Schreien und Rufen bei Demenz: Ursachen, Therapie und Umgang mit herausforderndem Verhalten

Im Zusammenhang mit Demenz treten häufig Verhaltensweisen auf, die für Angehörige und Betreuungskräfte belastend sind. Zu diesen Verhaltensweisen zählen unter anderem das Verlegen oder Verstecken von Gegenständen, Hin- und Herlaufen, nächtliche Unruhe, lautes Schreien, Aggressionen, Teilnahmslosigkeit oder anhängliches Verhalten. Laute, herzzerreißende, plötzliche Schreie können für Angehörige oder Betreuungskräfte erschreckend und einschüchternd wirken. Im fortgeschrittenen Stadium der Demenz ist Schreien jedoch oft als Begleiterscheinung zu beobachten.

Ursachen für herausforderndes Verhalten bei Demenz

Auf Grundlage der Konzepte von Naomi Feil und Tom Kitwood ist nahezu jede Verhaltensweise einer demenzerkrankten Person aus ihrer Biografie oder der aktuellen Lebenssituation erklärbar. Häufig liegen dem herausfordernden Verhalten nicht befriedigte Grundbedürfnisse oder nicht verarbeitete vergangene Ereignisse zugrunde. Negative Gefühle wie Wut und Trauer, die aus Belastungen und Herausforderungen, aus dem vergangenen Leben und der jetzigen Lebenssituation entstanden sind und nicht ausgelebt wurden, können lange unterdrückt werden. Im Rahmen einer Demenz ist ein Verdrängen aber nicht mehr möglich. Um den Betroffenen zu verstehen, bedarf es viel Empathie und Geduld.

Maria Liehr weist darauf hin, dass es auch naheliegendere Auslöser für sogenanntes aggressives Verhalten gibt. Menschen mit Demenz sind sich gerade im Anfangsstadium ihrer Defizite bewusst. Die Konfrontation mit dem eigenen „Versagen“ und „verrückt werden“ kann extreme Angst und Unsicherheit erzeugen. Diese kann sich in „ungehalten sein“ und bösen Worten zeigen. Hier kann es helfen, sich in die Lage des Betroffenen zu versetzen. Oft wird sogenanntes aggressives Verhalten getriggert, indem Angehörige oder sonstige Betreuungspersonen an den rationalen Verstand und das Gedächtnis des Menschen mit Demenz appellieren. Formulierungen wie „Ich habe dir doch gesagt" und „du weißt doch“ können noch größere Wut auslösen, weil der Betroffene eben nichts mehr weiß. Das Kurzzeitgedächtnis ist durch die Demenzerkrankung zerstört. Fragen, die das Gedächtnis trainieren sollen, können in bestimmten Situationen eher kontraproduktiv sein. Hier ist es enorm hilfreich, den Menschen mit Demenz nicht mit seinen Defiziten zu konfrontieren und ihn mit Tätigkeiten zu beschäftigen, die er gut kann und die zudem positive Emotionen hervorrufen.

Herausfordernde Verhaltensweisen können auch durch körperliche Ursachen getriggert oder verstärkt werden. Dazu gehören:

  • Schmerzen
  • Kribbelnde Beine
  • Unerkannte Harnwegsinfekte, die eine akute Verwirrung mit sich bringen können
  • Neben- oder Wechselwirkungen von Medikamenten
  • Zu wenig Flüssigkeits- und/oder Nahrungsaufnahme
  • Chronische körperliche Erkrankungen, die im Alter häufig zusätzlich zu einer Demenz auftreten, beeinträchtigen die Frustrationstoleranz stark.
  • Eingeschränkte Beweglichkeit und damit Abnahme der Selbstständigkeit sowie schlechtes Hören und Sehen können dazu führen, dass sich der Mensch zusätzlich ausgeschlossen und übergangen fühlt. Hier hilft es, dafür zu sorgen, dass Defizite dieser Art möglichst gut kompensiert bzw. berücksichtigt werden. Passende Brillen, funktionierende Hörgeräte und angepasste Gehhilfen sind hier wichtig.

