Epilepsie: Anfälle, Auslöser und Ursachen – Ein umfassender Überblick

Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen und betrifft Menschen jeden Alters. In Deutschland sind rund 600.000 Menschen betroffen. Die Erkrankung ist durch wiederkehrende epileptische Anfälle gekennzeichnet. Diese Anfälle entstehen durch eine Störung der elektrochemischen Signalübertragung der Nervenzellen im Gehirn. Dabei können die Anfälle unterschiedliche Ursachen und Auslöser haben. Eine exakte Diagnose und das Verständnis der Anfallsart sind für eine gute Behandlung von entscheidender Bedeutung.

Was ist Epilepsie?

Epilepsien sind chronische neurologische Erkrankungen, bei denen Gruppen von Nervenzellen (Neuronen) im Gehirn zeitweise abnormale Signale aussenden und so Anfälle verursachen. Während eines Anfalls feuern viele Neuronen gleichzeitig - bis zu 500-mal pro Sekunde, was viel schneller ist als normal. Diese plötzlichen, unkontrollierten elektrischen Entladungen im Gehirn können zu einer Vielzahl von Symptomen führen, die von kurzen Aussetzern bis hin zu schweren Krampfanfällen reichen.

Anzeichen und Symptome einer Epilepsie

Die Anzeichen für eine Epilepsie können sehr vielfältig sein. Für eine exakte Diagnose und gute Behandlung ist es wichtig, die Art der Anfälle bzw. den Anfallsablauf genau zu kennen und zu verstehen. Ein epileptischer Anfall kann sich auf unterschiedliche Art äußern. Häufig treten Zuckungen einzelner Körperteile auf, aber es gibt auch symptomlose Epilepsie-Anfälle, die gänzlich unbemerkt bleiben.

Mögliche Symptome eines epileptischen Anfalls:

  • Aura: Angst oder Geruchswahrnehmungen
  • Muskelzuckungen: Unkontrollierte Zuckungen einzelner oder mehrerer Muskelgruppen
  • Bewusstseinsverlust: Verlust des Bewusstseins oder der Orientierung
  • Verkrampfungen: Steifwerden des Körpers (tonische Phase) gefolgt von rhythmischen Zuckungen (klonische Phase)
  • Nicht zielgerichtete Verhaltensweisen: Schmatzen, Lippenlecken, Nesteln
  • Sensorische Veränderungen: Kribbeln, Taubheitsgefühle, Lichtblitze, ungewöhnliche Geräusche oder Gerüche
  • Autonome Symptome: Herzrasen, Schweißausbrüche, Speichelfluss, Übelkeit

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jeder Anfall gleich ist und die Symptome von Person zu Person variieren können.

Ursachen von Epilepsie

Die Ursachen für Epilepsie sind vielfältig und oft nicht eindeutig zu bestimmen. Grundsätzlich gilt, dass jedes Ereignis, das einen Schaden im Gehirn verursacht, ein potenzieller Auslöser für ein epileptisches Anfallsleiden sein kann. Die Medizin unterscheidet hier zurzeit strukturelle, infektiöse, metabolische, genetische und immunologische Ursachen.

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1. Genetische Ursachen:

  • Genetische Veranlagung: Manche Menschen haben eine stärkere Veranlagung zu epileptischen Anfällen als andere. Die Forschung geht heute davon aus, dass bei diesen Patienten ein oder mehrere Gene defekt sind, die als Ursache der Epilepsie anzusehen sind.
  • Mutationen: Es sind über 500 Gene bekannt, deren Mutation zur Epilepsie führen kann. Diese Gene können im Labor einzeln oder im Rahmen der modernen Abklärung alle gleichzeitig untersucht werden (Next-Generation-Sequencing, NGS).
  • Polygenetische Veranlagung: In den meisten Fällen ist nicht ein einziges Gen krankhaft mutiert, sondern eine kritische Anzahl an Genen zeigt minimale Varianten ihrer Aktivität, die jede für sich eigentlich noch normal sind (Normvarianten). Erst die Kombination dieser Veränderungen führt dann zur Krankheit.

