Hirnschrumpfung: Ursachen, Auswirkungen und Management

Das menschliche Gehirn ist ein komplexes Organ, das etwa 100 Milliarden Nervenzellen enthält. Jede dieser Zellen ist wiederum mit unzähligen anderen Zellen verbunden, wodurch ein komplexes Netzwerk entsteht. Dieses Netzwerk verändert sich ständig - unser Gehirn kann sich neu organisieren, wachsen oder schrumpfen. Mit zunehmendem Alter baut unser Gehirn ab und funktioniert nicht mehr so zuverlässig wie früher. Chronische Krankheiten wie Multiple Sklerose können die Alterungsprozesse im Gehirn weiter beschleunigen.

Was ist Hirnschrumpfung (Hirnatrophie)?

Das menschliche Gehirn wird während der Schwangerschaft gebildet und wächst bis zum 25. Lebensjahr weiter. Normalerweise schrumpft ein gesundes Gehirn um 0,1 bis 0,3 % pro Jahr. Diese Reduktion wird als „Hirnvolumenverlust“ oder „Hirnatrophie“ bezeichnet, aber die Bezeichnung „Gehirnschrumpfung“ ist eher ungewöhnlich. Hirnatrophie ist in einer MRT-Aufnahme gut zu erkennen, da mehr Gehirnflüssigkeit sichtbar ist. Hirnatrophie ist also ein normaler Prozess, der bei jedem Menschen abläuft und kein Grund zur Besorgnis ist.

Ursachen der Hirnschrumpfung

Normaler Alterungsprozess

Mit zunehmendem Alter kann eine Abnahme des Hirnvolumens auftreten. Etwa ab dem 35. Lebensjahr nimmt das Volumen des Gehirns im Schnitt um 0,1-0,3 % pro Jahr ab. Dies ist ein natürlicher Teil des Alterungsprozesses.

Multiple Sklerose (MS)

Bei Menschen mit Multipler Sklerose kann zusätzlich zur altersbedingten Hirnatrophie eine krankheitsbedingte Hirnatrophie auftreten. Dies wird als MS-induzierte Hirnatrophie bezeichnet. Die genauen Mechanismen, die dazu führen, sind noch nicht vollständig geklärt, und die individuellen Werte können stark variieren. Einige Medikamente zur Behandlung der Multiplen Sklerose können das Fortschreiten der Hirnatrophie verlangsamen und auch das Auftreten neuer Läsionen verzögern, wie MRT-Scans gezeigt haben. Die Bedeutung dieser Veränderungen wird in der Forschung noch diskutiert. Einige Studien deuten auf mögliche Zusammenhänge zwischen Hirnatrophie und kognitiven Beeinträchtigungen hin, während andere zeigen, dass viele MS-Patienten trotz messbarer Hirnatrophie keine entsprechenden Symptome entwickeln. Die Beziehung zwischen Hirnvolumenveränderungen und tatsächlichen Beeinträchtigungen ist komplex und individuell sehr unterschiedlich. Krankheitsmodifizierende Therapiemöglichkeiten zielen darauf ab, die Krankheitsaktivität insgesamt zu reduzieren und können verschiedene Aspekte der Erkrankung positiv beeinflussen. Einige Studien deuten darauf hin, dass manche dieser Therapien auch dem Abbau von Gehirnmasse entgegenwirken könnten - wie stark dieser Effekt im Alltag spürbar ist, wird noch untersucht. Bereits nachgewiesen ist, dass diese Therapien das Fortschreiten der körperlichen Einschränkungen verlangsamen können. Deshalb ist es wichtig, so früh wie möglich mit der Behandlung zu beginnen.

Neurodegenerative Erkrankungen

Neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit, die Parkinson-Krankheit und die Huntington-Krankheit können zu einer Hirnschrumpfung führen.