Die Bedeutung der Biografie

Oft lassen sich mögliche Zusammenhänge im familiären und partnerschaftlichen Umfeld erkennen, wenn man das Gespräch über biografische Aspekte der betroffenen Person mit Angehörigen sucht. Naomi Feil, die Begründerin der Validation, schreibt, dass der Mensch danach strebt, in Frieden zu sterben. Die letzten Jahre seines Lebens beschäftigt er sich mit der Aufarbeitung seines Lebens. Dazu gehört auch, dass ungelebte Emotionen und Gefühle an die Oberfläche kommen und jetzt durchlebt werden müssen. Dahinter steht oft nicht verarbeitetes Leid. Hier findet sich oftmals die Antwort nach dem Sinn des auf den Außenstehenden oft völlig unverständlichen Verhaltens.

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Ehepaar Maier wohnt im eigenen Haus und beide sind um die 90 Jahre alt. Frau Maier ist seit Jahren an Demenz erkrankt und zeigt zunehmend problematische Verhaltensweisen. Alles, was ihr Mann sagt, lehnt sie ab, will sich nicht waschen, lehnt jede Hilfe ab, vergisst und verlegt vieles und gibt dann ihrem Mann oder den Kindern die Schuld. Die Kinder sagen: "Sie ist richtig böse geworden und war dabei früher nie so”. Wenn Gäste kommen erzählt Frau Maier, dass sie alles selbst erledigt, obwohl sie weder sich noch den Haushalt versorgen kann. Wird sie mit der Realität konfrontiert, wird sie sehr zornig. Beim Blick in die Biografie zeigt sich, dass sie jung geheiratet hat, ihren Traumberuf der Krankenschwester nicht erlernen konnte und dann aber die “perfekte” Hausfrau und Mutter war. Sie war diejenige, die im Hintergrund agiert hat und den Haushalt und die Kinder versorgt hat. Ihr Mann hat relevante Entscheidungen getroffen, konnte sich in der Arbeit verwirklichen, war das Familienoberhaupt und derjenige, der tonangebend und manchmal dominant war. Sie war die Frau an seiner Seite und hat sich selbstverständlich nach seinen Wünschen gerichtet. Sie hat sich nie (offen) beklagt. Ihre Bedürfnisse nach Anerkennung, Bestätigung, Erlernen und Ausüben eines Berufs etc. konnten nicht erfüllt werden. Zudem hat ihr Mann keine “Selbstverwirklichung” ihrerseits zugelassen. Hier wäre die Hypothese, dass ihr unfreiwilliges jahrelanges Zurückstecken für die Familie eine tiefe Enttäuschung und Wut bei ihr hinterlassen hat. Sie konnte ihren eigenen Bedürfnissen nie Raum geben und jetzt, wo die rationalen Anteile des Gehirns durch die Demenzerkrankung in den Hintergrund treten und diese Enttäuschung und Wut nicht mehr unterdrücken können, kommen diese ungeliebten negativen Emotionen zum Vorschein. Sie ist zornig und böse und niemand um sie versteht warum. Herr Maier erkennt seine Frau nicht wieder.

Umgang mit Schreien und Aggressionen

Schreien ist für den Demenzerkrankten meist die einzige Möglichkeit, um sich seinem Umfeld mitzuteilen. Wenn es Betroffenen nicht mehr möglich ist sich verbal zu äußern, fallen sie in kindliche Muster zurück. Die Schreie sind Hilfeschreie nach Zuwendung und Umsorgung. Daher ist es wichtig nicht aus Angst zurückzuschrecken, sondern den Demenzkranken Nähe zu schenken. Körperliche Berührungen wie Streicheln, Liebkosungen und sanftes Zusprechen können beruhigend wirken. Eine Spezialschaukel oder Hängematte - sofern vorhanden - kann hier ebenfalls gute Dienste leisten.

Bei etwa 50 Prozent aller Demenzerkrankungen treten aggressive Verhaltensweisen als Begleiterscheinung auf. Durch veränderte Gehirnregionen kann es zu einer Einschränkung der Impulskontrolle kommen. Stressfaktoren, die zu Aggressivität führen, sind eine veränderte Wohnumgebung, störende Geräusche oder eine respektlose und gestresste Umgangsweise mit dem Betroffenen. Von außen betrachtet kann der Demenzkranke einen starken Persönlichkeitswandel durchleben und trotz ruhigem und ausgelassenem Charakter durch die Demenz die innere Ruhe verlieren.