2. Strukturelle Ursachen:

  • Schlaganfall: Eine Durchblutungsstörung im Gehirn kann zu Schäden führen, die Epilepsie auslösen können.
  • Hirntumor: Tumore im Gehirn können das umliegende Gewebe schädigen und epileptische Anfälle verursachen.
  • Schädel-Hirn-Trauma: Verletzungen des Kopfes können zu bleibenden Schäden im Gehirn führen, die Epilepsie begünstigen.
  • Narbenbildung: Narben im Gehirn, beispielsweise nach einem Schlaganfall, Unfall oder einer Entzündung, können zu einer Übererregbarkeit mit fokalen Anfällen führen.
  • Fehlbildungen des Gehirns: Ein Teil dieser Fehlbildungen betrifft beide Hirnhälften und manchmal die gesamte Hirnrinde (Pachygyrie, Lissenzephalie, beidseitige Polymirkogyrie, Bandheterotopie). Andere Fehlbildungen sind regional begrenzt und verursachen fokale Anfälle aus dieser Region (umschriebene Polymikrogyrie, noduläre Heterotopie). Eine besondere Rolle spielen die fokalen kortikalen Dysplasien.

3. Infektiöse Ursachen:

  • Entzündungen des Gehirns: Infektionen des Gehirns durch Viren oder Bakterien (Meningitis, Enzephalitis) können epileptische Anfälle auslösen.
  • Borreliose: Eine Infektion mit Borrelien kann ebenfalls zu Entzündungen im Gehirn und damit zu Anfällen führen.

4. Metabolische Ursachen:

  • Stoffwechselerkrankungen: Seltene Stoffwechselerkrankungen wie die Phenylketonurie können den Stoffwechsel im Gehirn beeinträchtigen und Epilepsie verursachen.
  • Störung der Balance der Blutsalze:
  • Massiven Unterzucker:

5. Immunologische Ursachen:

  • Autoimmunerkrankungen: In seltenen Fällen greift das Immunsystem das eigene Hirngewebe an und verursacht Entzündungen, die zu Epilepsie führen können.

6. Unbekannte Ursachen:

  • Kryptogene Epilepsien: Bei manchen Patienten kann trotz umfassender Diagnostik keine eindeutige Ursache für die Epilepsie gefunden werden. Diese Fälle werden als kryptogene Epilepsien bezeichnet.

Trigger von Anfällen

Neben den eigentlichen Ursachen der Epilepsie gibt es auch bestimmte Faktoren, die einzelne Anfälle auslösen können. Diese werden als Trigger bezeichnet. Es ist wichtig zu beachten, dass diese Trigger nicht die Ursache der Epilepsie sind, sondern lediglich Anfälle provozieren können.

Häufige Anfallstrigger:

  • Medikamente vergessen: Der häufigste Grund für einen Anfall ist das Vergessen der Einnahme der Antiepileptika oder das absichtliche Unterlassen der Einnahme.
  • Schlafmangel: Unzureichender Schlaf kann die Anfallswahrscheinlichkeit erhöhen.
  • Stress: Stressige Situationen können bei manchen Menschen Anfälle auslösen.
  • Alkohol und Drogen: Übermäßiger Alkoholkonsum und der Konsum von Drogen können die Gehirnchemie beeinflussen und Anfälle provozieren.
  • Flimmernde Lichter: Bei wenigen Menschen mit Epilepsie (ca. 3 %) können flimmernde Lichter, z. B. durch Fernsehen oder Diskos, Anfälle auslösen (photosensitive Epilepsie).
  • Dehydration: Achten Sie darauf, dass Sie immer ausreichend Flüssigkeit zu sich nehmen. Dies ist besonders wichtig, wenn Sie Sport treiben.
  • Unregelmäßige Mahlzeiten: Regelmäßige Mahlzeiten können dazu beitragen, dass Ihre Anfälle unter Kontrolle bleiben.
  • Hormonelle Veränderungen: Bei Frauen können hormonelle Schwankungen im Zusammenhang mit dem Menstruationszyklus Anfälle beeinflussen.
  • Extreme Witterungswechsel:

Es ist ratsam, ein Anfallstagebuch zu führen, um individuelle Trigger zu identifizieren und diese möglichst zu vermeiden.

Diagnose von Epilepsie

Die Diagnose von Epilepsie basiert auf einer sorgfältigen Anamnese, neurologischen Untersuchung und verschiedenen technischen Untersuchungen.

