Die Schweizerische Neurologische Gesellschaft (SNG) spielt eine zentrale Rolle in der Förderung der neurologischen Forschung, der Weiterbildung von Fachärzten und der Verbesserung der Patientenversorgung in der Schweiz. Dieser Artikel beleuchtet aktuelle Informationen und Fortschritte im Bereich der Neurologie, insbesondere im Hinblick auf die Parkinson-Krankheit und andere neurologische Erkrankungen.
Parkinson-Krankheit: Ein Fokus der Neurologischen Forschung
Parkinson ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, von der schätzungsweise 30.000 Menschen in der Schweiz betroffen sind. Die Komplexität und Vielfältigkeit des Krankheitsbilds fasziniert und fordert Neurologen wie Dr. med. Ines Debove, stellvertretende Leiterin des Zentrums für Parkinson und Bewegungsstörungen am Inselspital Bern, heraus.
Die Vielfältigkeit der Parkinson-Krankheit
Was Debove an Parkinson besonders fasziniert, ist die Vielfältigkeit des Krankheitsbilds: «Selbst nach Jahren, wenn man meint, man kennt Parkinson, merkt man: So einfach ist es doch nicht. Jeder Patient und jede Patientin hat eine eigene Krankheitsausprägung.» Zudem überlappen sich Psychiatrie und Neurologie bei der Parkinsonkrankheit sehr, die Patient:innen haben fast immer neuropsychiatrische Symptome, die mitbehandelt werden müssen.
Aktuelle und Zukünftige Therapieansätze
Die Behandlung der Parkinson-Krankheit hat in den letzten Jahrzehnten erhebliche Fortschritte gemacht. Trotzdem gibt es noch keinen Durchbruch in dem Sinne, dass man die Krankheit modifiziert oder moduliert. Die aktuellen Therapien sind symptomorientiert.
Medikamentöse Therapie
Der grösste Gamechanger ist nach wie vor die Einführung von Levodopa. Das ist die stärkste und effizienteste Therapie. Davor waren die medikamentösen Therapiemöglichkeiten stark eingeschränkt, weniger wirkungsvoll oder waren meist mit starken Nebenwirkungen verbunden.
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Viel Hoffnung für zukünftige Therapien wird in Anti-Alpha-Synuklein-Präparate gesetzt. Bisher hat sich hier aber kein Kandidat durchsetzen können. I. Debove: Diese monoklonalen Antikörper - gerade das Prasinezumab, zu dem letztes Jahr die Studie publiziert wurde - wurden bisher sehr früh im Krankheitsstadium anberaumt. Man hat zwar gesehen, dass es einen Unterschied, eine Modifikation gibt. Aber die betrachteten primären Endpunkte haben sich nicht verändert. Die sekundären Endpunkte zeigen eine weniger starke Progression. Das heisst, wir können uns schon erhoffen, dass noch etwas kommt. Aber dazu braucht es jetzt Folgestudien über eine längere Zeitdauer.
Tiefe Hirnstimulation und andere Therapien
Der zweite Meilenstein ist die Tiefenhirnstimulation in den 1990er-Jahren, die sehr effizient gegen die Symptome der Parkinsonerkrankung in fortgeschrittenen Stadien ankämpft und sie in Schach halten kann. Dann kamen noch die Pumpentherapien und der MR-gesteuerte fokussierte Ultraschall (MRgFUS) zur Therapie des tremordominanten Parkinsons hinzu.
Diagnostik und Früherkennung als Gamechanger
Den nächsten grossen Gamechanger sehe ich in der Diagnostik und Früherkennung. Letztes Jahr kamen zwei Arbeiten, von Simuni et al. und Höglinger et al., gleichzeitig in Lancet Neurology 02/24 heraus. In diesen Arbeiten zeigten sie, dass sich das Alpha-Synuklein mit dem «alpha synuclein seed amplification assay» aus verschiedensten Gewebearten wie Haut, Speicheldrüsen, Blut und Liquor isolieren lässt und damit abseits der klassischen klinischen Symptome die Vorhersage «Sie werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Parkinson entwickeln» erlaubt. Das bringt natürlich auch ethische Fragen mit sich. Aber das wird einen grossen Umbruch für die Behandlung und Forschung bringen. Schliesslich würde das erlauben, schon in die Krankheit einzugreifen, bevor die ersten klinischen Symptome wie Tremor und Rigidität sichtbar sind, zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits 50% der dopaminergen Zellen kaputt sind. Bisher ist das Verfahren aber noch nicht kommerzialisiert und wird nur für Forschungszwecke genutzt.
