Schwanger werden mit Epilepsie: Risiken und was Sie wissen sollten

Epilepsie betrifft etwa eine von 200 Frauen in Deutschland. Dank verbesserter Behandlungsmöglichkeiten können die meisten betroffenen Frauen heute ein weitgehend normales Leben führen, auch wenn sie Medikamente zur Anfallskontrolle (Antiepileptika) einnehmen müssen. Viele Frauen mit Epilepsie wünschen sich Kinder und haben Fragen zu den Risiken einer Schwangerschaft.

Vorurteile und Ängste

Viele Frauen mit Epilepsie entscheiden sich gegen Kinder, vor allem aus Angst, dass ihr Baby durch Epilepsie-Medikamente Fehlbildungen bekommen oder durch Anfälle während der Schwangerschaft geschädigt werden könnte. Ein weit verbreiteter Irrglaube ist, dass epileptische Anfälle vererbt werden könnten. Es ist wichtig, betroffene Frauen zu ermutigen und aufzuklären, etwa über sichere Antiepileptika und über weit verbreitete Vorurteile. Prof. Dr. Bettina Schmitz, Chefärztin der Klinik für Neurologie mit Stroke Unit und Berliner Epilepsizentrum Vivantes, betont: „Es gibt in der Regel keinen Grund, warum eine Frau mit Epilepsie keine Kinder bekommen sollte.“

Planung der Schwangerschaft

Um mögliche Risiken durch Anfälle oder die Behandlung zu verringern, sollte eine Schwangerschaft idealerweise frühzeitig mit einem Neurologen oder einer Neurologin besprochen, geplant und eventuell die Medikation angepasst werden. Es ist nicht ratsam, die antiepileptische Medikation während der Schwangerschaft zu unterbrechen, da unkontrollierte Anfälle ebenfalls ein Risiko für das Kind darstellen können. Spezialsprechstunden, wie etwa in der Epilepsie-Ambulanz, bieten hierfür Beratung an. Allerdings ist es eigentlich für alle Frauen im gebärfähigen Alter, bei denen eine Epilepsie diagnostiziert wurde, wichtig, sich mit damit auseinanderzusetzen - vor allem, weil es ja auch ungeplante Schwangerschaften geben kann.

Medikamente und Risiken

Für die meisten Frauen mit Epilepsie gibt es heute die Möglichkeit, auf Medikamente umzusteigen, die dem Baby im Bauch nachweislich nicht oder nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit schaden. Schon vor einer Schwangerschaft auf vergleichsweise sichere Medikamente umzustellen, ist daher der wichtigste Schritt. Oberstes Ziel ist es, ohne Anfälle oder zumindest ohne Grand mal-Anfälle durch die Schwangerschaft zu kommen, und das mit einer niedrigstmöglichen Dosis in Monotherapie - also mit nur einem Medikament. Zu vermeiden sei etwa das Präparat Valproat, insbesondere in Kombination mit anderen Antiepileptika und bei Frauen, bei denen bereits ein Kind oder ein Familienangehöriger mit einer Fehlbildung z.B. Spina bifida, geboren wurde. Bedeutsam sei es auch, drei Monate vor der Schwangerschaft und im ersten Schwangerschaftsdrittel Folsäure einzunehmen. Wer schon schwanger ist, dem raten die Expert*innen heute, eine bewährte Medikation nicht mehr zu ändern und auch nicht ohne Rücksprache Medikamente abzusetzen oder die Dosis selbstständig zu verringern. Eine sogenannte Ultraschallfeindiagnostik ab der 12. Schwangerschaftswoche kann helfen, mögliche Fehlbildungen abzuschätzen. Und bei einigen Antiepileptika sei es ratsam, den Serumspiegel kontrollieren zu lassen. Anfallsserien, „große“ bzw. Grand mal-Anfälle und anfallsbedingte Stürze sollten möglichst vermieden werden.

Prof. Dr. Schmitz leitet das deutsche Schwangerschaftsregister für Schwangerschaften unter Antiepileptika (German Registry of Antiepileptic Drugs in Pregnancy with Epilepsy GRAPE). Im deutschen und auch im internationalen Schwangerschaftsregister sammeln wir Daten und vergleichen wir, wie sicher verschiedene Antiepileptika für das ungeborene Kind sind, vor allen in Bezug Fehlbildungen und Wachstumsverzögerungen im Mutterleib. Wir forschen so auch zu Medikamenten, die neu auf den Markt kommen“, fasst Prof. Dr. Schmitz zusammen. Vor allem dank der Erkenntnisse aus der langjährigen Beobachtungsstudie ist der Anteil der fehlgebildeten Kinder in den letzten 20 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen.