Wichtige diagnostische Schritte:

  • Ausführliches Gespräch: Der Arzt erfragt die genaue Anfallsgeschichte, Begleitumstände und mögliche Auslöser. Auch die Krankengeschichte der Familie ist von Bedeutung.
  • Elektroenzephalografie (EEG): Das EEG misst die Hirnströme und kann epilepsietypische Auffälligkeiten aufzeigen. Es gibt Standard-EEGs, die etwa 45 Minuten dauern, und Langzeit-EEGs, die über mehrere Tage aufgezeichnet werden.
  • Video-EEG-Monitoring: Bei dieser Untersuchung wird die elektrische Hirnaktivität über mehrere Tage kontinuierlich aufgezeichnet und gleichzeitig videografisch dokumentiert. So können die Anfälle genau analysiert und der Hirnaktivität zugeordnet werden.
  • Magnetresonanztomografie (MRT): Die MRT ist ein bildgebendes Verfahren, mit dem strukturelle Veränderungen im Gehirn dargestellt werden können, z. B. Narben, Tumore oder Fehlbildungen.
  • Computertomografie (CT): In Notfallsituationen, z. B. nach einem ersten Anfall, kann eine CT durchgeführt werden, um akute Ursachen wie Blutungen oder Verletzungen auszuschließen.
  • Blutuntersuchungen: Blutuntersuchungen können helfen, Stoffwechselstörungen oder Entzündungen als mögliche Ursachen für die Epilepsie zu identifizieren.
  • Genetische Tests: Bei Verdacht auf eine genetische Ursache können genetische Tests durchgeführt werden, um Mutationen in bestimmten Genen nachzuweisen.

Behandlung von Epilepsie

Das Ziel der Epilepsie-Behandlung ist die Anfallsfreiheit und die Verbesserung der Lebensqualität. Die Behandlungsmöglichkeiten sind vielfältig und werden individuell auf den Patienten abgestimmt.

1. Medikamentöse Therapie (Antiepileptika):

  • Wirkungsweise: Antiepileptika wirken, indem sie die Erregbarkeit der Nervenzellen im Gehirn reduzieren und so die Entstehung von Anfällen verhindern.
  • Auswahl: Es gibt eine Vielzahl von Antiepileptika mit unterschiedlichen Wirkstoffen und Nebenwirkungsprofilen. Die Auswahl des geeigneten Medikaments erfolgt in Absprache mit dem Arzt und unter Berücksichtigung der Anfallsart, des Alters und möglicher Begleiterkrankungen des Patienten.
  • Einnahme: Antiepileptika müssen in der Regel regelmäßig und über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Es ist wichtig, die Medikamente nicht eigenmächtig abzusetzen oder die Dosis zu verändern, da dies zu Anfällen führen kann.
  • Nebenwirkungen: Antiepileptika können Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden oder Hautausschläge verursachen. Bei Auftreten von Nebenwirkungen sollte der Arzt informiert werden, um die Therapie gegebenenfalls anzupassen.

2. Chirurgische Therapie:

  • Indikation: Eine Operation kommt in Frage, wenn die Anfälle von einem bestimmten Bereich im Gehirn ausgehen (fokale Epilepsie) und die Medikamente nicht ausreichend wirken.
  • Ablauf: Bei der Operation wird der anfallsauslösende Bereich im Gehirn entfernt. Vor dem Eingriff sind umfangreiche Untersuchungen notwendig, um die genaue Lokalisation des Anfallsherds zu bestimmen und das Risiko von neurologischen Ausfällen zu minimieren.

3. Vagusnervstimulation (VNS):

  • Wirkungsweise: Bei der VNS wird ein Schrittmacher-ähnliches Gerät unter die Haut im Brustbereich implantiert. Das Gerät sendet elektrische Impulse an den Vagusnerv im Hals, der eine Verbindung zum Gehirn hat. Die VNS kann die Anfallshäufigkeit reduzieren und die Lebensqualität verbessern.
  • Indikation: Die VNS kommt in Frage, wenn eine Operation nicht möglich ist oder nicht erfolgreich war.