Lebensqualität und Multidisziplinäre Betreuung
Es kommt sehr auf den Patienten, die Patientin an. Es gibt Patient:innen, die einen sehr langsamen Verlauf haben, wo der Alterungsprozess den Parkinsonprozess überschlägt. Aber bei denjenigen, die einen aggressiven Verlauf haben oder einen «klassischen» Verlauf, wie er in den Büchern steht, endet dieser zu einer gewissen Zeit, wenn die aktuell verfügbaren Therapien ausgereizt sind. Aber die Zeit, bis es dazu kommt, ist sehr variabel. Es gibt viele Patient:innen, die sich durch Aktivität sehr lange halten können. Es ist für keinen Patienten, keine Patientin ein Todesurteil, dass sie Parkinson haben. Die Therapien sind da, effizient und gut.
Das, was wir aktuell mehrheitlich anbieten, sind insbesondere symptomorientierte Therapien. Die Therapien sind da, effizient und gut. Wir können vielen, wenn auch nicht allen Patient:innen eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität über einen sehr langen Zeitraum ermöglichen. Wenn Sie ein gutes multidisziplinäres Team haben und die Patient:innen in einem guten sozialen Umfeld eingebettet sind, wo sie einen supportiven Partner haben, lässt sich sehr gut damit leben. Die Frage ist nur, wie lange. Was ist, wenn wir die bestehenden Therapiemöglichkeiten ausgereizt haben? Was machen wir dann? Es besteht natürlich immer die Möglichkeit der palliativmedizinischen Betreuung beziehungsweise zusätzlich begleitend die Palliativmedizin zu involvieren, die man nicht vernachlässigen darf und eine sehr wichtige Rolle spielt. Aber das sind natürlich keine Medikamente oder technischen Massnahmen mehr wie die Tiefenhirnstimulation, mit denen wir die Erkrankung zehn Jahre zurückschrauben können. Wir müssen die Palliativmedizin trotzdem immer als etwas ansehen, das wir den Patient:innen anbieten können. Das ist nicht etwas, wo wir sagen, «das ist nichts». Es haben sehr viele von uns ein Problem, sich dem zu stellen. Dabei heisst Palliativmedizin, auch jemanden weiter zu begleiten, und spielt eine wichtige Rolle für uns in der Neurologie.
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Bedeutung von Bewegung und Tanztherapie
Die Bedeutung von Bewegung und Tanztherapie wird zunehmend erkannt. In den Niederlanden verschreiben sie dort den Patient:innen nicht nur Physiotherapie, sondern auch Bewegungstherapie. Verschreibung von Tanztherapie gehört auch dazu. Natürlich ist das nicht jedermanns Sache. Aber diejenigen, die sich regelmässig sportlich betätigen, haben einen anderen, langsameren Verlauf. Dafür gibt es mit zahlreichen Studien in der Zwischenzeit genügend Evidenz. Nicht nur in motorischen Belangen, sondern auch in nichtmotorischen. Es ist mittlerweile erwiesen, dass das die Lebensqualität der Individuen und der Gruppe deutlich verbessert. Deshalb muss man die Patient:innen immer wieder darauf ansprechen: «Was machen Sie noch nebst Physiotherapie? Gehen Sie laufen oder spazieren, haben Sie einen Hund?» Es ist unsere Rolle, Patient:innen anzuspornen, neue Sachen zu entdecken und aktiv zu bleiben. Parkinson Schweiz bietet umfangreiche Programme über die ganze Schweiz verteilt an, auf die man Patient:innen verweisen kann. Selbst wenn jemand sagt: «Ich hab jetzt das ganze Leben nicht getanzt», empfehle ich den Patient:innen, die Programme auszuprobieren.
Herausforderungen und Zukünftige Perspektiven
Für mich ist die Früherkennung die grösste Herausforderung. Wenn wir es schaffen könnten, die Krankheit früher zu erkennen und zu therapieren, hätten wir eine Waffe in der Hand, mit der wir die Erkrankung grundlegend verändern können.
