Schulterorthese nach Schlaganfall: Wirkung und Versorgungsmöglichkeiten

Ein Schlaganfall ist eine weltweit verbreitete Erkrankung, die oft zu dauerhaften Behinderungen führt. In Deutschland erleiden jährlich etwa 270.000 Menschen einen Schlaganfall, wobei viele der Überlebenden langfristig auf Unterstützung und Hilfsmittel angewiesen sind. Eine häufige Folge ist die Hemiparese, eine Halbseitenlähmung, die oft mit einer schmerzhaften Schulter einhergeht. Die orthopädische Versorgung von Schlaganfallpatienten, insbesondere im Hinblick auf die obere Extremität, zielt darauf ab, Defizite auszugleichen, Fähigkeiten zu fördern, den Tonus zu regulieren und Schmerzen zu reduzieren.

Bedeutung der Orthesenversorgung nach Schlaganfall

Die orthopädische Versorgung von Schlaganfallpatienten gehört zu den Standards der Orthopädietechnik. Eine Vielzahl teilkonfektionierter und konfektionierter Industrieprodukte ermöglicht ein schnelles Eingreifen bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Rehabilitation. Angesichts der hohen Zahl von Schlaganfallerkrankungen und der zu erwartenden Zunahme aufgrund der sich verschiebenden Alterskohorten in der Bevölkerung ist es wichtig, den Fokus auf die Situation der Orthesenversorgung in diesem Bereich zu lenken.

Statistische Relevanz des Schlaganfalls

Laut dem Robert Koch-Institut ist der Schlaganfall weltweit die zweithäufigste Todesursache und eine wichtige Ursache für Behinderung im Erwachsenenalter. In Deutschland haben insgesamt 1,6 % der Erwachsenen in den letzten 12 Monaten einen Schlaganfall oder chronische Beschwerden infolge eines Schlaganfalls erlitten. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt mit dem Alter rapide an, von unter 1 % in den Altersgruppen unter 55 Jahren auf bis zu 6,3 % im Alter ab 75 Jahren. Es wird erwartet, dass die Zahl der Schlaganfallpatienten und die Kosten für das Gesundheitssystem in Deutschland kontinuierlich bis zum Jahr 2025 steigen werden.

Ziele der Orthesenversorgung

Die Versorgung von Klienten mit Schlaganfall zielt darauf ab, Defizite auszugleichen, die Fähigkeiten des Patienten zu fördern, den Tonus zu regulieren, die Bewegung zu führen und - das ist ein wesentlicher Aspekt - seine Schmerzen zu reduzieren. Über allen Anforderungen steht aber der Nutzen im Alltag: Eine orthetische Versorgung muss eine so gute Handhabung offerieren, dass die Nutzung mit geringstmöglichem Aufwand realisierbar ist und auch für den Betroffenen sinnvoll erscheint, bei ihm also für eine gute Compliance sorgt. Die Orthese muss ihm einen Nutzen bei der Bewältigung der Aufgaben des Alltags verschaffen und eine probate Basis für die Verbesserung seiner Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit sein.

Schultersubluxation und ihre Folgen

Eine häufige Komplikation nach einem Schlaganfall ist die Schultersubluxation, bei der der Oberarmknochen teilweise aus der Gelenkpfanne wandert. Dies kann zu Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und dem sogenannten Schulter-Arm-Syndrom (SHS) führen. Eine unzureichende muskuläre Sicherung des Schultergelenks aufgrund der paretischen Muskulatur ist oft die Ursache.

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Schulter-Arm-Syndrom (SHS)

Das Schulter-Arm-Syndrom (SHS) tritt häufig in Kombination mit lähmungsbedingten Bewegungseinschränkungen auf, wobei das Ellenbogengelenk nicht betroffen ist. Davis et al. beschreiben, dass schmerzhafte Schulter- und ödematöse Handgelenke häufig gemeinsam auftreten.