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Alzheimer-Krankheit

Die Alzheimer-Krankheit ist eine degenerative neurologische Erkrankung, bei der die Funktion des Gehirns beeinträchtigt ist. Es kommt zu einem erheblichen Verlust an Hirngewebe und zu Veränderungen im Großhirn. Strukturelle Änderungen im Eiweißgewebe des Gehirns führen zu Gedächtnis- und Orientierungsverlust und zu einem Abbau des Denkens und Fühlens des Erkrankten. Sicher ist, dass die Erkrankung zu einem Verlust von Nervenzellen und damit zum Abbau der Hirnsubstanz führt. Das Gehirn kann bis zu 20 Prozent seiner Masse einbüßen. Das hat zur Folge, dass die Furchen, die sich in der Hirnoberfläche befinden, vertieft werden. Die Hirnkammern erweitern sich, weil das Gehirn selbst schrumpft. Diese Schrumpfung kann etwa ab dem mittleren Krankheitsstadium und im Spätstadium mit Hilfe bildgebender Verfahren, etwa einem Computertomogramm oder einer Magnetresonanztomographie, dargestellt werden. Das Absterben von Nervenzellen geht mit der Bildung von abnorm veränderten Bruchstücken des Tau-Proteins einher, die sich in Form von Fäserchen in den Nervenzellen des Gehirns ablagern. Die zweite für die Alzheimer-Krankheit charakteristische Eiweiß-Ablagerung sind die zwischen den Nervenzellen zu findenden Plaques. Sie bestehen aus einem Amyloid-Kern, der von veränderten Nervenzellfortsätzen und Stützzellen umgeben wird. Beides gemeinsam führt zur zunehmenden Zerstörung der Nervenzellen des Gehirns.

Vaskuläre Demenz

Durchblutungsstörungen des Gehirns, die durch wiederholte, kleine und häufig unbemerkt gebliebene Schlaganfälle verursacht werden, können zu einer Unterbrechung in der Durchblutung verschiedener Gehirnareale führen. Je nachdem, welche Gehirnbereiche betroffen sind, kann es zu unterschiedlichen Ausfällen führen, z. B. Sprachprobleme, Stimmungsschwankungen, Epilepsie, Halbseitenlähmungen.

Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom

Das Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom ist eine Multisystemdegeneration des Zentralen Nervensystems, die zwischen dem 40. und 70. Lebensjahr auftritt.

Zerebelläre Ataxie

Die zerebelläre Ataxie ist eine neurologische Störung des Kleinhirns, das als Dirigent unsere Bewegungen koordiniert und uns im Gleichgewicht hält. Bei der zerebellären Ataxie ist diese Fähigkeit beeinträchtigt, was zu Schwierigkeiten beim Gehen, Sprechen, Greifen oder bei kontrollierten Augenbewegungen führen kann. Untersuchungen im Magnetresonanztomografen (MRT) zeigen einen deutlichen Substanzverlust des angegriffenen Kleinhirns. Ein Forschungsteam hat eine neue Art der zerebellären Ataxie entdeckt, bei der Autoantikörper namens Anti-DAGLA sich gegen Kleinhirnzellen richten und so zu einer schweren Entzündung mit den entsprechenden Symptomen führen.

