten Zeit leistungsfähig? Hat sie Schmerzen? Hat die Schmerzmedikation bereits gewirkt? Werden Mimik und Gestik des Betroffenen beachtet, wenn wir beispielsweise einen Spaziergang vorschlagen?
Handeln wir, ohne diese Aspekte zu berücksichtigen, kann das Vorhaben scheitern. Der Betroffene weigert sich, wird ablehnend oder aggressiv, schafft die Strecke nicht, leidet unter Schmerzen oder bricht zusammen. Die Situation wurde schlichtweg falsch eingeschätzt, der Zustand nicht richtig gedeutet oder die Fähigkeiten überschätzt.
Auch Stürze oder andere Verletzungen in unserer Abwesenheit können Schmerzen verursachen, die der Betroffene nicht angemessen mitteilen kann. Daher ist es wichtig, auf subtile Anzeichen zu achten:
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- Mimik: Zeigt die Person ein schmerzverzerrtes Gesicht?
- Gestik: Wehrt die Person unsere Handlungen ab, weil sie Schmerzen hat?
- Atmung: Ist die Atmung unregelmäßig oder beschleunigt, besonders bei Bewegung?
- Schonhaltung: Nimmt die Person eine Schonhaltung ein oder macht Gegenbewegungen, um Schmerzen zu vermeiden?
Die BESD-Skala: Ein Instrument zur Schmerzeinschätzung
In der Pflege gibt es Instrumente wie die BESD (Beurteilung von Schmerz bei Demenz)-Skala, die helfen, individuell auf Betroffene einzugehen. Diese Skala dient als Grundlage für den behandelnden Arzt, um Ursachen zu finden und eine sinnvolle Behandlung einzuleiten. Die Beobachtungsgabe der Pflegenden ist hierbei entscheidend, da sie die Betroffenen täglich sehen und wahrnehmen.
Die BESD-Skala, von der es verschiedene ähnliche Modelle gibt, die kostenlos im Internet zu finden sind, funktioniert nach einem Punktesystem. Null Punkte bedeuten keine Veränderung oder Reaktion, während zehn Punkte eine deutlich sichtbare Reaktion in Bezug auf den abgefragten Bereich anzeigen.
Wichtig: Greifen Sie nicht sofort zu ruhigstellenden Medikamenten, wenn die Person unruhig ist. Nutzen Sie das Ausschlussverfahren und setzen Sie sich intensiv mit dem zu pflegenden Menschen auseinander. Versuchen Sie, Wünsche, Ängste, Probleme, Sorgen und Symptome zu erkennen und zu deuten. Seien Sie sich der fehlenden Artikulationsmöglichkeiten bewusst.
Schmerzskalen allgemein: Verschiedene Instrumente zur Schmerzerfassung
Schmerzskalen ermöglichen es Patienten, die Intensität ihrer Schmerzen verbal, numerisch oder visuell auszudrücken. Da Schmerzen subjektiv sind, ist der Selbstbericht der Patienten für eine erfolgreiche Schmerztherapie von großer Bedeutung.
Eine Schmerzskala dient als Instrument zur Selbstdarstellung akut empfundener Schmerzen. Anhand einer vordefinierten Skala können Patienten ihre Schmerzen verdeutlichen, sodass Ärzte sie besser einordnen können. Es gibt verschiedene Varianten von Schmerzskalen:
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- Verbale Rating-Skala (VRS): Der Patient beschreibt die Schmerzintensität mit Worten wie "kein Schmerz", "leichter Schmerz", "mäßiger Schmerz" usw.
- Visuelle Analog-Skala (VAS): Der Patient markiert auf einer Linie zwischen "kein Schmerz" und "stärkster vorstellbarer Schmerz" die empfundene Schmerzintensität.
- Numerische Schmerzskala: Der Patient gibt einen Zahlenwert zwischen 0 (kein Schmerz) und 10 (stärkster vorstellbarer Schmerz) an.
- Smiley-Analog-Skala (SAS): Die Schmerzintensität wird anhand von Smileys mit unterschiedlichen Gesichtsausdrücken erfasst.