Oft treffen die Aggressionen die Angehörigen, da sie die meiste Zeit mit dem Betroffenen verbringen. Als Angehöriger ist es wichtig, sich emotional von dem aggressiven Verhalten zu distanzieren. Nur so kann die Situation deeskaliert werden. Eine typische Konfliktsituation, die zu aggressivem Verhalten führt, ist das Gefühl, unnütz vorzukommen. Daher entwickeln viele Demenzkranke den Drang, das Haus zu verlassen, um zur Arbeit zu gehen. Auch wenn sie schon seit 20 Jahren nicht mehr arbeiten, ist das alte Muster so stark im Gehirn verankert, dass ihnen die alt bewährten Strukturen Sicherheit und eine Aufgabe verleihen. In dieser Situation kommt es regelmäßig zu Konflikten, da Unverständnis für die Situation den Selbstwert des Betroffenen mindert. Daher sollte dem Konflikt vorgebeugt werden, indem ein strukturierter Tag mit ausreichend Aktivitäten geschafft wird. Feste Tagesstrukturen und ausreichend Auslastung verhindern Langeweile und Aggressivität.

Weiteres Konfliktpotential besteht beim Thema Essen. Für viele ältere Menschen ist das Essen ein Highlight des Tages. Sollte das Essen nun nicht schmecken oder den Vorstellungen nicht entsprechen, kann es schnell zu Frustration kommen. Sind Sie verständnisvoll und gehen auf den Geschmack des Demenzkranken ein. Versprechen Sie dem Demenzkranken, am nächsten Tag sein Lieblingsgericht zu kochen oder gemeinsam zu entscheiden, auf was er oder sie Lust hat.

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Deeskalation in Konfliktsituationen

Wenn eine Konfliktsituation eintritt, atmen Sie tief durch und versuchen Sie nicht aus Reflex zu handeln, sondern die Situation in Ruhe zu analysieren. Eine ruhige Grundhaltung ist wichtig für alle weiteren Schritte zur Deeskalation. Sprechen Sie langsam, deutlich und ruhig. Bei aggressivem Verhalten wird der Inhalt der Aussage oft nicht wahrgenommen, aber eine tiefe Stimmlage kann beruhigend wirken. Sollte sich die Situation nicht beruhigen, verlassen Sie die Situation. Verabschieden Sie sich höflich und sichern Sie zu, dass Sie gleich wiederkommen. Bei Demenz kann das Verlassen des Zimmers dazu führen, dass der Betroffene sich nicht mehr an den Streit erinnert.

Demenz ist eine Erkrankung und aggressives Verhalten ist ein Krankheitssymptom. Nehmen Sie das Verhalten nicht persönlich und versuchen Sie, mental Abstand zu gewinnen. Trennen Sie im Kopf die Erkrankung von der eigentlichen Person und verlieren Sie nicht den Bezug zum Betroffenen. Mit Wertschätzung und Körperkontakt kann die Situation beruhigt werden. Hier ist es wichtig, auf die Angemessenheit zu achten und nicht übergriffig zu handeln. Fassen Sie Betroffene nicht am Kopf an. Das kann schnell als Eingriff in die Privatsphäre interpretiert werden.

Setzen Sie sich in die Situation des Demenzkranken hinein. Danach hilft es, die Ursachen für die Aggressionen oder das Schreien nachzuvollziehen. Ist der Senior gelangweilt? Hat er Schmerzen? Ist er hungrig oder durstig? Geht es ihm psychisch nicht gut? Durch das Vermeiden der Auslöser können Sie zukünftige Ausbrüche verhindern.