Da geht es vor allem um Verbesserungen bisheriger Therapien. Können wir die Tiefenhirnstimulation noch verbessern, die technischen Gegebenheiten? Kann man mit der Bildgebung noch mehr rausholen? Kann man mit bestimmten Biomarkern die Einstellung der Tiefenhirnstimulation noch personalisieren und kriegt dadurch ein besseres Outcome hin? Dass man die Medikamente verbessert, dass sich die Pumpentherapien noch weiter entwickeln: Das sind alles Bereiche, wo überall noch etwas «on top» möglich ist. Aber ich hoffe, dass der nächste Meilenstein bald folgt. Es wäre für die Patient:innen sehr wünschenswert, dass wir das wieder in Bewegung bringen, was Prof. Hans Peter Ludin damals vor vielen, vielen Jahren in der Schweiz geschafft hat.
Prof. Ludin hat massgeblich die Levodopa-Therapie in der Schweiz eingeführt, ein grosser Meilenstein in der Parkinsontherapie, welcher bis heute ein Goldstandard in der Therapie der Parkinsonkrankheit geblieben ist.
Weitere Neurologische Erkrankungen und Fortschritte
Neben der Parkinson-Krankheit gibt es viele andere neurologische Erkrankungen, die die Schweizerische Neurologische Gesellschaft und ihre Mitglieder beschäftigen. Dazu gehören Schlaganfälle, Epilepsien, Multiple Sklerose, neuromuskuläre Erkrankungen und Schmerzerkrankungen.
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Schlaganfall: Akutbehandlung und Rehabilitation
Die Neurologische Klinik am Diako Mannheim verfügt über eine zertifizierte Schlaganfallstation (Stroke Unit) zur Akutbehandlung des Schlaganfalls. Ein 24-stündiger neurologischer Bereitschaftsdienst steht an 365 Tagen im Jahr zur Akutbehandlung aller neurologischen Erkrankungen zur Verfügung.
Die Rehabilitation nach einem Schlaganfall ist ein wichtiger Aspekt der Behandlung. Die neue Leitlinie gibt Fachpersonal aus Medizin und Therapie Handlungsempfehlungen für die Rehabilitation sensomotorischer Störungen. Die Ziele der Rehabilitation sind von Betroffenem zu Betroffenem unterschiedlich. Es ist wichtig, dass das medizinische Fachpersonal die Betroffenen gut informiert, welche sensomotorischen Einschränkungen der Schlaganfall bei ihnen verursacht hat. Dann gilt es gemeinsam mit den Betroffenen zu überlegen, welche körperlichen Funktionen sie wiedererlangen möchten und was davon aus medizinischer Sicht erreichbar ist. Auf Basis dieser Wünsche können dann realistische Ziele und eine bedarfsgerechte Therapie festgelegt werden.
Raumkognitionsstörungen: Neglect und seine Behandlung
Raumkognitionsstörungen wie Neglect können nach Schädigungen (Schlaganfall, Tumor) der rechten Hirnhälfte auftreten und haben weitreichende Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen. Eine zielgerichtete Diagnose und frühzeitige Behandlung sind daher von entscheidender Bedeutung. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat nun einen neuen Leitfaden zur Diagnose und Therapie von Neglect und weiteren Raumkognitionsstörungen veröffentlicht. Sie enthält neue Vorschläge für das therapeutische Vorgehen und eine zeitliche Reduktion des gängigen Explorationstrainings. Die S2k-Leitlinie wurde in internationaler Zusammenarbeit erstellt und löst die vorherige S1-Leitlinie "Rehabilitation bei Störungen der Raumkognition" von 2017 ab. Federführende Autoren sind Prof. Dr. Dr. Hans-Otto Karnath, Leiter der Sektion Neuropsychologie an der Tübinger Universitätsklinik für Neurologie und Prof. Dr. Thomas Schenk von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Die Behandlung des Neglects erfolgt im interdisziplinären Behandlungsteam und umfasst neuropsychologische, ergotherapeutische, physiotherapeutische und sozialdienstliche Aspekte. Die Leitlinie empfiehlt dabei aktives Explorieren und Orientieren zur kontralateralen Seite, langsame Folgebewegungen zur kontralateralen Seite und Nackenmuskelvibration. Neu hinzu kommt die kontinuierliche Theta Burst Stimulation (cTBS) in Kombination mit zumindest einem weiteren Trainingsverfahren. Diese Empfehlungen basieren auf einer Reihe neuester randomisierter-kontrollierter Studien. Darüber hinaus wurde die Leitlinie um den Einsatz von "Augmented Reality"- und "Virtual Reality"-Verfahren ergänzt.
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