Bei Demenzpatienten, die sich oft nicht mehr konkret zu ihrem Schmerzempfinden äußern können, werden Verfahren zur Fremdeinschätzung eingesetzt, wie die BESD-Skala, die eine deutsche Version der Pain Assessment in Advanced Dementia Scale (PAINAD) darstellt.
Je nach Variante wird die entsprechende Schmerzskala den Patienten vorgelegt oder sie werden nach ihrer verbalen Einschätzung gefragt, sofern keine kognitiven oder entwicklungsphysiologischen Bedingungen dagegen sprechen. Das Schmerzassessment sollte sowohl im Belastungs- als auch im Ruhezustand durchgeführt werden.
Bei chronischen Schmerzen wird die Schmerzskala häufig in Verbindung mit einem Schmerzfragebogen oder einem Schmerztagebuch eingesetzt. Die Häufigkeit der Wiederholung des Schmerzassessments hängt von der individuellen Situation ab. Um aussagekräftige Hinweise auf das Schmerzempfinden zu erhalten, sollte immer die gleiche Schmerzskala verwendet werden. Wichtig ist zudem die dazugehörige Schmerzdokumentation, um den Erfolg schmerztherapeutischer Maßnahmen einschätzen zu können.
Die Vorteile von Schmerzskalen
Die Schmerzskala ist ein einfaches und kosteneffizientes Instrument, um das subjektive Schmerzempfinden von Patienten zu erfassen. Eine visuelle Schmerzskala bietet auch Patienten mit verbalen Einschränkungen eine intuitive Möglichkeit, die Intensität ihrer Schmerzen klar darzustellen.
Schmerzmanagement: Erkennen, Behandeln und Lindern
Schmerzmanagement umfasst alle therapeutischen Maßnahmen, die der Schmerzlinderung dienen. Jede Behandlung richtet sich nach Art, Stärke und Lokalisation der Schmerzen. Ziel ist es, jedem Menschen mit akuten, chronischen oder zu erwartenden Schmerzen ein individuell angepasstes Schmerzmanagement zu ermöglichen, damit er eine bestmögliche Lebensqualität und Funktionsfähigkeit erreichen kann.
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Schmerz kann viele Ursachen haben:
- Akuter Schmerz: Ein Warnsignal, das auf eine Verletzung oder Erkrankung hinweist.
- Chronischer Schmerz: Dauert länger als drei Monate an und ist eine eigenständige Krankheit.
- Nozizeptiver Schmerz: Geht von Schmerzrezeptoren aus.
- Neuropathischer Schmerz: Resultiert aus einer Schädigung der Nerven.
- Viszeraler Schmerz: Wird von einem inneren Organ ausgelöst.
- Somatischer Schmerz: Wird in Tiefen- und Oberflächenschmerz unterteilt.
- Reflektorischer Schmerz: Geht auf Fehlhaltungen zurück.
- Psychosomatischer Schmerz: Äußert sich oft in Kopf- oder Bauchschmerzen.
Um geeignete Maßnahmen gegen Schmerzen einzuleiten, muss erst abgeklärt werden, ob eine Grunderkrankung für die Beschwerden verantwortlich ist.
Schmerzmanagement bei Menschen mit Demenz
Manche Pflegebedürftige sind nicht in der Lage, Schmerzen zu äußern, zum Beispiel weil sie an einer schweren oder mittelgradigen Demenz leiden. Pflegende Angehörige müssen dann sehr genau beobachten, ob am Verhalten des Pflegebedürftigen etwas auf Schmerzen hindeutet.
Wichtige Beobachtungskriterien:
- Verhaltensänderungen: Plötzliche Unruhe, Aggressivität oder Rückzug.
- Körperliche Anzeichen: Grimassieren, Schonhaltung, erhöhte Muskelspannung.
- Veränderungen im Appetit oder Schlafverhalten.