Nonverbale Kommunikation

Mit Fortschreiten der dementiellen Erkrankung rückt nonverbale Kommunikation immer mehr in den Vordergrund. Achten Sie auf die Körpersprache der demenzerkrankten Person. Das Deuten auf einen Gegenstand kann darauf hinweisen, dass der Betroffene Angst davor hat oder frustriert ist, dass er diesen nicht greifen kann. Teilweise kann die Begegnung mit dem eigenen Spiegelbild verwirren, da viele Betroffene sich im Spiegelbild für eine dritte Person halten und Angst entwickeln.

Hilft es nicht, die Person mit besänftigenden Worten zu beruhigen, ist Ablenkung mit anderen Aktivitäten für die Senioren hilfreich. Ob ein Spaziergang, einen Kaffee trinken, Musik hören, etwas vorlesen oder gemeinsam in den Garten gehen: jede Beschäftigung lenkt ab und lässt die Frustration schnell verfliegen. Wenn der Senior plötzlich beginnt zu weinen oder zu schreien, sollten wir uns vergewissern, dass er nicht Hunger und Durst hat oder er zur Toilette muss. Es ist es wichtig, dass Sie sich in die Lage des Demenzkranken versetzen und ihm jederzeit behilflich sind, auch wenn es manchmal schwierig ist.

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Weitere Tipps für den Umgang mit herausforderndem Verhalten

  • Sprechen Sie über Ihre Belastung: Sprechen Sie mit anderen Familienangehörigen, Beratungsstellen oder anderen Betroffenen.
  • Vermeiden Sie Vorwürfe: Für einen Demenzerkrankten ist es schwierig genug, seine Krankheit zu akzeptieren.
  • Geben Sie kleine Beschäftigungen: Auch Menschen mit Demenz möchten das Gefühl haben, gebraucht zu werden und etwas zu können. Geben Sie lösbare Aufgaben und beschäftigen Sie den Betroffenen.
  • Schaffen Sie eine klare Tagesstruktur: Menschen mit Demenz brauchen eine klare Tagesstruktur mit festen Tagesabläufen, Ritualen und einfachen Regeln. Das schafft Orientierung und Sicherheit. Aktivitäten oder Aufgaben sollten jede Woche am selben Tag zur selben Zeit stattfinden.
  • Respektieren Sie Gefühle: Gehen Sie unbedingt auf die Gefühle und Bedürfnisse der demenzerkrankten Person ein.
  • Sprechen Sie langsam: Sprechen Sie langsam, in kurzen Sätzen und in einfachen Worten.

Therapieansätze

Sofern keine andere Option mehr bleibt und das Schreien und die Aggressionen nicht aufhören, können Sedativa und Antidepressiva verschrieben werden. Häufig verschriebene Medikamente bei Aggressionen sind Neuroleptika wie Risperidon und Haloperidol. Sie helfen auch gegen Wahnvorstellungen. Die Verschreibung sollte möglichst durch einen Facharzt erfolgen.

Nicht-medikamentöse Interventionen

Hans-Werner Urselmann betont, dass am Anfang jeder Interventionsgestaltung das Wissen und das Verständnis stehen muss, dass die herausfordernden Schreie oder Rufe eines Menschen mit Demenz kein aggressives Verhalten ist. Der Schrei oder Ruf ist Ausdruck einer Person und vielleicht das einzig verbliebene verbale Kommunikationsmittel, dass diesem Menschen noch zur Verfügung steht. Das ist deshalb wichtig, weil der Mensch mit Demenz nicht immer deutlich seine Bedürfnisse verbal mitteilen kann. Er kann z.B. nicht sagen, ich habe Durst, mir ist kalt, ich habe Schmerzen, hier ist es mir viel zu laut oder ich habe Angst und will nach Hause. Sie sehen, die Schrei- und Rufgründe sind sehr vielschichtig, komplex und auch im Kontext zu betrachten. Es hilft dem Menschen aus diesem Grund nicht, Medikamente mit sedierender Wirkung zu applizieren, wenn er z.B. Durst hat. Er schreit und ruft dann vielleicht nicht mehr, hat aber immer noch Durst.