Therapieansätze bei Schultersubluxation

Klassische Hals-Arm-Schlingen werden zur Ruhigstellung eingesetzt, beispielsweise nach ventraler oder dorsaler Schulterluxation. Im Rahmen der Rehabilitation einer Armparese ist eine Immobilisation des betroffenen Arms durch eine Hals-Arm-Schlinge jedoch problematisch, da diese eine effektive Therapie verhindert, den Arm am Körper fixiert und durch Ruhigstellung den erlernten Nichtgebrauch fördert. Rajaram et al. entwickelten eine individuell angefertigte zweiteilige Schulterorthese, die eine Bewegung des betroffenen Arms unter Sicherung der Schulter ermöglichte. Bei Verwendung dieser Schulterschlinge konnte eine Abnahme der Subluxation röntgenologisch nachgewiesen werden. Zusätzlich berichten die Autoren auch über eine Schmerzabnahme.

Wirkung von Schulterorthesen

Schulterorthesen können dazu beitragen, die Schulter in der richtigen Position zu halten, Schmerzen zu lindern und die Beweglichkeit zu verbessern. Es gibt verschiedene Arten von Orthesen, die je nach Bedarf eingesetzt werden können.

Ziele der Orthesenversorgung

  • Schmerzlinderung: Durch die Stabilisierung des Schultergelenks und die Reduzierung der Subluxation können Schmerzen gelindert werden.
  • Verbesserung der Beweglichkeit: Orthesen können die Bewegung des Arms unterstützen und die Rehabilitation fördern.
  • Vorbeugung von Folgeschäden: Durch die Korrektur der Fehlstellung und die Stabilisierung des Gelenks können Folgeschäden wie das Schulter-Arm-Syndrom vermieden werden.
  • Förderung der Funktionalität: Die Orthese soll den Patienten im Alltag unterstützen und die Selbstständigkeit fördern.

Evidenzbasierte Studien zur Wirkung von Schulterorthesen

Hartwig et al. konnten eine signifikante klinische Wirksamkeit der Schultergelenk-Funktionsorthese Neuro-Lux® zur Vermeidung bzw. zur Minderung eines bestehenden SHS nachweisen. Damit ist Neuro-Lux® derzeit die einzige Orthese, die eine Schultersubluxation effektiv vermindert. Zoro­witz et al. unter­such­ten die Wir­kung ver­schie­de­ner Orthe­sen („sin­gle-strap hemis­ling“, „Bobath roll“, „Roly­an hume­ral cuff sling“, „Cava­lier sup­port“) bei einer Schul­ter­sub­lu­xa­ti­on. Letzt­lich konn­te für alle Orthe­sen eine Ver­bes­se­rung der Sub­lu­xa­ti­on nach­ge­wie­sen wer­den, wobei bei ver­schie­de­nen Pati­en­ten jeweils eine ande­re Orthe­se die bes­te Wir­kung zeig­te. Die Autoren schluss­fol­ger­ten, dass die orthe­ti­sche Ver­sor­gung einer Schul­ter­sub­lu­xa­ti­on indi­vi­du­ell erfol­gen muss.

Einfluss von Schultergelenkorthesen auf das Schulter-Arm-Syndrom

Eine Studie von Hartwig et al. untersuchte die Anwendung einer speziellen Schultersubluxationsorthese in Zusammenhang mit einem SHS. Patienten mit frischem ischämischem Hirninfarkt erhielten zusätzlich zur Standardtherapie eine Schultergelenk-Funktionsorthese (Neuro-Lux®, Sporlastic GmbH, Nürtingen). Die Ergebnisse zeigten, dass der SHS-Score in der Interventionsgruppe signifikant niedriger war als in der Kontrollgruppe.

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Arten von Schulterorthesen

Es gibt verschiedene Arten von Schulterorthesen, die je nach den individuellen Bedürfnissen des Patienten eingesetzt werden können.

Funktionelle Orthesen

Funktionelle Orthesen werden zur Mobilisierung eingesetzt und als textile Softorthesen, Silikonorthesen, Kombinationen von Silikon mit Prepreg sowie als Spiralorthesen gefertigt.