Traumatische Ereignisse und Stress

Eine Studie aus dem Jahr 2012 untersuchte die Gehirne von Menschen, die in ihrem Leben traumatische Erlebnisse erlitten haben. Die Ergebnisse zeigten, dass eine Reihe unterschiedlicher Regionen in den Gehirnen von traumatisierten Personen, verglichen mit nicht-traumatisierten Personen, kleiner waren. Sämtliche Hirnregionen, die bei traumatisierten Personen kleiner waren (insbesondere das Vorderhirn und die Insula), sind für komplexe kognitive Prozesse sowie Emotion- und Selbstkontrolle verantwortlich. Traumatische Erlebnisse lösen extremen Stress aus, der dem Gehirn signalisiert, dass es seine Struktur ändern muss, um den Gegebenheiten der Umwelt angepasst zu sein. Eine Studie aus dem Jahr 2014 untersuchte die Ursache von Stress genauer und analysierte, welche Art von Zellen im Hippocampus entstehen, wenn Menschen unter chronischem Stress leiden. Es zeigte sich, dass zum einen eine größere Anzahl von Zellen, die Myelin produzieren, entstehen, und zum anderen sinkt der Anteil grauer Zellen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Myelin insbesondere dafür benötigt wird, um stärkere Verbindungen zu der Amygdala herzustellen, die besonders in Bedrohungssituationen aktiv wird. Die Annahme ist, dass das Gehirn sich an die Erfordernisse anpasst. Bei traumatischen Situationen oder chronischem Stress lernt das Gehirn, dass es in einer gefährlichen Umgebung ist und stärkt die Struktur, die in solchen Situationen wichtig ist - die Amygdala. Gleichzeitig werden verzichtbare Strukturen geschwächt.

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Hohe Cortisolwerte

Eine Studie hat ergeben, dass Menschen mit hohen Cortisolspiegeln im Vergleich zur Referenzgruppe ein verringertes Großhirnvolumen zeigten; betroffen waren vor allem Parietal- und Frontallappen. Allerdings ergaben sich signifikante Differenzen nur für Frauen. Beim Hippocampusvolumen sahen die Forscher weder für Frauen noch Männer Unterschiede in Abhängigkeit von den Kortisolspiegeln. Blickten die Wissenschaftler auf die weiße Substanz, fanden sie bei Teilnehmern mit anfangs hohen Cortisolspiegeln eine reduzierte fraktionelle Anisotropie in vielen Bereichen, vor allem im Splenium und Corpus callosum. Wie genau hohe Cortisolwerte mit kognitiven Defiziten und hirnstrukturellen Veränderungen zusammenhängen, bleibt jedoch unklar.

Symptome und Auswirkungen

Anders als körperliche Beeinträchtigungen ist das Nachlassen der geistigen (kognitiven) Fähigkeiten nicht sichtbar. Deshalb werden diese oft erst spät erkannt. Kognitive Störungen treten nicht bei allen Menschen mit MS auf und wie stark sie ausgeprägt sind, ist individuell verschieden. Wenn sie auftreten, können sie jedoch Unsicherheit und Ängste auslösen. Das erhöht oft den Leidensdruck. Zudem sind diese Herausforderungen für Außenstehende nicht sichtbar und daher oft schwer nachzuvollziehen.

Folgende Symptome können auftreten:

  • Aufmerksamkeitsstörungen oder Schwierigkeiten, Informationen zu verarbeiten
  • Beeinträchtigungen des Langzeitgedächtnisses
  • Schwierigkeiten, zielgerichtet zu agieren oder Farben zu unterscheiden und Objekte zu erkennen
  • Veränderung der visuellen Wahrnehmung und des visuellen Gedächtnisses
  • Wortfindungsstörungen und Schwierigkeiten, sich auszudrücken oder zuzuhören, sowie Probleme beim Hörverstehen

Klinische Studien haben gezeigt, dass der Grad der Hirnatrophie mit dem Grad der körperlichen und kognitiven Beeinträchtigung und mit der langfristig erlebten Fatigue zusammenhängt. Viele Menschen mit MS leiden unter kognitiven Beeinträchtigungen wie Schwierigkeiten, lange aufmerksam zu bleiben, sich Dinge zu merken oder neue Informationen zu verstehen, und sie leiden häufig unter erheblicher geistiger Fatigue.

Diagnose

Es gibt keinen expliziten Test, mit dem man die Hirnatrophie erkennen kann. Generell sind Anzeichen nicht immer leicht zu erkennen und für Außenstehende oft nicht nachzuvollziehen. Sprich mit Deinem Arzt, Deiner Ärztin oder Deiner MS-Nurse, falls Du den Eindruck hast, dass Du Dich schlechter konzentrieren kannst, Du zunehmend vergesslicher wirst oder sich andere Symptome verschlechtern.