Was machen nun Pflegende, wenn ein Mensch mit Demenz schreit oder ruft? Die Aktivitäten richten sich zunächst direkt auf das Verhalten des schreienden Menschen und auf die Schreisituation, die es zu befriedigen und/oder zu befrieden gilt. Der Versuch und Irrtum steht dabei zuerst im Vordergrund der unterschiedlichen Strategien. Pflegende wollen wissen, warum schreit der Mensch mit Demenz und sie wollen zielgenau intervenieren können, wobei allen nonverbalen Signalen besondere Bedeutung zukommt.

Serial Trial Intervention (STI)

Fraglich ist nun, wie eine Abklärung darüber stattfindet, welches unbefriedigte Bedürfnis das Verhalten beeinflussen könnte. Jede Pflegekraft wird hier sicher auf einen reichen Erfahrungsschatz zugreifen können, um erste Ideen (Hypothesen) zu entwickeln. Um dieser Abklärung eine sinnvolle Struktur zu geben, also zunächst die Bedürfnisse abzuklopfen, die häufiger zu herausforderndem Verhalten führen und die auch direkter anzugehen sind, wurde in den USA ein Verfahren entwickelt: die Serial Trial Intervention (STI). Dieses Verfahren, das durch Fischer et al. ins Deutsche übersetzt wurde, beschreibt einen fünfschrittigen Prozess. Über diesen wird nach und nach das möglicherweise dem Verhalten zugrundeliegende Bedürfnis abgeklärt und passende pflegerisch-medizinische Maßnahmen abgeleitet.

  • Schritt 1 - Körperliches Assessment: Es bedarf zunächst eines körperlichen Assessments, um physiologisch unbefriedigte Bedürfnisse aufspüren zu können. Dazu gehört zum Beispiel, Vitalzeichen zu messen, den Bauch auf Spannungen abzutasten, ein spezifisches Schmerzassessment für Menschen mit Demenz anzuwenden, nach Hunger und Durst zu fragen, oder - bei Zweifel, ob die Frage verstanden wurde - konkret Essen und Trinken anzureichen. Sofern unbefriedigte physiologische Bedürfnisse erkannt werden, sind entsprechend pflegerisch-medizinische Maßnahmen einzuleiten.
  • Schritt 2 - Affektives Assessment: Über die Betrachtung der affektiven Ebene sollen mögliche „psycho-soziale und umgebungsbezogene Bedürfnisse [aufgespürt werden], die den psychischen Zustand oder das Wohlbefinden beeinflussen“ (Fischer et al. 2007, S. 371). Eine Rücksprache mit den pflegenden Angehörigen, dem versorgenden Pflegedienst oder Altenpflegeheim kann hilfreich sein, um zu erkennen, ob das herausfordernde Verhalten „mitgebracht“ oder „neu erworben“ wurde. Ziel des affektiven Assessments ist es, die Frage zu beantworten „Was ist bedeutsam für die Person?“ - also Lebensthemen, Werte, Kontakte, Beschäftigung - und daraus die psycho-sozialen Maßnahmen abzuleiten. Auch die Umwelt, in der sich der Patient befindet, sollte genau betrachtet werden, mit dem Fokus auf Lautstärke, Schall, fremde Geräusche, Temperatur etc. Ziel ist dabei, mögliche Stressoren zu reduzieren und das Stimulationsniveau der Umgebung so zu gestalten, dass der Patient es auch bewältigen kann. Angehörige sollten gezielt ermutigt werden, mit dem Patienten Zeit zu verbringen und sich mit ihm zu beschäftigen.
  • Schritt 3 - Versuch nicht medikamentöser Maßnahmen: Pflegekräften steht grundsätzliche eine Vielzahl an nicht medikamentösen Maßnahmen zur Verfügung, um in einer 1-zu-1-Situation mit dem Patienten zu arbeiten.
  • Schritt 4 - Versuch Analgetika: „Obwohl Schätzungen zufolge zwischen 45 und 80 Prozent aller Pflegeheimbewohner an Schmerzen leiden (AGS2002), wird diesem Faktor bisher im Zusammenhang mit herausfordernden Verhaltensweisen wenig Beachtung geschenkt“ (Fischer et al. 2007, S. 370). Gerade Menschen im fortgeschrittenen Stadium der Demenz zeigen Schmerzen teils nicht oder teils auch paradox, zum Beispiel Bewegung trotz Bewegungsschmerz.