Textile Softorthesen

Mit textilen Softorthesen lassen sich erfolgreich frühkindliche und wenig tonusstarke Abweichungen lenken; zudem ermöglichen sie die Erarbeitung von Bewegungsmustern. Die Lösungen reichen von zirkulären Lycra-Orthesen als Handschuh bis hin zur Einfassung von Ellenbogen, Schulter und Rumpf. All diese Varianten erzeugen propriozeptiv wirksame Mechanismen zur Verbesserung der Kontrolle der Extremität. Zur Begrenzung der Bewegung oder zur mechanischen Lenkung können auf textilen Orthesen Züge oder doppelte Lagen angebracht werden.

Silikonorthesen

Auf der Grundlage einer Lycra-Orthese, die auch mehrschichtig konstruiert sein kann, werden entsprechend den Wirkungsrichtungen Silikonapplikationen aufgetragen. Unterschiedliche Shore-Härten lassen die präzise Abstimmung auf individuelle Bewegungsabläufe zu. Diese Technik ermöglicht es z. B., einer Ulnardeviation im Handgelenk mit geringem Materialeinsatz entgegenzusteuern und singuläre Fingerabweichungen aufzunehmen, ohne dabei ein rigides Containment bemühen zu müssen. Silikonorthesen decken einen erhöhten Bedarf an Mobilitätskontrolle ab. Ihre Vorteile liegen auf der Hand: Filigran abstimmbare Materialhärten lassen sich zu einer dünnwandigen geschlossenen Orthese „aus einem Guss“ verarbeiten, ohne dass sich das Material aufbraucht oder durch mechanische Einflüsse in seinen Eigenschaften verändert. Silikon ist leicht hygienisch sauber zu halten und liegt idealerweise flächig auf der Haut auf.

Spiralorthesen

Spiralorthesen werden vornehmlich in der Pädiatrie angewendet. Ihre Vorzüge bestehen vor allem in der komfortablen Einhandbedienung, einem hohem Alltagsnutzen sowie einer nahezu grenzenlosen Individualisierbarkeit hinsichtlich Führung, Rigidität, Limitierung und Ausstattung. Während herkömmliche Systeme häufig aus Polypropylen (PP) gefertigt werden, empfiehlt sich der Einsatz von Prepreg-Spiralen, da diese es erlauben, definierte Elastizitätsverläufe, Limitierungen und weiche, abgestufte Materialübergänge herzustellen, die durch homogene Materialien nicht realisierbar sind.

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Dynamische GPS Soft-Orthesen

Das Versorgungskonzept der Dynamic GPS Soft-Orthesen hat bereits vielen Patienten mit neuroorthopädischen und neuromuskulären Erkrankungen helfen können. GPS Soft-Orthesen unterstützen etwa Ihre Hand, wenn diese durch Lähmungserscheinungen nicht vollwertig nutzbar ist, bei denen aber keine Verkrampfungen der Muskeln vorliegen. Die Orthese liegt eng auf der Haut an und übt so leichten Druck aus. Durch Kompression wird die eigene Wahrnehmung der Hand deutlich verbessert - kann damit Bewegungen wieder erweitern. In manchen Fällen, zum Beispiel nach einem Schlaganfall, kann es passieren, dass die Muskeln im Schulterbereich das Schultergelenk nicht mehr eigenständig in der richtigen Position halten können. Auch hier hilft eine spezielle Variante aus der GPS-Familie: die Schulter-Sublux-Orthese. Sie bringt den Arm am Schultergelenk in die richtige Position, wenn die Muskeln allein dazu nicht in der Lage sind. Dabei wird sie über den betroffenen Arm gezogen und im Brustbereich fixiert. Schulter-Sublux-Orthesen werden ebenfalls individuell gefertigt und auf die jeweiligen Bedürfnisse angepasst. Integrierte Haftstreifen stellen sicher, dass die Orthese auf der Haut nicht verrutschen kann. Dabei trägt sie kaum auf. Das atmungsaktive Material und der individuelle Zuschnitt machen es ferner möglich, sie viele Stunden am Stück zu tragen. Die Orthese wird für jeden Patienten individuell gefertigt und unterstützt ihn dann perfekt. Einfach anziehen - und das war‘s. Es muss nichts eingestellt oder justiert werden. Die Orthese kann und sollte über viele Stunden am Stück getragen werden, über lange Zeiträume hinweg damit sie ihre Wirkung voll entfalten kann. Mit dem Versorgungskonzept der Dynamic GPS Soft-Orthesen gelingt es Pro Walk, eine große Anzahl von Einschränkungen durch neurologische und neuroorthopädische Krankheiten zu lindern.