Lesen Sie auch: Magnesium gegen Wadenkrämpfe

Natürliche Geburt und Stillen

Eine natürliche Geburt ist grundsätzlich auch für Epileptikerinnen möglich. Grundsätzlich raten die Spezialist*innen zu Kaiserschnitt nur bei häufigen Anfällen in der Schwangerschaft, großen Anfällen oder vielen kleinen Anfällen während der Geburt, denn dann kann die Gebärende oft nicht bei der Geburt mithelfen. „Was auch nicht vergessen werden darf, ist, die Antiepileptika auch im Kreißsaal weiter einzunehmen. Denn eine Geburt kann sich ja über viele Stunden hinziehen“, erinnert Prof. Dr. Schmitz. Während der Geburt ist auch ein vorübergehender Anfallsschutz durch benzodiazepinhaltige Medikamente zu erwägen.

Auch im Wochenbett gibt es für Frauen mit Epilepsie einiges zu beachten: Alle Antiepileptika gehen in unterschiedlichem Ausmaß in die Muttermilch über. Daher ist Stillen nach Rücksprache mit dem Neurologen und dem Kinderarzt erlaubt. Es wird geraten, abzustillen, wenn die Mutter an ausgeprägter Müdigkeit leidet oder wenn das Kind eine Trinkschwäche hat oder unzureichend an Gewicht zunimmt. „Insgesamt sollten Mütter mit Epilepsie das Stillen nicht unnötig lange fortsetzen. Wir wissen, dass Schlafentzug zu vermehrten Anfällen führen kann. Daher wäre es gut, sich bei der Versorgung des Babys Unterstützung zu sichern“, rät Prof. Dr. Vivantes.

Weitere wichtige Aspekte

  1. Verhütung: Antiepileptika können die Wirkung hormoneller Verhütungsmittel reduzieren. Bezüglich Schwangerschaft, Geburt und Stillen sollten werdende Mütter und Väter mit Epilepsie ärztliche Beratung und Betreuung in Anspruch nehmen.
  2. Erbliche Veranlagung: Kinder von Menschen mit Epilepsie haben im Schnitt nur ein leicht erhöhtes Risiko, an Epilepsie zu erkranken und das Risiko für Fehlbildungen ist trotz Antiepileptika in der Schwangerschaft nur leicht erhöht.
  3. Fruchtbarkeit: Antiepileptische Medikamente und die Krankheit selbst können bei Frauen zu einer verminderten Fruchtbarkeit führen, da sie häufig unter Menstruationsstörungen leiden.
  4. Medikation: Schwangere sollten in der Regel die Antiepileptika weiter nehmen, ggf. nach vorherigen Medikamentenänderungen und Dosisanpassungen, um das Risiko für Fehlbildungen beim Kind zu senken.
  5. Geburt: Die Gebärende sollte auch während der Geburt die Antiepileptika weiter nehmen. Auch mit Epilepsie ist eine natürliche Geburt möglich.
  6. Stillen: Bei Müttern mit Epilepsie ist Stillen in der Regel problemlos möglich.
  7. Nach der Geburt: Wenn die Medikamentendosis in der Schwangerschaft oder bei der Geburt verändert wurde, muss sie ggf. angepasst werden.
  8. Schlafentzug: Bei einigen Epilepsieformen löst Schlafentzug Anfälle aus. Wenn ein Elternteil an einer solchen Epilepsieform leidet, sollte dieser sehr auf seine Nachtruhe achten.
  9. Unterstützung: Elternassistenz kann im Anfallsfall die Sicherheit des Kindes gewährleisten und einen Elternteil mit Epilepsie im Alltag unterstützen, z.B. Autofahrten bei fehlender Fahrtauglichkeit übernehmen.
  10. Beratungsstellen: Die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V. und Pro familia bieten Beratungen rund um das Thema Sexualität, Schwangerschaft und Kinderwunsch an.