Therapieansätze
Es gibt verschiedene Ansätze der Schmerztherapie:
- Medikamentöse Therapie: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ein Schema zur medikamentösen Behandlung von Schmerzen entwickelt.
- Alternative Behandlungsmethoden: Ergänzen oder ersetzen die medikamentöse Therapie. Beispiele sind Kräuter- oder Aromatherapien, Akupunktur oder der Einsatz von Cannabis.
- Multimodale Schmerztherapie: Ein interdisziplinärer Ansatz, der körperliche, geistige, gefühlsmäßige und soziale Einflüsse berücksichtigt.
Die Rolle der Pflegenden und Angehörigen
Pflegende Angehörige spielen beim Schmerzmanagement eine wichtige Rolle:
- Zeit nehmen: Nehmen Sie sich Zeit für Ihren pflegebedürftigen Angehörigen.
- Ablenkung ermöglichen: Sprechen Sie über alternative Möglichkeiten, Schmerzen zu lindern.
- Angehörige ernst nehmen: Seien Sie offen für Schmerzäußerungen und nehmen Sie sie ernst.
- Bestärken Sie den Pflegebedürftigen: Bleiben Sie gelassen, wenn starke schmerzstillende Medikamente verordnet werden.
Schmerzprotokoll
Ein Schmerztagebuch hilft, den Schmerzverlauf zu dokumentieren und Muster zu erkennen. Notieren Sie täglich:
- Wann sind die Schmerzen besonders stark?
- Welche Medikation nehme ich zurzeit ein?
- Gibt es Auslöser für die Schmerzen?
Die BESD-Skala im Detail
Die BESD-Skala (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz) ist ein Instrument zur Fremdeinschätzung von Schmerzen bei Menschen mit Demenz, die sich sprachlich nicht mehr oder nicht mehr konkret äußern können. Sie basiert auf der amerikanischen PAINAD-Scale (Pain Assessment in Advanced Dementia).
Die BESD-Skala umfasst fünf Verhaltenskategorien:
- Atmung: Ist die Atmung ruhig, normal oder verändert (z.B. schnell, angestrengt)?
- Negative Lautäußerungen: Stöhnt, jammert, weint oder schreit die Person?
- Gesichtsausdruck: Ist das Gesicht entspannt oder zeigt es Anzeichen von Schmerz (z.B. Grimassieren, Stirnrunzeln)?
- Körpersprache: Ist die Person entspannt, unruhig, angespannt oder abweisend?
- Reaktion auf Tröstung: Lässt sich die Person beruhigen oder zeigt sie keine Reaktion auf Tröstungsversuche?
Für jede Kategorie wird ein Wert zwischen 0 (keine Reaktion) und 2 (stärkste Reaktion) vergeben. Die Beobachtung sollte etwa zwei Minuten dauern und in einer eindeutig definierten Situation (Ruhe oder Mobilisation) erfolgen.
Interpretation der BESD-Skala:
- 0 Punkte: Kein Schmerzverhalten erkennbar - Schmerz eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
- 1 Punkt: Erhöhte Aufmerksamkeit für mögliche Schmerzursachen und weitere Schmerzzeichen.
- Ab 2 Punkte: Schmerzen wahrscheinlich.
Wichtig: Die BESD-Skala sollte von geschultem Personal angewendet werden. Deutlich schlechtere Ergebnisse liegen vor, wenn Angehörige oder fachfremde Menschen die Skala anwenden.
Weitere Beobachtungsskalen
Neben der BESD-Skala gibt es weitere Beobachtungsskalen zur Schmerzerfassung bei Menschen mit Demenz:
- BISAD (Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz): Beobachtet vor und während einer Mobilisation verschiedene Kategorien wie Mimik, Körperhaltung und Reaktion auf Berührung.
- Doloplus-2: Erfasst psychomotorische und psychosoziale Auswirkungen von Schmerzen.
- ZOPA (Zurich Observation Pain Assessment): Erfasst den Schmerz in vier Verhaltenskategorien: Lautäußerungen, Gesichtsausdruck, Körpersprache und physiologische Indikatoren.
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