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Um mögliche kognitive Beeinträchtigungen zu beurteilen, wird Dein Neurologe und Neuropsychologe in der Regel Fragen zu diesen Symptomen stellen und sie mit Fragebögen oder standardisierten Tests dokumentieren. Dabei werden mehrere Tests in bestimmten Abständen wiederholt, um zu sehen, wie sich die Funktionen im Laufe der Zeit entwickeln. Darüber hinaus muss eine Reihe von weiteren Faktoren berücksichtigt werden, die die Kognition beeinträchtigen können, wie z. B. Medikamente wie Antidepressiva oder Medikamente zur Behandlung von Harnwegserkrankungen, Schmerzen oder Krämpfen.

Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist derzeit die beste verfügbare Möglichkeit, in das Gehirn zu schauen. Mit ihr lassen sich hochauflösende Bilder erstellen. Durch regelmäßige MRTs kann die Entwicklung einer Hirnatrophie festgestellt und das Fortschreiten genau gemessen werden. Kognitive Einschränkungen können auch im Rahmen einer neuropsychologischen Untersuchung festgestellt werden. Einige frühe Demenzsymptome überschneiden sich mit denen der MS-bedingten Hirnatrophie. Allerdings haben Demenz-Erkrankungen wie Alzheimer ganz andere Ursachen und weiter gefächerte sowie schwerere Symptome.

Management und Prävention

Obwohl es keine Möglichkeit gibt, die Hirnschrumpfung vollständig aufzuhalten, gibt es Möglichkeiten, das Fortschreiten zu verlangsamen und die Auswirkungen zu minimieren:

  • Krankheitsmodifizierende Therapien: Einige Medikamente zur Behandlung von Multipler Sklerose können das Fortschreiten der Hirnatrophie verlangsamen und auch das Auftreten neuer Läsionen verzögern. Es ist wichtig, so früh wie möglich mit der Behandlung zu beginnen.
  • Gehirntraining: Ähnlich wie die körperliche Fitness kannst Du auch Deine geistige Fitness trainieren. Das Prinzip ist das gleiche: Je regelmäßiger die jeweiligen Fähigkeiten trainiert werden, umso besser ist der Effekt. Wer im Alltag nur wenig Möglichkeiten hat, seine geistigen Fähigkeiten zu trainieren, kann sich mit gezielten Trainingsprogrammen helfen. Unter den Stichworten „Gehirnjogging“, „Kognitives Training“ oder „Kognitive Übungen“ findest Du im Internet oder als App viele Trainingsprogramme. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass Achtsamkeitstraining das Wachstum von grauen Zellen stimulieren kann. In einer weiteren Studie wurde untersucht, wie sich das Gehirn durch regelmäßiges Gehirntraining verändert. Dabei wurde festgestellt, dass die Myelinisierung von Strukturen, die mit dem Arbeitsgedächtnis in Verbindung stehen, zugenommen hat. Auch die Übungen von NeuroNation sind speziell dafür entwickelt, das Arbeitsgedächtnis zu stärken.
  • Gesunde Ernährung: Eine gesunde Ernährung und die Kontrolle von Risikofaktoren können helfen, Dein Gehirn fit zu halten. Studien haben gezeigt, dass eine bessere Ernährungsqualität mit größeren Hirngewebevolumina zusammenhängt.
  • Körperliche Aktivität: Regelmäßige körperliche Aktivität kann ebenfalls dazu beitragen, die Gesundheit des Gehirns zu erhalten. Studien haben gezeigt, dass die kardiorespiratorische Fitness mit einem größeren Volumen der grauen Substanz in den temporalen, frontalen und zerebellären Regionen zusammenhängt.
  • Kognitive Stimulation: Tägliches Lesen, Kreuzworträtsel, Sudokus oder das Erlernen einer neuen Sprache können helfen, das Auftreten kognitiver Störungen zu verzögern.

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