4. Ketogene Diät:

  • Wirkungsweise: Die ketogene Diät ist eine spezielle Form der Ernährung, bei der der Körper hauptsächlich Fette und wenig Kohlenhydrate und Proteine zu sich nimmt. Dadurch wird der Stoffwechsel umgestellt und es entstehen Ketonkörper, die eine antiepileptische Wirkung haben können.
  • Indikation: Die ketogene Diät kann bei Kindern mit therapierefraktärer Epilepsie eingesetzt werden, wenn die Medikamente nicht ausreichend wirken.

5. Tiefe Hirnstimulation:

  • Wirkungsweise: Bei der tiefen Hirnstimulation werden Elektroden in bestimmte Bereiche des Gehirns implantiert, die an der Entstehung von Anfällen beteiligt sind. Die Elektroden senden elektrische Impulse aus, die die Hirnaktivität modulieren und die Anfallshäufigkeit reduzieren können.

Was tun bei einem epileptischen Anfall?

Bei einem epileptischen Anfall ist es wichtig, Ruhe zu bewahren und den Betroffenen vor Verletzungen zu schützen.

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Erste-Hilfe-Maßnahmen bei einem epileptischen Anfall:

  • Ruhe bewahren: Versuchen Sie, ruhig zu bleiben und Panik zu vermeiden.
  • Schutz vor Verletzungen: Sorgen Sie dafür, dass der Betroffene sich nicht verletzen kann. Entfernen Sie gefährliche Gegenstände aus der Umgebung und polstern Sie den Kopf des Betroffenen ab.
  • Nicht festhalten: Versuchen Sie nicht, den Betroffenen festzuhalten oder die Zuckungen zu unterdrücken.
  • Nichts in den Mund schieben: Stecken Sie dem Betroffenen nichts in den Mund, da dies zu Verletzungen führen kann. Ein Zungenbiss ist in der Regel harmlos.
  • Beobachten: Achten Sie auf die Dauer des Anfalls und die Art der Symptome. Diese Informationen können dem Arzt bei der Diagnose helfen.
  • Notruf wählen (112): Rufen Sie den Notruf, wenn der Anfall länger als fünf Minuten dauert, mehrere Anfälle kurz hintereinander auftreten oder der Betroffene sich verletzt hat.
  • Nach dem Anfall: Nach dem Anfall kann der Betroffene desorientiert oder schläfrig sein. Lassen Sie ihn sich ausruhen und sprechen Sie beruhigend auf ihn ein.

Leben mit Epilepsie

Epilepsie kann den Alltag der Betroffenen und ihrer Angehörigen stark beeinträchtigen. Es ist wichtig, sich umfassend über die Erkrankung zu informieren und sich Unterstützung zu suchen.

Wichtige Aspekte im Leben mit Epilepsie:

  • Medikamenteneinnahme: Die regelmäßige Einnahme der Medikamente ist entscheidend für die Anfallskontrolle.
  • Vermeidung von Triggern: Es ist ratsam, individuelle Anfallstrigger zu identifizieren und diese möglichst zu vermeiden.
  • Schlafhygiene: Ausreichend Schlaf und ein regelmäßiger Schlafrhythmus sind wichtig für die Anfallskontrolle.
  • Stressmanagement: Stress kann Anfälle auslösen. Entspannungstechniken wie Yoga, Meditation oder autogenes Training können helfen, Stress abzubauen.
  • Ernährung: Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige Mahlzeiten können die Anfallskontrolle unterstützen.
  • Sport und Bewegung: Sportliche Aktivitäten sind grundsätzlich möglich, sollten aber mit dem Arzt abgesprochen werden.
  • Fahreignung: Menschen mit Epilepsie dürfen nicht selbst Auto fahren, wenn sie in den vergangenen zwölf Monaten einen Anfall hatten. Die Fahreignung muss ärztlich geprüft werden.
  • Berufswahl: Bei der Berufswahl sollten mögliche Risiken berücksichtigt werden, z. B. Arbeiten in der Höhe oder mit gefährlichen Maschinen.
  • Soziale Kontakte: Epilepsie kann zu sozialer Isolation führen. Es ist wichtig, soziale Kontakte zu pflegen und sich mit anderen Betroffenen auszutauschen.
  • Psychologische Unterstützung: Eine Psychotherapie kann helfen, mit den Folgen der Erkrankung umzugehen und die Lebensqualität zu verbessern.

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