Ärztliche Begleitung

Nach Schätzungen hat in Deutschland etwa eine von 200 Schwangeren Epilepsie (also mehr als 3.500 pro Jahr). Obwohl viele dieser Frauen Anti-Epileptika benötigen und Anfälle nicht immer vollständig ausgeschlossen werden können, bringen die meisten von ihnen ein gesundes Baby zur Welt. Wenn Sie Epilepsie haben, Medikamente nehmen und einen Kinderwunsch haben, ist es besonders wichtig, dass Sie sich möglichst schon vor der Schwangerschaft umfassend beraten lassen, welche Medikamente in Ihrem speziellen Fall gegen Krampfanfälle während der Schwangerschaft am besten geeignet sind und wie eine gesunde Entwicklung Ihres Kindes unterstützt werden kann. Für einen möglichst komplikationslosen Schwangerschafts- und Geburtsverlauf ist es deshalb von großer Bedeutung, eine Ärztin oder einen Arzt mit ausreichend Erfahrung in der Behandlung von Epilepsien zu haben.

Einfluss der Schwangerschaft auf Epilepsie

Rund zwei Drittel der Frauen mit Epilepsie haben in der Schwangerschaft genauso oft Anfälle wie zuvor, etwa 17 % häufiger und 16 % seltener. Zu einer veränderten Anfallshäufigkeit können schwangerschaftsbedingte Veränderungen im Stoffwechsel und Hormonhaushalt beitragen, aber auch eine veränderte Leber- und Nierenfunktion, Schlafmangel oder psychischer Stress: All dies kann zu Schwankungen bei der Medikamentenaufnahme und bei der Wirkstoffverarbeitung führen. Frauen, die in den letzten 9 Monaten vor der Schwangerschaft anfallsfrei waren, haben erfahrungsgemäß nur ein geringes Risiko, in der Schwangerschaft Anfälle zu bekommen. Ein länger andauernder Grand-Mal-Anfall in der Schwangerschaft oder bei der Geburt kann die Herzfrequenz des Kindes senken, zu einem Sauerstoffmangel führen und seine Versorgung gefährden.

Anti-Epileptika in der Schwangerschaft

Nicht für alle Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen, mit denen Epilepsie behandelt wird, sind die Auswirkungen auf die Schwangerschaft und das ungeborene Kind umfassend erforscht. Von bestimmten Wirkstoffen wie Valproinsäure und Topiramat weiß man aber, dass sie in der Schwangerschaft das Risiko des Kindes für Fehlbildungen, Wachstums-, Sprach- und geistige Entwicklungsstörungen erhöhen. Andere Wirkstoffe sind dagegen mit geringeren Risiken verbunden. Ziel ist es, eine effektive Therapie mit nur einem Medikament zu finden und die Schwangere auf die niedrigste Dosis einzustellen, die sie sicher vor Krampfanfällen schützt. Eine Wirkstoffkombination aus verschiedenen Anti-Epileptika ist nach derzeitigem Kenntnisstand möglichst zu vermeiden. Sollten Sie auch in der Schwangerschaft ein valproinsäurehaltiges Medikament einnehmen müssen, um anfallsfrei zu sein, können Sie die Tagesdosis unter Umständen auf mehrere Einzeldosen verteilen, um schädliche Wirkungen möglichst gering zu halten. Bei den Vorsorgeuntersuchungen wird neben den normalen Tests auch Ihr Blutplasmaspiegel kontrolliert, um die Dosierung der Anti-Epileptika gegebenenfalls anpassen zu können. Das kann notwendig werden, weil die Gesamtblutmenge im Verlauf der Schwangerschaft um 30 bis 40 % zunimmt und sich die Wirkung der bisherigen Dosis deshalb abschwächen kann.

Lesen Sie auch: Wo unser Gedächtnis im Gehirn wohnt

Einige Epilepsie-Medikamente können einen Folsäure-Mangel verursachen. Beginnen Sie deshalb möglichst schon in der Zeit vor der geplanten Schwangerschaft mit der Einnahme von Folsäure und nehmen Sie mindestens in den ersten 3 Monaten der Schwangerschaft weiterhin täglich Folsäure.

Risiken für das Kind

Mehr als 90 % der Kinder epilepsiekranker Frauen kommen gesund zur Welt. Fehlbildungen, die auf die Einnahme von Anti-Epileptika zurückgehen und medizinisch korrigiert werden müssen, sind insgesamt selten, kommen jedoch zwei bis vier Mal häufiger vor als bei Kindern von gesunden Frauen. Ob es dazu kommt, ist abhängig davon, welche Wirkstoffe das eingenommene Medikament enthält und in welcher Dosis es genommen werden muss. Wurde eine Frau mit Epilepsie vor und während der Schwangerschaft gut eingestellt, senkt dies auch das Fehlbildungsrisiko des Kindes. Die Krankheit wird in der Regel nicht vererbt: Rund 95 % der Kinder epilepsiekranker Eltern sind selbst nicht von Epilepsie betroffen.