BORT OmoControl Schultergelenkorthese

Die BORT OmoControl Schultergelenkorthese wirkt einer Subluxation im Schultergelenk durch Rückführung des Oberarmkopfes entgegen. Gleichzeitig wird die Arm-Innenrotation korrigiert. Die Orthese ist deshalb insbesondere für Schlaganfallpatienten in der Rehabilitationsphase geeignet. Ermöglicht freies Pendeln des Armes, z. B. Das BOA® Fit System bietet eine fein einstellbare, präzise Passform. Die Wiederherstellung der natürlichen Schultergelenkposition entlastet Kapsel, Sehnen, Muskeln und Nerven und reduziert so die Ursache des Schmerzes. Die physiologische Führung und Stabilisierung des Schultergelenks erleichtert eine Bewegungstherapie und vermeidet Folgeschäden. Die freie und kontrollierte Pendelbewegung des Armes sowie die Korrektur der Innenrotationsstellung verbessern das Gangbild.

ErixThree® Schulterorthese

Die ErixThree® Schulterorthese wurde für Patienten mit Subluxation der Schulter nach Schlaganfall und neurologischen Erkrankungen entwickelt. Entlang dem Verlauf der Rotatorenmanschette sowie des M. Deltoideus sind Streifen aus thermoplastischem Polyurethan angebracht. Diese regen die Mechanorezeptoren der entsprechenden Muskeln an und erhöhen so die Propriozeption. Auf der vorderen Außenseite sind dünne, leicht anpassbare Stahlschienen zur Verstärkung eingearbeitet. Zur weiteren Entlastung können gelenkübergreifende Zuggurte entlang dem Muskelverlauf angebracht werden, die das Schultergelenk durch die Abduktions- und Außenrotationswirkung in der korrekten Stellung sichern. Optional kann zur zusätzlichen Stabilisierung ein BOA®-Verschluss auf dem M. Publikationsdatum:19. drei Wochen nach dem Insult Schulterschmerzen entwickeln.

Auswahl der geeigneten Orthese

Die Auswahl der geeigneten Orthese sollte in enger Abstimmung mit Ärzten, Therapeuten und Orthopädietechnikern erfolgen. Eine individuelle Anpassung ist oft notwendig, um den bestmöglichen Therapieerfolg zu erzielen.

Kriterien für die Auswahl

  • Art und Ausmaß der Subluxation: Je nach Schweregrad der Subluxation und den individuellen Bedürfnissen des Patienten kommen unterschiedliche Orthesen in Frage.
  • Begleitende Symptome: Vorhandene Schmerzen, Bewegungseinschränkungen oder das Vorliegen eines Schulter-Arm-Syndroms beeinflussen die Wahl der Orthese.
  • Funktionelle Anforderungen: Die Orthese sollte die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) unterstützen und die Rehabilitation fördern.
  • Tragekomfort: Eine gute Passform und ein angenehmes Tragegefühl sind entscheidend für die Akzeptanz und die Compliance des Patienten.
  • Handhabung: Die Orthese sollte einfach an- und abzulegen sein und eine selbstständige Nutzung ermöglichen.

Individuelle Anpassung

Eine individuelle Anpassung der Orthese ist oft notwendig, um eine optimale Passform und Funktionalität zu gewährleisten. Dies kann durch Maßanfertigung oder durch Anpassung konfektionierter Orthesen erfolgen.

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