Musiktherapie

Studien zeigen, dass Musik die Stimmung aufhellen und das Wohlbefinden steigern kann. Forscher wie Teppo Särkämö vom Institut für Verhaltenswissenschaften der Universität Helsinki haben herausgefunden, dass Musik die Stimmung, die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis von Menschen mit beginnender Demenz verbessern kann. Es wird empfohlen, Musik in die Pflege und Therapie von Demenzerkrankten einzubeziehen, da sie oft eine Reise in die Vergangenheit darstellt und vertraute Lieder Erinnerungen aktivieren.

Wenn die häusliche Pflege nicht mehr möglich ist

Wenn sowohl Sie als auch eine Betreuungskraft nicht in der Lage ist, mit den herausfordernden Verhaltensweisen des Demenzkranken umzugehen, ist die Unterbringung in einem Pflegeheim die einzige Lösung. Dort kümmert sich geschultes Pflegepersonal Tag und Nacht um den Betroffenen und kann eine bessere Versorgung gewährleisten. Um den Demenzerkrankten von der Unterbringung im Pflegeheim zu überzeugen, muss die Dringlichkeit der Situationen ausreichend kommuniziert werden. Falls möglich, sollte die Entscheidung gemeinsam mit dem Demenzkranken getroffen werden. Wohlfühlen im zukünftigen Zuhause ist eine relevante Grundvoraussetzung, um der Verschlechterung der Krankheit vorzubeugen.

Nicht nur das psychische Wohl des Betroffenen ist wichtig, sondern auch Sie müssen vor Überlastung geschützt werden. Eine Unterbringung im Pflegeheim bedeutet nicht, dass Sie das Familienmitglied weniger gern haben oder wertschätzen.

Herausforderungen und Perspektiven

Schreien, ständiges Rufen und aggressives Verhalten von Menschen mit Demenz können für Mitarbeitende, aber auch Angehörige und Mitbewohnende sehr herausfordernd sein. Es lohnt zu entschlüsseln, was sich hinter diesem Verhalten verbirgt, sagt Demenzexperte André Hennig. Oft sind körperliche Ursachen oder nicht erfüllte Bedürfnisse die auslösenden Gründe für das herausfordernde Verhalten.

Im fachlichen Kontext spricht man ungern von aggressiven, sondern eben eher von herausforderndem Verhalten. Man geht davon aus, dass jedes Verhalten des Menschen mit Demenz für ihn sinnvoll ist und er etwas damit erreichen will. Man arbeitet mit der Hypothese, dass sich in sogenannten aggressivem Verhalten, meist über Jahre angestaute Emotionen kanalisieren. Wut, Enttäuschung und Trauer, die früher nie gezeigt werden konnten und unterdrückt wurden, oft um gesellschaftlich nicht anzuecken, kommen jetzt zum Vorschein.

Vor allem die Erkenntnis, dass sich die Aggression nicht ursächlich gegen sie wendet, sondern der Mensch mit Demenz versucht, seine ungelösten Themen zu bearbeiten, kann Entspannung bringen. Entspannt sich das Gegenüber, kann sich auch der Mensch mit Demenz etwas entspannen. Dazu muss man sagen, dass dies nicht einfach ist und der betreuenden Person viel Einfühlungsvermögen und Geduld abverlangt.

Akzeptanz und Aufklärung

Hans-Werner Urselmann betont, dass Schreien und Rufen laut ist und als problematisch, überaus störend und untragbar gewertet werden kann. Wie kann in diesen Situationen Akzeptanz und Verständnis erreicht werden? Durch fortwährende Aufklärungsarbeit, durch Kennenlernen der Pflegeanforderung, durch Austausch und Informationen. Suchen Sie den Kontakt zu den Nachbarn, erklären sie ihm die Pflegesituation und das Verhalten eines Menschen mit Demenz. Thematisieren Sie aber auch die ethischen Grundprinzipien einer friedlichen Koexistenz. Pflegende sollten hier stellvertretend für den kranken Menschen die Funktion eines Anwalts einnehmen. Eine Parteinahme für einen Menschen, der sich nicht ändern kann.

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