Geburt bei Frauen mit Epilepsie

Nach der derzeitigen Datenlage ist das Risiko für eine Frühgeburt, einen Kaiserschnitt, Blutungen in der Schwangerschaft oder vorzeitige Wehen bei Frauen mit Epilepsie kaum erhöht. Epilepsie allein ist kein zwingender Grund für eine Geburtseinleitung oder einen Kaiserschnitt. Die Geburt sollte jedoch in einem Krankenhaus stattfinden, das auf Geburten von Frauen mit Epilepsie spezialisiert ist, zumindest aber ausreichende Erfahrung hat. Nehmen Sie regelmäßig Anti-Epileptika ein, so müssen Sie die gewohnte Dosis auch in der Zeit der Geburt einnehmen, damit sich die Wirkstoffkonzentration im Blut nicht ändert.

Stillen und Epilepsie

Geht es Ihnen und dem Kind gut, können Sie nach ärztlicher Rücksprache Ihr Kind stillen. Einige Anti-Epileptika gehen allerdings in niedriger Konzentration in die Muttermilch über. Da die Leber des Kindes noch nicht ausgereift ist, können sie nicht ausreichend abgebaut werden. Das kann dazu führen, dass das Baby zu müde ist, nur wenig trinkt und deshalb nicht genug zunimmt. Die meisten Studien kommen zu dem Schluss, dass die Vorteile des Stillens für die körperliche und seelische Entwicklung des Kindes in den meisten Fällen die geringfügigen Nachteile durch die Medikamente deutlich überwiegen.

Die erste Zeit mit dem Baby

In den Tagen nach der Geburt kann es durch die körperliche Umstellung zu einer Erhöhung der Medikamentenkonzentration im Blut kommen. Falls eine Blutuntersuchung dies anzeigt, muss die Tagesdosis unter Umständen reduziert werden. Durch die häufigeren Schlafunterbrechungen in der Stillzeit kann es (wieder) zu Anfällen kommen (was auch epilepsiekranken Vätern passieren kann). Wichtig ist es deshalb, für ausreichend Schlaf zu sorgen. Am besten, Sie lassen sich bei der nächtlichen Versorgung des Kindes unterstützen oder geben sie ganz an Ihren Partner ab. Beim Wickeln und Stillen ist es wichtig, dass Sie sich sicher fühlen.

Lesen Sie auch: Risikofaktoren für einen Schlaganfall

Kinderwunschbehandlung

Auch bei Menschen mit Epilepsie ist die Möglichkeit für eine Kinderwunschbehandlung gegeben, wenn es mit dem Schwangerwerden nicht klappt. Und die Erfolgsaussichten sind genauso gegeben wie bei Paaren ohne Epilepsie. Viele von Epilepsie betroffene werdende Eltern stellen sich die Frage, ob ihr Kind ebenfalls ein erhöhtes Risiko aufweisen wird, an einer Epilepsie zu erkranken. Diese Gefahr stellt sich nur bei Epilepsieformen, die genetisch bedingt sind.

Beratung und Unterstützung

Wenn Sie oder Ihr(e) Partnerin eine Epilepsie haben und Medikamente gegen die Erkrankung einnehmen, sollten Sie bereits bei aufkommendem Kinderwunsch den Kontakt zu Ihren behandelnden Ärztinnen suchen. In einem ausführlichen Beratungsgespräch werden Sie erfahren, welche Schritte zur Planung einer Schwangerschaft im Vorfeld wichtig sind. Wenn eine Schwangerschaft eingetreten ist, sollte Ihr Weg sowohl in eine gynäkologische Praxis, aber auch zurück in Ihr Epilepsiezentrum oder zu Ihrer niedergelassenen neurologischen Praxis führen.

Angst überwinden und zuversichtlich sein

Über 95% der Schwangerschaften von Frauen mit Epilepsie verlaufen sehr gut, wenn sie gut geplant und betreut werden. Gehen Sie frühzeitig in ein Fachzentrum, reden Sie dort mit Expertinnen und Experten, die sich mit dem Thema auskennen und starten Sie zuversichtlich in die Zukunft mit Kindern.

tags: #schwanger #werden #mit #epilepsie #risiken